Cloud
13.01.2020
Große Pläne
1. Teil: „GAIA-X soll zur Europa-Cloud werden“

GAIA-X soll zur Europa-Cloud werden

Cloud-Computing-SymbolbildCloud-Computing-SymbolbildCloud-Computing-Symbolbild
Vadim Pasichnyk / shutterstock.com
Die EU will mit GAIA-X eine eigene Cloud auf den Weg bringen. Europa soll damit ein eigenes Datenökosystem bekommen und digital unabhängiger werden. Allerdings ist das Projekt hoch umstritten.
  • GAIA-X-Infrastruktur: Dezentral verteilte Edge- und Cloud-Anbieter sollen die Knoten innerhalb von GAIA-X bilden.
    Quelle:
    BMWi „Das Projekt GAIA-X“
Europa-Cloud: Bislang ist es nur ein Konzept: Auf 56 Seiten präsentieren das Bundeswirtschafts- und das Bundesforschungsministerium ihre Vorstellung davon, wie eine sichere und vernetzte Dateninfrastruktur für Europa geschaffen werden könnte. Der vorläufige Projektname dafür: GAIA-X. Das Projekt soll als „Wiege eines offenen und transparenten digitalen ­Ökosystems dienen“, erklärt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Das BMWi hatte GAIA-X beim Digital-Gipfel Ende Oktober in Dortmund vorgestellt.
Vieles spricht dafür, dass eine stärkere „digitale Souveränität“ Europas grundsätzlich sinnvoll ist. Schließlich brauchen Unternehmen und Behörden eine sichere und zuverlässige Cloud-Umgebung, weil mit der digitalen Transformation immer mehr Daten in die Wolke wandern.
Experten halten eine europäische Cloud unter politischen wie auch rechtlichen ­Gesichtspunkten für sinnvoll. Sie würde die Abhängigkeit von den großen US-amerikanischen Public-Cloud-Anbietern, den Hyperscalern, verringern. Amazon, Microsoft, Google und IBM dominieren den Cloud-Markt und haben einen großen Vorsprung. Das zeigt etwa die Studie „Public Cloud - Solutions & Services 2019“ des Technologie-Marktforschungs- und Beratungsunternehmens ISG.
Europäische Alternativen bieten keine vergleichbare Marktkapitalisierung, Skalierbarkeit und Anwendungsbreite, kon­statieren die Autoren in der Broschüre „Das Projekt GAIA-X“ (www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Digitale-Welt/das-projekt-gaia-x.pdf). GAIA-X soll die Rahmenbedingungen für eine europäische Cloud schaffen und die Spielregeln festlegen. Profitieren sollen nicht zuletzt Unternehmen aus Industrie 4.0, Finanzwirtschaft und Gesundheitswesen, aber auch die öffentliche Verwaltung und die Wissenschaft. Noch aber ist vieles sehr vage. Im Folgenden die wichtigsten bislang bekannten Fakten:

Das Konzept

GAIA-X soll eine leistungsfähige, sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur für Europa schaffen. „Wir müssen ­unsere strategische Handlungsfähigkeit erhalten, um auf Dauer digital frei und selbstbestimmt agieren zu können. Wir müssen dafür auch im Bereich der Daten digital souverän sein“, postuliert die ­Broschüre. Am Konzept von GAIA-X mitgearbeitet haben Verbände, Unternehmen und Ministerien. Die Broschüre listet knapp 100 Personen auf, darunter den Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier, und die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek. Verschiedene Arbeitsgruppen beschäftigen sich im Rahmen des Projekts mit Schwerpunktthemen wie „Software & Technologie“ oder „Zertifizierung & ­Lizenzierung“. Dezentrale Infrastrukturdienste, also Hosting-Anbieter und Rechenzentren, insbesondere Cloud- und Edge-Instanzen, sollen zu einem homogenen ­System verknüpft werden. Das soll die Skalierungsfähigkeit und die Wettbewerbsposition europäischer Cloud-Anbieter stärken. Die Kunden von Cloud-Dienstleistungen, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, sollen eine Alternative zu den großen Public-Cloud-Anbietern erhalten.
Und das soll GAIA-X leisten: eine Referenzarchitektur für die vernetzte Dateninfrastruktur erarbeiten, Standards definieren, Kriterien für Zertifizierungen und Gütesiegel vorgeben, Regeln festlegen (Teilnahmebedingungen und Datenverträge formulieren und die Teilnehmer zertifizieren) und den Betrieb koordinieren.
US-CLOUD Act
Der US CLOUD Act regelt den rechtmäßigen Umgang mit Daten, die von US-amerikanischen Internetfirmen außerhalb der USA gespeichert werden. Der US-Kongress hatte das Gesetz im März 2018 verabschiedet. Das Akronym CLOUD steht für „Clarifying Lawful Overseas Use of Data“. Der CLOUD Act verpflichtet US-Unternehmen, Daten im Rahmen einer Strafverfolgung herauszugeben, die auf ­ihren Servern liegen, auch dann, wenn sich diese Server im Ausland befinden. Unternehmen, die dem Geltungsbereich des CLOUD Act unterliegen, sind nicht verpflichtet, Betroffene zu informieren, wenn sie deren Daten an US-Behörden übergeben. Rechtsexperten sehen deshalb einen Konflikt zwischen der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und dem CLOUD Act.
2. Teil: „Partner und Strukturen“

Partner und Strukturen

  • Offiziell: Eine 56-seitige Broschüre skizziert die Pläne für GAIA-X.
    Quelle:
    com! professional / Screenshot
Welche feste Struktur GAIA-X erhalten soll, ist noch unklar, ebenso, wie und wann das geschehen soll. Die Projektteilnehmer diskutieren noch darüber, in welche Form GAIA-X „gegossen“ werden soll. Die Broschüre spricht von einer „Organisation mit Rechtsfähigkeit“. Eine Möglichkeit ist die Gründung einer „Europäischen Genossenschaft“. Das BMWi erklärt, dass es eine zügige Gründung im Frühjahr 2020 anstrebt.
Jeder Cloud-Dienstanbieter kann durch den Einsatz der GAIA-X-Technologie und deren Referenzarchitektur zu einem Knoten des Netzwerks, einem GAIA-X-Knoten, werden. Das Projekt ist offen für weitere Partner aus Deutschland und Europa und auch für außereuropäische Unternehmen und Organisationen, denn schließlich sind die Wertschöpfungsketten in der Industrie global angelegt. Voraussetzung ist, so teilte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage mit, dass „sie unsere Ziele und Werte der Datensouveränität und Datenverfügbarkeit teilen“.

Die Architektur

Jeder Knoten der vernetzten Infrastruktur bildet eine eigenständige Einheit, die eindeutig identifizierbar und erreichbar ist. Eine Selbstbeschreibung vermittelt Spezifika und Fähigkeiten der einzelnen Knoten. Sie enthält Aussagen zum Ort der Speicherung und der Verarbeitung der Daten, zu den verwendeten Technologien, zur Rechen- und Speicherleistung sowie zur bereitgestellten Funktionalität. Aus der Selbstbeschreibung soll beispielsweise hervorgehen, ob die Datenspeicherung im Inland oder zumindest im Geltungs­bereich der EU-Datenschutz-Grundverordnung erfolgt. Zudem soll die Selbst­beschreibung Informationen über die Echtzeitfähigkeit, zum Preismodell, zum zertifizierten Schutzgrad des Knotens und zur Energieeffizienz liefern. Die Knoten können eine Public oder eine Private Cloud oder ein Edge-Knoten sein.

Kosten, Budget, Förderung

Zu den Kosten, zum Budget und zu den Fördermitteln äußerte sich das BMWi auf Anfrage nicht. Das Projekt solle aber hauptsächlich von der Wirtschaft getragen werden, teilte das Wirtschaftsministerium bislang mit. Angaben zu den Startkosten könnten derzeit noch nicht ­gemacht werden. Geklärt werden müsse auch noch, wie hoch die laufenden Kosten sein werden, wie Gebühren- oder Geschäftsmodelle aussehen und ab wann sich GAIA-X finanziell selbst tragen soll. Mit Hinweis auf die Haushaltsverhandlungen im Parlament sagt das BMWi auch nichts dazu, welches Budget es für GAIA-X eingeplant hat oder ob Unternehmen und Verbände Fördermittel für GAIA-X beantragen können.

Der Zeitplan

Die GAIA-X-Organisation soll im Frühjahr 2020 gegründet werden. Im zweiten Quartal sollen erste Tests des technischen Konzepts erfolgen (Proofs of Concept). Noch 2020 soll der Live-Betrieb mit ersten Anwendern und Anbietern beginnen.
Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt, dass das Inte­resse an GAIA-X aus  Industrie und Wirtschaft groß sei. Nach der Veröffentlichung hätten viele Unternehmen Interesse an einer Mitarbeit ­bekundet. Nun sollen weitere Partner in Europa gewonnen werden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will mit der französischen Regierung die Einzelheiten des Projekts besprechen und dann an Regierungen und ­Unternehmen in anderen europäischen Ländern herantreten, damit sie sich ebenfalls beteiligen. „Diese Infrastruktur wird dazu beitragen, dass wir unsere digitale Souveränität wiederherstellen“, ist der Bundesminister überzeugt.
3. Teil: „Gemischte Reaktionen “

Gemischte Reaktionen

Doch es gibt auch lebhafte Kritik an ­GAIA-X. Bemängelt wird, dass das Konzept noch sehr schwammig sei. Stefan Ried, Principal Analyst & Practice Lead IoT beim Beratungsunternehmen Crisp Research, befürchtet, dass GAIA-X ein Flop werden könnte. Die drei Hyper­scaler Amazon Web Services, Microsoft Azure und Google Cloud Platform hätten heute schon so einen großen Vorsprung, dass es wenig sinnvoll sei, gegen sie in den Wettbewerb zu treten. Ried ist der Ansicht, dass GAIA-X nicht ­lokale, kleine Rechenzentren unterstützen sollte, weil das unwirtschaftlich sei. „Grundsätzlich sprechen die GAIA-X-Macher viel zu wenig mit den Cloud-Experten der Branche“, kritisiert Crisp-Research-Analyst Ried. Er bemängelt zudem, dass man bei GAIA-X „nichts aus den Deutschland-Cloud-Flops gelernt“ habe. Kunden seien offenbar nicht bereit, für den Schutz ihrer Daten nach europäischem Recht mehr zu bezahlen. Hintergrund: Microsoft hatte Ende 2015 das Modell einer Deutschland-Cloud vorgestellt. Im August 2018 hatte der Konzern in einem Blog-Post mitgeteilt, diesen Service einzustellen. 
Nico Lumma, Managing Partner des Next Media Accelerators in Hamburg, kommentiert auf Gründerszene.de, dass eine europäische Cloud eine Kopfgeburt sei, die nicht überleben werde. Er erinnert an das Projekt Theseus, das im Dezember 2006 beim ersten deutschen IT-Gipfel als semantische Suchmaschine angekündigt worden war. Es seien viele Fördergelder geflossen, um eine europäische Antwort auf Google an den Start zu bringen - ­jedoch mit wenig Erfolg.
GAIA-X werde es ähnlich ergehen, lautet seine Prognose: „Auf dem nächsten ­Digital-Gipfel der Bundesregierung werden wir von zwei, drei Umsetzungen aus der Praxis erfahren, von denen noch niemand gehört hat und die für die beteiligten Unternehmen kaum relevant sind. Danach wird GAIA-X keine Rolle mehr spielen.“
Es gibt aber auch Befürworter einer europäische Cloud- und Dateninfrastruktur. Der Internet-Verband eco hat sich dazu bei rund 500 Unternehmen umgehört. Das Ergebnis der repräsentativen Umfrage: 80 Prozent der Manager sind der Ansicht, dass digitale Souveränität in Form einer leistungsfähigen und sicheren digitalen Infrastruktur entscheidend für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland sei. Oliver Süme, eco-Vorstandsvorsitzender, betont, dass Europa einen „intelligenten Mix an digitalen Infrastrukturanbietern“ brauche: „Datensouveränität und Datenzugang sind ­wesentliche Erfolgsfaktoren für eine datengetriebene Wirtschaft.“ Der Schlüssel dafür seien leistungsfähige Rechenzentren.
Der Digitalverband Bitkom bezieht in einem Eckpunktepapier Stellung zu einer souveränen Cloud- und Datenstruktur in Deutschland und Europa.  Im Kern gehe es bei der Diskussion um GAIA-X um die Frage, „wie wir uns in der digitalen Welt die Fähigkeit zu selbst­bestimmtem Handeln bewahren“, so Bitkom. Souverän heiße, in zentralen Technologiefeldern und Diensten über eigene Fähigkeiten auf Spitzenniveau zu verfügen und selbstbewusst zwischen ­Alternativen entscheiden zu können. ­Lukas Klingholz, Bitkom-Referent Big Data & Künstliche Intelligenz, findet es gut, dass die Bundesregierung die Datensouveränität als Handlungsfeld identifiziert hat, meint aber: „Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt erst.“ Um den Aufbau von Rechenzentren und Gigabit-Netzen voranzutreiben, brauche es eine strategische Standortpolitik. Dazu zähle, die Strompreise für Rechenzen­tren zu senken. Dass sie in Deutschland höher sind als in anderen Ländern, sei ein Nachteil. „Ein wichtiger Schritt wäre, Rechenzentren von der EEG-Umlage zu befreien“, so Klingholz. Zudem müssten die Rahmenbedingungen für Wachstumsfinanzierung und Risikokapital verbessert und der digitale europäische Binnenmarkt vollendet werden. Denn er bilde die Grundlage für Wachstum und Skalierung von GAIA-X. 
Für die Teilnahme an GAIA-X müsse es klare Kriterien geben, fordert Bitkom. „Diese Kriterien sollen Datensouveränität, digitale Souveränität und die Sicherheit von Anwendungen garantieren, die im Rahmen von GAIA-X angeboten werden“, so Klingholz. Herkunft und Hauptsitz von Anbietern sollten nicht ausschlaggebend sein, solange die ­Anbieter die noch zu definierenden Kriterien einhalten und garantieren.
Rainer Sträter, Head of Global Platform Hosting beim Hosting-Anbieter Ionos, ist der Ansicht, dass vor allem kleine und mittelständische Unternehmen von GAIA-X profitieren können, weil sie selten das Know-how hätten, um eine eigene Server-Infrastruktur sicher zu betreiben. Gleichzeitig sei bei ihnen das Misstrauen gegenüber den dominanten US-Anbietern groß. Er verweist auf den US-amerikanischen CLOUD Act. Dieses Gesetz ermöglicht es US-Behörden, von US-Anbietern Zugriff auf Daten zu verlangen, die auf Servern außerhalb der USA liegen (siehe auch Kasten auf Seite 65).
Sträter geht davon aus, dass jeder Wirtschaftszweig von GAIA-X profitieren werde, auch der Online-Handel. „Beim Online-Handel geht es um den Umgang mit sensiblen Daten, den Zahlungsinformationen von Kunden. Hier hat eine Plattform, die auf europäischen Datenschutzstandards basiert, einen Wettbewerbsvorteil.“
Für den Online-Handel wäre ein Zusammenspiel aus Private und Public Cloud effektiv, meint Stefan Ried von Crisp Research: Der Katalog-Teil einer Handelsplattform, der etwa 80 Prozent der Performance braucht, sollte auf einem Public-Cloud-Hyperscaler liegen, nur die Transaktionsprozesse auf einer Infrastruktur mit hohem Datenschutz. „Damit beide optimal als hybride Multi-Cloud zusammenspielen, muss der private Teil am besten an der gleichen Location liegen, aber von einem lokalen Service-Provider betrieben werden.“

Viele ungeklärte Fragen

Grundsätzlich sei alles sinnvoll, was zu ­einer weiteren Digitalisierung des Standorts Deutschland beitrage, kommentiert Marco Revesz, Teamleiter Cloud & Automation bei InternetX, Anbieter von Domains sowie Cloud- und Server-Produkten. Bisher hätten schon viele Unternehmen versucht, sich als deutsche Alternativen zu den Hyperscalern zu positionieren, gelungen sei es bis dato aber noch keinem. Damit GAIA-X erfolgreich werde, müssten mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung erfolgen, meint Revesz. Denn GAIA-X werde nur möglich sein, wenn Menschen mit entsprechendem Know-how „lokale“ Innovationen entwickeln und vorantreiben. „Wir betrachten das Projekt aktuell aus einer gesunden Distanz“, erklärt Revesz. Viele Fragen seien noch ungeklärt: „Auch bei GAIA-X wird der Markt entscheiden, ob ein Bedarf dafür existiert und ob sich solch ein Projekt nachhaltig lohnen wird.“

mehr zum Thema