Business-IT
30.04.2019
David gegen Goliath
1. Teil: „Faire Koexistenz zwischen Online- und Offline-Handel“

Faire Koexistenz zwischen Online- und Offline-Handel

OrtliebOrtliebOrtlieb
Cineberg / shutterstock.com
Im Spannungsfeld der Vertriebskanäle geht Fahrradgepäck-Profi Ortlieb einen eigenen Weg. Die Produkte sind nur direkt oder bei spezifisch ausgewählten Fachhändlern erhältlich.
  • Martin Esslinger: Mitglied der Geschäftsleitung bei Ortlieb
    Quelle:
    Ortlieb
Bislang durften nur Händler mit sta­tionärer Fläche die Produkte des fränkischen Fahrradtaschenherstellers Ortlieb auch online verkaufen. 2019 öffnet sich die Premium-Marke für Fahrradgepäck auch reinen Online-Händlern.
Martin Esslinger, Mitglied der Geschäftsleitung, erklärt im Interview, warum er seine Vertriebskanäle so scharf überwacht, ausgewählten Online-Pure-Playern künftig eine Chance geben will und Amazon immer noch auf Abstand hält.
com! professional: Herr Esslinger, Sie sind eine der wenigen Marken in Deutschland, die auf selektiven Vertrieb setzen und so versuchen, ­Ihre Ware von Online-Marktplätzen wie Amazon fernzuhalten. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Martin Esslinger: Im heutigen Markt­umfeld, wo wir den starken Channel-Shift hin zum Online-Shopping haben, ist es uns wichtig, die Markenhoheit in der Hand zu behalten. Wir wollen klar definieren können, wie unsere Marke im europäischen Kontext vertrieben und präsentiert wird. Und wir haben ein qualitativ hochwertiges Produkt, das sehr beratungsintensiv ist. Wenn etwa unsere Tragesysteme nicht fachgerecht montiert werden, können sie unter Umständen in die Speichen geraten. Da ist also wirklich ein Risiko dahinter, wenn das Händler verkaufen, die ihre Kunden nicht beraten können und sich mit dem Thema nicht auskennen. Außerdem sind wir ein Nischen-Premiumanbieter und müssen darum sicherstellen, dass unsere USPs im Markt und beim Endverbraucher ankommen. Ein selektiver Vertrieb erlaubt uns, eine markengerechte Präsentation online und offline zu gewährleisten und gleichzeitig unsere Vertriebsstrategie in Übereinstimmung mit unserem Markenversprechen zu gestalten.
com! professional: Sie haben aber doch auch als Marke bei Amazon die Möglichkeit, Ihre Produkte in aller Ausführlichkeit zu präsentieren und Ihren Auftritt genau zu steuern. Warum lehnen Sie das so ab?
Esslinger: Wir haben nichts gegen Amazon an sich. Aber wenn Sie sagen, Sie ­arbeiten jetzt mit Amazon zusammen und dafür halten die uns die Plattform sauber, begeben Sie sich auf sehr dünnes Eis. Das ist rein rechtlich schon gar nicht möglich. Zudem gehen auf den Plattformen die klaren Verantwortlichkeiten unter. Kunden wissen nicht, bei wem sie bestellt ­haben und an wen sie sich im Fall von Problemen wenden können. Und rufen Sie mal bei der Amazon-Kundenhotline an und lassen Sie sich zu einem Ortlieb-Produkt beraten. Das funktioniert nicht. Und mit neuen Technologien wie dem sprachbasierten Einkauf wird die Lage noch dramatischer. Wenn wir da unser Markenversprechen nicht kommuniziert bekommen und unsere Markenhoheit nicht klar definieren können, kommen wir langfristig unter die Räder. Wir wollen tatsächlich auch bewusst den Fachhandel stärken. Wenn sich der Markt nur noch auf Plattformen konzentriert, entsteht eine Marktmacht, die wir als Endverbraucher alle nicht wollen.
2. Teil: „Auch selektiver Vertrieb ist nicht hundertprozentig kontrollierbar“

Auch selektiver Vertrieb ist nicht hundertprozentig kontrollierbar

com! professional: Trotz Ihrer Vertriebsvorgaben ist hier und da ein Ortlieb-Produkt auf Amazon zu finden. Wie das?
Esslinger: Sie bekommen die Situation auch mit einem selektiven Vertrieb, der im gesamten europäischen
  • Beratungsintensiv: Ortlieb-Satteltaschen müssen richtig befestigt werden, sonst können sie in die Speichen geraten.
    Quelle:
    Ortlieb
Wirtschaftsraum umgesetzt ist, nicht hundertprozentig in den Griff, wenn Sie nicht beispielsweise RFID-Chips nutzen, um bei Produkten, die auf Amazon auf­tauchen, die Herkunft zu überprüfen. In der Parfümbranche wird das etwa so gehandhabt. Im Sportbereich arbeitet unter anderem Asics schon so. Ohne eine solch teure Technologie im Hintergrund kann eine Marke nur darauf vertrauen, dass die Händler verstehen, dass das System für sie gemacht wurde, und nach den Regeln spielen.
Aber wie im richtigen Leben auch, spielt eben nicht jeder nach den Regeln. Wir haben immer wieder Händler, die Ware auf Amazon anbieten - aus welchen Gründen auch immer. Das sehen wir schnell und können gegensteuern, weil wir ein entsprechendes Screening betreiben. Aber ­sobald Ware über den Graumarkt kommt, also autorisierte Händler ­Ware an unautorisierte Zwischenhändler oder Amazon direkt verkaufen, haben wir Stand heute keine richtige Handhabe.
com! professional: Zum 1. Januar haben Sie sich für den ­Online-Handel geöffnet. Was erwarten Sie von Pure Playern, die Ihre Ware verkaufen dürfen?
Esslinger: Uns wird ja immer vorgeworfen, dass wir etwas gegen Online-Händler haben. Aber das ist nicht richtig. Es geht uns nur um eine faire Koexistenz zwischen Online-, Offline- und Multichannel-Händlern. Als wir 2011 unseren selektiven Vertrag eingeführt haben, war für uns ganz klar, dass online nur Multichannel-Händler verkaufen können, weil man eine stationäre Komponente braucht, um ­unsere Produkte erlebbar zu machen und zu erklären. Doch die Zeiten haben sich gewandelt und wir erkennen an, dass ­mittlerweile sehr guter Fachhandel auch ausschließlich online stattfinden kann. Deswegen haben wir unsere Kriterien entsprechend angepasst und den Weg für ­reine Online-Händler geebnet. Derjenige, der keine stationäre Fläche hat, muss dies durch hohe Produktkompetenz und Fachhandelsbezug kompensieren. Da­rüber ­hinaus haben wir für alle Händler neue Qualitätskriterien eingeführt. Viel von dem, was erst in den letzten Jahren entstanden ist - beispielsweise der Verkauf über soziale Medien -, konnten wir qualitativ bislang nicht fassen. Aber auch hier wollen wir die Hoheit behalten und definieren, wie wir in diesen Umfeldern als Marke präsentiert werden.
com! professional: Wie viele Online-Händler nehmen Sie denn tatsächlich neu auf?
Esslinger: Bisher keinen einzigen. Wir schauen uns erst alles genau an und wollen den Vertrag erst einmal mit unseren bestehenden Partnern umsetzen. Erst ­danach werden wir schauen, wo es für ­unsere Marke Sinn ergibt, sich zu erweitern. Hintergrund unseres selektiven ­Systems ist, dass unsere Marke für alle Händler planbar ist und nicht plötzlich ein Händler auftaucht, der für extreme Verschiebungen im Markt sorgt. Im Sinne ­einer klaren und nachhaltigen Strategie werden wir uns sehr genau anschauen, was die Aufnahme eines Händlers für ­unsere bereits angeschlossenen Fachhandelspartner bedeutet und was sinnvoll ist und was nicht.
3. Teil: „Fokus liegt auf dem Fachhandel“

Fokus liegt auf dem Fachhandel

com! professional: Das ist nobel, aber glauben Sie nicht, dass Sie mit der Fokussierung auf den Fachhandel ein totes Pferd reiten? Jede zweite Produktsuche startet inzwischen auf Amazon. Welche Chance haben die kleinen Händler da noch?
Esslinger: Es stimmt, der Fachhandel hat es zunehmend schwer, sich durchzusetzen. Aber wir sehen für ihn trotzdem eine Zukunft - zumal sich jetzt auch das Kartellamt dem Thema Machtmissbrauch durch Amazon widmet. Und schauen Sie sich die Situation in den USA an. Da ­wurde der Fachhandel wirklich an die Wand ­gedrückt und die Marken gehen der Reihe nach zu Amazon, weil ihnen versichert wird, dass Händler, die unter bestimmten Preisschwellen verkaufen, von der Plattform fliegen. Und was passiert: Zu jedem Produkt finden sich Händler, die alle zum selben Preis verkaufen. Aber ganz oben im Ranking steht Amazon Prime. Wo bestellt da der Kunde? Am Ende des Tages kann bei diesem Spiel nur Amazon gewinnen.
com! professional: Ortlieb ist eine der wenigen Marken, die sich vor Gericht etliche Scharmützel gegen Amazon liefern. Sie wehren sich gegen die Verwendung Ihrer Markenbilder und gegen die Manipulation von Suchergebnissen. Warum dieser Aufwand?
Esslinger: Wir machen das aus eigenem, intrinsischem Inte­resse. Wenn wir uns nicht wehren, verwässert unsere Marke. Wir laufen Gefahr, austauschbar zu werden und unseren Premiumstatus zu verlieren. Das gilt natürlich nicht nur für uns, sondern auch für andere Marken. Am ­Ende des Tages wird diese Entwicklung dazu führen, dass es immer weniger Marken geben wird. Das kann natürlich nicht im Interesse eines Markenherstellers sein, noch ist das eine positive Entwicklung für den Endverbraucher, der Markenvielfalt schätzt.
com! professional: Vor Kurzem ging Ihr eigener Online-Shop online. Und auch da binden Sie wieder Ihre Fachhandelspartner ein. Wie funktioniert die Auftragsvergabe?
Esslinger: Es ist bei uns nicht so, dass der Händler, der als Erstes die Hand hebt, den Auftrag bekommt. Stattdessen sucht sich der Kunde den Händler selbst aus und kann beispielsweise gezielt den Händler um die Ecke bevorzugen, weil er sich im Fall von Fragen oder Problemen auch ­direkt an ihn wenden kann und soll. Den Versand der Produkte organisieren wir, oder aber der Kunde holt sich die Ware beim Händler seines Vertrauens ab. Click & Collect haben wir allerdings schon seit Jahren angeboten. Im nächsten Schritt würden wir gerne Verfügbarkeiten der stationären Händler online anzeigen. Da aber nicht alle Händler über die dafür notwendigen Systeme verfügen, müssen wir ­zusammen mit dem Fachhandel noch ein bisschen daran arbeiten.
com! professional: Fachhändler, die selbst einen Online-Shop betreiben, unterstützen Sie durch das neue Qualitätssiegel „authorized.by“. Damit können Händler signalisieren, dass sie von Ihnen zum Vertrieb der Ortlieb-Produkte autorisiert wurden. Das Siegel ist noch nicht sehr verbreitet. Sie sind einer der ersten Partner. Was erwarten Sie sich?
Esslinger: Wir finden das einen interessanten Ansatz und unterstützen diesen gerne. Nur wenn viele Marken mitgehen und das Siegel bekannt wird, kann es langfristig erfolgreich sein. Wenn Sie so wollen, helfen wir dabei, das Siegel ein Stück weit in unsere Branche zu tragen und andere Marken zu motivieren, das Siegel ebenfalls einzubinden.
com! professional: Müssen Händler das Siegel künftig anbieten oder ist das nur eine Option?
Esslinger: Wir schreiben das nicht vor. Es wäre sicher ein gutes Qualitätskriterium gewesen, aber für einen selektiven Vertriebsvertrag zu spezifisch. Da würde man eine eigene Klausel benötigen und das ist rechtlich schon wieder schwierig. Aber wir wollen schon versuchen, unsere Händler zu motivieren. Wir haben, Selektivvertrieb-unabhängig, ein Premiumhändler-Konzept. Da könnte man zum Beispiel sagen, Premiumhändler ist ­jemand, der auch dieses Thema mitgeht und das Siegel einbindet.
Ortlieb in Zahlen
Die Idee zu Ortlieb entstand im Frühjahr 1981 auf einer verregneten Radtour durch Südengland. Als ein Lkw an ihm vorbeifuhr, dessen Ladung durch die Plane trocken blieb, hatte Hartmut Ortlieb die Idee, aus Lkw-Planen wasserdichte Radtaschen zu produzieren.
  • Heute umfasst das Sortiment 500 Einzelprodukte
  • Für Ortlieb arbeiten 186 Mitarbeiter
  • Der Jahresumsatz 2017 wird von Branchenbeobachtern auf 40 Millionen Euro geschätzt

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