Business-IT
12.11.2018
Recruiting as a Service
1. Teil: „Fachkräfte finden mit Cloud, KI und Social Media“

Fachkräfte finden mit Cloud, KI und Social Media

Lupe auf Puzzle mit Puzzelteil in HemdLupe auf Puzzle mit Puzzelteil in HemdLupe auf Puzzle mit Puzzelteil in Hemd
Sudtawee Thepsuponkul / shutterstock.com
In Zeiten angespannter Personalmärkte müssen Unternehmen neue Wege gehen. Personaler greifen inzwischen vermehrt auf die Hilfe von neuen Technologien wie KI zurück, um geeignete Bewerber zu finden.
Weniger Arbeitsplätze durch den fortschreitenden digitalen Wandel? Davon ist in Deutschland bislang nichts zu spüren. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat jüngst in einem Report zu den Beschäftigungseffekten der Digitalisierung die oft zitierte These, dass es flächendeckend zu einem Abbau von Arbeitsplätzen kommt, widerlegt. Zwar würden in Berufsgruppen mit hohem Automatisierungsgrad wie dem verarbeitenden Gewerbe weniger Beschäftigte eingestellt, jedoch sei das eher die Folge des Fachkräftemangels und weniger einer sinkenden Nachfrage nach Arbeitnehmern aufgrund von Automatisierungsprozessen, so der IW-Arbeitsmarktexperte Oliver Stettes.
Weltweit planen 86 Prozent der Arbeitgeber, im Zuge der Digitalisierung die Zahl der Arbeitsplätze stabil zu halten oder sogar zu erhöhen. In Deutschland wollen 91 Prozent in den kommenden zwei Jahren so vorgehen. Das hat die Untersuchung „Skills Revolution 2.0“ des Personaldienstleisters Manpower Group ergeben. Von einem Abbau der Arbeitsplätze kann also keine Rede sein.
Was aber die Digitalisierung tatsächlich mit sich bringt, ist der Wandel der Anforderungen in der Arbeitswelt – die Skills Revolution. Immer gefragter sind laut Manpower Group Kommunikations- und Organisationstalente, Führungsqualitäten dagegen viel weniger. Das aber wirft die Frage auf: Wie findet ein Unternehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den richtigen Skills, damit seine Digitalisierung voranschreiten kann? Die Antwort liegt in der Digitalisierung selbst – zumindest zum Teil.

Digitalisierung hilft HR

Digitale Technologien halten derzeit auch in den Personal­abteilungen verstärkt Einzug. Die Suche nach Arbeitskräften wird automatisiert und geht neue Wege. „Die Zeit ist nah, in der viele Bewerber potenzielle Arbeitgeber einfach auf ihrem Smartphone wegwischen oder bestätigen“, meint Hansjörg Votteler, Geschäftsführer von Manpower Deutschland. „Unternehmen sollten sich bereits jetzt darauf vorbereiten und zumindest mobil-optimierte Firmenseiten anbieten.“
Bei der Suche nach digitalen Lösungen für das Recruiting (Recruiting as a Service) gilt es für Unternehmen allerdings, einiges zu beachten, erklären die Experten von Manpower Deutschland. Vor allem die App für den Bewerbungsprozess sollten Unternehmen mit Umsicht wählen. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verbietet nämlich, Daten von Personen ohne deren ausdrückliche Zustimmung an andere Firmen weiterzugeben. Das kann jedoch etwa beim WhatsApp-Messenger passieren, wenn dieser beruflich genutzt wird. Denn bei der Installation durchsucht WhatsApp das
Adressbuch nach anderen Personen, die ebenfalls den Messenger nutzen, und sendet die Daten zum Abgleich an Facebook. Als Alternative nennt die Manpower Group die App WhatsBroadcast. Die Manpower Group selbst verschickt über dieses Tool Jobangebote und Infos zielgerichtet an Interessenten, die sich dafür angemeldet haben. „Dieser Kanal erfordert jedoch das Vertrauen der Abonnenten, ein Unternehmen in ihren privaten Bereich zu lassen. Dafür erhalten sie sehr zeitnah und gezielt Jobangebote, die sie selbst steuern können, weil sie nicht von einem Algorithmus ausgewählt und ungefragt angesprochen werden“, so Hansjörg Votteler.
Darüber hinaus verweist Manpower auf Chatbots, die den Job eines Headhunters zumindest teilweise übernehmen könnten. Mit einem Algorithmus suchen diese Programme im Internet, etwa bei Facebook oder LinkedIn, nach passenden Kandidaten und posten bei ihnen eine Anzeige. Ein Beispiel für diese neue Technologie sei die Recruiting-Lösung Work4, die sowohl erklärende Daten (Alter, Ausbildung, Berufserfahrung) als auch Verhaltensdaten (geteilte und gelesene Inhalte, Freunde-Netzwerk) verwendet. „Derartige Programme werden Recruiter und Personalvermittler nicht ersetzen können, denn sie merken nicht, wenn sie mit ihrer Ansprache übertreiben und die Bewerber nerven“, betont Votteler. Doch würden sich solche Technologien hervorragend eignen, um Personaler zu entlasten und zu ergänzen.
2. Teil: „Recruiting im Realitäts-Check “

Recruiting im Realitäts-Check

  • Recruiting-Kanäle: Unternehmensprofile auf sozialen Netzwerken liegen bei den von Personalern favorisierten Kanälen mittlerweile an der Spitze.
    Quelle:
    Fraunhofer FIT "E-Recruiting: Anforderungen und Präferenzen von HR-Professionals" (n=963)
Doch gehören digitale Prozesse in Personalabteilungen bereits zum Alltag? Das Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) der Universität Bamberg und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat zu dieser Frage im Auftrag der Online-Stellenbörse Monster.de die Studie „Recruiting Trends 2018“ durchgeführt – mit interessanten Ergebnissen:
Mobile Recruiting: Bereits heute bewerben sich Kandidaten verstärkt über mobile Endgeräte und befürworten die Bereitstellung einer App. Der Einsatz von Mo­bile Recruiting in Unternehmen erhöht deshalb die Reichweite bei der Kandidatenansprache und auch die Chance, einen passenden Bewerber zu finden.
Online-Recruiting: Bei der tatsächlichen Stellenbesetzung zeigt sich, dass Internet-Stellenbörsen und die eigene Unternehmens-Webseite die Recruiting- und Sourcing-Kanäle dominieren. Jede zehnte Stelle wird heute über Active Sourcing (aktive Ansprache des Bewerbers) besetzt. Recruiting über Social-Media-Kanäle kann die Erfolgschancen der Stellenbesetzung verdoppeln.
Die Ergebnisse der Studie „E-Recruiting: Anforderungen und Präferenzen von HR-Professionals“ des Fraunhofer-In­stituts für angewandte Informationstechnik FIT und der Universität Bayreuth bestätigen Trends wie Mobile oder Social Recruiting:
HR-Professionals setzen demnach überwiegend auf Multi-Channel-Lösungen, also die Kombination verschiedener Verbreitungskanäle für Online-Stellenanzeigen.
Stellenanzeigen werden vor allem in klassischen Online-Stellenbörsen und sozialen Netzwerken geschaltet.
Zudem werden viele weitere Recruiting-Kanäle genutzt, etwa Apps, fachspezifische Foren oder regionale Portale.
„Insgesamt sehen Recruiter viele Verbesserungspunkte für die digitale Anzeigenschaltung. Gewünscht werden eine fortwährende Editierbarkeit der Online-Stellenanzeigen sowie dynamische Angebote mit Laufzeitanpassung und erfolgsbasierten Preismodellen“, erklärt Matthias J. Kaiser, Mitautor der Studie.
Wer seine Strategie für die Bewerbersuche auf die zunehmende Digitalisierung ausrichten möchte, sollte zuerst eine neue Sichtweise einnehmen: Bewerberinnen und Bewerber sollten als Kundinnen und Kunden gesehen werden, so der Bundesverband der Personalmanager (BPM). Wenn Unternehmen Fachkräfte umwerben, sollten sie dies mit den Mitteln tun, mit denen sie auch ihre Kundenan­sprache optimieren. Dazu gehören So­cial-Media-Firmenprofile genauso wie Chatbots und andere KI-basierte Services.
3. Teil: „Recruiting und Social Media“

Recruiting und Social Media

Zwei von drei Unternehmen (63 Prozent) informieren sich in sozialen Netzwerken über Stelleninteressenten, wie eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom ergab. Im Fokus stehen dabei in erster Linie berufliche Plattformen wie Xing oder LinkedIn (53 Prozent), gefolgt von eher privat ausgerichteten sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Instagram (30 Prozent).
„Die Zeiten, in denen Social-Media-Auftritte eine klassische Bewerbung lediglich ergänzen, gehen zu Ende“, erklärt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. „Immer mehr Unternehmen suchen schwerpunktmäßig über soziale Netzwerke neue Mitarbeiter und begnügen sich mit den dort hinterlegten Informationen für den Start eines Bewerbungsverfahrens.“
„Social Recruiting hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen“, bestätigt Juliane Petrich, bei Bitkom verantwortlich für den Bereich Bildung. „Vor allem Karriere-Netzwerke wie Xing oder LinkedIn kommen immer häufiger zum Einsatz. Aber auch Facebook, Twitter und Youtube werden fürs Recruiting genutzt. Denn vor allem jüngere Zielgruppen sind über klassische Kanäle kaum noch zu erreichen. Entscheidend ist aber nicht nur der geeignete Kanal, sondern wie attraktiv sich der Arbeitgeber im ,war of talents‘ präsentiert.“
Die Bewerbersuche über soziale Netzwerke hat allerdings auch ihre Grenzen, wie die Bitkom-Experten klarstellen: Was Arbeitgeber grundsätzlich einholen dürfen, sind allgemein zugängliche Daten, sofern keine Persönlichkeitsrechte der Betroffenen entgegenstehen. Das gilt zum Beispiel für über Suchmaschinen frei verfügbare Inhalte und Informationen, die in sozialen Netzwerken ohne Anmeldung abrufbar sind.

Beispiel: Xing

Recruiting über Social Media (Social Recruiting) ist auch für die Betreiber der entsprechenden Plattformen eine Erfolgsgeschichte: Der Anbieter des sozialen Netzwerks Xing meldete für das erste Halbjahr 2018, dass das Segment B2B-E-Recruiting erstmalig den größten Anteil am Gesamtumsatz erwirtschaftet hat. Es war außerdem der Geschäftsbereich mit dem größten Wachstum: Die Umsätze in diesem Segment stiegen um 41 Prozent auf 49,8  Millionen Euro (Vorjahr 35,3 Millionen Euro).
Xing bietet mehrere Recruiting-Funktionen, unter anderem die Xing Jobbox, den Xing TalentpoolManager und das Bewerbermanagement-System Prescreen.
Die Xing Jobbox bietet die Möglichkeit, interessante Stellen aus dem Xing-Stellenmarkt, von Jobbörsen, Webseiten und Apps zentral an einem Ort abzulegen. Dadurch entsteht eine Übersichtsliste, die Stellenanzeigen aus unterschied­lichen Quellen zusammenführt. Die Xing Jobbox speichert sämtliche Anzeigen in einem einheitlichen Format, die Stellenanzeigen werden analysiert, ausgelesen und auf Xing hinterlegt.
Im Xing TalentpoolManager aktualisieren sich die Lebensläufe der interessanten Kandidaten von selbst. Zudem erstellt das Tool automatisch Talent-Pools mit Xing-Profilen potenzieller Kandidaten für das Unternehmen. Auch lassen sich Profile von Kandidaten, die nicht Xing-Mitglied sind, im Xing TalentpoolManager hinterlegen. Im Hintergrund arbeitet ein Algorithmus, der die Wechselmotivation jedes der mehr als zwölf Millionen Mitglieder anhand von mehr als 50 Kriterien errechnen können soll.
2017 hat Xing das Bewerbermanagement-System Prescreen übernommen, einen Anbieter von Applicant-Tracking-Systemen (ATS). Mit so einer Lösung können Personalsuchende cloudbasiert den Prozess von der Vakanz bis hin zur Einstellung eines Kandidaten in einer einzigen Software-Lösung managen. So lassen sich zum Beispiel Stellenanzeigen auf der eigenen Karriereseite sowie in Netzwerken und Stellenbörsen verbreiten, Bewerbungen dokumentieren und nach relevanten Kriterien sortieren, man kann einen Talent-Pool für die Besetzung künftiger Vakanzen anlegen und Assessments durchführen, um die Eignung von Kandidaten zu überprüfen.
Weitere HR-Funktionen bei Xing sind Stellenanzeigen, TalentManager zur aktiven Kandidatenansprache, EmpfehlungsManager zur Digitalisierung und Automatisierung von Mitarbeiter-Empfehlungen sowie Employer Branding Profil Professional zur Positionierung der eigenen Arbeitgeber­marke auf Xing und Kununu.
4. Teil: „Recruiting mit KI“

Recruiting mit KI

  • Quelle: Manpower Group
Neben sozialen Netzwerken wird KI-Lösungen das größte Potenzial bei der Optimierung der Mitarbeitersuche zugesprochen. Die Bewerberinnen und Bewerber sind jedenfalls aufgeschlossen: Laut Bitkom können sich heute schon vier von zehn Bundesbürgern vorstellen, bei der Auswahl eines potenziellen Arbeitgebers KI-Empfehlungen zu nutzen. „Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, überall dort Entscheidungshelfer zu sein, wo große Datenmengen verfügbar sind“, sagt Christian Kulick, Mitglied der Bitkom-Geschäftsleitung. „Bei der Jobsuche könnte die KI auf Grundlage persönlicher Vorlieben, Ausschlusskriterien und den Entscheidungen von ähnlichen Bewerbern passende Arbeitgeber empfehlen.“
Bei der Bewerbersuche wiederum können KI-Services die Arbeitgeber in gleicher Weise unterstützen. „KI wird im Recruiting in absehbarer Zeit eine immense Rolle spielen - wie in vielen anderen Bereichen auch. Das Matching kann erleichtert werden, sodass Personaler einfacher passende Kandidaten für ihre Stellen erhalten. Umgekehrt können sich die Bewerber sicher sein, die richtige Wahl getroffen zu haben. Ein großer Pluspunkt eines Algorithmus betrifft das Thema ,Diversity‘, denn dieser achtet nicht auf Religion, Hautfarbe oder Geschlecht“, lautet die Einschätzung von Bitkom-Expertin Juliane Petrich.

Beispiel: Google Hire

  • Google Hire: KI vergleicht geforderte Fähigkeiten mit Angaben in Bewerbungen. Treffer werden automatisch hervorgehoben.
Musterbeispiel für eine KI-gestützte Bewerbungsmanagement-Anwendung ist die zu Googles G Suite gehörende Recruiting-App Hire. Zu den wesentlichen Funktionen zählen:
Mit Hilfe von KI analysiert Hire automatisch die Begriffe in einer Stellenbeschreibung und hebt sie in Lebensläufen der Bewerberinnen und Bewerber hervor – einschließlich Sy­no­nymen und Akronymen.
Geplante Interviews mit Bewerbern in Hire sind verknüpft mit dem Zeitplan des Interviewers in seinem Google Kalender. Hire nutzt KI, um für den Interviewer die passenden Zeitfenster zu finden. Kann ein Interviewer kurzfristig den Termin nicht wahrnehmen, schlägt die KI in Hire einen passenden Ersatz vor.
Die Kandidaten-Pipeline kann in Hire analysiert und in Google Tabellen visualisiert werden.
Hire vereinfacht Telefongespräche mit Bewerbern mit einer Click-to-Call-Funktion und protokolliert Anrufe automatisch, sodass Teammitglieder wissen, wer mit einem Kandidaten gesprochen hat.
Neben der KI-basierten Textanalyse, wie sie auch in Goo­gle Hire integriert ist, bieten Lösungen wie die Software Precire Sprachanalysen, um Bewerbertelefonate intelligent auszuwerten.

Fazit & Ausblick

Wie leistungsstark sind KI-Lösungen bei der Bewerbersuche bereits und wie werden sie sich weiter entwickeln? „Künst­liche Intelligenz in Form von holistischen Cloudlösungen und Algorithmen, die Lebensläufe scannen sowie Daten und Profile in Echtzeit prüfen, sind den Menschen in allen Belangen voraus“, behauptet etwa Sascha Grosskopf von Cornerstone OnDemand, einem Anbieter von Talentmanagement-Lösungen. „Auch beim Onboarding können KI-gesteuerte Tools eine Hilfe sein, indem sie neue Mitarbeiter beispielsweise mit allen zum Start nötigen Tools automatisch versorgen – vom vollständig eingerichteten Computer über Passwortlisten und die Bestellung von Schlüsselkarten ab Tag eins. Umgekehrt könnte beim Offboarding automatisch dafür gesorgt werden, dass Passwörter geändert und so das Risiko von Datendiebstahl durch abwandernde Mitarbeiter minimiert würde. Doch vor allen Dingen eignet sich KI für die Bewerberauswahl und das Active Recruiting, also die Suche nach passiven Jobinteressenten in den sozialen Medien oder auf anderen Online-Plattformen.“
Doch der Einsatz von KI für die Bewerbersuche und das Personalmanagement hat auch noch Grenzen, wie Sascha Grosskopf einräumt: „Auch im Bereich HR wird Big Data den menschlichen Personalmanager langfristig nicht in allen Tätigkeiten ersetzen können. Skeptisch sehen wir den Einsatz von Chatbots im Recruiting, die immer wieder im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz ins Gespräch gebracht werden. Natürlich können sie sieben Tage die Woche rund um die Uhr aktiv sein und sogar die Wartezeiten bei der Bewerbung verkürzen. Allerdings sprechen viele Faktoren gegen einen flächendeckenden Einsatz dieser Technologie in den nächsten Jahren. Am wichtigsten ist der mensch­liche Faktor. Und es ist stark zu bezweifeln, dass Kandidaten die Bots annehmen werden.“
Tabelle:

5. Teil: „Die Einsatzmöglichkeiten von KI im Recruiting sind extrem vielfältig“

Die Einsatzmöglichkeiten von KI im Recruiting sind extrem vielfältig

Fachkräftemangel und sich schnell verändernde Anforderungen an Qualifikationen sind nur zwei von vielen besonderen Herausforderungen, die sich Unternehmen in ihrem Personalmanagement heute stellen. com! professional hat daher zwei Experten dazu befragt, wie Künstliche Intelligenz und Social Media das Recruiting von heute und morgen verändern: Harald R. Fortmann, Botschafter Ressort Arbeitswelt der Zukunft im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), und Lucia Falkenberg, Chief People Officer und Leiterin der Kompetenzgruppe New Work im eco – Verband der Internetwirtschaft e. V.
com! professional: Welche Herausforderungen im Recruiting sehen Sie gegenwärtig für Unternehmen in Deutschland?
Harald R. Fortmann: Derzeit sehe ich vielfältige Herausforderungen im Recruiting in Deutschland, gerade bei Jobprofilen mit einer digitalen Kompetenz. Zum einen besteht hier über nahezu jede Position
  • Harald R. Fortmann: Arbeitsmarktexperte im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW)
    Quelle:
    Tina Demetrides
hinweg ein akuter Fachkräftemangel aufgrund des starken Wachstums dieses Bereichs gepaart mit einem mangelnden Aufbau von Bildungsangeboten. Weiterhin sind viele HR-Manager oder Fachbereichsleiter mit den notwendigen Kompetenzen, die diese Kandidaten mitbringen sollen, überfordert. Die Fähigkeit, die fachliche Kompetenz einzuschätzen, fehlt ihnen oftmals und so werden viele Fehleinstellungen vorgenommen. Dazu kommt, dass Post & Pray – wie oft noch angewendet – nicht mehr funktioniert und die Recruiter erst einmal die Skills im Bereich Active Sourcing auf- beziehungsweise ausbauen müssen.
Lucia Falkenberg: Auf dem heutigen Arbeitsmarkt müssen sich Unternehmen um die Fachkräfte bewerben. Umso wichtiger ist es für die Unternehmen, authentisch aufzutreten und die viel­fältigen Kriterien zu berücksichtigen, die junge Talente ihrer Berufsentscheidung zugrunde legen. Bewerber bevorzugen beispielsweise Arbeitsplätze mit gestaltenden Aufgaben, neuer Arbeitskultur und modernem Führungsverständnis. Das HR-Management muss hier eine Gestalterrolle einnehmen und Treiber der digitalen Arbeitskultur sein, auch für den Ausbau der IT-Kompetenzen im Unternehmen.
com! professional: Wie können cloudbasierte Dienste beim Re­cruiting helfen?
Fortmann: Na ja. Erst mal gar nicht. Allein dass der Dienst cloudbasiert ist, hilft in keiner Weise. Die Frage ist ja eher: Welche Features bringt das Recruiting-as-a-Service-Tool mit? Ist es „nur“ eine Datenbank, kann es nur LinkedIn-Profile importieren oder hat es auch Attribute, um etwa Kompetenzen zu prüfen, Menschen nach Orten/Umkreisen zu finden, Verhaltenspräferenzanalysen zu führen? Es gibt viele Bereiche im Recruiting, die digitalisiert werden können - aber auch viel Unnützes oder nicht Funktionierendes am Markt. Hier ist eben auch die Qualifizierungskompetenz gefragt.
Falkenberg: Digitale Recruiting-Services helfen dabei, große Datenmengen zu analysieren, um den Personalern Routineaufgaben abzunehmen und eine Vielzahl an Lebensläufen zu sichten. So gibt die Software beispielsweise eine Übersicht über die Qualifikationen der Bewerber. Dadurch lassen sich leichter die identifizieren, die die gewünschten Qualifikationen oder Sprachkenntnisse mitbringen. Weil das Screening durch eine Maschine anonymisiert und vorurteilsfrei abläuft, erhöht das die Chancengleichheit im Bewerbungsprozess. Nach der Vorselektion durch die Software bleiben jedoch der persönliche Austausch und der unmittelbare Kontakt zum Bewerber sehr wichtig.
com! professional: Wie sieht es mit der Nutzung solcher Services in Deutschland aus?
Fortmann: Es geht vorwärts - die Neugier ist sehr groß, die Enttäuschung oft umso größer. Es wird noch einige Zeit dauern, bis belastbare HR-Tech-Tools am Markt bestehen.
Falkenberg: Der Recruiting-Prozess verändert sich durch die Digitalisierung auch in Deutschland sehr schnell. Vorrangig werden sich solche Technologien etablieren, die dabei helfen, hochqualifizierte
  • Lucia Falkenberg: Chief People Officer im eco-Verband der Internetwirtschaft e.V.
    Quelle:
    eco e.V.
IT-Fachkräfte zu gewinnen. Unternehmen stehen hier unter einem besonderen Druck, geeignete Mitarbeiter zu gewinnen.
com! professional: Wie wichtig sind soziale Netzwerke für das Recruiting?
Fortmann: Die beruflichen Social Networks sind immens wichtig, die anderen eher vernachlässigbar. Wünschenswert wäre eine bessere Qualifizierung oder Zertifizierung der Personalberater und Recruiter, die Kandidaten ansprechen dürfen. Viele Kandidaten sind hier gefrustet. Ich habe selbst Xing einmal vorgeschlagen, hier ein Zertifikat aufzubauen, das dann den Zugang für Personalberater ermöglicht. Eine tolle Monetarisierungsquelle für Xing und eine Qualifizierung für die Personalberater, die zu einem Mehrwert beim Kunden führt - aber bislang hat sich in dieser Hinsicht noch nicht viel getan.
Falkenberg: Die direkte Ansprache über soziale Netzwerke wird die klassischen Recruiting-Kanäle immer weiter ergänzen. Unternehmen können junge Talente etwa bei Facebook direkt ansprechen, Professionals erreichen sie bei Xing und LinkedIn und profitieren zugleich von viralen Effekten. Wichtig sind ein authentischer Auftritt und eine authentische Ansprache der Bewerberzielgruppe in den sozialen Medien, denn das steigert die Glaubwürdigkeit und schafft Vertrauen.
com! professional: Welche Rolle kann KI im Recruiting spielen?
Fortmann: KI wird einen massiven Einfluss auf das Recruiting haben. Das kombiniert mit Tools wie Precire wird es Recruitern und Personalberatern wieder ermöglichen, mehr Zeit mit Kandidaten zu verbringen und eine gute, belastbare Basis für Gespräche zu haben. Einzig muss man darauf achten, dass KI einem nicht mehr nur 35-jährige sportliche, blonde Männer vorschlägt, weil man da bisher einige eingestellt hat. Diversity, Soft Skills und so weiter – diese Steuerung muss vom Recruiter kommen.
Falkenberg: Die Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz im Recruiting-Prozess schätze ich als extrem vielfältig ein. Die ano­nymisierte Bewertung der Lebensläufe durch KI kann eine unvoreingenommene Einstellungspolitik fördern und zu mehr Diversity im Unternehmen führen. Algorithmen könnten außerdem dabei helfen, persönliche Eigenschaften von Kandidaten bereits am Telefon zu beurteilen, etwa Resilienz, Optimismus, Neugierde oder Einfluss.
Künstliche Intelligenz hilft außerdem bei der Auswahl geeig­neter Recruiting-Kanäle durch die automatische Analyse von Reichweiten oder durch den Einsatz von Chatbots, die Kandidaten durch das gesamte Bewerbermanagement führen.

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