Enterprise Resource Planning (ERP)
24.09.2019
Künstliche Intelligenz
1. Teil: „ERP-Systeme lernen mit KI dazu“

ERP-Systeme lernen mit KI dazu

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one photo / Shutterstock.com
Das digitale Zusammenspiel von Künstlicher Intelligenz und Enterprise Resource Planning (ERP) automatisiert und optimiert Geschäftsprozesse.
Künstliche Intelligenz ist in vielen Bereichen auf dem Vormarsch. Auch moderne ERP-Systeme sollen zunehmend mit KI-Technologien verknüpft werden. Von einer „Schlüsseltechnologie der digitalen Transformation“ spricht Frank Termer, Bereichsleiter Software beim Digitalverband Bitkom, in einem Positionspapier des Verbands, aber auch von derzeit noch sehr begrenzten Anwendungsfällen im ERP-Umfeld und lang­samen Fortschritten.
„Das Konzept ERP ist ein wichtiger Treiber der Digitalisierung, hat aber leider in der Öffentlichkeit an Wertschätzung verloren. Wenn man sich allerdings näher mit dem Thema befasst, wird deutlich: Die Notwendigkeit, friktionsfreie digitale Prozesse zu schaffen, liefert eine klare Antwort, welchen enormen Nutzen ERP nach wie vor bietet“, erklärt Godelef Kühl, Gründer und Vorstandsvorsitzender des Mainzer ERP-Herstellers Godesys. Michael Finkler, Geschäftsführer des ERP-Anbieters Pro­Alpha, identifiziert mehrere Entwicklungen: „Internet of Things, Künstliche Intelligenz und Plattformökonomie sind aktuell große Trends. Industrie 4.0 mit der Automatisierung der Prozesse ist bei vielen Unternehmen schon sehr weit fortgeschritten. Process Mining macht die Abarbeitung hoch­effizient, etwa durch vollautomatische Prozesse, die von einer automatischen Variantenkonfiguration über die Produktion bis hin zum Versand reichen.“

Wie intelligent ist eine KI?

Künstliche Intelligenz und Machine Learning sind die Hype-Themen schlechthin. Kaum ein Unternehmen, das auf sich hält, scheint noch ohne smarte Helferlein auszukommen. Und praktisch jeder Entscheider ist überzeugt, dass sich KI und ML zum Wohle des Unternehmens einsetzen lassen – auch in ERP-Systemen. Allein es fehlen schillernde Erfolgsmeldungen. Stattdessen werkelt die Intelligenz in Nischenbereichen im Hintergrund.
  • Wachstumsmarkt: Die weltweiten Umsätze mit ERP-Software steigen langsam, aber stetig an.
    Quelle:
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Um das Zusammenspiel mit ERP-Systemen einordnen zu können, stellt sich zunächst die Frage, was Künstliche Intelligenz ist. Ein Beispiel: Sensoren in Lokomotiven und Waggons geben Auskunft über den Zustand von Motoren und Aggregaten. MTBF-Raten (Mean Time Between Failures) und statistische Werkzeuge wie Badewannenkurven und andere mathematische Algorithmen ermöglichen es recht gut, eine vorausschauende und damit kostensparende Wartung umzusetzen. Aber hat das tatsächlich etwas mit Intelligenz zu tun? Letztlich könnten auch Menschen die Service-Intervalle berechnen – wenn auch wesentlich langsamer. Lässt sich von Künstlicher Intelligenz eher sprechen, wenn ein Computer den weltbesten Schachspieler schlägt? Hier versteht der Mensch lediglich die Ausgangs­bedingun­gen und Startalgorithmen – alles Weitere lernt die Maschine selbstständig, und alle Zeit der Welt würde nicht ausreichen, diesen Lernprozess nachzuvollziehen.
Die Bitkom-Definition lautet so: „Künstliche Intelligenz ist die Eigenschaft eines IT-Systems, menschenähnliche, intelligente Verhaltensweisen zu zeigen.“ Dies erweitert das Grundprinzip aller EDV-Systeme: Eingabe – Verarbeitung – Ausgabe. Das wirklich Neue ist das Lernen und Verstehen.
KI ist auf maschinellem Lernen aufgebaut oder anders gesagt: KI ist gleich Algebra plus Feedback. Die Variablen verändern sich und sind konstant in Bewegung. Mitunter entstehen neue Variablen und die Algorithmen müssen angepasst werden. Eine Künstliche Intelligenz kann ihre Berechnungen über Feedback, sprich maschinelles Lernen, immer wieder anpassen und verfeinern.
Ein wenig beachteter Aspekt beim Einsatz von KI sind Haftungsfragen, da sich die meisten KI-Modelle nur als Blackbox validieren lassen. Auch scheuen sich Mitarbeiter davor, ein Werkzeug einzusetzen, bei dem sie quasi dem Ergebnis ausgeliefert sind. Eine Kontrolle und Nachvollziehbarkeit wie bei der Nutzung von Excel-Tabellen fehlt in der Regel. Manche Hersteller wie IFS oder Intel wollen dem mit „erklärbarer Künstlicher Intelligenz“, auch XAI genannt, entgegenwirken – einem System, in dem die Aktivitäten und Entscheidungen einer Künstlichen Intelligenz für den Menschen einfach nachvollziehbar sind. Relevant ist die Frage der Erklärbarkeit auch im Hinblick auf die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Bei den bislang auf dem Markt verfügbaren KI-Anwendungen handelt es sich um schwache KI-Systeme („weak AI“). Sie funktionieren auf der Basis von programmierten Skripten und Algorithmen und entwickeln dabei kein Verständnis für eine Problemlösung, sondern nutzen lediglich die Methoden, die ihnen für die Lösung dieses Problems von Menschen zur Verfügung gestellt werden.
Eine starke Künstliche Intelligenz („strong AI“) will die intellektuellen Fähigkeiten von Menschen erreichen und übertreffen. Sie handelt aus eigenem Antrieb. Sie verfügt über logisches Denkvermögen, Entscheidungsfähigkeit, Planungs- und Lernfähigkeit und kann ihre Fähigkeiten kombinieren, um ein übergeordnetes Ziel zu erreichen. Bislang gibt es diese starke Künstliche Intelligenz nicht.
2. Teil: „ERP und intelligente Chatbots“

ERP und intelligente Chatbots

Die Verknüpfung von ERP und Künstlicher Intelligenz geht langsam vonstatten. Aber die ersten ERP-Anbieter haben ihre Systeme bereits mit KI-Chatbots ausgestattet. Sie ermöglichen es, via Sprach- und Texteingabe mit der Software zu interagieren. Anwender können sich Auskünfte vom ERP-System holen oder Aktionen durchführen, indem sie mit dem Bot sprechen oder per Text-Chat mit ihm kommunizieren. Das ERP-System tritt damit in den Hintergrund und wird für den Anwender quasi unsichtbar. Das erhöht die Akzeptanz im Unternehmen, etwa wenn Mitarbeiter mit einem Chatbot unkompliziert Urlaubsanträge erstellen oder Reisekostenabrechnungen erledigen können, ohne sich mit der ERP-Software auseinandersetzen zu müssen.
Auch unterwegs ist Sprachsteuerung ein Pluspunkt. Es ist umständlich und mühsam, auf der Smartphone-Tastatur he­rumzutippen, um auf das ERP-System zuzugreifen. Im alltäglichen Berufsverkehr können im Stau stehende Autofahrer per ERP-Chatbot produktiv sein, statt Lebenszeit zu vergeuden.
Chatbots steigern aber nicht nur die Automatisierung im Unternehmen, sondern auch in externen Bereichen. Im Callcenter eines Unternehmens zum Beispiel können Chatbots einfache Fragen etwa nach Öffnungszeiten oder Anfahrtswegen selbstständig beantworten. Damit sparen sie nicht nur Zeit und Geld, sie sind auch ein nützliches Werkzeug in Zeiten des Fachkräftemangels.
  • Pick-by-Voice: Dank intelligenter Sprachsteuerung hat man beide Hände frei bei der Kommissionierung.
    Quelle:
    Schäfer Systems International
Eine andere, nicht mehr ganz neue Anwendung ist Pick-by-Voice – eine Kommissionierungslösung, bei der die Mitarbeiter per Stimme durch den Kommissionierprozess geleitet werden und über akustische Rückmeldungen die korrekte Kommissionierung bestätigen oder die Stückzahl korrigieren können. „Sprachgesteuerte Systeme, inklusive Bots, werden mehr und mehr Einzug halten. Hier sprechen wir von Hands-Free-ERP-Systemen. Diese ermöglichen eine ganz andere User Experience“, ist Michael Finkler von Pro­Alpha überzeugt. Dirk Thomas Wagner, Sales Development Leader ERP Cloud bei Oracle, ergänzt: „Die Integration von Spracheingabe vereinfacht den Umgang mit dem System enorm. Statt irgendwelche speziellen Systemabfragen manuell einzugeben, kann der Nutzer die Anfrage in natürlicher Sprache stellen. Eingaben und Abfragen gehen so deutlich schneller von der Hand. Letztlich wäre es nur schwer erklärbar, warum wir zu Hause wie selbstverständlich diese Assistenten nutzen, im Betrieb aber mit den Methoden des letzten Jahrhunderts arbeiten.“

Alexa und Co.

Beim Thema Steuerung durch Sprache liegt der Gedanke an Alexa, Siri und Cortana nahe. Können sie auch als intelligente ERP-Chatbots eingesetzt werden? „Nein“, legt sich Godelef Kühl von Godesys fest. „Zwar können diese Assistenten im B2C-Shopping eine Rolle spielen. Aber aus Verkäufersicht koppeln diese Dienste den Sales-Prozess von der eigenen Plattform ab. Wer wirklich Sprache nutzen will, findet zahlreiche Cloud-Dienste, die höhere Leistung bei gleichzeitiger Neutralität bieten.“ Michael Finkler sieht es aus einer anderen Warte: „Selbstverständlich. Intelligente Assistenten werden immer wichtiger und ein integraler Bestandteil des Hands-Free-ERP-Systems. Diese Devices werden bereits heute in unterschiedlichen Anwendungen von Business Applications verwendet.“ Dirk Thomas Wagner versichert: „Solche von vielen Heimanwendern bereits genutzten Assistenten wie Alexa können mit dem Oracle Digital Assistant auch in das ERP-System schnell und einfach integriert werden.“
Oliver Henrich, Vice President Product Engineering Central Europe beim ERP-Anbieter Sage, schränkt ein: „Chatbots, die in Unternehmensanwendungen integriert sind, funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip wie bekannte virtuelle Assistenten im heimischen Wohnzimmer, verwenden jedoch in den allermeisten Fällen eigene Technologien.“
3. Teil: „Einsatzgebiete für ERP und KI“

Einsatzgebiete für ERP und KI

Für KI-gestütztes ERP sind viele Anwendungen denkbar, etwa in der Instandhaltung und Wartung. Insbesondere Branchen wie die Fertigungsindustrie setzen unzählige Maschinen und Anlagen ein, die sich mit Sensoren ausstatten lassen, um Daten zu generieren. So entsteht mit der Zeit ein umfangreicher Daten-Pool, der sich mit Hilfe von KI automatisiert auswerten lässt. Machine-Learning-Algorithmen, die aus Vergangenheitsdaten lernen, ermöglichen dann eine vorhersehende Instandhaltung. Wenn etwa eine hohe Temperatur in einem Maschinenteil Wartungsarbeiten erfordert, dann kann ein Algorithmus den Schluss daraus ziehen, beim Überschreiten eines Schwellenwerts automatisch einen Wartungsauftrag in der ERP-Software zu veranlassen und Techniker loszuschicken.
  • Quelle:
    Quelle: Stat. Bundesamt
Mit den passenden Lernalgorithmen kann Künstliche Intelligenz in ERP-Systemen Vorgänge in den Unternehmen weiter automatisieren. So lassen sich beispielsweise Machine-Learning-Algorithmen mit Daten füttern, um die Verhaltensmuster der Entscheider zu erkennen, etwa wenn es um die Genehmigung von Reisekosten geht. Mit der Zeit sind diese Genehmigungen vollständig automatisierbar, und die Entscheider gewinnen Freiraum und Zeit für wichtigere Aufgaben. Für Unternehmen hat dies den zusätzlichen Vorteil, dass sie so Medienbrüche und damit auch mögliche Fehlerquellen vermeiden. Für das Beispiel der Reisekosten bedeutet dies, dass das Abtippen von Papierbelegen und Rechnungen durch systemseitige Scanvorgänge und die Auswertung der Daten durch optische Zeichenerkennung ersetzt wird. Sobald die Analyse der erfassten Daten abgeschlossen ist, erfolgt die Abrechnung automatisiert. Ein Mitarbeiter der Buchhaltung muss nur noch eingreifen, wenn das System Unstimmigkeiten feststellt oder bei einer komplizierten Abrechnung nicht mehr weiterweiß.
Ein weiteres Szenario für das Zusammenwirken von KI und ERP ist die Individualisierung der Bedienoberflächen. So erhalten die Nutzer von Amazon oder Netflix Angebote, die auf ihre Interessen und Vorlieben zugeschnitten sind. Ähnliches könnte Business-Software für die Mitarbeiter künftig leisten. Sie müssen wichtige Daten nicht mehr mühsam zusammenklicken, sondern bekommen sie auf ihrem Startbildschirm angezeigt. Zwar gibt es bereits definierte Rollen, mit denen sich die Bedienoberflächen von ERP-Systemen so konfigurieren lassen, dass sie jedem Mitarbeiter die Inhalte anzeigen, die für seine Nutzergruppe relevant sind. Mit Machine-Learning-Verfahren werden die ERP-Systeme künftig aber noch viel stärker personalisierbar sein. Sie werden aus den Aktionen der einzelnen Anwender lernen, ihre persönlichen Präferenzen ableiten und ihnen dann wirklich individuelle Bedienoberflächen präsentieren.
Die ersten ERP-Vorläufer: Sie liefen auf Rechnern wie dem IBM-System/370-145 aus dem Jahr 1970.
Oliver.obi
ERP in der Nussschale
Die Geschichte von Enterprise Resource Planning (ERP) begann mit frühen Versuchen auf Rechenmaschinen in den 1940er-Jahren.
Der Vorläufer von ERP, die sogenannte Materialbedarfs­planung (MRP), entstand Anfang der 1960er-Jahre aus einer Zusammenarbeit zwischen J.I. Case, einem Hersteller von Traktoren und Baumaschinen, und IBM. Die MRP-Lösungen der 1970er-Jahre waren unpraktisch und teuer und lediglich für große Konzerne erschwinglich, da sie nur auf leistungsstarken Großrechnern liefen.
Fünf Ingenieure gründeten 1972 in Mannheim das Unternehmen SAP (Systemanalyse und Programmentwicklung) mit dem Ziel, Standard-Software für integrierte Geschäftslösungen zu entwickeln und zu vermarkten. Seit etwa 1990 wird diese Art der Unternehmens-Software als ERP bezeichnet – ein Begriff, den das Beratungsunternehmen Gartner prägte. Die Furcht vor gravierenden Computerzusammenbrüchen zur Jahrtausendwende – Stichwort Millennium-Bug – und die bevor­ste­hende Einführung des Euro bewogen viele Unternehmen dazu, ihre ERP-Software noch vor dem Jahr 2000 zu aktualisieren oder komplett neue ERP-Systeme einzuführen. 
Bereits 2000 tauchte auch der Begriff „ERP as a Service“ auf. Aktuelle ERP-Systeme sind oft cloudbasiert und laufen auch auf mobilen Endgeräten. Sie beschränken sich nicht nur auf Fertigungs-, Lieferketten-, Finanz- und Rechnungswesen, sondern auf viele weitere Bereiche.
4. Teil: „Produktion und Absatz“

Produktion und Absatz

„Mit KI lassen sich vor allem Produktionsprozesse genauer steuern, indem etwa die durch gezielte Auswertung der Auftragseingänge zu erwartenden Produktionsmengen präzise bestimmt werden“, erklärt Oliver Henrich. Verantwortliche in Logistik und Einkauf erhalten damit wichtige Handlungsempfehlungen zu Bestellmengen für Bauteile und Komponenten, die sie bei ihren Zulieferern in Auftrag geben oder dies auch automatisiert durch das System erledigen lassen. „Darüber hinaus ist es auf Basis entsprechender Informationen möglich, erforderliche Kapazitäten bei Mitarbeitern und Maschinen präziser zu bestimmen.“
KI kann im Zusammenspiel mit ERP auch zuverlässige Absatzprognosen erlernen. Die Software analysiert dafür Verkaufsdaten aus der Vergangenheit und errechnet unter Berücksichtigung bestimmter Parameter, welche Absatzmengen am wahrscheinlichsten sind. Aus diesen Daten lassen sich dann wieder Rückschlüsse auf anstehende Produktionsmengen und die dafür notwendigen Ressourcen ziehen. Selbstlernende Systeme können ihre Prognosen zudem von Jahr zu Jahr automatisch präzisieren und folglich immer genauere Handlungsempfehlungen abgeben. Denn sie können auf stetig wachsende Datenmengen und einen konstant wachsenden Erfahrungsschatz zurückgreifen.
Michael Finkler teilt die Entwicklung von ERP in Phasen ein. „Momentan befinden wir uns in einem Übergang vom klassischen ERP hin zum intelligenten ERP. Die nächste Phase stellt dann ein mehr oder weniger hoch automatisiertes ERP dar.“ Fast alle Anbieter haben angefangen, mit Künstlicher Intelligenz Erfahrungen zu sammeln. Es gibt jedoch noch kaum fertige Lösungen, abgesehen von Teilbereichen wie der automatischen Eingangsrechnungsverarbeitung oder Spracheingaben.
Die Bandbreite möglicher segenbringender Anwendungen für Unternehmen ist groß. Davon ist auch Finkler überzeugt. „Zum einen entlasten selbststeuernde und -optimierende Prozesse, KI-gestützte Analytik, neue Interaktionsmöglichkeiten mit Text- und Sprach-Recognition und auch Robot Process Automation den Menschen vor der Tastatur deutlich“. Zum anderen schaffe KI die Basis für neue, digitale Service-Angebote bis hin zu neuen Geschäftsmodellen. „So bauen Unternehmen letztlich die eigene Position auf dem Markt weiter aus, indem sie KI sowohl für die Smart Factory einsetzen als auch in Richtung des eigenen Marktes in intelligenten Produkten und Services.“
Ein weiteres Beispiel: Dank einer KI-basierten Bilderkennung lassen sich fehlerhafte Teile in der Fertigung automatisiert erkennen und damit Beschwerden und Reklamationen vermeiden. Zudem sind in einem ERP-System üblicherweise viele Artikel und Produkte gelistet, die sich mit Bilderkennung automatisiert einer Warengruppe zuordnen und mit Produktbeschreibungen versehen lassen. Voraussagen lässt sich auch die Wahrscheinlichkeit einer Zahlungsverzögerung. Dabei ermittelt KI anhand des Zahlungsverhaltens eines Kunden einen Index, wodurch sich mögliche Säumnisse besser absehen lassen. So haben Unternehmen ihre Liquidität und den Cashflow besser unter Kontrolle.
Die Integration von KI in das ERP-System ist für die Unternehmen allerdings kein Kinderspiel. Oft fehlt schlichtweg die Expertise, um KI-Szenarien in der Unter­nehmens­praxis umzusetzen. Doch auch die Hersteller stehen vor Herausforderungen. Oliver Henrich bringt die Grundvoraussetzungen auf den Punkt: „Wer als Hersteller KI und Machine Learning in seine Systeme einbinden will, braucht als wichtige Voraussetzung auch ein inte­griertes ERP-System in seinem Portfolio, welches alle relevanten Geschäftsbereiche eines Unternehmens mit Hilfe einer einheitlichen Datenbank verwaltet.“ Wer als Anwender mittels KI und Machine Learning seine ERP-Prozesse optimieren wolle, sollte ebenfalls ein integriertes ERP-System implementiert haben. Nur so könne sichergestellt werden, dass entsprechende Applikationen für ihre Analysen auf konsolidierte Datensätze zurückgreifen können, die alle relevanten Unternehmensbereiche umfassen. „Etliche große Machine-Learning- und Künstliche-Intelligenz-Projekte am Markt waren nicht unbedingt von Erfolg gekrönt“, kommentiert Oracle-Manager Dirk Thomas Wagner.
5. Teil: „Chronischer Datenmangel“

Chronischer Datenmangel

Künstliche Intelligenz benötigt möglichst viele Daten, um sinnvoll arbeiten zu können. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen stehen hier vor einem Problem. Zudem sind KI-Lösungen heute keine Out-of-the-Box-Lösungen und müssen individuell konzipiert und programmiert werden. Das ist kostspielig und lässt vor allem kleinere Unternehmen zögern. Dazu kommt: Nicht allein auf die Menge kommt es an. Schlechte Daten führen zu schlechten Ergebnissen.
„Die Größe spielt sicherlich eine Rolle, aber noch viel mehr die Typologie des Unter­nehmens“, betont ProAlpha-Geschäftsführer Michael Finkler. Ein Großserienfertiger habe eine völlig andere Datenbasis als ein Sondermaschinenhersteller. Der Großserienfertiger bearbeite, auch als kleines Unternehmen, meist eine sehr große Zahl von Aufträgen, während es beim Sondermaschinenfertiger vielleicht nur fünf Aufträge im Jahr seien. Das reiche nicht immer für eine sinnvoll nutzbare Datenbasis.
„Eine große Herausforderung für die Unternehmen besteht darin, genügend Daten in passender Qualität verfügbar zu machen“, so Finkler. Zum Beispiel nutzten viele Unternehmen bis heute Maschinen, die nicht mit ausreichender Sensorik ausgestattet sind. Dies sei jedoch notwendig, um die Daten in benötigter Menge erheben und auswerten zu können. „Für ERP-Anbieter gilt: Ihre Systeme müssen die KI-gestützten Prozesse integrieren und die geeigneten Algorithmen zur Verfügung stellen. Hier lohnt sich meist die Nutzung der cloudbasierten IoT-Plattformen, die sowohl verschiedene Algorithmen als auch große Rechenleistung für das Training der Modelle und für die Analyse der Daten mitbringen.“
Für Sage-Mann Oliver Henrich ist die Datenspeicherung ein zentrales Problem. „Die meisten KMUs verfügen in der Regel in Summe über ausreichend Datenmaterial, um damit auf Basis von KI und Machine Learning entsprechende Analysen durchführen zu können. Oft liegen diese Informationen aber nicht in einer einheitlichen Datenbank vor, da etwa für die Steuerung der Produktion, die Lagerverwaltung und den Einkauf Insellösungen, also eigenständige Systeme mit voneinander getrennten Datenbanken im Einsatz sind.“ Eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz von KI und Machine Learning ist also die Migration aller vorhandenen ERP-Daten in eine konsolidierte Datenbank.
„Es gibt keine größere Verschwendung als das Falsche richtig gut zu machen“, so Godelef Kühl. In den allermeisten Anwendungsfällen reichten die Datenmengen des ERP für einen erfolgreichen Einsatz intelligenter Technologien schlicht nicht aus und er kenne kaum Anwender, die bereit seien, ihre Daten zu teilen. „Vor allem fehlt ihnen noch die Einsicht, dass sie vom Teilen ihrer Daten selber profitieren.“ Hier werde die Zeit aber die richtige Antwort geben. „Schade ist nur, dass die meisten erst dann aufwachen, wenn sich Wettbewerber bereits signifikante Vorsprünge erarbeitet haben.“
Für Oracle-Manager Wagner stellt die Datenbasis kein nennenswertes Problem dar: „Aus der Praxis wissen wir, dass selbst ein kleines Start-up mit wenigen Mitarbeitern eine Datenmenge hervorbringen kann, die diejenige von mittelständischen Unternehmen weit übertrifft. Aber grundsätzlich ist auch eine kleine Datenbasis kein Kriterium, das die Nutzung von Machine Learning ausschließt. Fehlen wichtige Entscheidungsgrundlagen, bietet Oracle auch Data as a Service an, um eine ausreichend große Basis bereitzustellen.“
6. Teil: „Autonome ERP-Systeme“

Autonome ERP-Systeme

Konsequent zu Ende gedacht, führt eine fortschreitende „KI-fizierung“ letztlich zu selbstständig agierenden autonomen ERP-Systemen.
Könnte, was noch nach Science-Fiction klingt, vielleicht schon in wenigen Jahren Realität werden? Santiago Cabrera-Naranjo, Consulting Director beim Analytics-Spezialisten Teradata, glaubt daran. „Das ist tatsächlich denkbar. Denn schließlich ist Künstliche Intelligenz ein hervorragendes In­strument zur Automatisierung von Prozessen. KI hat nicht nur das Potenzial, die Interaktion des Menschen mit Maschinen durch Chatbots oder Spracherkennung zu digitalisieren, sondern sie hat auch das Potenzial, konkretere Alltagsprobleme wie Spesengenehmigung und -abrechnungen oder Inventarsteuerung im Unternehmen zu automatisieren.“
Für Godelef Kühl ist die Zukunft schon Gegenwart: „Wir haben Kunden im E-Commerce, da werden schon heute 98 Prozent der Aufträge automatisch abgewickelt und auch die Zahlungen ausgeziffert. Dort steuert der Workflow nur noch die 2 Prozent aus, wo sinnvollerweise ein Mensch die Entscheidung fällt.“
„Das ist zwar noch etwas Zukunftsmusik, aber doch ein sehr reales Szenario“, meint auch Michael Finkler. Das ERP-System sei mehr denn je das digitale Rückgrat der Unternehmen. „Es ist der zentrale Prozess- und Daten-Hub, der alle unternehmensrelevanten IIoT-Themen orchestriert und in die unternehmensweiten Kernprozesse integriert.“ Umso wichtiger sei der flächendeckende Einsatz von KI-Technologien, um tatsächlich in Zukunft selbststeuernde und -optimierende Prozesse zu schaffen.
Oliver Henrich schränkt ein: „Unternehmen werden auch im Zeitalter KI-gestützter Anwendungen nach wie vor Per­sonal benötigen.“ Die von Ashoka Deutschland und McKinsey & Company herausgegebene Studie „The Skilling Challenge“ belege, dass durch die Automatisierung mehr Arbeitsplätze geschaffen als abgebaut werden. Es ändert sich jedoch das Anforderungsprofil. „Der Mensch wird künftig vor allem mit der Überwachung von IT-Prozessen und der Überprüfung und weiteren Auswertung der Ergebnisse beschäftigt sein, die er durch intelligente ERP-Systeme erhält.“ Routineaufgaben, die mit einem hohen manuellen Aufwand verbunden und dementsprechend zeitraubend sind, werden spürbar abnehmen.
„Das ist nur eine Frage der Zeit. Wir werden autonome, selbstlernende und sich selbst verwaltende ERP-Systeme erleben“, ist sich ERP-Spezialist Dirk Thomas Wagner von Oracle sicher. „Was wir aber nicht erleben werden, ist die Ablösung des Menschen als Entscheidungsträger. Unternehmer-Spirit ist nicht durch Künstliche Intelligenz zu ersetzen. Aber das System wird dazu die bestmögliche Entscheidungsgrundlage liefern.“
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