Business-IT
02.03.2020
Neue Betreibermodelle 
1. Teil: „Equipment as a Service  - mieten statt kaufen“

Equipment as a Service  - mieten statt kaufen

Produkte, Services und DienstleistungenProdukte, Services und DienstleistungenProdukte, Services und Dienstleistungen
Rolls-Royce
Equipment as a Service (EaaS) bietet die Möglichkeit, moderne Produktionsanlagen und Hardware kostengünstig und nur bei Bedarf zu mieten. Oft ist eine eigene Anschaffung nicht notwendig.
Die Digitalisierung revolutioniert alle Branchen - die Hersteller von Equipment, Maschinen und Teilen bilden  hier keine Ausnahme. Die Fertigungs- und Maschinenbaubranche erhofft sich von einem neuen Konzept ein Mittel gegen schwankende Umsätze: Equipment as a Service (EaaS). Dahinter steckt ein Geschäftsmodell, bei dem die Hersteller ihre Maschinen an den Kunden nicht mehr verkaufen, sondern verleihen. Die Abrechnung erfolgt entweder auf Nutzungsbasis (Pay per Use) oder auf Basis von Ergebnissen (Pay per Outcome).
Für den Kunden bedeutet dieses Modell einen fundamentalen Kostenvorteil. Anstatt einmalig hohe Anschaffungskosten zu verbuchen, kann er immer das modernste Equipment mit bequemen, flexiblen Zahlungskonditionen haben. Dies eröffnet für die Unternehmen neue Möglichkeiten wie beispielsweise schnelle Erneuerung des Maschinenparks oder verkürzte Zeiten bei der Überführung von Fabrikanlagen in den Wirkbetrieb. Ein weiterer Vorteil: „Der Kunde kann grundsätzlich auf die Vollausstattung zurückgreifen, da er die hochwertigen Features nur dann bezahlt, wenn er sie auch nutzt“, erklärt Jens von der Brelie, Leiter Solution Center und Partner beim Schweizer Innovationsdienstleister Zühlke.
Das Konzept ist mit dem klassischen Leasing-Modell, bei dem das Equipment letzten Endes über einen längeren Zeitraum abbezahlt wird, nicht zu verwechseln. „Der Unterschied zwischen Leasing und EaaS liegt neben bilanziellen und rechtlichen Unterschieden insbesondere in der Partnerschaftsebene sowie den Verantwortlichkeiten zwischen Hersteller und Kunde“, verdeutlicht Jackson Bond, Mitgründer und Chief Industrial Evangelist des Berliner IoT-Unternehmens Relayr.
Diese Klarstellung führt gleich zum nächsten grundlegenden Kundenvorteil des EaaS-Modells - der Produktionssicherheit und vorausschauenden Wartung. Da nutzungs- beziehungsweise ergebnisorientiert abgerechnet wird, hängt der Erfolg des Herstellers mit dem Erfolg seines Kunden zusammen. Ungeplante Stillstände können im schlimmsten Fall für beide Seiten hohe finanzielle Verluste verursachen. „Es ist in diesem Fall also im Interesse des Herstellers, dass die Maschine eine möglichst hohe Verfügbarkeit und somit möglichst geringe Ausfallzeiten bietet“, bringt es Bond auf den Punkt.

Marktvorteile

Vom EaaS-Modell profitiert nicht nur der Kunde, sondern auch der Hersteller. Zum einen werden Maschinen und Anlagen zu einer dauerhaften Einnahmequelle. David Schmedding, Leiter Corporate & Digital Business Development bei Heidelberger Druckmaschinen, sieht darin einen wichtigen Vorteil: „Die wiederkehrenden Umsätze, die bei diesem Modell generiert werden, machen unser Geschäft stabiler und weniger anfällig für Konjunkturschwankungen.“
Zum anderen verändert sich der Charakter der Interaktion mit dem Kunden fundamental. Anstelle eines Einmalgeschäfts entsteht eine langfristige Kundenbeziehung, in deren  Rahmen der Hersteller die Möglichkeit hat, dem Kunden weitere oder neue Produkte und Dienstleistungen anzubieten. So stellt zum Beispiel Rolls-Royce neben seinen intelligenten Antrieben, die nach dem Modell „Fixed cost per flying hour“ abgerechnet werden, zusammen mit „CorporateCare“-Service-Verträgen auch eine App zur Verfügung. Die Anwendung ermöglicht den Kunden den Zugriff auf Echtzeit-Service-Informationen wie Betriebsdaten der Triebwerke oder den Zustand der einzelnen Komponenten. Dadurch werden potenzielle Risiken minimiert und eine datenbasierte Entscheidungsfindung erleichtert.
Auch Heidelberger Druckmaschinen hat für seine Subskriptions-Kunden jüngst eine App eingeführt: Die Anwendung Vendor Managed Inventory ermöglicht ihnen im Zusammenspiel mit dem cloudbasierten Heidelberg Assistant komplette Transparenz über ihre Warenströme. Mit der App kann der Kunde die Verbrauchsmaterialien einscannen und direkt seine Lagerbestände einsehen. Sollten gewisse Mindestmengen unterschritten werden, bestellt das System automatisch Ware nach.
Solche Strategien führen zu einer deutlich höheren Kundenzufriedenheit und verschaffen den Herstellern einen erheblichen Marktvorteil. Diese Ansicht teilt auch Yulia Bakir, Projektleiterin Kaufmännische Innovation für i4.0 und Absatzfinanzierung bei Bosch Rexroth, einem Industrieunternehmen für Antriebs- und Steuerungstechnik: „Aus Sicht eines Automatisierungsanbieters bietet EaaS die Möglichkeit, sich mit intelligenten und wertschaffenden Angeboten klar vom Wettbewerb abzuheben.“
2. Teil: „Daten als Voraussetzung“

Daten als Voraussetzung

Um ein Equipment-as-a-Service-Modell zu ermöglichen und da­rüber hinaus lukrative Angebotspakete für die Kunden zu schnüren, bedarf es jedoch einer wichtigen Grundlage: Daten, Daten und nochmals Daten.
Heidelberger Druckmaschinen stellt zum Beispiel seinen Kunden bereits ein Rundum-sorglos-Paket zur Verfügung, das nicht nur die Maschine selbst, sondern auch die Software, sämtliche Dienstleistungen und alle Verbrauchsmaterialien mit Ausnahme von Papier beinhaltet. „Um solche neuen Geschäftsmodelle zu entwickeln und einzuführen, müssen wir die Daten, die uns die bei Kunden im Einsatz befindlichen Systeme übermitteln, sorgfältig analysieren“, so David Schmedding.
Auch die Möglichkeit, die Maschinen zum Beispiel per produzierter Einheit abzurechnen, entsteht vor allem durch eine smarte Erfassung und Ablesung von Nutzungsdaten. Das Versprechen der vorausschauenden Wartung kann ebenfalls nur unter der Bedingung eingehalten werden, dass Betriebs- und Leistungsdaten kontinuierlich und nahezu in Echtzeit erfasst und analysiert werden. Yulia Bakir bestätigt aus eigener Erfahrung: „Es geht zunächst darum, Modelle zu realisieren, in denen wir Hardware durch die Übertragung von Daten an IT-Systeme anbinden, um IoT-Services sowie automatisierte Abrechnung zu ermöglichen.“
Dies ist vor allem durch das Anbringen von Sensoren und die anschließende Einspeisung von Daten in eine Cloud-Plattform möglich. So verfügen die Druckmaschinen des Heidelberger Unternehmens nach Angaben von Schmedding bereits über bis zu 1.000 Sensoren; 95 Prozent der Neumaschinen sind an die Unternehmens-Cloud angebunden.
Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang das Thema Datensicherheit. Denn wenn Daten das Unternehmen verlassen, dann entsteht potenziell ein Risiko. Die Hersteller müssen also sicherstellen, dass keine sensiblen Daten nach außen beziehungsweise in die Hände von Hackern oder des Wettbewerbs gelangen. Laut Schmedding müssen aber auch gar nicht alle Daten übermittelt werden: „Gewisse endkundenspezifische Daten, wie zum Beispiel Auftragsinformationen, können und wollen wir überhaupt nicht sehen. Es geht ausschließlich um technische Parameter, die auch nur in der Abstimmung mit dem Kunden zu Performance-Zwecken analysiert werden.“
Alternativ könnte man auch gewährleisten, dass die zu übermittelnden Daten ohne zusätzliche Voraussetzungen - wie das Verfügen über den digitalen Zwilling der Maschine - gar nicht interpretierbar sind.
EaaS im IT-Bereich
Equipment as a Service konzentriert sich nicht nur auf die Fertigungs- und Maschinenbaubranche. Auch immer mehr IT-Hardware-Anbieter setzen auf dieses Vertriebsmodell.
Bereits seit 2017 stellt Dell Technologies seine PCs Unternehmenskunden nach dem As-a-Service-Prinzip zur Verfügung. Nun will Dell seinen kompletten Infrastruktur-Stack einschließlich Storage, Networking und Virtualisierung als Service anbieten. Neben Hardware und Software beinhaltet das Angebot Dell Technologies On Demand zudem globalen Support und Managed Services.
Hewlett Packard Enterprise (HPE) verfolgt mit seiner Hy­brid-Cloud-Lösung GreenLake ebenfalls seit einiger Zeit den As-a-Service-Ansatz. Kürzlich hat das Unternehmen verkündet, ab 2022 sein gesamtes Produkt-Portfolio als Service anbieten zu wollen. Das Angebot soll den Unternehmenskunden eine attraktive Alternative zum weiterhin bestehenden klassischen Kaufmodell bieten.
3. Teil: „Umstellung des Betriebsmodells“

Umstellung des Betriebsmodells

  • Beispiel Sigma Air Utility von Kaeser Kompressoren: Das Betreibermodell ermöglicht es den Kunden, nur für die tatsächlich abgenommene Druckluftmenge zu bezahlen.
    Quelle:
    Kaeser
Zum EaaS-Modell gehört wesentlich mehr als die Implementierung von IoT- und Cloud-Technologien oder die Ausarbeitung neuer Angebote.
Nach Angaben der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte sind grundsätzlich mehr als 65 Prozent der operativen Funktionen von dem Umstieg auf ein As-a-Service-Modell betroffen. Yulia Bakir von Bosch Rexroth bestätigt das: „EaaS bedeutet ein Umdenken für alle Unternehmensfunktionen. Unternehmen, die sich damit beschäftigen, sollten auf jeden Fall einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und ein funktionsübergreifendes Team von Entwicklung, Produktmanagement, Vertrieb, Service, Kaufleuten, Juristen und IT zusammenstellen.“
Diese Empfehlung gilt dabei nicht nur für die organisatorischen Aspekte, sondern lässt sich auch auf die Technologie-Seite übertragen. Das neue Geschäft muss nicht selten auf der Basis von bisher angewandten Prozessen und Systemen aufgebaut werden, die für dieses Modell nicht ausgelegt sind.
„Bei den Geschäftsmodellen, die sich komplett auf den Produktlebenszyklus fokussieren, stehen der Kunde und das kundenzentrische Denken im Vordergrund“, erklärt Schmedding. Die Maschinenbranche und die dort eingesetzten IT-Systeme, zum Beispiel das ERP-System oder Reporting-Tools, seien jedoch traditionell sehr produktzentrisch ausgerichtet, so der Experte weiter.
Diese Herausforderungen machen ein besonders durchdachtes Vorgehen erforderlich. Die naheliegende Lösung, alle betroffenen IT-Systeme durch moderne Software zu ersetzen, ist in der Realität nicht immer tragbar. Einiges kann aber sicher durch unternehmenseigene Kapazitäten abgedeckt werden. So erschließt Bosch Rexroth innerhalb der Bosch-Gruppe laut Yulia Bakir große Synergien und arbeitet sehr eng mit den IT-Spezialisten und den IoT- und Sensor-Experten von Bosch zusammen. In anderen Fällen kann es sich um spezifische Technologien oder Prozesse handeln, für die es sich empfiehlt, einen externen Partner zurate zu ziehen. Bosch Rexroth realisiert beispielsweise gemeinsam mit einem weltweit führenden Netzwerkausrüster die Echtzeitübertragung von Daten über 5G mit dem Echtzeitstandard TSN.
Heidelberger Druckmaschinen arbeitet demgegenüber mit Finanzierern und Leasinggesellschaften zusammen, um die Maschinenkosten zu externalisieren.
Anbieter von Equipment as a Service (Auswahl)
4. Teil: „Blockchain als Enabler“

Blockchain als Enabler

Auch wenn die Grundelemente des EaaS-Modells IoT- und Cloud-Technologien sind, sollte sich der Bereich Forschung und Entwicklung auf lange Sicht auch mit anderen modernen Technologien auseinandersetzen, zum Beispiel mit Predic­tive Analytics oder Machine Learning, um das Leistungsportfolio für den Kunden weiterhin attraktiv zu halten. „Die größte Herausforderung bei der Einführung von EaaS ist es sicherlich, nicht nur die known Unknowns, sondern auch die un­known Unknowns mit einzubeziehen“, betont Jens von der Brelie von Zühlke.
Die Umsetzung einer nutzungs- oder ergebnisbasierten Abrechnung, die das Rückgrat des EaaS-Modells bildet, kann je nach Use Case eine besonders anspruchsvolle Aufgabe darstellen. Es muss verlässlich, flexibel und möglichst automatisiert sein. Vor diesem Hintergrund zeigen einige Unternehmen ein wachsendes Interesse an der Blockchain.
Für Simone Giehl, Trend Business Lead Blockchain bei Zühlke, kommt das nicht überraschend: „Transparenz und Vertrauen durch fälschungssichere Daten sind zwei ganz entscheidende Voraussetzungen für EaaS. Beides sind große Vorteile von Blockchain, aber auch von anderen Distributed-Ledger-Technolo­gien“. Die Expertin spricht aus eigener Erfahrung, denn der Schweizer Dienstleister hat kürzlich eine Partnerschaft mit der IOTA Foundation geschlossen, der ersten Krypto-Stiftung Deutschlands. Unter anderem will Zühlke Tangle, IOTAs Distributed-Ledger-Technologieplattform, in eigene Innovationsprojekte integrieren, um die Etablierung von EaaS-Modellen zu fördern.
„Dezentrale Plattformen wie IOTA ermöglichen auch praktisch kostenlose Mikrotransaktionen, die direkt durch das Equipment ausgelöst werden können“, verdeutlicht Jens von der Brelie. Die Nutzung einer Funktion kann demnach nicht nur nachgewiesen, sondern auch „direkt und unkompliziert“ abgerechnet werden.
Im Gegensatz zu Blockchain verspricht dabei der Ansatz von IOTA, zwei Schwachstellen der klassischen Distributed-Ledger-Technologie zu beheben: den hohen Bedarf an Rechenleistung und den damit verbundenen Energieverbrauch sowie die geringe Bandbreite.

Fazit & Ausblick

Noch gibt es vergleichsweise wenige Unternehmen, die das EaaS-Modell bereits erfolgreich implementiert haben. Während fast alle Automobilhersteller im B2C-Bereich mit diversen Carsharing-Angeboten die Nase vorn haben, ist es in der B2B-Fertigung nach der Einschätzung von Jackson Bond „nicht einmal jedes fünfte Unternehmen“. Er sieht allerdings klare Zeichen dafür, dass dieser Trend stark aufwärtsgeht, denn immer mehr Unternehmen beschäftigen sich mit dem Thema. „Die Grenzen zwischen OEMs, Serviceanbietern und Betreibern verschwimmen zunehmend“, so Bond. Die Umstellung auf EaaS kann seiner Meinung nach eine Möglichkeit für Unternehmen sein, sich in diesem sich wandelnden Umfeld zukunftsfähig aufzustellen.
Zu jedem Geschäft gehören natürlich mindestens zwei: der Hersteller und der Kunde. Noch vor ein paar Jahren herrschte in dem zweiten Lager vielfach Skepsis, doch inzwischen öffnen sich auch die Kunden stärker dem Thema EaaS, so die Beobachtung von Yulia Bakir: „Für unsere Kunden steht mittlerweile nicht mehr nur der Nutzen im Hier und Jetzt im Vordergrund. Vielmehr schätzen und suchen sie auch nach zukunftsfähigen Lösungen, die dem immer schneller werdenden Technologiewandel Rechnung tragen.“

mehr zum Thema