04.12.2019
Ausbildung
1. Teil: „Der E-Commerce sucht dringend Azubis“
Der E-Commerce sucht dringend Azubis
Autor: Daniela Zimmer
Daniela Zimmer
Der Ausbildungsberuf Kaufmann/-frau im E-Commerce leidet noch unter Kinderkrankheiten. Nur in besonders darauf zugeschnittener Beschulung können die Inhalte konkret vermittelt werden.
Ein Wunder ist das nicht. Wie jüngst eine Erhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zeigte, rangiert die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann oder zur Einzelhandelskauffrau im Ansehen der 25 am stärksten besetzten Ausbildungsberufe auf einem miserablen 20. Platz. Noch schlechter schneidet das Berufsbild des Verkäufers ab, das das Schlusslicht der Tabelle bildet. Selbst Köche und Bankkaufleute haben bei der deutschen Bevölkerung ein besseres Image.
Weil sich viele Betriebe Sorgen machen, wie sie Nachwuchskräfte gewinnen können, hatte die Branche im Juni unter dem Motto Jetztschonprofi.de eine digitale Azubi-Kampagne gestartet, die über die vielfältigen Ausbildungs- und Karrierechancen im Handel informiert. Und dennoch waren zum Start ins Ausbildungsjahr 2019/20 noch längst nicht alle verfügbaren Lehrstellen besetzt. Besonders dramatisch ist der Fachkräftemangel im digitalen Handel - aus mehreren Gründen: So gibt es generell zu wenig Digitalexperten auf dem Markt. Und die, die es gibt, picken sich gezielt die spannendsten Jobs heraus. Oder sie haben so hohe Gehaltsvorstellungen, dass ein mittelständischer Händler ohnehin gleich die Segel streicht. Den Unternehmen bleibt da nur eine Wahl: Sie müssen ihre Fachkräfte selbst ausbilden.
1284 Azubis im ersten Jahr
E-Commerce“. Dieser soll dem Handel Nachwuchs mit digitalem Know-how zuspielen - und zwar passend zugeschnitten auf die eigenen Bedürfnisse. Denn das Aufgabengebiet eines E-Commerce-Experten ist breit - und von einer Person allein kaum zu stemmen. So wird eine Online-Partnerbörse, die E-Commerce-Kaufleute ausbildet, in der Lehre andere Schwerpunkte setzen als ein E-Commerce-Kaufmann, der seine berufliche Laufbahn bei einem B2B-Unternehmen beginnt, das die Industrie mit Werkzeug versorgt.
Seit dem 1. August 2018 gibt es genau für diesen Zweck den neuen Ausbildungsberuf „Kaufmann/-kauffrau im Zum Launch des neuen Ausbildungsangebots entschieden sich 1284 Schulabsolventen für diesen Jobeinstieg - ohne genau zu wissen, was sie eigentlich erwartet. Denn nicht selten standen die Lehrinhalte noch gar nicht fest, als die Tinte unter den Vertrag gesetzt wurde. „Der Beruf ist besser gestartet als erwartet. Ich denke, dass er in den kommenden Jahren in die Top 20 der 326 dualen Ausbildungsberufe, die wir haben, eingeht“, freut sich Katharina Weinert. Die Abteilungsleiterin für Bildungspolitik und Berufsbildung beim Handelsverband Deutschland (HDE)hat die Einführung des „E-Commerce-Kaufmanns“ zusammen mit der Gewerkschaft Verdi federführend begleitet. Und weil sie sich so engagiert, wird sie in der Branche liebevoll „Mutter des Berufs“ genannt. Stimmt ihre Prognose, würden künftig jedes Jahr zwischen 7000 und 27.000 neue Azubis ihre dreijährige Lehre zur
E-Commerce-Fachkraft antreten.
E-Commerce-Fachkraft antreten.
Oliver Gödde, geschäftsführender Gesellschafter des B2B-Händlers für Qualitätswerkzeug Gödde, hat keinen Zweifel, dass der Beruf regen Zulauf erfahren wird: „Ich halte das für einen sehr spannenden Ausbildungsgang“, so Gödde. Er sei sehr zukunftsorientiert. Und wer diesen Berufsweg einschlage und halbwegs gut aufgestellt sei, brauche sich um seine berufliche Zukunft keine Sorgen zu machen. „Wenn man dann noch ein bisschen Englisch kann, steht einem die Welt offen“, betont er. Und tatsächlich ist es ein Fakt, dass eine Karriere im Handel nicht nur Hochschulabsolventen vorbehalten ist. Branchenstudien belegen, dass über 80 Prozent der Führungskräfte in der Branche zunächst eine Ausbildung absolviert haben. Und auch ein Gehaltsvergleich mit weiteren Handelsberufen zeigt: E-Commerce-Kaufleute sind anderen Vertretern der Handelszunft im besten Fall 900 Euro monatlich voraus.
Zu den ersten Auszubildenden, die sich überzeugen ließen, zählt Luca Klein. Nach dem Abitur heuerte er direkt bei dem Kölner Werkzeughändler Gödde an. Weil er seine Schulzeit für viel zu theoretisch hielt, wollte er im Anschluss lieber eine Ausbildung machen und den Berufsalltag kennenlernen. Das Profil des E-Commerce-Kaufmanns reizte ihn, weil er „generell interessant“ findet, dass alles digitaler wird. Und auch Luca Klein hat erkannt: „Das ist ein Beruf mit Zukunft.“
Gödde-Ausbildungsleiter Alexander Schmitz indes gefiel an seinem Bewerber, dass er „nebenbei ein Zocker“ ist und, „wie er im Gespräch seine Vorstellung kommuniziert hat, wie morgen verkauft wird“.
Von der jungen Generation erhofft sich der Industriekaufmann, der als Quereinsteiger im E-Business Fuß fasste, auch neue Impulse. „Wir müssen dem Kunden künftig verstärkt Prozesse verkaufen“, sagt er. „Dafür brauchen wir innovative Leute. Und wenn wir Herrn Klein eng begleiten, lernen wir im Idealfall genau wie der Auszubildende dazu.“
2. Teil: „Großes Lernpensum“
Großes Lernpensum
Im Bildungsplan stehen für die drei Ausbildungsjahre Themen wie Unternehmenspräsentation, Sortimentsplanung, Beschaffung, Vertragsabschlüsse, Werteströme, Rückabwicklungsprozesse, Servicekommunikation, Online-Marketing, Wertschöpfungsprozesssteuerung, kennzahlengestützte Vertriebsoptimierung und die Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Einflüsse bei unternehmerischen Entscheidungen.
Alle Inhalte wurden zusammen mit dem Handel definiert. Die Frage ist nur, wer sie den Azubis jetzt vermittelt. Denn der klassische Berufsschullehrer dürfte vom E-Commerce auch nicht mehr verstehen als der traditionelle Händler.
Hinter vorgehaltener Hand wird zu genau diesem Punkt auch immer wieder Kritik laut. Unternehmen erzählen von Lehrern, die lediglich einen Tag lang bei ihnen hereinschnupperten und jetzt den jungen Leuten beibringen sollen, wie Online-Handel funktioniert.
Katharina Weinert lässt dies nicht auf dem Lehrerkollegium sitzen. „Für die Berufsschullehrer gab es verschiedene Schulungsangebote“, erklärt sie. In Bayern beispielsweise gab es richtige Qualifizierungsbausteine. „Media Markt hat sich hier sehr engagiert und allen Schulen angeboten, vor Ort Praktika zu machen und sich zu informieren. Und solche Lernortkooperationen werden vielerorts von den Unternehmen und Berufsschulen gelebt“, unterstreicht Weinert.
Außerdem würden gerade im ersten Ausbildungsjahr sehr viele kaufmännische Inhalte vermittelt. „Das können die Lehrkräfte aus dem kaufmännischen Bereich ohnehin. Die wissen, wie Vertragsschlüsse funktionieren, auch online“, sagt sie.
Auch Gödde-Ausbildungsleiter Schmitz ist von der Berufsschule seines Azubis, dem Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Köln, überzeugt. Sie sei mit modernem Equipment wie VR-Brillen und Spielekonsolen ausgestattet und auch die Lehrer hätten sich gut verkauft. „Sie haben in der Regel eine hohe IT-Affinität und kooperieren mit den Universitäten. Wir haben einen guten Eindruck“, lobt er das Personal der Berufsschule.
3. Teil: „Gemeinsame Beschulung“
Gemeinsame Beschulung
Weniger verklausuliert heißt das: Es gibt Berufsschulen, da werden nur Kaufleute in sogenannten Fachklassen unterrichtet. Und es gibt Berufsschulen, die verschiedene Ausbildungsberufe gemeinsam beschulen. Und das ist aus Sicht von Weinert suboptimal. Denn sicherlich gebe es zwar inhaltliche Überschneidungen bei den Berufen, aber es gebe auch spezielle Lerninhalte. „Und die müssen gesondert unterrichtet werden, sonst bräuchte man ja keinen neuen Beruf“, sagt sie. Hier hofft die „Mutter des Berufs“ darauf, dass die Länder zeitnah umsteuern. „Das macht es für alle Beteiligten leichter. Die Lehrkräfte können sich gezielt für den neuen Beruf qualifizieren und die Auszubildenden bekommen eine fachspezifische Beschulung.“
Zugute kommt ihr dabei vermutlich auch die Steigerung der Auszubildendenzahlen - zumindest in einigen Regionen. In Bocholt, dem Standort des Omnichannel-Fahrradhändlers Rose Bikes, ist die Zahl der E-Commerce-Kaufleute binnen eines Jahres jedenfalls schon enorm gestiegen. Musste der erste Auszubildende im vergangenen Jahr noch nach Münster fahren, um die Berufsschule zu besuchen, gibt es inzwischen in Bocholt selbst schon eine dezidierte Klasse für E-Commerce-Kaufleute mit 20 Schülern. Dem ersten Auszubildenden nützt das allerdings wenig. Er muss weiter nach Münster - weil die Lerninhalte in Bocholt ja im ersten Ausbildungsjahr starten.
Zudem ist die Nachfrage nach dem neuen Beruf offenbar regional auch sehr unterschiedlich. Während es allein am Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Köln zwei E-Commerce-Klassen mit jeweils 25 Schülern gibt, meldet die Industrie- und Handelskammer Siegen für das Jahr 2019 gerade einmal zwei vorliegende Ausbildungsverträge. Die IHK Dessau-Halle kommt auf drei Verträge.
Um eine eigene Berufsschulklasse einzurichten, braucht Karl-Heinz Bremer, Leiter des Berufskollegs Wirtschaft und Verwaltung in Siegen, aber mindestens 22 Schüler. Solange die Mindestgröße nicht erreicht ist, bleibt der Schulstandort für E-Commerce-Kaufleute in Hagen. Und das ist für junge Leute und Betriebe aus der Region nicht sonderlich attraktiv. Ein Teufelskreis.
Qualitätsunterschiede in der Ausbildung gibt es aber nicht nur hinsichtlich der Berufsschulen. Auch die Betriebe werden drei Jahre nach Ausbildungsbeginn sehr unterschiedlich qualifizierte Leute ins Berufsleben entlassen. Denn auch hier hört man die Branche unken, dass nicht jeder IHK-Vertreter, der vor Ort prüft, ob ein Unternehmen E-Commerce-Kaufleute ausbilden darf oder nicht, die gleichen Maßstäbe anlegt.
Kooperationen als Alternative
Eine Möglichkeit für kleinere Händler, die im Online-Handel nicht die volle Palette abdecken, aber trotzdem gern fundiert ausbilden würden, sind Bildungskooperationen mit anderen Online-Händlern. Bei Rose Bikes in Bocholt beispielsweise ist HR-Manager Holger Wüpping solchen Modellen gegenüber sehr aufgeschlossen und unterstützt bei Bedarf kleinere Unternehmen gern.
Und auch bei Gödde geht Ausbildungsleiter Alexander Schmitz mit einem partnerschaftlichen Ansatz an das Thema Ausbildung heran. Weil in der Hoffmann Group, zu der Gödde gehört, einiges zentral organisiert wird, kann Gödde im Alleingang gar nicht sämtliche Lernbereiche abdecken. „Hier tauschen wir uns in der Group sinnvoll aus und holen uns zudem auch Hoffmann-Group-übergreifend Impulse“, berichtet Alexander Schmitz.
„Ich denke, dies ist die Zukunft, denn so kann man Impulse, die ich der Luft schwirren, auffangen. In unserem Bereich passiert ja viel Neues und das in rasender Geschwindigkeit.“
4. Teil: „Im Gespräch mit Madlen Schaller-Bock“
Im Gespräch mit Madlen Schaller-Bock
Bei der Online-Apotheke Mycare haben im August erstmals zwei Auszubildende ihre Lehre als E-Commerce-Kaufleute angefangen. Madlen Schaller-Bock, Leitung Marketing bei Mycare.de, schildert ihre ersten Erfahrungen.
com! professional: Sie bilden in diesem Jahr erstmals Kaufleute im E-Commerce aus. Warum nicht schon 2018?
Madlen Schaller-Bock: Wir hätten eigentlich gern schon im vergangenen Jahr Ausbildungsplätze besetzt, haben damals aber tatsächlich keinen Azubi gefunden. Ehrlich gesagt haben wir überhaupt keine Azubis gefunden, die den Beruf und den Ausbildungsbereich kannten. Das war für alle superneu. Wir haben das Thema mit auf Ausbildungsmessen genommen und versucht, es über die Presse in die Region zu tragen, weil wir natürlich daran interessiert sind, auch hier Fachkräfte zu bündeln und auszubilden. Aber am Ende des Tages kam immer die gleiche Antwort: „Ach, davon habe ich noch nie was gehört.“
com! professional: Würden Sie sagen, es mangelte an der Kommunikation seitens der Verbände, der IHKs und der Branche an sich?
Schaller-Bock: Nein, gar nicht. Es gibt ja viele digitale Berufe, die schon seit Jahren existieren und die kaum ankommen. Ich sehe das nicht so sehr als Aufgabe der IHK. Da müssten eher die Schulen aktiv werden und mit den Unternehmen kooperieren. Ein Problem ist auch, dass der klassische Abiturient ja immer denkt, er muss sofort studieren gehen, weil das von den Gymnasien so getriggert wird. Für sie kommt es gar nicht infrage, eine Ausbildung zu machen. Aber Kaufleute im E-Commerce haben ein enormes Pensum, das man erst einmal bewältigen muss. Im Grunde suchen wir die eierlegende Wollmilchsau. Das würde ich nicht jedem jungen Menschen zutrauen, weil es extrem vielfältig und auch zahlenlastig ist.
com! professional: Trotz aller Hürden haben Sie zwei Auszubildende gefunden. Wie das?
Schaller-Bock: Na ja, die einzige Bewerbung, die wir hatten, war für den Beruf nicht geeignet. Dass wir jetzt tatsächlich zwei Auszubildende haben, war eher ein Zufall. Eine habe ich auf einer Messe getroffen. Sie hat mir erzählt, dass sie mit ihrer derzeitigen Ausbildung unglücklich ist. Die hat sie dann abgebrochen und ist zu uns gewechselt. Eine andere hatte sich ursprünglich als Mediendesignerin bei uns beworben, aber die Stelle war schon vergeben, und da habe ich ihr die Ausbildung zur E-Commerce-Kauffrau vorgeschlagen. Auch sie hatte davon zuvor noch nie etwas gehört.
com! professional: In den neuen Bundesländern wurden im vergangenen Jahr 123 Ausbildungsverträge für E-Commerce-Kaufleute abgeschlossen, in den alten Bundesländern waren es 1158. Haben Sie in Wittenberg einen Standortnachteil?
Schaller-Bock: Ich glaube nur in der Ausbildungssituation. Viele junge Menschen würden gern hierbleiben, haben aber keine Perspektive. Die nächste Berufsschule, die E-Commerce-Kaufleute ausbildet, ist in Magdeburg. Die Azubis müssen dafür knapp zwei Stunden fahren – für die einfache Strecke. Das zweimal pro Woche kann ich fast keinem Bewerber vermitteln. Und selbst wenn es Blockunterricht wäre, gibt es keine bezahlbaren Unterkünfte. Wir zahlen unseren Auszubildenden zwar Fahrtzuschüsse, aber man muss sich doch fragen, ob man in einem digitalen Beruf nicht auch über digitale Klassenzimmer nachdenken müsste.
com! professional: Wie sieht es denn mit den Unternehmen in Ihrer Region aus, die ausbilden könnten. Gibt es da genug?
Schaller-Bock: Ich glaube, in dem Umfang wie wir kann kaum ein Unternehmen hier ausbilden. Ich habe von unserer IHK Dessau-Halle auch gehört, dass einige Unternehmen, die anfangs Lehrlinge einstellen wollten, wieder abgesprungen sind, weil sie es sich nicht zugetraut haben. Und wenn Sie sich einen Betreiber eines kleinen Reiseportals anschauen: Der darf ausbilden, weil er den Schein hat und weil er E-Commerce macht. Aber was kann man dort lernen? Es gibt keine Logistik und keine Kommissionierung und Produkteinkauf oder Sortimentspolitik nur im weitesten Sinn. All das, was Kaufleute im E-Commerce eigentlich ausmacht, ist nicht vorhanden.
com! professional: Sind Sie zufrieden mit den Ausbildungsinhalten?
Schaller-Bock: Ja, mit dem, was im Lehrplan steht, bin ich d’accord. Da merkt man schon, dass die Handelspartner mit am Tisch saßen. Jetzt ist nur die Frage, wie man das alles vermittelt bekommt. Haben Sie schon mal einen Blick in das Schulbuch für das erste Lehrjahr geworfen? Ich bin fast vom Glauben abgefallen. Da gibt es Statistiken, die sind aus dem Jahr 1989. Das war lange vor den Anfängen von Amazon, Ebay & Co.
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