14.02.2019
Algorithmen im E-Commerce
1. Teil: „Wie Dynamic Pricing für mehr Umsatz sorgt“
Wie Dynamic Pricing für mehr Umsatz sorgt
Autor: Christiane Fröhlich
Golden House Studio / Shutterstock.com
Dynamische Preisgestaltung ist im Handel mittlerweile gang und gäbe. Intelligente Algorithmen ermitteln dabei die idealen Preise für höhere Umsätze.
Die ständigen Preisschwankungen an Tankstellen sind das wohl augenfälligste Beispiel für eine dynamische Preisgestaltung. Doch auch in Webshops gehören sie zum Alltag. Einer Studie des IFH Köln zufolge verändern gut 43 Prozent der Online-Händler ihre Artikelpreise mindestens einmal im Monat, gut jeder zehnte um mehr als 10 Prozent.
„Dynamische Preissetzung ist ein fester Bestandteil im Online-Handel“, lautet daher das Fazit der Marktwächter-Teamleiterin Kirsti Dautzenberg. Sie betont, dass variierende Preise seit jeher zum Handel gehören, etwa bei Saisonware. Zu beobachten sei allerdings, dass die Intensität der Anpassungen im Online-Handel deutlich zunehme. „Durch die Automatisierung der Prozesse sind Preisveränderungen in hoher Frequenz möglich“, sagt sie, „gleichzeitig forcieren die Anbieter von Pricing-Lösungen die Professionalisierung der dynamischen Preissetzung.“ Eine große Rolle spielen dabei Machine Learning und Künstliche Intelligenz. Nahezu alle Lösungsanbieter wie Blue Yonder, Revionics oder Prudsys bauen auf die smarte Auswertung riesiger Datenmengen und leiten daraus Vorhersagen für die Zukunft ab.
Druck durch Schnelldreher
Dautzenberg nennt drei Gründe für den wachsenden Bedarf an einer optimalen Preisgestaltung. Als Erstes ist der Wettbewerbsdruck im Web in einigen Branchen, etwa bei Elektronikartikeln, extrem hoch. Zum Zweiten müssen Händler ihre Lagerhaltungskosten im Blick haben und unbedingt vermeiden, dass Ladenhüter den teuren Platz belegen. Zum Dritten gibt es immer mehr sogenannte Schnelldreher: „Früher verkauften Modehändler vielleicht zwei oder drei Kollektionen im Jahr, heute sind es bis zu 24. Die müssen schnell abverkauft werden, um Platz zu machen für die neue Ware.“
Kaum ein Unternehmen will sich allerdings bei der Preisgestaltung in die Karten schauen lassen. Weder Zalando noch die Versandapotheke Docmorris, der Autozubehör-Händler ATU oder der Reifen-Shop Tirendo möchten etwas zu ihrer Preisstrategie sagen – obwohl die Marktwächter-Studie die dynamische Preisgestaltung eindeutig belegt hat. Zalando beispielsweise änderte seine Preise von allen
16 beobachteten Händlern am häufigsten und am stärksten. Am billigsten war ein Testwarenkorb am Faschingsdienstag zu haben.
16 beobachteten Händlern am häufigsten und am stärksten. Am billigsten war ein Testwarenkorb am Faschingsdienstag zu haben.
Die Verschwiegenheit der Händler ist außer durch den Wettbewerbsdruck auch durch die Sorge um die eigene Reputation begründet. Denn Verbraucher sind zwar einerseits oft selbst auf der Suche nach den lohnendsten Schnäppchen, fühlen sich andererseits aber unfair behandelt, wenn sie die Preisschwankungen bemerken. Die Folge: Sie halten den Händler nicht mehr für zuverlässig und vertrauen ihm nicht mehr. Das gilt übrigens selbst für die Online-Shopper, die von einem günstigeren Preis profitiert haben, wenn auch in geringerem Maße.
2. Teil: „Wettbewerbshüter gegen KI“
Wettbewerbshüter gegen KI
Zudem ruft der vermehrte Einsatz von Pricing-Lösungen auf Basis von Künstlicher Intelligenz die Wettbewerbshüter auf den Plan. Die Monopolkommission, ein Beratungsgremium der Bundesregierung, warnt vor abgesprochenen Preisanpassungen durch IT-Lösungen. Im Webhandel erfolge die Preissetzung zunehmend über Algorithmen, heißt es im Hauptgutachten der Kommission vom Juli letzten Jahres. Diese Preisalgorithmen könnten jedoch die koordinierte Anpassung von Preisen automatisieren, indem sie ihre Preise selbstlernend an die von Wettbewerbern anglichen. Preisabsprachen seien daher einfacher und unauffälliger möglich als zuvor. Die Kommission empfiehlt, Verbraucherschutzverbänden das Recht einzuräumen, künftig eine kartellrechtliche Untersuchung bestimmter Sektoren initiieren zu können. Außerdem sollten ihrer Meinung nach IT-Dienstleister, die solche Algorithmen entwickeln, einer weitreichenden Haftung unterliegen.
Auch die Justizminister der Länder wollen Online-Händler per Gesetz zu mehr Transparenz beim Einsatz von Tools zur Preisgestaltung verpflichten. Der Handelsverband Deutschland (HDE) hingegen fordert, auf weitere Informationspflichten zu verzichten, die in der Praxis schwer umsetzbar seien und die Freiheit zur Preisgestaltung untergraben könnten.
Selbstlernende Algorithmen
Was auch immer die Politik künftig beschließen könnte – abschaffen lassen sich dynamisch generierte Preise wohl nicht mehr. Gleichzeitig steht die Entwicklung erst am Anfang, die Systeme werden immer leistungsfähiger und ausgeklügelter. Die erste Stufe der automatisierten Preisgestaltung waren sogenannte Repricing-Tools, die bis heute vor allem auf Marktplätzen wie Amazon und Ebay zum Einsatz kommen. Sie haben in erster Linie zum Ziel, die Preise der Wettbewerber im Auge zu behalten und den eigenen Preis entsprechend anzupassen.
Die dritte Stufe beinhaltet den Einsatz von Machine Learning und Künstlicher Intelligenz. Hierbei liegen Leistungskennzahlen des Unternehmens zugrunde, nach denen die Preisgestaltung optimiert werden soll. Das kann eine Gewinn- oder Umsatzmaximierung, eine Frequenz- oder eine Warenbestandsoptimierung sein. Der Preisalgorithmus lernt dann nach und nach für jeden Artikel, welcher Preis zu erzielen ist. Dabei fließen auch Daten wie Wetter, Feiertage oder Tageszeiten mit ein. Werden diese Preise mit den verfügbaren Daten eines einzelnen Online-Shoppers wie etwa Daten zu seinem Standort oder dem verwendeten Gerät verknüpft, bekommt er seinen persönlich errechneten Preis angezeigt.
Diese dritte Stufe ist allerdings noch nicht so weit verbreitet. Am häufigsten sind derzeit Preisveränderungen nach Tageszeit und Wochentagen zu beobachten. So senkten zum Beispiel die Autozubehör-Shops Tirendo.de und ATU.de der Marktwächter-Studie zufolge während einer Aktionswoche regelmäßig am Nachmittag die Preise, um sie am folgenden Vormittag wieder anzuheben.
Auffällig ist auch die Strategie der Online-Apotheken Docmorris und Sanicare. Sie senkten den Preis für einige Produkte, erhöhten ihn aber gleichzeitig für eine größere Zahl anderer Produkte. Prinzipiell lassen sich auf diese Weise leicht höhere Preise erzielen: Wenn etwa zwei häufig nachgefragte Produkte wie Erkältungsmittel billiger werden, können Artikel, die erfahrungsgemäß oft zeitgleich bestellt werden, teurer werden. Der Kunde wird noch immer das Gefühl haben, er habe insgesamt günstig bestellt, da er selten die Preise für alle Produkte vergleicht.
Die stationären Händler rüsten sich ebenfalls für die Zukunft: So setzt etwa die Parfümeriekette Douglas seit letztem Herbst eine Pricing-Lösung des Software-Herstellers Revionics ein.
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