DSGVO
08.07.2019
Datenschutz, Brexit & mehr
1. Teil: „Eine DSGVO-Amnestie wird es nicht geben“

Eine DSGVO-Amnestie wird es nicht geben

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Im Gespräch erklärt Rechtsanwältin Olga Stepanova, wie Unternehmen rechtliche Fallstricke bei aktuellen Themen wie der DSGVO, dem Brexit und dem Einsatz von Social Media umgehen.
Olga Stepanova ist Rechtsanwältin mit den Fachgebieten IT-Recht, Schutz des geistigen Eigentums (Intellectual Property) und Datenschutz bei Winheller Rechtsanwälte & Steuerberater in Frankfurt. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte umfassen das Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrecht. Im Datenschutzrecht berät sie insbesondere im Hinblick auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Sie analysiert die datenschutzrechtliche Compliance in Unternehmen und entwickelt Datenschutz-Management-Systeme und Konzepte zur IT-Sicherheit.
  • Olga Stepanova ist Rechtsanwältin im Bereich IT-Recht, Intellectual Property und Datenschutz in der Kanzlei Winheller in Frankfurt.
    Quelle:
    Winheller
Im Gespräch mit com! professional erklärt Olga Stepanova, wie Unternehmen rechtliche Fallstricke bei aktuellen Themen wie der DSGVO, dem Brexit und dem Einsatz von Social Media umgehen.
com! professional: Frau Stepanova, eine Frage, die sich nach einem Jahr DSGVO quasi aufdrängt: Wie sind Ihre Erfahrungen – sind die großen Klagewellen und die saftigen Strafen für Unternehmen ausgeblieben?
Olga Stepanova: Tatsächlich ist das erste Jahr, was die Klagewellen und Bußgelder anbetrifft, relativ ruhig verlaufen. Wir haben es mit einem völlig neuen, europäischen Gesetzeswerk zu tun. Auch die Abmahnvereine und Aufsichtsbehörden haben bisher Schwierigkeiten, Sachverhalte rechtlich korrekt einzuordnen. Es gab einige Abmahnungen wegen fehlender beziehungsweise fehlerhafter Datenschutzerklärungen, allerdings gibt es noch keine höchstrichterliche Entscheidung, ob Verstöße gegen die DSGVO etwa wettbewerbsrechtlich überhaupt abgemahnt werden können.
com! professional: Und wie sieht es seitens der Aufsichtsbehörden aus?
Stepanova: Diese waren bisher recht zurückhaltend bei der Sanktionierung. Vergleicht man den früheren Bußgeldrahmen des alten Bundesdatenschutzgesetzes, so konnte pro Verstoß ein Bußgeld in Höhe von maximal 300.000 Euro festgesetzt werden. Jetzt hat man eine veränderte Situation, weil die DSGVO in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anwendbar ist und die ersten Behörden damit angefangen haben, in einer erheblich höheren Größenordnung zu sank­tionieren.
Beispielsweise musste ein portugiesisches Krankenhaus allein 400.000 Euro dafür zahlen, dass zu viele Personen Zugriff auf Patientendaten hatten. In Frankreich musste Google 50 Millionen Euro zahlen, weil das Unternehmen seinen Informationspflichten nicht in transparenter Art und Weise nachgekommen ist und auch Zweifel an der Wirksamkeit der Einwilligungserklärung bestanden.
com! professional: Und wie sieht es bislang hier in Deutschland aus?
Stepanova: In Deutschland gab es laut einer Umfrage unter 14 der insgesamt 16 deutschen Landesdatenschutzbehörden bisher über 75 Fälle verhängter Bußgelder mit einem Gesamtvolumen von 449.000 Euro. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Abkehr von der zurückhaltenden Sanktions­praxis stattfindet und wesentlich höhere Bußgelder verhängt werden.
Tech Week
TechWeek Frankfurt
Am 13. und 14. November bündelt die von CloserStill Media veranstaltete TechWeek in Frankfurt sieben Events rund um die digitale Transformation, darunter Cloud Expo Europe, Cloud & Cyber Security Expo und Blockchain Technology World.
Olga Stepanova hält am 13. November um 14 Uhr im IoT Industry & Blockchain Theatre einen Vortrag mit dem Titel „3 reasons why Blockchain and GDPR are a perfect match“.
com! professional: Dann war die Hysterie in Sachen Datenschutz-Grundverordnung also übertrieben?
Stepanova: Das können wir gegenwärtig noch schwerlich abschätzen. Die DSGVO ist geltendes Recht, das zu befolgen ist. Unternehmen kommen auf keinen Fall um die Umsetzung herum. Insbesondere gehe ich davon aus, dass die Aufsichtsbehörden deutlich häufiger in Erscheinung treten werden, wenn sie sich sowohl fachlich als auch personell verstärkt
haben.
Die niedersächsische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Barbara Thiel, hat bereits im Sommer letzten Jahres einen Fragebogen an 50 zufällig ausgewählte Unternehmen verschickt, um nach dem Stand der Umsetzung der DSGVO zu fragen. Insofern ist die Marschroute ganz klar, eine Amnestie wird es nicht geben.
2. Teil: „Gefährdet der Brexit den Datenschutz?“

Gefährdet der Brexit den Datenschutz?

com! professional: Kaum haben sich die Unternehmen mit der DSGVO arrangiert, da droht auch schon der Brexit. Viele Unternehmen nutzen Cloud-Dienste in Großbritannien. Welche Folgen hätte ein ungeregelter Brexit für den Datenschutz in Unternehmen?
Stepanova: Sollte der Brexit tatsächlich ungeregelt ablaufen, hat die Europäische Kommission bereits angekündigt, dass Großbritannien nicht als sicherer Drittstaat eingestuft wird. Dies bedeutet, dass Daten nur aus der EU nach Großbritannien transferiert werden dürfen, wenn ausreichende Garantien vorhanden sind. Dies könnten im Einzelfall EU-Standardvertragsklauseln oder sogenannte Binding Corporate Rules (BCR) sein.
Die einfachste Lösung wären dabei die Standardvertragsklauseln, durch die letztlich eine Pflicht des in UK ansässigen Datenimporteuers begründet wird, die importierten Daten unter anderem ausschließlich nach den Weisungen des Datenexporteurs zu verarbeiten.
com! professional: Kann man sich als Unternehmen überhaupt auf einen Brexit vorbereiten?
Stepanova: Eine Vorbereitung ist möglich, indem man zunächst prüft, inwieweit ein Drittstaatentransfer überhaupt erforderlich ist. Kann man beispielsweise auf in der EU ansässige Cloud-Dienste zurückgreifen, wäre dies der einfachste Weg, weil dadurch der Drittstaatentransfer umgangen wird.
com! professional: Und wenn eine zum Unternehmen gehörende Gesellschaft in Großbritannien sitzt?
Stepanova: Dann wird es komplizierter und man sollte sich Gedanken über die angesprochenen Binding Corporate Rules machen. Diese sind zwar weitestgehend sicher, allerdings ist die Implementierung mit einem nicht zu unterschätzenden Personal- und Kosteneinsatz verbunden. Diese Lösung ist sinnvoll, wenn der Konzern bereits bestehende BCR auf Großbritannien ausweiten kann oder wegen seiner multinationalen Tätigkeit ohnehin geplant hat, diese einzuführen.
Man muss sich jedoch bewusst sein, dass die Implementierung eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, sodass man gegebenenfalls auf eine Zwischenlösung wie die Standardvertragsklauseln ausweichen muss.
Daneben gibt es noch ein paar Ausnahmetatbestände in der Datenschutz-Grundverordnung, die sich jedoch kaum dafür eignen, einen dauerhaften Datenexport nach UK sicherzustellen. Sie sind für Ausnahmefälle gedacht, beispielsweise Datenverarbeitung zum Schutz lebenswichtiger Inte­ressen, und gerade nicht für die routinemäßige Datenübermittlung.
com! professional: Ein ganz anderes Thema, das derzeit viele Unternehmen umtreibt, ist Social Media in der Kundenkommunikation. Vor welchen Herausforderungen stehen die Unternehmen? Müssen Kunden zum Beispiel darüber aufgeklärt werden, wenn sie mit einem Chatbot kommunizieren?
Stepanova: Eine gesetzliche Pflicht gibt es nicht. Jedoch empfiehlt es sich aus vielerlei Gesichtspunkten da­rüber aufzu­klären, dass ein Chatbot eingesetzt wird. In nichtjuristischer Hinsicht ist das wichtig, um die Erwartung des Kunden zu steuern, da dieser sich ärgern könnte, beispielsweise eine generische Antwort zu erhalten, wenn er denkt, es würde ein Mensch mit ihm kommunizieren.
com! professional: … und aus juristischer Sicht?
Stepanova: Aus juristischer Perspektive muss das Unternehmen zum Beispiel in der Datenschutzerklärung darüber informieren, dass je nach Einzelfall Profiling vorliegen kann. Dies kann der Fall sein, wenn der Chatbot nicht nur die Kundenanfrage beantwortet, sondern auch im Wege des Machine Learnings die Daten zur Verbesserung seiner Künstlichen Intelligenz nutzt. In den meisten Fällen wird eine solche weitergehende Verarbeitung nur auf Grundlage einer informierten Einwilligung des Kunden möglich sein, sodass man spätestens bei den Angaben zum Verarbeitungszweck über den Chatbot aufklären muss.
com! professional: Und wie sieht es mit den Daten aus? Dürfen vorhandene Kundendaten zur Kommunikation mit Chatbots verwendet werden, und dürfen die bei Chatbots anfallenden Kundendaten einfach gespeichert werden?
Stepanova: Beides ist möglich. Letztlich verbietet die DSGVO nicht die Datenverarbeitung, vielmehr ist ein Kernziel der Verordnung, den „free flow of data“ sicherzustellen – es geht darum, dass der Betroffene stets weiß, was genau mit seinen Daten passiert und wie diese verarbeitet werden. Stützt das Unternehmen die Verarbeitung auf eine passende Rechtsgrundlage und informiert es den Betroffenen auf eine transparente Art und Weise, Stichwort Datenschutzerklärung, ist die Verarbeitung rechtmäßig, sodass der Einsatz der Chat­bots keine gesonderte Problematik darstellt.
3. Teil: „Kundenkommunikation per Facebook und Twitter“

Kundenkommunikation per Facebook und Twitter

com! professional: Einige Firmen nutzen für ihren Chatbot den Facebook Messenger, zum Beispiel die Lufthansa. Viele Kunden sehen ihre Daten aber nur ungern bei Facebook …
Stepanova: Dies ist stets eine unternehmenspolitische Entscheidung, die gut überlegt sein sollte. Man muss natürlich auch bedenken, dass viele Kunden dennoch Facebook nutzen, auch wenn sie ihre Daten nur ungern dort sehen.
Ich denke, es ist schon ein Erfolg der Datenschutz-Grundverordnung, dass Kunden überhaupt sensibel für das Thema sind. Der Einsatz in datenschutzrechtlicher Hinsicht stellt kein Problem dar, sofern der Betroffene ordnungsgemäß über den Einsatz des Chatbots via Facebook informiert wird, so wie es die Lufthansa getan hat.
com! professional: Bleiben wir noch kurz bei der Kundenkommunikation per Facebook oder Twitter. Der Einsatz von Social Media ist für Unternehmen doch immer auch eine Art Gratwanderung zwischen freier Meinungsäußerung der Mitarbeiter und der Angst vor einem Shitstorm …
Stepanova: Der Einsatz von Social Media bietet eine gute Gelegenheit, sich bei einem breiten Publikum vorzustellen und mit gezielten Aktionen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, die bestenfalls in Kundenbeziehungen münden. Die Kehrseite eines Auftritts in sozialen Netzwerken ist natürlich, dass man einem lawinenartigen Auftreten negativer Kritik ausgesetzt werden kann, weil die Plattform es ermöglicht, viel einfacher mit dem Unternehmen zu interagieren.
Was die freie Meinungsäußerung der Mitarbeiter anbetrifft, so findet diese ihre Grenzen in der Loyalitätspflicht zum Arbeitgeber. Sie kann durch Schmähkritik oder die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht im Internet zu einer arbeitsrechtlichen Sanktionierung führen, beispielsweise Kündigung oder Abmahnung. Hier genügt es schon, wenn sich der Mitarbeiter durch einen Klick des Facebook-„Gefällt mir“-Buttons gegenüber dem Unternehmen abfällig äußert oder dessen Reputation erheblich schädigt. Das kann zum Beispiel auch dadurch erfolgen, dass auf der eigenen Pinnwand ein den Arbeitgeber beleidigender Beitrag gepostet wird, wenn er öffentlich oder zumindest für eine Vielzahl von Facebook-Nutzern, darunter Arbeitskollegen, sichtbar ist. Insofern ist stets Vorsicht geboten, im Zweifel ist es immer besser, die Privatsphäre-Einstellungen anzupassen, damit der Arbeitgeber entsprechende Posts gar nicht erst sieht.
com! professional: Welche weiteren rechtlichen Fallstricke birgt der Einsatz von Social Media?
Stepanova: Dies fängt beim Datenschutz an und geht über das Wettbewerbsrecht bis hin zum allgemeinen Zivilrecht. Aufgrund der hohen Regelungsdichte müssen Unternehmen zusehen, dass sie die Bestimmungen des Telemediengesetzes einhalten und beispielsweise auch auf ihrer Facebook-Fanpage ein Impressum einpflegen. In datenschutzrechtlicher Hinsicht ist es etwa erforderlich, Verträge über die gemeinschaftliche Verantwortlichkeit abzuschließen, und darauf zu achten, dass man Chat-Verläufe nach Zweckerreichung und dem Ablauf etwaiger Aufbewahrungsfristen löscht. Zu den Face­book-Fanpages gibt es auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
com! professional: Wie verändern neue Technologien wie Chatbots oder Künstliche Intelligenz eigentlich Ihre Arbeit als Rechtsanwältin, Stichwort Legal Tech?
Stepanova: Ich bin mir sicher, dass die neuen Technologien den anwaltlichen Tätigkeitsbereich stark verändern werden. Wir sehen jetzt schon, wie viele Lösungen für Verbraucher entwickelt wurden, um den Zugang zum Recht zu erleichtern. Als Beispiel wären hier die automatisierten Flugentschädigungsplattformen zu nennen.
Daneben entstehen Technologien, die Rechtsanwälten den Arbeitsalltag dadurch erleichtern, dass sie diejenigen Zwischenschritte übernehmen, die nicht notwendigerweise eine anwaltliche Tätigkeit erfordern. Ich sehe hier ganz klar mehr Chancen als Risiken, weil es beispielsweise nicht vonnöten ist, jeden Standardvertrag eigenhändig zu schreiben und dadurch „das Rad neu zu erfinden“. Was früher durch Zuhilfenahme von Musterhandbüchern praktiziert wurde, wird jetzt noch effektiver. Die Software denkt mit und pflegt eigenständig Namen oder Adressen ein. Um ehrlich zu sein, macht es auch viel mehr Spaß, sich spannenden Rechtsfragen zu widmen, als die mühsame, wenig fordernde, aber erforderliche Arbeit zu verrichten, die gute Legal-Tech-Anwendungen ohnehin schneller und besser erledigen. Legal Tech ist insofern kein Ersatz, sondern Hilfsmittel für Rechtsanwälte.
com! professional: Wie sieht es in der Praxis aus – setzen Sie bei Ihnen in der Kanzlei schon auf neue Technologien wie KI?
Stepanova: Wir nutzen schon seit mehreren Jahren Legal Tech, um unsere Arbeit effizienter zu machen. Dies fängt bei den einfachen Tools wie der automatisierten Erstellung von Standardverträgen an und geht über automatisierte Auswertungen von Transaktionsdaten von Kryptowährungswallets und -börsen zwecks Erstellung von Steuererklärungen für Kryptohändler bis zum Einsatz eines Algorithmus, der automatisiert Markenverletzungen im Internet ausfindig macht.
Man muss sich vergegenwärtigen, dass es Tätigkeiten gibt, die KI beziehungsweise Legal Tech besser und schneller durchführen können als der Mensch. Zum Beispiel kann der erwähnte Algorithmus in Sekundenschnelle aufgrund vorgegebener Matrizen Markenrechtverletzungen identifizieren und eine punktgenaue Analyse aufbereiten. Ein Mensch würde hierfür vielleicht mehrere Tage benötigen.
com! professional: Sie halten im November auf der TechWeek in Frankfurt den Vortrag „3 reasons why Blockchain and GDPR are a perfect match“. Datenschutz und Blockchain schließen sich nicht aus?
Stepanova: Ich stelle Lösungen und Ansatzpunkte vor, die je nach Einsatzbereich in Betracht kommen könnten. Da­bei geht es um die verschiedenen Blockchain-Arten und um die jeweils dafür passenden Lösungen. Es geht mir darum, aufzuzeigen, dass es Möglichkeiten gibt und Unternehmen sich nicht durch den weit­verbreiteten Mythos, dass Datenschutz in der Blockchain nicht funktioniert, bremsen lassen sollten.

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