Digitalisierung
04.12.2017
Digitale Transformation
1. Teil: „Digitalisierung verunsichert den Mittelstand“

Digitalisierung verunsichert den Mittelstand

Menschen sitzen um einen TischMenschen sitzen um einen TischMenschen sitzen um einen Tisch
shutterstock.com/Yan Lev
Viele Mittelständler betrachten die Digitalisierung als ein Thema der IT-Abteilung. Ein Fehler, denn sie umfasst sämtliche Unternehmensbereiche. Das Marketing nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein.
Das Bundeswirtschaftsministerium gab zuletzt Entwarnung. In einem aktuellen Report wies Staatssekretär Matthias Machnig darauf hin, dass es mit der Digitalisierung der heimischen Wirtschaft bergauf geht. Ob in Großunternehmen oder mittelständischen Firmen: Überall seien Fortschritte festzustellen. Dennoch bleibe viel zu tun, die Potenziale, die sich im Zuge der Transformation ergeben, würden längst nicht ausgeschöpft.
Vor allem im Mittelstand, dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft, liegt viel brach. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat soeben eine Studie vorgelegt, die den Status quo bei den kleineren Firmen detailliert beschreibt. Danach gilt etwa ein Drittel des deutschen Mittelstands als „Nachzügler“; bei ihnen bestehen Defizite selbst in der grundlegenden digitalen Infrastruktur, wie einer eigenen Website oder einer Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Software. Deutlich wird dies auch bei Aussagen, die Social-Media-Kanäle betreffen. Nicht einmal jeder dritte Mittelständler hat dort ein eigenes Profil.

Mittelständler müssen auf digitale Überholspur

Die Unternehmensberatung McKinsey kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Sie ließ eine Befragung durchführen, wonach zwar jedes zweite Unternehmen den eigenen Digitalisierungsgrad hoch einschätzt, das Thema gilt aber intern als eines, das vor allem die IT-Abteilung angeht. "Viele Unternehmen sehen die Digitalisierung immer noch als IT-Phänomen und reines Mittel zur Produktionsverbesserung", sagt Niko Mohr, Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey. Dabei sei das Thema viel umfassender. Man müsse neue Geschäftsfelder erschließen, die Organisation anpassen und die Unternehmenskultur runderneuern. Mohr: "Die Mittelständler müssen auf die digitale Überholspur wechseln, um im Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren."
Mit solchen Aussagen wird natürlich auch für das eigene Business getrommelt. Denn längst haben Consulting-Firmen - und nicht nur sie - erkannt, dass hier erhöhter Beratungsbedarf besteht. Die Telekom beispielsweise schreibt dem Bereich ebenfalls viel Potenzial zu und bietet kleinen Betrieben unter so klangvollen Namen wie "MagentaBusiness POS" Lösungen an, die Geschäftsprozesse durchgängig digitalisieren.
Vermarkter wie United Internet Media sehen den Mittelstand ebenfalls als potenziellen Kunden und haben eine Art Baukasten entwickelt, mit dem sich kleinere Firmen ihre Display-Anzeigen selbst basteln können. "Mittelständler, die in ihrem Betrieb nicht über die Ressourcen oder das Know-how verfügen, können sich nach dem Do-it-yourself-Prinzip Werbemittel in wenigen Minuten in verschiedenen Formaten zusammenstellen", sagt Rasmus Giese, CEO von UIM.
2. Teil: „Investitionsbereitschaft ist schwach“

Investitionsbereitschaft ist schwach

"Gerade das Marketing ist ein zentrales Spielfeld der Digitalisierung und Mittelständler tun sich hier oft schwer", bestätigt  Robert Jacobi, Managing Director, The Nunatak Group. "Heute ist es aber entscheidend, mit datengetriebenen Ansätzen bestehende Kunden öfter zu erreichen und neue Leads zu gewinnen." Das Problem: Dafür sind Investitionen in nicht vorhandene oder veraltete CRM-Systeme erforderlich, ebenso wie viel personelles Know-how für das Lead-Management. Das alles kostet eine Menge Geld.
  • Mittelständler sehen sich angesichts der Digitalisierung zahlreichen Problemen ausgesetzt. Das größte ist der Mangel an IT-Kompetenz im Haus.
Die dafür nötige Investitionsbereitschaft ist jedoch nur gering ausgeprägt. Knapp die Hälfte der Mittelständler gibt im Jahr weniger als 10.000 Euro für die Digitalisierung aus. Nur jedes zehnte Unternehmen lässt 40.000 Euro oder mehr springen. Hochgerechnet, so fasst dies das ZEW ernüchtert zusammen, investiert der deutsche Mittelstand also etwa 10 Milliarden Euro im Jahr in die Erweiterung und Verbesserung der Digitalisierung. Eine Fahrt auf der digitalen Überholspur ist das nicht gerade.
Wer allerdings die Ausgabebereitschaft kritisiert, verkennt die Mentalität des Mittelstands, die ihn letztendlich so stark ­gemacht hat. Der Unternehmer investiert gerne, wenn er fest mit einem Ertrag rechnen kann. Doch den hohen Ausgaben, die im Übrigen sofort anfallen, steht eine ­unsichere Zukunft in weiter Ferne gegenüber. Keiner kann derzeit genau sagen, in welche Richtung sich die Geschäfte entwickeln und welche technischen Entwicklungen sich durchsetzen. Die jüngere Wirtschaftsgeschichte ist voll mit Beispielen von Unternehmen, die plötzlich von Start-ups überrollt wurden, weil diese mit überraschenden Businessmodellen ums Eck kamen und jahrzehntelang bewährte Geschäftsideen überflüssig machten.

Unsicherheit führt zu halbherzigen Entscheidungen

Diese Unsicherheit führt zu halbherzigen Entscheidungen. So wird häufig nur punktuell in die Digitalisierung investiert, um das Invest überschaubar zu halten. Das aber kann nach Ansicht von Experten nicht funktionieren. Die Digitalisierung betrifft schließlich die gesamte Wertschöpfungskette: von der Anschaffung neuer Software bis hin zur Einstellung von Digital-Spezialisten.
Dabei fehlt es nicht an ermutigenden Prognosen. McKinsey hat errechnet, dass sich bis zum Jahr 2025 ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von 126 Milliarden Euro ergibt, wenn sämtliche Mittelständler in Deutschland die Chancen der Digitalisierung konsequent nutzen. Zudem haben Mittelständler durchaus einige Startvorteile. Inhaber können Entscheidungen schneller treffen als Manager in Großkonzernen, wo man sich gerne in Endlos-Meetings verzettelt und mit anderen Abteilungen mühsam Kompromisse aushandeln muss. Eine kleinere Unternehmensgröße erlaubt auch ­einen schnellen Informationsaustausch. Und: Eigentümer denken strategisch, während Entscheider in Großunternehmen oft einer kurzfristigen Agenda folgen, um Investoren zufriedenzustellen.
Ein Nachteil in diesem Wettbewerb ist der Standort. Mittelständler, die in der Provinz beheimatet sind, tun sich oft schwer damit, digitale Talente anzulocken. Die zieht es meist in die großen Städte, dorthin, wo die großen IT-Konzerne sitzen. Auch beim Recruiting ist also Einfallsreichtum gefragt - keine einfachen Zeiten für den Mittelstand.­­­­

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