E-Commerce
20.02.2020
Voice Marketing
1. Teil: „Digitale Assistenten als Stimme für die Marke“

Digitale Assistenten als Stimme für die Marke

Amazon EchoAmazon EchoAmazon Echo
Amazon
Sprachbasierte Assistenten boomen. Siri, Alexa oder der Google Assistant ermöglichen es Unternehmen, Kunden auf neuen Wegen zu erreichen. Müssen Produkte und Services jetzt sprechen lernen?
Im Februar 2019 stellte das Kreditkartenunternehmen Mastercard seine akustische Markenidentität vor. Die Mastercard-Melodie soll in den Ohren der Konsumenten vertraut klingen und die Präsenz der Marke verstärken. Die Melodie dient als Grundlage für die Soundarchitektur des Unternehmens. Davon ausgehend soll es künftig Soundlogos und Klingeltöne bis hin zu Musik und Akzeptanztönen am Point of Sale geben. Raja Rajamannar, Chief Marketing und Communications Officer bei Mastercard, ist überzeugt, dass Klang künftig eine wichtige Komponente beim Wiedererkennen der Marke spielen wird, unter anderem auch deshalb, weil Voice-Shopping (sprachgesteuerte Einkäufe) im Kommen ist.
  • Voice Interoperability Initiative: Amazon setzt sich dafür ein, dass Nutzer auf einem Gerät mit verschiedenen Sprachassistenten interagieren können.
Wahrscheinlich wird es noch einige Jahre dauern, bis Menschen tatsächlich viele Alltagsaufgaben wie Einkaufen über Sprachinteraktion erledigen werden. Denn die digitalen Assistenten sind heute noch nicht sehr schlau. Sie finden Antworten auf einfache Fragen, können aber keine echten Dialoge führen. Das Ver­trauen der Konsumenten in die digitalen Sprachassistenten dürfte zudem einen Dämpfer erhalten haben, seit bekannt wurde, dass Apple, Google und Amazon auswerten ließen, wie Konsumenten mit den smarten Lautsprechern umgehen.
Amazon arbeitet jedoch mit Hochdruck an der Verbreitung der smarten Assistenten. Der E-Commerce-Gigant hat gerade eine ganze Reihe neuer Echo-Geräte mit integrierter Sprach­erkennung vorgestellt und die „Voice Interoperability Initiative“ präsentiert. Ihr Ziel ist, dass künftig mehrere Sprachassistenten nebeneinander auf einem Gerät genutzt werden können. Über 30 Unternehmen, darunter BMW,
Salesforce, Spotify und Microsoft, haben sich der Initiative bislang angeschlossen. Die Richtung ist klar: Die Kunden sollen dazu motiviert werden, digitale Assistenten in ihren Alltag zu integrieren.
Auch wenn also nicht gleich in allen Haushalten ein smarter Lautsprecher stehen wird, werden Menschen künftig häufiger als heute alltägliche Aufgaben im ­Auto oder unterwegs mit mobilen Geräten über ihre Stimme und mit Spracheingabe erledigen. Und da, wo die Aufmerksamkeit der Menschen ist, wollen auch Unternehmen mit ihren Marken sein.

Akustische Identität

Das ist ein Grund, warum sich Unternehmen eine akustische Markenidentität ­geben. Mastercard erklärt, dass Klang eine neue Dimension der Verbindung zwischen Marken und Verbrauchern schaffe. „Klang lässt Menschen bestimmte Dinge fühlen, und das macht ihn zu einem so interessanten Medium für Marken“, bestätigt Matt Lieber, Mitgründer des Podcast-Netzwerks Gimlet Media. Er argumentiert, dass eine akustische Identität für Marken genauso wichtig sei wie eine visuelle Identität. „Mit der Verbreitung von Podcasts, Musik-Streaming und intelligenten Lautsprechern ist eine Audio-Strategie für Marken kein Nice-to-have mehr, sondern eine Notwendigkeit“, betont er.
Dass Marken Klänge und Soundlogos nutzen, damit Menschen sie oder ihre Produkte wiedererkennen, ist nicht neu. Jeder weiß, wie ein Mac-Rechner klingt, wenn er eingeschaltet wird. Im Youtube-Video „Sonic Branding Coca-Cola“ wird erklärt, warum und wie die Getränkemarke die Sound-Si­gnatur „Taste the Feeling“ ent­wickelt hat. Radiowerbung und Musik-Jingles gibt es in Deutschland seit den 1920er-Jahren. Was ändert sich jetzt mit der Verbreitung der smarten Lautsprecher und den darin eingebauten Spracherkennungssystemen wie Amazon Echo ­(Alexa), Google Home (Google Assistant), Micro­softs Cortana oder Apples Siri?
2. Teil: „Voice-Marketing“

Voice-Marketing

Es ist sinnvoll, bei der Antwort auf diese Frage zwischen Voice-Marketing und Voice-Advertising zu unterscheiden. Voice-Marketing bezieht sich darauf, digitale Inhalte von Unternehmen zu „vertonen“, um sie über Sprache abrufbar zu machen. Der Gedanke dahinter: Wenn Menschen zunehmend über Sprache mit der digitalen Welt interagieren, bedeutet das, dass die Inhalte der digitalen Welt auch in natürlicher Sprache ausgegeben werden müssen. Bezogen auf das Marketing heißt das: einem Produkt oder einem Service das Sprechen beizubringen - und zwar möglichst so, wie gesprochene Sprache klingt. Zum Voice-Marketing gehört beispielsweise auch das Entwickeln eines ­Alexa Skills oder einer Action (Anwendung) für den Google Assistant.
Felix Zirkler, Mitgründer und Geschäftsführer von Dialogue Tech FMC in Hamburg, geht davon aus, dass sich Voice-Marketing künftig zu einer „Pflichtauf­gabe“ entwickeln wird. Dialogue Tech ist auf „Conversational Commerce“ spezialisiert und hat eine „Dialogue Engine“ für Shops entwickelt. Zirkler blickt also aus der Handelsperspektive auf Voice-Marketing und vergleicht es mit der Internetsuche. Nur wenige Marken können sich heute ­erlauben, keine Suchmaschinenoptimierung oder kein Suchmaschinenmarketing zu betreiben, argumentiert er. Mit der zunehmenden Verbreitung und der Nutzung sprachbasierter Assistenzsysteme werde dies für den Kanal Voice nicht anders sein. Für Marken gehe es darum, bei Anfragen über smarte Assistenten präsent im Sinn von „auffindbar“ zu sein.
Frank Bachér, Geschäftsführer Digitale Medien beim Audiovermarkter RMS, ergänzt, dass sich Nutzerinnen und Nutzer in dieser neuen „Audiosphäre“  gezielt über die ­Angebote von Unternehmen informieren und sie sprachbasiert abrufen können. 

Voice-Advertising

Audio-Werbeformate, die mit Sprach­interaktion spielen, sind ein Teil von Voice-Marketing. Frank Bachér beobachtet, dass sich aktuell Voice-Advertising als Marketing-Instrument entwickelt. In der Vermarktung müssten nun Lösungen entstehen, die sowohl von der Technologie, nämlich der Spracherkennung, als auch von den Geräten, den smarten Speakern, Gebrauch
machen.
Bachér erklärt, was sich prinzipiell an Audio-Werbung durch die smarten Lautsprecher ändert: „Mit dem Einsatz von Sprachtechnologie ist es nun erstmals möglich, direkt mit einem Spot zu interagieren. Die Stimme ersetzt den Klick [auf das digitale Werbemittel, Anm. der Red.] und macht Audio zum interaktiven, rückkanalfähigen Medium.“ Eine Folge, die Werbungtreibende erfreulich finden dürften: Audio-Werbung wird über Voice messbar, wenn die Zuhörer sprachlich auf Inhalte reagieren.
Die Stimme wird in Zeiten der smarten Assistenten die zentrale Verbindung zu Nutzern, die über Sprache im Internet ­suchen, Inhalte abrufen oder vielleicht auch einkaufen. Deshalb ist Thomas ­Kabke-Sommer, Geschäftsführer von Crossplan Deutschland, überzeugt, dass Marken eine Stimme brauchen: „Die Erlebbarkeit einer Marke wird dadurch dominiert, wie sie im Ohr des Konsumenten klingt.“ Und auch dadurch, welchen Mehrwert sie über die Skills der Sprachassistenten schafft, schiebt der Chef des digitalen Werbedienstleisters für Radiosender nach.
Die Frage, die sich daran anschließt, formuliert Bachér von RMS: „Wie soll meine Marke eigentlich klingen?“ Marken brauchen eine „Audio Identity“, also eine akustische Identität, meint er, „die über ein Soundlogo hinausgeht“. Sie umfasst Stimme, Ton, Sprachstil und harmoniert mit dem gesamten Markenauftritt.
Das ist keine leichte Aufgabe. Deshalb verwundert es nicht, dass seit gut ­einem Jahr die ersten Voice-Beratungsagenturen neue Geschäftsmöglichkeiten ausloten. So hat das Agenturnetzwerk Mind­share, Teil der Werbeholding WPP, im Oktober 2018 eine Beratung mit Fokus auf „Voice und Visual Services“ gegründet. Und die britische Beratungsagentur Voiceworks hat im Juli 2019 die Arbeit aufgenommen. Sie schreibt sich „Voice first“ auf die Fahnen und bietet Kunden eine Fullservice-Beratung mit Fokus auf Voice Tech, Voice Search, Audio-Content und Audio-Branding.
Auch in Deutschland beschäftigen sich Berater und Entwickler bereits mit Alexa Skills, Google Actions, Voice-Marketing oder Conversational Commerce. Ihr ­gemeinsames Ziel: Wege zu finden, wie Unternehmen oder Händler auf Sprachbasis mit Kunden kommunizieren können. Marketing über digitale Assistenten ist ein unbeackertes Feld. Alles ist gerade erst im Entstehen. Die Möglichkeiten, wie Unternehmen mit Konsumenten über smarte Lautsprecher interagieren können, werden noch ausgelotet.
Über die Stimme und das Gehör genau die Emotionen zu wecken, die das Marken­erlebnis bestimmen sollen, sei eine ­der wesentlichen Herausforderungen im Voice-Marketing, betont Thomas Kabke-Sommer. Wichtig sei auch, den Nutzer barrierefrei durch das auditive
Menü zu führen.
Made in Germany
Die Fraunhofer-Institute für Inte­grierte Schaltungen (IIS) und für Intelligente Analyse- und Infor­mationssysteme (IAIS) entwickeln gemeinsam mit Partnern eine Sprachassistenzplattform für Business-to-Business-Anwendungen. Unternehmen sollen einzelne Technologiemodule der Lösung nutzen und für ihre Zwecke anpassen können. Das Projekt läuft unter der Bezeichnung „Speaker“. Die Fraunhofer-Institute sehen einen großen Bedarf in Industrie und Wirtschaft an Sprach­assistenzanwendungen, doch mit Lösungen aus dem Ausland seien europäische Standards der Datensicherheit nicht umzusetzen, betonen sie.
3. Teil: „Herausforderungen“

Herausforderungen

  • Branding zum Reinbeißen: Mastercard hat sich Macarons kreieren lassen, um die Markenidentität geschmacklich erlebbar zu machen.
    Quelle:
    Mastercard
Bachér weist auf eine ganz praktische ­Hürde hin, die viel mit Vertrauen zu tun hat: Wenn Nutzer bei Voice-Advertising mit einer Kampagne interagieren sollen, müssen sie vorher das Mikrofon freischalten. Damit sie dazu bereit sind, muss ihnen die Anwendung einen Mehrwert liefern.
Felix Zirkler nennt als große Herausforderung die Datenqualität: Natürliche Sprache ist abwechslungsreich, kreativ, formt schnell neue Wörter und ist deshalb aus technischer Sicht „uneindeutiger“. Als Beispiele aus dem Modebereich nennt er Modetrends wie „Hipster Look“ oder „Urban ­Military“. Damit Kunden eine Antwort ­erhalten, wenn sie nach solchen neuen ­Begriffen suchen, müssen diese vorher bei den jeweiligen Artikeln hinterlegt worden sein. Und genau da wird es schwierig.
Der Geschäftsführer von Dialogue Tech findet die Frage, ob Marken eine Stimme brauchen, zu undifferenziert. „Was bedeutet Stimme in diesem Kontext? Wenn wir die enge Aus­legung nehmen, also den Klang, Intonation und Rhythmus, dann dürfte es schwer werden, in den gängigen Sprachassistenzen eine eigene Charakteristik zu entwickeln.“ Begründung: Amazons Alexa oder Google Assistant verwenden die Stimmen, die ihnen die Konzerne und deren Entwickler gegeben haben. Unternehmen haben keinen Einfluss darauf.Wenn mit „Stimme“ jedoch auch die Wortwahl, die Wiedergabe einer bestimmten Stimmung oder andere Merkmale gemeint seien, lasse sich die Frage einfach mit einer Gegenfrage beantworten: Wer könne es sich leisten, keine Stimme zu haben?
Mastercard ist übrigens beim sensorischen Erleben noch einen Schritt weitergegangen: Zum Sehen und Hören der Markenidentität ist jetzt noch das Schmecken hinzugekommen. Gerade hat das Unternehmen „The First Taste of Priceless“ vorgestellt, zwei neu kreierte Macarons in den Farben des Mastercard-Logos.

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