Business-IT
10.04.2019
Neue Betriebsmodelle
1. Teil: „Digital Native Enterprises “

Digital Native Enterprises

Geld kommt aus SmartphoneGeld kommt aus SmartphoneGeld kommt aus Smartphone
Montri Nipitvittaya / shutterstock.com
Umsatzquellen, Kundenwünsche und Technik verändern die Wirtschaft. Um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein, müssen Unternehmen sich mit neuen digitalen Betriebsmodellen auseinandersetzen.
Dieser Beitrag wurde erstellt von Matthias Zacher, Manager Research & Consulting bei IDC.
  • Matthias Zacher: Manager Research & Consulting bei IDC
    Quelle:
    IDC
Zahlreiche Unternehmen sind bereits digital disruptiert, und zwar unabhängig von Branche und geografischer Präsenz - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.
Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zählt deshalb zu den drei größten He­rausforderungen, vor denen Top-Level-Entscheider heute stehen, wie unsere Befragungen der letzten Monate aufzeigen.
Um für die Zukunft gewappnet zu sein, müssen Unternehmen gewissermaßen zu Digital Natives werden, genauer zu Digital Native Enterprises, für die digitale Disruption zum Alltagsgeschäft zählt.
Ein Digital Native Enterprise ist in der Lage, seine Aktivitäten zu skalieren und in einem Tempo Neues zu schaffen, das um ein Vielfaches höher ist als bei traditionellen Unternehmen. Es wird von einem kundenorientierten und leistungsfähigen Team geleitet, das sich der Risikobereitschaft verschrieben hat, um kontinuierlich Innovationen voranzu­treiben.
Technologie und Daten sind das Herzstück eines Digital Native Enterprise, das effizientere Abläufe, neue Umsatzquellen und Kundenbindung fördert. Zudem verfolgt das Unternehmen einen „Outside in“-Ansatz. Es nutzt sein Ökosystem von Stakeholdern - bestehend aus Kunden, Partnern, Mitarbeitern und der Gesellschaft -, um seine Angebote und sogar sein Geschäfts­modell auf dynamische Weise zu entwickeln. Das erfordert neue Betriebsmodelle, von denen hier fünf skizziert werden.

Personalisierung wird zur Regel

Dieses Modell ist besser bekannt als das des „Customer Experience Engagements“. Konsumenten wollen in zunehmendem Maß ihr Kundenerlebnis in die Hand nehmen. Sie wollen ihre eigenen maßgeschneiderten Produkt- und Service-Bundles entwickeln und auswählen. Personalisierung in großem Stil wird in der digitalisierten Wirtschaft über kurz oder lang zur Regel werden.
Hier lohnt der Blick über die Grenze. Ein Beispiel ist etwa der US-amerikanische Pizza-Mogul Domino’s. Die Plattform ermöglicht es den Kunden, individuelle Pizzen auf der Grundlage der verfügbaren Zutaten zu kreieren. Dieses Co-Innovationsmodell, bei dem die Kunden die Kontrolle über das Endprodukt haben, wird von Domino’s belohnt. Für jede verkaufte Pizza erhält ihr „Erfinder“ in den USA oder auch in Aus­tralien eine Beteiligung von bis zu 3 Dollar.

Sharing Economy

Das mit Abstand am weitesten verbreitete Modell von Digital Native Enterprises ist die sogenannte Sharing Economy. Die Angebote können von einem Unternehmen oder von Peer-to-Peer-Netzwerken über eine kollaborative Konsum­plattform bereitgestellt werden. Das Paradebeispiel dieses Konzepts sind - bei allem Für und Wider - Bike­sharing-Systeme wie PubliBike, Velospot oder Smide.
Bei der gemeinsamen Nutzung von Gütern und Diensten können auch die unternehmenseigenen mit privaten Ressourcen ergänzt werden, um Schwankungen von Nachfrage und Angebot auszugleichen. So können etwa bei der Carsharing-Plattform Sharoo Privatpersonen und Firmen ihre Autos an Sharoo-Kunden verleihen und erhalten eine Gebühr, die sie mit dem Plattformbetreiber aufteilen.
2. Teil: „Kapital durch Daten“

Kapital durch Daten

Internetgiganten sind die Erfinder des Konzepts, mit den Informationen und digitalen Spuren ihrer Kunden Geld zu verdienen. Das versuchen immer mehr Unternehmen. Sie sind bestrebt herauszufinden, wie sie relevante Daten erfassen können, um Dritten nützliche Erkenntnisse zu liefern und dadurch für sich neue Einnahmequellen zu erschließen. Ein Produzent beispielsweise bettet IoT-Sensoren in Reifen ein und baut eine Plattform für Künstliche Intelligenz und Analytik, um die gesammelten Daten in nützliche Erkenntnisse umzuwandeln. Der Reifenhersteller verlagert also sein umsatzgenerierendes Modell des Reifenverkaufs hin zum Verkauf der Sensorinformationen.
Im Gegensatz zu einem Datenmonetarisierungsmodell geht es bei einem Datenkapitalisierungsmodell um die Generierung sogenannter Pull-through-Einnahmen. Alibaba und Tencent sind hierfür zwei prominente Beispiele. Alibabas Sesame Credit Platform verwendet Daten aus verschiedenen E-Commerce- und Business-Ökosystemen des Unternehmens, um die Bonität von Privatpersonen in China zu ermitteln. Inzwischen ist Sesame das am häufigsten verwendete Kredit­bewertungssystem des Landes. Tencent sammelt eine riesige Menge an Daten von seiner WeChat-Plattform, um an Informationen und auf diese Weise an die Portemonnaies der Verbraucher zu gelangen. Eine Erweiterung dieser datengestützten Geschäftsmodelle sind die intelligenten Verbrauchs- und Preisangebote.
Die Versicherungswirtschaft setzt diese Angebote in den Bereichen verhaltensbasierter oder aktionsbasierter Prämiengestaltung um. Die Prämie wird etwa auf der Grundlage des Verhaltens eines Fahrers angepasst. Krankenkassen wiederum richten sich zunehmend nach dem Lebensstil der Versicherten. So gibt es bereits Modelle, bei denen Kunden Rabatte erhalten, wenn sie Fitness-Tracker tragen und anhand der Aufzeichnungen belegen können, dass sie sich regelmäßig bewegt haben.

User-Engagement

Dieses Modell ist ein interessanter Ansatz für progressive Unternehmen auf dem Weg zum Digital Native Enterprise. Der Sportartikelhersteller Under Armour ist mit seiner Connected-Fitnessplattform ein Paradebeispiel hierfür. Anstatt sich nur auf die eigenen Kunden zu konzentrieren, dehnt das Unternehmen die Customer Journey auf Kunden seiner Mitbewerber aus. Sportler können Bekleidung aller Anbieter tragen, setzen aber für das Erreichen ihrer sport­lichen Ziele die Fitness-Apps von Under Armour ein.
Letztlich basiert das Modell auf der Gewinnung, Rekrutierung und Bindung von Nutzern eines bestimmten Markts statt nur eines bestimmten Produkts oder Services. Durch seine Plattform erhält das Unternehmen umfassende Erkenntnisse über Anwender und kann neue Ansätze entwickeln, um Nutzer als Kunden für seine Bekleidung zu gewinnen.
3. Teil: „Geld nur bei Genesung“

Geld nur bei Genesung

Dies ist eines der am schwierigsten zu beherrschenden Modelle, weil dessen Ergebnisse subjektiv und daher schwer messbar sind. In der B2B-Welt sehen wir dieses Modell bevorzugt bei ICT- und Beratungsdienstleistern. Die direkte Verknüpfung einer Dienstleistung beziehungsweise eines Produkts mit einem Business Outcome bestimmt, wie der Preis festgelegt wird. Der Anbieter wird bezahlt und der Service oder das Produkt verbraucht.
Ein extremes Beispiel ist ein privater Gesundheitsdienstleister in Südostasien, der ein Tarifmodell testet, bei dem die Patienten nach dem Grad ihrer Genesung abgerechnet werden - anstatt wie üblich nach der Art der erbrachten medizinischen Dienstleistungen.

Frühzeitig die Weichen stellen

Die skizzierten Geschäftsmodelle der Zukunft erfordern moderne technische Konzepte wie Mobility, Cloud, Big Data und Analytics, aber auch Künstliche Intelligenz oder das Internet of Things - stets flankiert von dazugehörigen Sicherheitsmaßnahmen, damit die genannten Technologien auch reibungslos funktionieren und das Business unterstützen können.
Das ganzheitliche Verständnis von Kunden- und Datenschutzbestimmungen ist ebenfalls wichtig, um sicherzustellen, dass die „Future of Commerce“-Modelle in die relevanten Geschäftsprozesse integriert werden können. Das erlebnisorientierte Element verlangt natürlich, dass die IT die Voraussetzung für die User Experience (UX) der Zielkunden und auch der eigenen Mitarbeiter schaffen muss.
Nicht alle aufgezeigten Beispiele sind gleichermaßen auf jedes Land übertragbar. Aber darum geht es auch gar nicht. Es geht vielmehr darum, Anregungen zum Verlassen ausgetretener Pfade zu geben.
Der amerikanische Ökonom Gary Hamel, Gastprofessor an der London Business School, sagte einmal: „Unternehmen scheitern daran, die Zukunft zu gestalten. Nicht weil sie diese nicht vorhersagen können, sondern weil sie sich sie nicht vorstellen können.“ Recht hat er. Beweisen Sie Weitsicht und kultivieren Sie Ihre Vorstellungskraft. Sie werden sie brauchen.

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