Internet der Dinge
20.02.2019
Oliver Niedung von Microsoft
1. Teil: „Deutschland ist Vorreiter beim IoT“

Deutschland ist Vorreiter beim IoT

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buffaloboy / Shutterstock.com
Oliver Niedung von Microsoft erklärt die IoT-Strategie der Redmonder für deutsche Unternehmen. Der Konzern bietet mit seiner Azure-Plattform ein breites Sortiment an IoT-Tools an.
Nach der Cloud ist das Internet of Things (IoT) für viele Unternehmen und Anwendungsszena­rien der nächste Schritt der Digitalisierung. Microsoft bietet mit seiner Cloud-Plattform Azure ein ganze Reihe Tools für das IoT an.
Oliver Niedung, Principal Solu­tion Specialist Azure IoT bei Microsoft, erklärt im Interview, wie das Unternehmen auch kleinere und mittlere Unternehmen vom Internet of Things überzeugen und ihnen den Einstieg erleichtern möchte.
com! professional: Herr Niedung, wie ist Ihrer Erfahrung nach der Status quo des IoT in Deutschland? Wo stehen die Unternehmen?
  • Oliver Niedung, Principal Solution Specialist Azure IoT bei Microsoft
    Quelle:
    Microsoft
Oliver Niedung:
Die Erfahrung, die ich mit meinem Team gemacht habe, ist: Unternehmen in Deutschland haben offenbar zunächst die erste Welle aus den USA, Skandinavien und Benelux abgewartet, bei der andere viel Lehrgeld bezahlt haben. Aktuell setzt die deutsche Industrie aber sehr viele interessante und wirklich gute IoT-Projekte um. Das liegt auch an den vielen hoch entwickelten cloud­basierten IoT-Diensten, die Arbeit abnehmen, automatisieren und mittlerweile erheblich kostengünstiger sind als früher. Damit entwickeln Unternehmen zum Teil vollkommen neue Geschäftsmodelle oder werden in neuen Branchen tätig.
com! professional: Können Sie uns Beispiele nennen?
Niedung: Der Energiekonzern E.ON etwa entwickelt auf Basis von Azure Sphere eine hochsichere, effiziente Smart-Home-Lösung, die mit ihrem sicheren Einsatz von Künstlicher Intelligenz und IoT-Technologien die nächste Evolutionsstufe des vernetzten Zuhauses einläutet. Und ab 2020 werden jedes Jahr mehr als 5 Millionen neue Fahrzeuge der Marke Volkswagen voll vernetzt auf den Markt kommen und damit Teil des Internet of Things in der Cloud.
com! professional: Die genannten Unternehmen sind nicht unbedingt repräsentativ für die deutsche Wirtschaft, deren Erfolgsmotor mit weit über 90 Prozent die Mittelständler sind …
Niedung: Gerade Mittelständler sehen hier eine gute Chance, sich mit Hilfe von IoT zu differenzieren und mit di­gitalen Geschäftsmodellen wettbewerbsfähig zu bleiben – oder sich am Markt zu verteidigen. Auch hierzu ein Beispiel: Leoni, ein globaler Lösungsanbieter für das Energie- und Datenmanagement in der Automobilbranche und weiteren Industrien, hat seine Kompetenzen im Bereich Smart Grid erweitert. Die Schlüsseltechnologie LEONiQ, die eine noch intelligentere Kontrolle des Stromverbrauchs und der Stromverteilung ermöglichen wird, bringt Intelligenz in Kabelsysteme und setzt dabei auf Microsoft Azure Sphere.
Unterm Strich: Deutschland ist mittlerweile quer durch alle Unternehmensgrößen und Branchen Vorreiter, wenn es um das Internet der Dinge geht – sowohl beim Ausmaß als auch bei der Realisierung der Projekte.
com! professional: Das IoT verbindet man in erster Linie mit Industrie 4.0 und Effizienz in der Fertigung. In welchen anderen Bereichen profitieren Unternehmen davon?
Niedung: In der Fertigung sprechen wir vom Industrial Internet of Things (IIoT), das in Deutschland unter dem Terminus Industrie 4.0 läuft. Es wird in Industrieländern oft mit indus­trieller Automatisierung gleichgesetzt. Inzwischen sehen wir aber viele IoT-Aktivitäten in anderen Branchen und Fachbereichen, etwa im Gesundheitssektor, im Einzelhandel oder in der Energiewirtschaft. Auch im Marketing kann IoT-Technologie beispielsweise am Point of Sale helfen, um Kundenbedürfnisse automatisiert besser zu erfassen, zu verstehen und am Ende zu befriedigen. Vertrieb und Logistik profi­tieren vom IoT durch optimierte Distributionswege, Asset Tracking und verbesserte Lagerhaltung. Und der Service kann zum Beispiel durch vorausschauende Wartung entlastet werden.
com! professional: Es profitieren also alle Unternehmensbe­reiche vom IoT?
Niedung: Es gibt keinen Unternehmensbereich und auch keine Branche, die nicht von vernetzten Maschinen profitiert.
2. Teil: „Gründe für zögernde IoT-Umsetzung“

Gründe für zögernde IoT-Umsetzung

com! professional: Warum zögern trotz der Vorteile dennoch so viele Unternehmen mit der Umsetzung von IoT-Projekten?
Niedung: Hier gibt es mehrere Gründe: Erstens haben manche Unternehmen das Luxusproblem eines erfolgreich eta­blierten Geschäfts und wenig Anreiz, sich um die Digitalisierung zu kümmern. Zweitens ist das IoT mehr als nur eine neue Technologie. Manchen Unternehmen wird erst allmählich bewusst, dass das Internet der Dinge Auswirkungen auf Geschäftsmodelle hat und neue Anforderungen an das Personal stellt – zum Beispiel an neue Mitarbeiter wie Software-Entwickler und Data Scientists.
  • Cloud-Plattform Azure: Microsoft bietet eine ganze Reihe IoT-Tools für Unternehmen aller Größen an.
    Quelle:
    Microsoft
Und schließlich fragen sich einige Unternehmen, was eine eigene IoT-Lösung kostet, ob sich die Ausgaben lohnen oder ob es sich nicht doch nur um eine Modeerscheinung handelt. Meine Antwort darauf ist: Wer zögert und zu lange wartet, wird den Anschluss verpassen. Denn es gibt eine Herausforderung, die noch größer ist, als das eigene Geschäft digital zu transformieren, nämlich es nicht zu tun!
com! professional: Da ist also noch ein wenig Überzeugungsarbeit notwendig. Wie geht Microsoft die Aufgabe an?
Niedung: Inzwischen geht es den meisten Unternehmen eher darum, eine IoT-Lösung effektiv und effizient umzusetzen, sich erfahrene Entwicklungspartner dazuzuholen und neue Ansätze in der Entwicklung zu finden, die eine zu lange Time-to-Market und das Risiko von Fehlentwicklungen reduzieren – zum Beispiel durch die frühe Einbeziehung der Kunden. Ich finde es sehr beeindruckend, was Cloud-App-Entwickler heute in kürzester Zeit realisieren und ebenso schnell an Vertrieb, Kundendienst und Mitarbeiter als fertiges Produkt ausliefern können.
com! professional: Und wie unterstützen Sie konkret Unternehmen bei der Einführung von IoT-Projekten?
Niedung: Je branchenspezifischer die Anforderungen werden, umso stärker greifen wir auf unser riesiges Partnernetzwerk zurück. Unsere Partner unterstützen Unternehmen darin, ihre IoT-Projekte auf Basis unserer Technologien umzusetzen.
Wir wiederum unterstützen unsere Partner mit Technolo­gien und Know-how. Die Azure IoT Starter Kits unserer Partner unterstützen unsere Kunden im Prototyping und beim Testing. Über unsere Account-Teams bieten wir Großkunden auch Reviews an, darüber hinaus steht unseren Kunden das Expertenteam des IoT and AI Insider Labs in München offen, um die Realisierung eines IoT-Projekts deutlich zu verkürzen.
com! professional: Microsoft bietet eine Menge IoT-Tools rund um die Azure-Plattform an. Dabei müssen Sie zum einen den Dialog mit den Entwicklern suchen, andererseits auch mit den Business-Leuten in Unternehmen. Das ist keine leichte Aufgabe, oder?
Niedung: Es ist zunächst und vor allem eine ungemein spannende Aufgabe. IoT ist kein Thema nur für Entwickler, sondern auch für Anwender, die Fachbereiche und nicht zuletzt die Unternehmensstrategen.
IoT ist auch nicht nur einfach eine Technologie, sondern trägt dazu bei, Unternehmen sowie ihre Prozesse und Geschäftsmodelle zu erweitern – wenn nicht gar fundamental zu verändern. Dafür bedarf es intensiver Diskussionen, qualifizierter und motivierter Partner und – zugegeben – eines langen Atems.
com! professional: Microsoft-Chef Satya Nadella will sich vor allem auf das IoT stärker konzentrieren und unterstreicht dieses Vorhaben mit einem milliardenschweren Investitionsprogramm. Einer der Bausteine ist Windows 10 IoT Core als schlankes Betriebssystem für IoT-Geräte. Wie wollen Sie eigentlich Geld verdienen, wenn Sie dieses Windows kostenlos verteilen?
Niedung: Unser Ziel ist es, Unternehmen den Einstieg in das Internet der Dinge zu erleichtern und sie darin zu befähigen, sich erfolgreich zu digitalisieren. Dafür bieten wir viele Produkte kostenlos an und beteiligen uns wie kein anderes Unternehmen an der Entwicklung von Open Source. Über das neue Windows 10 IoT Device Update Center und die Windows 10 IoT Core Services unterstützen wir Gerätehersteller dabei, Geräte für das IoT komplett zu verwalten und Lösungen dafür zu entwickeln und kontinuierlich zu erweitern.
3. Teil: „Deutsche Cloud macht dicht“

Deutsche Cloud macht dicht

com! professional: Vor Kurzem hat Microsoft beschlossen, die deutschen Cloud-Angebote mit der Deutschen Telekom als Treuhänder nicht mehr anzubieten. Ist den Unternehmen eine deutsche Cloud den kleinen Aufschlag nicht wert? Was sind die Alternativen?
Niedung: 2015 haben wir die Microsoft Cloud Deutschland angekündigt, um Kunden mit besonders strengen Compliance-Richtlinien oder Regulierungsvorgaben den Einstieg in die Cloud zu erleichtern. In den letzten drei Jahren haben sich die Anforderungen unserer Kunden weiterentwickelt. Sie wünschen sich umfassendere Funktionalitäten und die Konnektivität mit unserer globalen Cloud-Infrastruktur, die die souveräne Microsoft Cloud Deutschland mit ihrer besonderen Isolierung nicht ermöglicht. Aufgrund dieser veränderten Kundenanforderungen werden die neuen Cloud-Regionen nun den Schwerpunkt unserer Cloud-Strategie in Deutschland bilden.
com! professional: Schauen wir uns das Internet of Things einmal in der Praxis an: Was ist der erste Schritt, zu dem Sie einem Unternehmen raten würden?
Niedung: Der erste Schritt ist, die Idee für ein IoT-Projekt mit Leuten aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens zu diskutieren und daraus ein funktionierendes Geschäftsmodell abzuleiten, Stichwort Business Model Canvas. Damit lassen sich die wichtigsten ersten Fragen beantworten. Dann sollten Unternehmen ihre Ideen mit einem IoT-Experten diskutieren. Es hilft auch, sich unsere IoT-Referenzarchitektur anzusehen, um – übrigens herstellerunabhängig – zu verstehen, wie Cloud, IoT und Edge funktionieren. Für die Praxis empfehle ich dann, sich mit einem agilen Entwicklungs­ansatz an ein Minimum Viable Product zu machen, also den essenziellen Kern einer praktischen Lösung zu erarbeiten, der anschließend mit allen Stakeholdern ausgebaut wird.
com! professional: Das klingt jetzt alles recht einfach. Aber wie finde ich eine passende IoT-Plattform? Oder anders gefragt: Ist der Einsatz von IoT-Plattformen überhaupt sinnvoll?
Niedung: Plattformen haben den Vorteil, die komplette Infrastruktur für IoT-Projekte bieten zu können – aus einer Hand, mit offenen Schnittstellen und oft sogar branchenspezifischen Modulen und Services. Das reduziert die Komplexität der Infrastruktur für das einzelne Unternehmen und damit auch die Kosten. Plattformen sind skalierbar, ohne dass ein einzelnes Unternehmen sich neue Hardware dafür anschaffen müsste. Das gibt also jeden notwendigen Raum für künftige Entwicklungen oder weltweite Expansion. In die Plattformen und die Services fließen die Erfahrungen vieler Player ein – von Microsoft und unseren Partnern und von vielen Entwicklern aus der Open-Source-Community. Dieses Know-how ist viel umfangreicher, als es ein einzelnes Unternehmen bieten könnte. Und schließlich gewährleisten Plattformen großer Anbieter ein Niveau an zertifizierter Sicherheit und Verfügbarkeit, das sich ein einzelnes Unternehmen nur schwerlich wird leisten können.
com! professional: Blicken wir zum Schluss in die Zukunft: Welchen Stellenwert wird IoT Ihrer Einschätzung nach in absehbarer Zeit haben? Wer treibt die Entwicklung, wer profitiert in Unternehmen und wer bremst die Innovationen?
Niedung: Erfolgreiche IoT-Lösungen haben stets dieselbe Dynamik: Sie fangen im Kleinen mit wenigen angebundenen Geräten und überschaubaren Anwendungsszenarien an und wachsen mit zunehmender Wertschöpfung schnell in Breite und Höhe. So erfolgreich viele dabei schon sind – sie stehen alle erst ganz am Anfang! Die kommenden Jahre werden uns einen riesigen Schub geben – durch die rasante Entwicklung von maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz. Zusammen mit den Weiterentwicklungen bei IoT und Edge-Computing birgt das ein riesiges Potenzial für grundlegende und weitreichende Innovationen. Bei dieser Vielzahl an Chancen dürfen wir allerdings auf keinen Fall die Sicherheit aus den Augen verlieren. Der sichere Betrieb von IoT-Lösungen ist und bleibt eine der größten Aufgaben für alle Anbieter.
Vom Aufschwung des IoT werden alle profitieren, die als Anbieter, Vendoren, Entwickler oder Endkunden einen Platz in der IoT-Wertschöpfung einnehmen. Und natürlich die Unternehmen, die über IoT-Szenarien neue Geschäftsmodelle entwickeln. Schwerer werden es meiner Einschätzung nach neue IoT-Plattformanbieter haben, denn der Markt wird über kurz oder lang eher für Konsolidierungen sorgen.
Echte Innovationsbremser sehe ich nicht, wenngleich ich mich sehr für den Ausbau des schnellen Internets in Deutschland ausspreche, das wir für flächendeckendes IoT dringend benötigen. Nur so lohnen sich Aufwand und Kosten. Oft fehlen noch internationale Standards im IoT – etwa im Bereich Smart-Home.

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