Business-IT
17.04.2019
Silicon Valleys in Deutschland
1. Teil: „Deutsche Start-up-Szene entwickelt sich prächtig“

Deutsche Start-up-Szene entwickelt sich prächtig

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Elena_Che / shutterstock.com
Die hiesige Start-up-Landschaft braucht den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Wichtig für Gründer sei nur, sich Mitstreiter zu suchen, niemals aufzugeben und neue Ideen zu entwickeln.
  • Quelle:
    Ernst & Youg
Einhörner erfreuen sich großer Beliebtheit - nicht nur bei kleinen Mädchen als kitschig pinke Fabelwesen, sondern auch in der Start-up-Szene. Denn dort sind Einhörner etwas ganz Besonderes: Als „Unicorn“ bezeichnet man junge Unternehmen, die mindestens eine Milliarde Dollar wert sind.
Dabei denkt man häufig zuallererst an große und weithin bekannte Start-ups aus dem kalifornischen Silicon Valley wie den Unterkunftsvermittler Airbnb oder den Fahrdienst Uber. Aber auch die Start-up-Szene in Deutschland hat bereits mehrere Einhörner hervorgebracht, zum Beispiel die Online-Bank N26 oder den Bekleidungsversender AboutYou.
Die deutsche Start-up-Szene boomt. Das unterstreichen auch die Zahlen des neuesten „Start-up-Barometer Deutschland“ der Unternehmensberatung Ernst & Young. Im vergangenen Jahr erhielten deutsche Start-ups so viel Investitionsgeld wie nie - knapp 4,6 Milliarden Euro wurden 2018 in hiesige Jungunternehmen investiert. Das sind 7 Prozent mehr als 2017. Auch die Zahl der Investitionen in Start-ups, insgesamt über 600, erreichte einen neuen Höchststand. Die größte Start-up-Investition konnte dabei die Auto1-Gruppe einheimsen - satte 460 Millionen gingen an den Berliner Online-Marktplatz für Gebrauchtfahrzeuge.
Und anscheinend sind die deutschen Start-ups auch finanziell durchaus erfolgreich. Laut der von PricewaterhouseCoopers erstellten Studie „Start-up-Unternehmen in Deutschland 2018“ erwirtschafteten immerhin 79 Prozent der befragten Start-ups im vergangenen Jahr Gewinne.
„Die deutsche Start-up-Szene entwickelt sich prächtig“, bestätigt Christian Hoppe, Managing Director der Silicon Valley Bank Deutschland. Die Bank aus Kalifornien hat sich auf die Förderung von Start-ups und Hightech-Unternehmen spezialisiert und ist seit letztem Jahr mit einer Niederlassung in Deutschland vertreten. Seit den 2000er-Jahren sind laut Hoppe hierzulande 28 Unicorns entstanden, die zusammen einen Wert von 106 Milliarden Euro haben. Das Erstaunliche dabei: Ein Drittel davon hat ihre Milliarden-Bewertung erst im vergangenen Jahr erreicht. „Gerade im europäischen Vergleich muss sich Deutschland hinter Großbritannien als zweitgrößter Tech-Hub des Kontinents - sowohl in Bezug auf das investierte Venture Capital, die Anzahl an Unicorns und die Zahl der Exits - also nicht verstecken“, führt Christian Hoppe weiter aus.
Dass die deutsche Start-up-Szene innovativ und agil, aber auch diszipliniert und zuverlässig ist, weiß auch Svetlana Drümmer, Start-up-Managerin bei der DB Mindbox, dem Start-up-Hub der Deutschen Bahn. Dort hat man seit 2015 ein Förderprogramm laufen, in dem Start-ups innerhalb von drei Monaten eine konkrete Verbesserung rund ums Bahnfahren entwickeln und deren Machbarkeit belegen. Nach den Erfahrungen von Svetlana Drümmer stehen deutsche Start-ups hinsichtlich Technologien und Kreativität den Gründern aus den USA, Israel oder dem asiatischen Raum in nichts nach. „Auch wenn es in anderen Ländern eine viel größere Szene gibt, können die deutschen Teams bei vielen Themen mithalten.“
2. Teil: „Die deutsche Start-up-Landschaft“

Die deutsche Start-up-Landschaft

  • Berlin und Bayern: In dem Stadtstaat und dem Freistaat gab es 2018 die meisten Start-up-Finanzierungen.
    Quelle:
    Ernst & Young "Start-up-Barometer Deutschland" (Januar 2019)
Wenn man sich die hiesige Start-up-Szene ansieht, dann zeigt sich schnell, dass Berlin weiterhin mit deutlichem Abstand der führende Start-up-Standort ist: Ernst & Young zählte im letzten Jahr 247 Finanzierungsrunden in der Bundeshauptstadt - das sind 40 Prozent aller verzeichneten Finanzierungsrunden in Deutschland.
Berlin spielt nicht zuletzt deswegen eine besondere Rolle, weil von der Stadt für Gründer und Start-up-Mitarbeiter aus dem Ausland eine besondere Anziehungskraft ausgeht, wie Jenny Boldt, Referentin Start-ups beim Digitalverband Bitkom, erklärt. „Auch die vergleichsweise geringen Lebenshaltungskosten tragen dazu bei. Aber neben Berlin gibt es längst auch in anderen Städten und Regionen eine aktive Start-up-Szene, etwa in München, Hamburg, Frankfurt oder in der Metropolregion Rhein-Ruhr“, fährt Jenny Boldt fort.
Allerdings scheint das Wachstum in Berlin etwas zu stocken: So lag die Zahl der Finanzierungsrunden 2017 bei 233 und wuchs mit 247 Runden im vergangenen Jahr nur wenig. Die anderen Bundesländer legten stärker zu: Auf Platz zwei liegt Bayern mit 124 Finanzierungsrunden, im Jahr 2017 waren es nur 76. Auf Platz drei: Nordrhein-Westfalen mit 60 Finanzierungsrunden, 2017 waren es 39.
Doch nicht nur bei der Zahl der Finanzierungsrunden, auch bei den Investitionssummen liegt Berlin derzeit noch unangefochten an der Spitze. Mehr als jeder zweite Euro, der im letzten Jahr hierzulande in Jungunternehmen investiert wurde, landete in der Bundeshauptstadt. In Summe sind das stolze 2,64 Milliarden Euro. Bayern behauptet auch bei den Investitionssummen seinen zweiten Platz - so kam der Freistaat auf ein Investitionsvolumen von 802 Millionen Euro. Auf den weiteren Plätzen folgen Hamburg mit 548 Millionen Euro Investitionsvolumen und Nordrhein-Westfalen mit 243 Millionen Euro.
Die Zahlen zeigen: Die deutsche Start-up-Szene ist stärker dezentral organisiert als man das aus anderen europäischen Ländern gewohnt ist. „So bringen neben Berlin und München unter anderem auch Städte wie Hamburg, Frankfurt, Köln oder Dresden jedes Jahr eine Reihe von vielversprechenden, innovativen Unternehmen hervor“, berichtet Christian Hoppe von der Silicon Valley Bank.
Auch für Matthias Lais, Chief Operating Officer bei Main Incubator, einem Tochterunternehmen der Commerzbank. spielen Berlin und München als Start-up-Standorte in Deutschland die wichtigste Rolle. „Aber auch Hamburg und Regionen wie das Ruhrgebiet, das Rheinland sowie das Rhein-Main-Gebiet haben in den vergangenen Jahren enorm an Attraktivität für Start-ups gewonnen.“
Dabei bringe jede Region ihre eigenen Reize und Vorteile mit: „Während München zum Beispiel mit der Technischen Universität technisch eine enorme Expertise aufweisen kann, sind wir in Frankfurt als Bankenstadt vor allem Magnet für Fintechs“, so Matthias Lais weiter.
3. Teil: „Stark im E-Commerce“

Stark im E-Commerce

  • Gründen mit Hindernissen: Rund ein Viertel der Start-ups bewertet das Ökosystem an ihrem deutschen Standort in Bezug auf Bürokratie, Verfügbarkeit von Mitarbeitern und wirtschaftspolitische Initiativen als "eher schlecht".
    Quelle:
    PricewaterhouseCoopers "Start-up-Unternehmen in Deutschland" (September 2018)
Die deutschen Jungunternehmer haben bei ihren Gründungen eine ganz klare Präferenz, was den Geschäftsbereich angeht: So wurde im letzten Jahr, wie schon in den Vorjahren, mit einem Investitionskapital von 1,64 Milliarden Euro das meiste Geld im Bereich E-Commerce investiert, gefolgt von Software und Analytics mit einem Investitionsvolumen von 670 Millionen Euro. Auf den Bereich Fintech wiederum entfielen 659 Millionen Euro.
Nach den Erfahrungen von Axel Menneking, Managing Director von Hubraum, dem Tech-Incubator der Deutschen Telekom, folgen die deutschen Gründer grundsätzlich den globalen thematischen Gründungswellen. „In Summe ist Berlin als Internethauptstadt durch die führende Investoren- und Start-up-Community in den meisten Segmenten führend, insbesondere in den Bereichen E-Commerce sowie bei Software und Analytics.“
Die Zahlen zeigen, dass die meisten Start-ups in Deutschland nach wie vor im klassischen IT-Sektor wie dem Online-Handel und der Software-Entwicklung tätig sind.
Menneking sieht aber auch zunehmend thematische regionale Cluster rund um ansässige Industrie-Player. So finde man zum Beispiel in München und Stuttgart viele Jungunternehmen im Bereich Automotive und in der Bankenmetropole Frankfurt im Bereich Fintech.
Den Trend, dass sich Start-ups thematisch um bereits vorhandene große Unternehmen ansiedeln, nimmt auch Manuel Holzhauer, Managing Director des InsurTech Hub München, deutlich wahr. Die Start-up-Initiative InsurTech Hub wurde von zahlreichen Versicherungsunternehmen gegründet mit dem Ziel, München zu einem attraktiven Standort für internationale Insurtech-Start-ups zu machen. So nennt Holzhauer zum Beispiel für den Standort München internationale Größen wie den Rückversicherer Munich Re, die Allianz-Versicherung oder den Autobauer BMW, mit denen sich Start-ups vernetzen können.

Gut geklaut …?

Doch bei allem Lob - den deutschen Start-ups wird häufig vorgeworfen, fast nur sogenannte Copycats hervorzubringen, also Unternehmen, die erfolgreiche Geschäftsideen aus anderen Ländern kopieren. Diesen Vorwurf kann Manuel Holzhauer vom InsurTech Hub München jedoch nicht teilen, „da ich daran auch nichts Schlimmes sehe“. Seiner Meinung nach sind Copycats „smart follower“- „eine Idee aufgreifen, gemachte Fehler erkennen, das Produkt verbessern und eine noch bessere Lösung entwickeln - das ist ein ganz wichtiger Teil von Innovation.“ Diesem Prinzip folgend seien schon tolle Unternehmen entstanden.
Ganz ähnlich sieht es die Start-up-Managerin Svetlana Drümmer von der DB Mindbox: „Ich persönlich finde an Copycats zunächst nichts Verwerfliches, sofern die Start-ups es schaffen, sich eine Besonderheit zu verpassen, sei es ein besseres Marktverständnis oder die Anpassung an die Landesbedürfnisse.“
Matthias Lais vom Main Incubator hält das Copycats-Vorurteil mittlerweile ohnehin für überholt. Er erklärt, dass man in Deutschland zum Beispiel mit den vielen Fintechs und neuen Banken auf viele eigene Start-ups stolz sein könne. „Dass sich Geschäftsmodelle ähneln, kommt jedoch immer wieder vor und kann durchaus sinnig sein. Die Herausforderung dabei ist, Ideen und Produkte auf den jeweiligen Markt zuzuschneiden und sie für die Bedürfnisse der Konsumenten zu adaptieren.“
4. Teil: „Nimbus Silicon Valley“

Nimbus Silicon Valley

  • Ohne Ersparnisse geht nichts: Fast 90 Prozent der Start-up-Gründer setzen auf Eigenfinanzierung, 64 Prozent auf einen Kredit.
    Quelle:
    PricewaterhouseCoopers "Start-up-Unternehmen in Deutschland" (September 2018)
Auch wenn die deutsche Start-up-Szene auf Wachstumskurs ist und sich immer mehr etabliert - vielen fällt beim Thema Start-ups noch immer meist das Silicon Valley ein, wo Technologiegrößen wie Apple, Facebook und Google ihren Unternehmenssitz haben. Technik-Freunde und Gründer bekommen beim Begriff Silicon Valley nach wie vor große Augen.
Doch ist der Nimbus überhaupt noch gerechtfertigt und woran liegt es, dass das Silicon Valley von hier aus als ein ganz anderer Kosmos wahrgenommen wird und sich die deutsche Start-up-Szene stets im Schatten des Silicon Valley befindet?
„Der Mythos Silicon Valley ist darum so stark, weil er auch synonym mit einer eigenen Kultur genannt wird, die sicherlich auch zum Vorbild für andere Ökosysteme aus aller Welt geworden ist“, erklärt Nils Seger. Er ist Leiter der Hub Agency der Digital-Hub-Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums. Mit der Initiative werden digitale Ideen in Deutschland gefördert. In zwölf Digital Hubs in der gesamten Bundes­republik entwickeln Unternehmer, Gründer und Forscher digitale Lösungen für Dienstleistungen, den Handel und die Produktion.
„Hohe Investments, die jeden Tag abgewickelt werden, absurde Unternehmensbewertungen und erfolgreiche Börsengänge lassen die Welt im Silicon Valley schillernd aussehen. Die Dimensionen sind anders“, weiß Svetlana Drümmer von der DB Mindbox und weist auf die Schattenseiten des Silicon Valley hin: „Auch wenn hohe Investments verlockend sind, es ist auch ein Haifischbecken. Neue Start-ups kommen und gehen jeden Tag.“
Ähnlich sieht es Matthias Lais vom Main Incubator. Das Silicon Valley verfüge über eine hohe Menge an Kapital und ziehe gleichzeitig viele innovative Köpfe an, die nicht selten mit einer gesunden und positiven Verrücktheit ausgestattet seien, es sei „die perfekte Mischung für eine erfolgreiche Start-up-Szene.“ Laut Lais ist es wahrscheinlich vor allem die Verlässlichkeit, mit der aus dem Silicon Valley seit vielen Jahren und kontinuierlich großartige Start-ups hervorkommen, die den Nimbus stärkt und am Leben hält.
Für Axel Menneking vom Hubraum der Deutschen Telekom ist und bleibt das Silicon Valley ein einzigartiges Ökosystem. „Es profitiert von einem besonderen ‚Think Big, High Risk, High Chance‘-Mindset, von der hohen Dichte an internationalen Tech-Talenten, von den vielen durchlaufenen Gründerzyklen und verfügt über fast unbeschränktes Kapital.“
Auch wenn sich der US-amerikanische Markt nicht direkt mit dem deutschen Markt vergleichen lässt - einen Blick über den großen Teich werfen und voneinander lernen und profitieren, das können beide Seiten. Was das Silicon Valley und die amerikanische Mentalität prägt, ist gewiss die erwähnte positive Verrücktheit vieler Gründer. „Das Motto ‚einfach machen‘ wird in den USA sicherlich etwas stärker gelebt als in Deutschland“, so Matthias Lais vom Main Incubator. Damit geht seiner Einschätzung nach auch eine positive Fehlerkultur im Sinne von „fail fast“ einher: „Wenn ein Projekt sich als nicht erfolgversprechend abzeichnet, dann sollte es lieber schnell verworfen und die nötigen Lektionen daraus gezogen werden, statt unnötig Ressourcen darauf zu verschwenden.“
Axel Menneking vom Hubraum ist der gleichen Ansicht: Deutsche Gründer könnten von der Flexibilität der Amerikaner lernen. Wenn das Business-Model nicht funktioniere, dann sollte man als Gründer flexibel da­rauf reagieren und die eigene Idee anpassen. Viele bekannte Unicorns seien mit einer anderen Idee gestartet als dem Geschäftsmodell, mit dem sie heute erfolgreich seien. „Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass auch gescheiterte Projekte einen näher an das Ziel bringen. Wir sollten lernen, die gewonnenen Erfahrungen als etwas Wertvolles zu sehen.“

Deutsche Tugenden

Aber auch die Gründer in Übersee können - trotz ihrer unbestreitbaren Erfolge - durchaus noch etwas von den deutschen Jungunternehmern lernen. „Ich schätze die Struktur und Zielstrebigkeit bei deutschen Gründern“, verrät Axel Menneking vom Hubraum der Deutschen Telekom. Zudem beeindrucke ihn zum Beispiel das technische Know-how und Branchenwissen bei Ingenieuren, die bereits nach einigen Jahren Berufserfahrung ein eigenes Unternehmen aufbauten.
Svetlana Drümmer von der DB Mindbox merkt an, dass Teams aus Deutschland häufig „mehr Substanz“ haben. So seien US-amerikanische Start-ups teilweise stark Sales-getrieben, würden sich schnell vermarkten und erst dann Gedanken darüber machen, wie sie ihre Lösung konkret umsetzen. „Gerade im B2B-Bereich kann das jedoch zu Frust führen und die gemeinsame Beziehung belasten“, fügt sie hinzu.
5. Teil: „Problemfeld Finanzierung“

Problemfeld Finanzierung

  • E-Commerce, Software & Analytics, Fintech: in diese drei Bereiche flossen hierzulande 2018 die höchsten Finanzierungssummen.
    Quelle:
    Ernst & Young "Start-up-Barometer Deutschland" ( Januar 2018)
Hat Deutschland überhaupt eine Chance, den Vorsprung der Silicon-Valley-Firmen und Start-up-Szenen in anderen Ländern aufzuholen? Wohl eher nicht, wenn die Einschätzung von Axel Menneking vom Hubraum richtig ist: „Die erste Halbzeit ist verloren, die B2C-Player aus USA und China sind zu dominant“, so sein deutliches Statement. Seines Erachtens geht es jetzt darum, in einer großen Kraftanstrengung Rahmenbedingungen für das Entstehen von europäischen Champions zu schaffen. Die Politik müsse mutige Digitalstrategien entschlossen umsetzen, schulisch und außerschulisch, Unternehmenskultur fördern und bessere Rahmenbedingungen für Investoren schaffen. Gleichzeitig biete die Digitalisierung der starken deutschen Industrien, so Axel Menneking, eine große Chance für neue Start-ups, die man nicht verpassen dürfe.
Svetlana Drümmer von der DB Mindbox berichtet, sie bekomme von den Start-ups immer wieder mit, dass hierzulande das Thema Finanzierung eine große Herausforderung ist. So müssten Start-ups selbst für kleine Investments teilweise hart kämpfen.
„Das Wagniskapital hat in Deutschland nicht die Tradition wie in Amerika und - leider - auch nicht die unerschöpflichen Ressourcen wie in China“, meint Manuel Holzhauer vom InsurTech Hub München. Man müsse hier einen intelligenten europäischen Weg finden, der sich aus staatlicher Unterstützung und privatem Wagniskapital zusammensetze.
Dabei hat Deutschland gerade im Bereich der Frühphasen-Investments bereits heute viel zu bieten: Staatliche Förderprogramme, erfolgreiche Business Angels und natürlich auch viele Risiko-Investoren unterstützen innovative Start-ups mit Kapital und häufig auch Expertise und Netzwerk. „Die Finanzierungsbedingungen für Start-ups haben sich in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich verbessert - zumindest für die Gründung selbst und die ersten Jahre“, resümiert Bitkom-Referentin Jenny Boldt. Doch wenn eine internationale Expansion anstehe und dafür zweistellige Millionenbeträge notwendig seien, werde die Luft hierzulande immer noch dünn. „Tatsächlich gibt es immer noch zu wenige internationale Investoren in Deutschland, was auch mit den vergleichsweise schlechten steuerrechtlichen Rahmenbedingungen bei uns zusammenhängt.“
Doch wie sieht die Finanzierung von deutschen Start-ups konkret aus? Laut der eingangs erwähnten PricewaterhouseCoopers-Studie „Start-up-Unternehmen in Deutschland 2018“ setzen 87 Prozent der Gründer auf Eigenfinanzierung, also auf eigene Ersparnisse oder die ihrer Familien.
64 Prozent nehmen einen Kredit auf und 24 Prozent nutzen öffentliche Fördermittel. Lediglich 12 Prozent der Gründer setzen auf Venture Capital von Unternehmen. Allerdings: Wenn ein Start-up tatsächlich auf Venture Capital zurückgreift, dann trägt dieses immerhin fast zur Hälfte zur Gründungsfinanzierung bei.
„Wichtig ist, dass man sich als Gründer ge­nau überlegt, was man will“, empfiehlt Svetlana Drümmer von der Mindbox der Deutschen Bahn. Es gebe viele Finanzierungsmöglichkeiten - und jede dieser Möglichkeiten bringe ihre Vorteile, aber auch ihre Nachteile mit sich. „Wenn man erst einmal weiß, was man will, muss man gezielt Ansprechpartner ausfindig machen und entsprechende Events besuchen, dann kommt man mit den potenziellen Investoren auch schnell in Kontakt.“ Laut Drümmer mangelt es hierfür selten an Networking-Möglichkeiten.
Die Start-ups in Deutschland werden trotz immer mehr Möglichkeiten weiterhin vor allem von ausländischen Kapitalgebern gefördert. Doch es findet ein Wandel statt. „Die hiesige Venture-Capital-Szene konnte im vergangenen Jahr Boden gut machen. Der Anteil deutscher Investoren an Finanzierungsrunden über 50 Millionen Euro hat sich unserer Analyse nach 2018 im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesteigert“, betont Christian Hoppe von der Silicon Valley Bank. „Ich denke, deutsche Investoren haben mittlerweile begriffen, dass es für sie durchaus Sinn ergibt, das heimische Ökosystem zu fördern, um auch hier in Deutschland weiter Anreize zum Gründen zu schaffen. Wir als Silicon Valley Bank empfehlen hiesigen Risikokapitalgebern, mit denen wir zusammenarbeiten, bei aller Liebe für den Blick über den Tellerrand in andere Länder jedenfalls auch hin und wieder einen Blick auf die Tellermitte und damit ins Inland zu werfen.“
6. Teil: „Bürokratische Hürden“

Bürokratische Hürden

  • Die größten Start-up-Finanzierungsrunden: Die Berliner Auto1-Gruppe sammelte im vergangenen Jahr mit Abstand am meisten Geld ein.
    Quelle:
    Ernst & Young "Start-up-Barommeter Deutschland" (Januar 2018)
Wenn man als deutsches Start-up die Hürde der Finanzierung genommen hat, dann steht man meist gleich vor einer weiteren: der deutschen und europäischen Bürokratie.
„Tatsächlich sind Gründer mit dem Standort Deutschland überwiegend zufrieden - außer mit der Verwaltung“, resümiert Jenny Boldt von Bitkom. Nicht nur das Gründen selbst sei hierzulande deutlich aufwendiger als in anderen Ländern, auch danach seien die bürokratischen Auflagen hoch. Das fange mit der Steuererklärung an und höre mit dem Versuch, Mitarbeiter aus Drittstaaten zu beschäftigen, noch lange nicht auf. „Die Politik hat das längst erkannt und verspricht immer wieder Erleichterung und Bürokratieabbau - leider ist davon in der Praxis oft wenig zu sehen.“
Axel Menneking vom Deutsche Telekom Hubraum sagt ganz klar: „Wir brauchen viel mehr Geschwindigkeit und Entschlossenheit auf allen Ebenen.“ Bürokratische Hürden im Gründungsprozess und bei der Besteuerung sowie Restriktionen rund um Venture Capital müssten zeitnah abgebaut werden.
Auch das Thema Datenschutz macht es Gründern nicht immer einfach. Dass es hierzulande
höhere Standards hinsichtlich des Datenschutzes gibt, ist mit Sicherheit auch ein Wettbewerbsvorteil. Doch auch hier besteht die Gefahr der Überregulierung, wie wohl auch die Politik inzwischen erkannt hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel jedenfalls warnte in ihrer Rede beim World Economic Forum in Davos Anfang vergangenen Jahres, die Gefahr sei groß, „dass wir zu langsam sind und die Welt über uns hinwegrollt, derweil wir philosophisch über die Frage der Datensouveränität debattieren“.

Fazit

Die Zahlen, die Einschätzungen der Experten und viele erfolgreiche Beispiele zeigen: Es müssen nicht immer das Silicon Valley, London oder Tel Aviv sein - auch hierzulande lassen sich erfolgreich Start-ups gründen. Viele Jungunternehmen bestätigen das. Laut Jenny Boldt von Bitkom empfehlen 80 Prozent der Gründer jungen Menschen, ein eigenes Start-up zu gründen. Und 93 Prozent der Gründer würden mit ihren aktuellen Erfahrungen erneut ein Start-up gründen. „Ob erfolgreich oder nicht, in keinem Job lernt man so viel, wie bei einer eigenen Gründung. Wenn man also eine gute Idee hat, sollte man nicht zu lange zögern, sie auch selber umzusetzen“, so ihre Empfehlung.
Christian Hoppe von der Silicon Valley Bank rät ebenfalls dazu, mutig zu sein und sich ein Beispiel an den zahlreichen innovativen deutschen Tech-Firmen zu nehmen, die es geschafft haben. „Im Englischen würde man sagen: ‚Think bold! Don’t stop!‘.“ Seiner Meinung nach sollte man sich von Anfang an Mitstreiter suchen, die von einer Idee mindestens genauso überzeugt sind, denen man vertraut und mit denen man gut zusammenarbeiten kann. Gleichzeitig könnten erfahrene Investoren mit einem nachhaltigen, langfristig gedachten Ansatz dabei helfen, strategisch sinnvoll zu agieren und neue Märkte zu erschließen. Denn am Ende zeige sich fast immer, dass der Erfolg eines Unternehmens immer auch eine Teamleistung ist.
Manuel Holzhauer vom InsurTech Hub München gibt jungen Unternehmern den Rat, es auch abseits der ausgetretenen Pfade zu versuchen: „Die Welt wartet nicht auf die nächste Smoothie-Geschmacksrichtung, sondern auf Ideen, die überraschen, von denen wir nicht mal ansatzweise ahnen, dass sie im Kopf unseres Gegenübers herumspuken könnten.“
Managing Director Axel Menneking vom Deutsche Telekom Hubraum gibt gründungswilligen jungen Leuten ein Zitat des 26. US-Präsidenten Theodore Roosevelt mit auf den Weg: „It is hard to fail, but it
is worse never to have tried to succeed.“

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