Business-IT
11.08.2020
B2B-Datenmarktplätze
1. Teil: „Daten als eine neue Erlösquelle erschließen“

Daten als eine neue Erlösquelle erschließen

DatenDatenDaten
Sergey Nivens / shutterstock.com
Oft fallen Daten an, deren Verkauf Geld einbringen kann - ohne Konflikt mit dem Datenschutz. Gehandelt werden können diese Daten auf verschiedenen Datenmarktplätzen.
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Ein Unternehmen will bei der Wartung von Abwasserpumpen auf Predic­tive Maintenance setzen. Dafür werden die Maschinen mit Sensoren ausgestattet, die die Betriebsdaten kontinuierlich aufnehmen und zur Verarbeitung weiterleiten. Dennoch fällt bald eine Maschine aus, ohne dass es vorhergesehen wurde.
Gerade im Zusammenhang mit prädiktiven Modellen und der Mustererkennung stellt sich häufig das Problem der mangelnden Datenvolumen. Denn wenn der Ausfall einer Maschine prognostiziert werden soll, bedarf es nicht nur der Daten ihres „gesunden“ Zustands, sondern auch all der Daten, die bei vorherigen Ausfällen erzeugt worden sind. Angesichts der meist langen Lebensdauer von Industriemaschinen handelt es sich dabei womöglich um eine Menge Daten, die ein einzelnes Unternehmen gar nicht oder nicht schnell genug erzeugen kann.
Doch was, wenn dieses Unternehmen Stör- und Ausfalldaten von anderen Unternehmen erwerben könnte, die die gleichen Abwasserpumpen einsetzen? Genau das und noch viel mehr verspricht das Konzept der B2B-Datenmarktplätze.

Der Handel mit Daten

Datenmarktplätze sind im Kern „klassisch als Treffpunkt für Anbieter und Nachfrager zu sehen, die untereinander Waren - in diesem Fall Daten - austauschen wollen“, erklärt Markus Spiekermann, Abteilungsleiter Datenwirtschaft beim Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST. Diese Daten kommen meist nicht vom Betreiber des Datenmarktplatzes selbst, sondern von den Unternehmen, die über den Marktplatz handeln.
Viele Datenmarktplatz-Anbieter verfolgen dabei einen ganzheitlichen Ansatz und ermöglichen es den Unternehmen, unterschiedliche Arten von Datensätzen zu verkaufen oder zu erwerben. Es kann sich um Daten aus Datenbanken oder eigens trainierten KI-Modellen, Sensor- oder Finanzdaten, ERP-Datenbestände oder Logbücher handeln. Sogar APIs können monetarisiert werden, wenn es des Zugangs zu Daten in Echtzeit bedarf.
Das Konzept erweist sich als besonders interessant, wenn man bedenkt, wie viele Datensätze, die jeden Tag durch Software, mobile Geräten und Sensoren generiert werden, entweder unbenutzt bleiben oder nur einmalig verwendet werden. Ein treffendes Beispiel liefert eine Studie von McKinsey & Company: Von den Daten, die über etwa 30.000 verfüg­bare Sensoren auf einer Ölbohrinsel erzeugt werden, wird lediglich 1 Prozent tatsächlich gebraucht und verarbeitet.
Zusätzlich attraktiv für die Dateninhaber soll die Datenmarktplätze der Monetarisierungsaspekt machen. Wenn Daten ohnehin nicht weiterverwendet werden, können sie unter den richtigen Bedingungen, zum Beispiel nach einer Aggregierung und Anonymisierung, in eine zusätzliche Einnahmequelle umgewandelt werden.
„Dies kann auf der einen Seite entlang der nicht digitalen Wertschöpfungskette geschehen, als horizontale Monetarisierung, oder über die eigene Wertschöpfungskette hinaus, als vertikale Monetarisierung“, verdeutlicht Markus Spiekermann. Damit können Unternehmen seiner Ansicht nach den Verkauf von vorhandenen Daten als neues Geschäftsmodell etablieren. Gerade durch diese Transaktionsperspektive unterscheiden sich B2B-Datenmarktplätze „von den vielen anderen Data-Sharing-Plattformen und Data-as-a-Service-Angeboten“, so der Experte weiter.
2. Teil: „Durchbruch kommt“

Durchbruch kommt

  • Klassifizierung: Laut Fraunhofer ISST lassen sich Datenmarktplätze zum Beispiel danach unterscheiden, ob sie „Transaction-centric“ oder „Data-centric“ sind.
    Quelle:
    Fraunhofer ISST/Markus Spiekermann
Die Idee von Datenmarktplätzen ist keineswegs neu: Die ersten Projekte im B2B-Bereich wurden bereits 2009 ins Leben gerufen. Die meisten der früheren Anbieter mussten jedoch nur wenige Jahre nach der Markteinführung schließen. Auch jetzt sind die Perspektive, Daten als eigenständiges Produkt zu sehen, und die Bereitschaft, diese auf direktem Weg zu monetarisieren, nach Beobachtung von Markus Spiekermann noch nicht sehr verbreitet: „Zu viele Vorbehalte, auch rechtlich gesehen, stehen noch im Raum, wenn es um Ängste und Unsicherheiten im Hinblick auf den Kon­trollverlust über die eigenen Daten und einen möglichen Wissensabfluss an Konkurrenten geht.“
Eine weitere Herausforderung erwächst aus der Frage nach dem Wert der Daten. Die diesbezüglichen Erfahrungen des Fraunhofer-Experten sind, dass es sowohl den Anbietern als auch den Nachfragern an Erfahrungswerten oder Methoden fehlt, um einen fairen Preis für die Daten zu bestimmen.
Trotz des holprigen Starts gewinnt das Konzept wieder massiv an Schwung. Allein in Deutschland gibt es schon eine Reihe Anbieter mit je eigenen Schwerpunkten. So liegt etwa der Fokus des Datenmarktplatzes Caruso auf dem Automotive Aftermarket. Der Data Intelligence Hub (DIH) der Deutschen Telekom richtet sich an den Smart-City-Bereich, das produzierende Gewerbe und die Logistik von Personen und Gütern. Interessant am DIH ist, dass er als erster Datenmarktplatz die strengen Sicherheitsvorgaben der International Data Spaces Association (IDSA) erfüllt.
Auf mehrere Bereiche ausgerichtet ist auch Advaneo, da­runter Gesundheitswesen, Energiesektor, Transport und Immobilienwirtschaft. Und der IOTA-Datenmarktplatz ist ein Beispiel für einen dezentralen Marktplatz. Er setzt auf die eigene Distributed-Ledger-Technologie Tangle und handelt vor allem mit IoT-Daten.
Experten schätzen, dass die B2B-Datenmarktplätze erst in etwa drei bis fünf Jahren in die breite Anwendung gehen. Doch es lohne sich für Unternehmen, sich möglichst früh damit auseinanderzusetzen. Schließlich profitiere jeder Teilnehmer von der damit entstehenden Datenökonomie.
Wer seine Daten über einen Datenmarktplatz monetarisieren will, muss einige Voraussetzungen erfüllen, wie Sven Löffler, Business Development Executive im Bereich Big Data Analytics bei T-Systems, weiß. Als Erstes bedarf es eines grundsätzlichen Umdenkens dahingehend, Daten „als den vierten Produktionsfaktor im Unternehmen zu erkennen“.
Diesem folgt eine tragfähige Monetarisierungsstrategie, die idealerweise der Chief Data Officer verantwortet und der darüber hinaus weitere Voraussetzungen wie Datenverantwortlichkeit und -granularität sichert.
„Die große Herausforderung besteht jedoch in der Modellierung und technischen Umsetzung passender Marktplatzstrukturen inklusive der Einhaltung der Data Governance mit dem notwendigen Datensicherheitskonzept“, so Löffler. Die gute Nachricht ist, dass die Anbieter von Datenmarktplätzen wie dem Data Intelligence Hub die Unternehmen an dieser Stelle unterstützen.
3. Teil: „Interner Datenaustausch“

Interner Datenaustausch

  • Aufbau eines internen Marktplatzes: Das Aufnehmen, Pflegen, Katalogisieren und Nachverfolgen von Daten entspricht den Funktionen eines klassischen Marktplatzes.
    Quelle:
    Eckerson Group
Das Datenmarktplatzkonzept erstreckt sich über den Aspekt der Monetarisierung eigener Datenbestände hinaus. Interne Marktplätze etwa sind viel mehr als bloß eine anwenderfreundliche Alternative zu Data Warehouses und Data Lakes. „Ein interner Datenmarktplatz bietet sozusagen eine Service-Schicht, die die Komplexität des Datenzugangs zum größten Teil aufhebt, sodass auch technisch wenig versierte Personen problemlos auf die notwendigen Daten zugreifen können“, erklärt dazu Dave Wells, Leiter für Data Management Prac­tice beim US-Marktforschungsunternehmen Eckerson Group.
Mittels einer komfortablen grafischen Oberfläche und anhand von Kategorien, Tags und Filteroptionen wird es sowohl Data Scientists als auch Geschäftsanwendern ermöglicht, Datensätze zu durchsuchen und zu nutzen, ohne sich mit komplizierten Datenabfragen beschäftigen zu müssen. Zudem bieten interne Datenmarktplätze eine Feedback-Schleife: „Diese unterstützt wiede­rum das Pflegen und Katalogisieren von Datensätzen, die von Datenanalysten und Datenwissenschaftlern erstellt wurden, um den Datenaustausch und die Wiederverwendung von Daten aktiv zu fördern“, so der Eckerson-Experte.
Solche Marktplätze können den internen Datenaustausch zwischen unterschiedlichen Projekten, Unternehmensabteilungen oder sogar Niederlassungen deutlich optimieren. Denkbar ist auch ihr Einsatz für die Harmonisierung und Verbindung von Daten zum Beispiel bei großen Partnerprojekten.
Das Konzept sei beliebt und viele Unternehmen strebten einen Marktplatz für Unternehmensdaten an, so die Beobachtung von Dave Wells. Es gibt auch bereits einige erfolgreiche Implementierungsbeispiele, insbesondere in der Finanz- und Versicherungsbranche. So nutzt etwa der US-Lebensversicherer Guardian Life Insurance nach eigenen Angaben seinen Datenmarktplatz als zentralen Hub für alle Unternehmensdatenbestände. Dies zahlt sich offenbar aus: Dadurch, dass die Daten nun zentralisiert, standardisiert und wiederverwendbar sind, soll sich die Markteinführungszeit für Analyseprojekte deutlich verkürzt haben.
Noch ist die Implementierung solcher Marktplätze eine komplexe Aufgabe, die technologische, organisatorische und kompetenzbezogene Auswirkungen hat. Dave Wells ist dennoch zuversichtlich: „Ich gehe davon aus, dass sich die Akzeptanzrate beschleunigen wird, da Technologieanbieter und Beratungsunternehmen dazu beitragen, die Komplexität der Implementierung zu vereinfachen.“
4. Teil: „Mehr Schutz durch Blockchain“

Mehr Schutz durch Blockchain

Wenn es um Unternehmensdaten geht, ist die Frage der Transparenz und des Vertrauens von besonders großer Bedeutung. Die Angst, dass womöglich sensible Daten in die falschen Hände geraten, ist immer noch das größte Hemmnis für die Verbreitung und Akzeptanz von Datenmarktplätzen. „Unternehmen geben Millionen aus, um eine Festung um ihre IT-Systeme herum zu errichten, und das Letzte, was sie wollen, ist, Fremde und potenzielle Angreifer in ihr inneres Heiligtum zu lassen“, sagt Bruce Pon, Gründer des Blockchain-orientierten Ocean Protocol. Sollten Unternehmen sich für den Verkauf ihrer Daten über einen Marktplatz entscheiden, werden sie prüfen wollen, wer die Daten gekauft hat und wie sie verwendet werden. Die meisten Unternehmen kommen zu der Entscheidung, dass sich der damit einhergehende Aufwand nicht lohnt, konstatiert Pon. 
Die Blockchain könnte dieses Problem lösen, indem sie die Überprüfbarkeit der Verwendung von Daten erhöht, denn alle Transaktionen werden gespeichert und können jederzeit analysiert werden. Darüber hinaus ermöglicht die Technologie eine komplexe Verwaltung von Datenrechten und eine präzise Kontrolle der Zugriffe dank Smart Contracts. „Wenn ein Unternehmen bestimmte Bedingungen für die Verwendung der Daten hat, können diese in einen intelligenten Vertrag programmiert werden, der dann ohne menschliches Eingreifen ausgeführt wird“, erläutert Bruce Pon.
Der Aufwand der manuellen Überwachung würde somit für das Unternehmen komplett entfallen. Dieses Vorgehen kann unter anderem auch die potenziellen regulatorischen und datenschutzrechtlichen Bedenken ausräumen, insbesondere dann, wenn die Datenverkäufer und -käufer ihren Sitz in unterschiedlichen Ländern haben.,
Lösungen, die die Blockchain-Technologie nutzen wollen, befinden sich nach Einschätzung von Markus Spiekermann noch mehrheitlich in der Konzeptphase: „Ob sich die Blockchain als Basis für Datenmarktplätze durchsetzen wird, bleibt daher abzuwarten“, so der Experte. Dennoch geht Bruce Pon davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, „bis sich die technologische Reife und das Unternehmensbewusstsein stärker überschneiden, um eine neue Datenwirtschaft hervorzubringen.“
Nicht weniger interessant für das Konzept von Datenmarktplätzen sind neben der Blockchain-Technologie verwandte Distributed-Ledger-Technologien. Das Shenzhen-basierte Jungunternehmen CyberVein ermöglicht zum Beispiel auf Basis der DAG-Architektur (Directed Acyclic Graphs, gerichtete azyklische Graphen) eine dezentralisierte Verwaltung komplexer Datensätze.
Die DAG-Technologie weist neben den Blockchain-inhärenten Sicherheitsmechanismen eine einzigartige Struktur auf, dank der jede Transaktion zum Teil einer Sequenz wird und deshalb mindestens zwei weitere Transaktionen überprüft. Dieses Verfahren soll wesentlich schneller und energieeffizienter sein und es zudem ermöglichen, sehr große Mengen an strukturierten Daten zu speichern - etwas, das bei der Blockchain oft bemängelt wird.

Fazit & Ausblick

Das Potenzial von Datenmarktplätzen vor allem im B2B-Bereich ist enorm. Nach Aussage von Bruce Pon setzt jedes Unternehmen, das mit dem Ocean Protocol zusammenarbeitet, auf zwei Aspekte einen besonderen Schwerpunkt: das eigene Geschäft als Ganzes in Echtzeit zu sehen und KI-Algorithmen zu haben, die Systeme in Echtzeit verfolgen und analysieren können, damit Risiken wie Maschinenausfälle oder Störungen in der Lieferkette frühzeitig erkannt werden können. „Der beschränkende Faktor für beide Themen ist der interne und externe Datenaustausch,“ so der Ocean-Protocol-Gründer.
Datenmarktplätze können eine ideale Grundlage schaffen, um diesen Einschränkungen wirksam zu begegnen. Dass dies langsam nicht nur in den USA, sondern auch in Europa verstanden wird, zeigt die wachsende Zahl der europäischen Datenmarktplatz-Anbieter. „Ein weiterer Trend ist sicher, dass die Europäer erkannt haben, dass ohne den Produktionsfaktor ‚Information im Kontext der Digitalisierung‘ keine Differenzierung mehr stattfinden kann“, unterstreicht Sven Löffler.

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