Cloud
17.08.2017
UC as a Service
1. Teil: „Die Cloud löst klassische TK-Anlagen ab“

Die Cloud löst klassische TK-Anlagen ab

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Paisan Changhirun / Shutterstock.com
Die Umstellung von ISDN auf All-IP bietet Unternehmen die Chance, auf moderne Webapplikationen zu wechseln. Speziell der Mittelstand kann von wartungsarmen Cloud-Lösungen profitieren.
Das Ende des ISDN-Zeitalters ist nah. Spätestens seit die Telekom auch vermehrt Firmenkunden auf All-IP-Anschlüsse migriert, wird die Frage nach der Zukunft ihrer Kommunikationsumgebung für Unternehmen immer drängender.
Der zwangsverordnete Technologiewechsel beschert nicht nur den Herstellern von IP-Telefonanlagen eine Sonderkonjunktur. Viele Anwender entschließen sich im Zuge der Umstellung, auch ihre Telefonanschlüsse von dort zu beziehen, wo schon Server, Storage, Office-Anwendungen und CRM herkommen: „Einige Unternehmen, die sich wegen der Mi­gration ohnehin von einer veralteten TK-Anlage trennen müssen, nutzen die Gelegenheit für einen Wechsel in die Cloud“, sagt Martin Claßen, Chief Technology Officer bei der Swyx Solutions AG, deren UC-Lösung SwyxWare unter anderem von der Telekom Deutschland, QSC und dem Deutschen Mittelstandsrechenzentrum (DMRZ) als Cloud-Dienst angeboten wird. „Der Trend geht ganz klar weg von Hardware-Telefonen hin zu Webapplikationen“, beobachtet auch Markus Krammer, Vice President Products & New Business beim Cloud-Telefonieanbieter NFON.

Kommunikation kombinieren

Das Prinzip, Telefonie als Service anzubieten, ist nicht neu. Sogenannte Centrex-Dienste, die die Funktionen einer Telefonanlage über öffentliche Netze bereitstellen, werden seit den 1960er-Jahren als HostedPBX oder NetPBX angeboten, wobei das PBX für Private Branch Exchange steht, zu Deutsch: Telefonanlage. Heute werden dafür nicht mehr analoge oder ISDN-Netze verwendet, sondern Internetverbindungen, über die in IP-Pakete verpackte Sprache als Voice over IP (VoIP) übertragen wird.
Wenn schon die Telefonie dieselben Transportverfahren und Leitungen verwendet wie E-Mail, Messaging- oder Conferencing-Dienste, dann liegt der Gedanke nahe, das Angebot zu bündeln und die unterschiedlichen Kanäle miteinander zu verbinden.
„Früher wurden Telefon und E-Mail getrennt betrachtet, heutige Cloud-TK-Anlagen (…) bieten den Nutzern mehr“, sagt Thomas Weiß, Geschäftsführer der TeamFON GmbH, die mit ihrer in Deutschland betriebenen Eigenentwicklung TeamSIP Mittelständler und Konzerne adressiert. Telefon und E-Mail sind nur zwei Komponenten der meist als Unified Communications bezeichneten Kommunikations-Suiten.
„Unified Communications vereint verschiedene Werkzeuge für Kommunikation und Zusammenarbeit unter einer Benutzeroberfläche, etwa Telefon, E-Mail, Audio- und Videokonferenzen, Instant Messaging sowie Screen- und Filesharing“, definiert Jan Hickisch, VP Global Solution Management bei der Atos-Tochter Unify, den Funktionsumfang einer solchen Lösung, zu der meist auch noch eine diensteübergreifende Anzeige des Präsenzstatus gehört.
„Beziehen Unternehmen diese Anwendungen standardisiert aus der Cloud als Service durch den Hersteller oder bei einem Drittanbieter, statt das System selbst zu implementieren, spricht man von Unified Communications as a Service (UCaaS)“, so Hickisch weiter. „UCaaS-Lösungen (…) bieten die Möglichkeit, jederzeit das passende Kommunikationsmittel direkt aus einem Client auszuwählen, ohne das Tool oder den Client wechseln zu müssen“, ergänzt Philipp Langer, Consultant & Solution Expert – Unified Communications beim IT-Dienstleister Axians IT Solutions, „zudem ist meist, wie zum Beispiel bei Microsoft Skype for Business, eine tiefe Integration in die Client-Infrastruktur gegeben. Eine Kommunikation mittels Chat, Mail oder Anruf kann direkt aus Office-Produkten heraus gestartet werden.“
2. Teil: „Vermehrte UCaaS-Nachfrage“

Vermehrte UCaaS-Nachfrage

  • Ausgaben für UCaaS in Deutschland: Die Nachfrage nach Unified Communications as a Service wächst zwischen 2016 und 2018 um rund 50 Prozent auf 483 Millionen Euro.
    Quelle:
    Experton Group AG/ISG, 2017
Die Nachfrage nach diesen Telefonie-Services aus der Cloud hat in den vergangenen zwei bis drei Jahren hierzulande deutlich zugenommen. Die Experton Group/ISG prognostiziert für den deutschen UCaaS-Markt im Zeitraum von 2016 bis 2018 ein Wachstum von knapp 50 Prozent.
Laut dem Marktforschungsunternehmen Markets & Markets sollen 2021 weltweit knapp 28,7 Milliarden Dollar mit Unified-Communications-Diensten umgesetzt werden.
Neben dem Nachfrageschub durch die All-IP-Umstellung ist es vor allem die Flexibilisierung und Mobilisierung des Arbeitens, die den Bedarf an ebenso flexiblen Kommunikationslösungen wachsen lassen. „Arbeitskräfte müssen zunehmend mobil und über verteilte Standorte hinweg nahtlos zusammenarbeiten können“, sagt Jan Hickisch von Unify.
Besonders interessiert an UCaaS sind laut Axians-Consultant Langer Unternehmen, die weltweit agieren. „Das betrifft insbesondere Firmen, die ihren Mitarbeitern flexibles Arbeiten ermöglichen.“ Laut NFON-Vice-President Krammer ist dies aber längst nicht mehr die einzige Zielgruppe für Unified Communications aus der Cloud: „Die Nachfrage entwickelt sich sehr gut, besonders in den Bereichen Small­office und Homeoffice sowie in kleinen Unternehmen und dem Mittelstand.“ Thomas Muhr, Country Manager DACH bei ShoreTel, hat in dieser Zielgruppe allerdings andere Erfahrungen gemacht: „Nach meiner Beobachtung sind gerade mittelständische Unternehmen noch zurückhaltend in der Nachfrage und dem Einsatz von UCaaS.“

Typische Cloud-Vorteile

Kunden greifen aus denselben Gründen zu Kommunikationsdienstleistungen wie sie auch für andere Cloud-Services gelten: „Mit UCaaS können Unternehmen zum einen Inves­titions- und Betriebskosten sowie zum anderen Administrations- und Wartungsaufwände reduzieren“, sagt Swyx-CTO Claßen. Ebenso wichtig sei den Anwendern laut Unify-Manager Hickisch die damit einhergehende Flexibilität: „Sie können bei Unternehmenswachstum schneller skalieren und genau die Lösungen nutzen, die sie brauchen.“
Auch die Bereitstellung geht laut Philipp Langer von Axians IT Solutions wesentlich schneller: „Was in der Cloud mit ein paar Klicks für einen Anwender aktiviert werden kann, bedeutet bei einer On-Premise-Bereitstellung oft mehrere Tage Arbeit und große Installationsaufwände.“ Schließlich sei auch die einfache Anbindung der Anwender ein Kriterium, das für UCaaS spreche: „Alle Nutzer verbinden sich direkt über das Internet mit der UC-Lösung in der Cloud, es muss keine Verbindung in das eigene Rechenzen­trum aufgebaut werden. Gerade Mitarbeiter an Außenstandorten oder im Homeoffice profitieren davon.“

Eine Frage der Verfügbarkeit

Der Umstieg auf All-IP ist allerdings nicht immer einfach. „Gerade wenn die Kommunikationsstruktur veraltet ist, kommt es zu Problemen“, sagt Langer und rät, das interne Netzwerk und die Internetanbindung, aber auch Proxies und Firewalls vor der Entscheidung für eine Unified-Communications-as-a-Service-Lösung auf deren Kompatibilität mit den Anforderungen der Echtzeitkommunikation zu prüfen. „Sind diese Komponenten nicht in der Lage, den anfallenden Realtime-Traffic schnell genug zu verarbeiten, (…) bedarf es einer Optimierung der Netzwerkinfrastruktur.“
Hinzu kommt, dass viele Service Level Agreements (SLA) für Internetanschlüsse eine Verfügbarkeit von lediglich 98 Prozent garantieren. Der Anschluss ans Internet kann im schlimmsten Fall also über eine Woche im Jahr ausfallen, ohne dass sich der Provider irgendeiner Vertragsverletzung schuldig machen würde.
„Wir würden Unternehmen daher nicht empfehlen, ihr Netzwerk nur über das Internet zu betreiben“, sagt Michael Hartmann, Country Manager beim UCaaS-Anbieter Interoute, „statt­dessen sollten sie eine MPLS(Multiprotocol Label Switching)- oder SD-WAN(Software-defined WAN)-Verbindung verwenden, um die Verfügbarkeit zu garantieren.“
Anders als beim Betrieb einer eigenen Telefonanlage haben die Nutzer von Unified Communications as a Service allerdings den Vorteil, dass sie selbst dann noch über ihre Festnetznummern erreichbar sind, wenn die eigene Verbindung zum Internet gekappt ist, das interne Netz Schwierigkeiten macht oder sogar der Strom ausfällt. Die TK-Infrastruktur in der Cloud läuft weiter und kann Anrufe zumindest entgegennehmen.
Gute UCaaS-Lösungen sind ohnehin unabhängig vom Festnetztelefon nutzbar, weiß Axians-Consultant Langer: „Ist der Firmeninternetzugang gestört, kann auf mobile Devices und das Mobilfunknetz ausgewichen werden.“
3. Teil: „Analoge Altlasten“

Analoge Altlasten

Probleme bei der Umstellung auf All-IP im Allgemeinen und UCaaS im Speziellen machen oft auch analoge Altlasten: Faxgeräte, Frankiermaschinen, Gegensprecheinrichtungen, Alarmanlagen und Notrufsysteme in Aufzügen lassen sich nicht ohne Weiteres an ein IP-Netz anschließen. Ein Ersatz durch digitale Pendants ist teils kostspielig und aufwendig, teils gar nicht möglich.
„Eine genaue Planung und Vorbereitung mit Prüfung aller Anforderungen ist deshalb zwingend erforderlich“, sagt Langer. Zum Teil lasse sich das Problem über eine Mobilfunk­anbindung lösen, ergänzt Interoute-Manager Hartmann: „Manche Bestandsanlagen lassen sich nicht über ein IP-Netz betreiben, daher wählt man hier häufig GSM-Mobilfunk-Lösungen.“
Abgesehen von Infrastrukturproblemen sind es oft Datenschutzbedenken, die Unternehmen vor dem Schritt zur Kommunikationslösung aus der Cloud zurückschrecken lassen. „UCaaS ist ohne die Übertragung personenbezogener Daten wie Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Kalenderinformationen nicht möglich“, sagt Oliver Löw, Head of UCC Solutions beim Cloud-Provider BT. „Deshalb ist der Datenschutz in jedem Fall von Anfang an in alle Planungen einzubeziehen.“
Auch Thomas Muhr von ShoreTel empfiehlt, diesem Punkt besondere Beachtung zu schenken: „Grundsätzlich ist zu raten, dass sich Unternehmen genau ansehen, mit welchen Cloud-Anbietern die jeweilige Lösung betrieben wird.“ Nach Ansicht von TeamFON-Chef Weiß ist es sinnvoll, auf einen deutschen Anbieter zu setzen. „Dies erleichtert später die Umsetzung von zukünftigen Datenschutzvorschriften, etwa der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).“
Neben der Möglichkeit, die Datenhaltung auf Rechenzen­tren in Deutschland oder im EU-Raum zu begrenzen, bieten viele UCaaS-Provider auch die Option, den Service in einer vom öffentlichen Internet getrennten Private Cloud zu betreiben. „Unternehmen sollten sich die Frage stellen, ob sie ihren Bedarf mit dem standardisierten Angebot einer Public-Cloud-Lösung erfüllen können oder ob sie Anforderungen an Individualisierung, Integration, Datenschutz und Sicherheit stellen, die nur eine Private Cloud erfüllen kann,“ sagt Swyx-CTO Claßen, „eine optimale Lösung bietet einen identischen Funktionsumfang in verschiedenen Varianten und Bezugsmodellen. Das erleichtert eine nahtlose Migration und sorgt dafür, dass ohne großen Aufwand nachjustiert werden kann, wenn sich der Bedarf mit der Zeit verändert.“

Der menschliche Faktor

Über all den wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Aspekten, die für oder gegen eine UCaaS-Lösung sprechen, dürfen die Nutzer nicht vergessen werden. „Wie bei jeder neuen Technologie kann es zunächst Unsicherheit bei den Mitarbeitern geben – hier bietet es sich an, frühzeitig zu informieren und Schulungen anzubieten“, sagt BT-Manager Löw. Ein gutes Mittel, um Akzeptanz zu schaffen, sind laut Löw Demo-Arbeitsplätze, an denen die Nutzer die neue Technik ausprobieren können. Auch der Betriebsrat sollte unbedingt frühzeitig an der Umsetzung von UCaaS-Konzepten beteiligt werden, rät der BT-Manager: „In vielen Firmen gibt es anfangs Bedenken gegen die Anzeige von Präsenzinformationen. Dahinter steht die Annahme, dass diese Informationen für Verhaltens- oder Leistungskontrollen genutzt werden können.“ Durch die Einbeziehung des Betriebsrats ließen sich solche Bedenken ausräumen, bevor sie Unruhe in der Belegschaft und Verzögerungen bei der Einführung hervorrufen. „Ein einfacher Kompromiss kann zum Beispiel sein, zwar den Verfügbarkeitsstatus einer Person anzuzeigen, aber nicht die Dauer der Inaktivität oder Anwesenheit“, so Löw.

Fazit

Wohl kaum ein Unternehmen, das noch auf ISDN setzt, wird in den kommenden 18 Monaten um eine Restrukturierung seiner Kommunikationsinfrastruktur herumkommen. Da liegt es nahe, Cloud-Angebote in die Überlegung miteinzubeziehen. Gerade Mittelständler mit begrenztem IT-Know-how und geringen internen IT-Ressourcen können von Unified Communications as a Service profitieren, befreit es sie doch davon, in eine eigene TK-Anlage zu investieren und diese zu betreiben.
Vor der Entscheidung ist jedoch sorgfältig zu prüfen, ob internes Netz und Internetverbindung für eine Cloud-Lösung ausreichend dimensioniert sind, oder ob gegebenenfalls zusätzliche Kosten für ein Upgrade entstehen, die die Vorteile der Cloud-Lösung zum Teil oder ganz zunichtemachen. Auf jeden Fall sind in den Prozess auch Betriebsrat und Datenschutzbeauftragte miteinzubeziehen, da die Kommunikation über die Cloud viele Fragen rechtlicher Art aufwirft.
Erfolgreiche Migration auf UCaaS
Was Sie vor der Umstellung auf All-IP im Allgemeinen und UCaaS im Speziellen beachten sollten.
Internetzugang: Falls der Anschluss nur 98 Prozent garantierte Verfügbarkeit bietet, sollte als Fallback ein zweiter Zugang, etwa über einen LTE-Router, zur Verfügung stehen. Auch eine Aufrüstung auf einen SDSL(Symmetric Digital Subscriber Line)- oder MPLS(Multiprotocol Label Switching)-Anschluss mit garantiertem Quality of Service für Echtzeitkommunikation ist überlegenswert, allerdings mit erheblichen Mehrkosten verbunden. Eine symmetrische Leitung lohnt sich vor allem auch dann, wenn viele Teilnehmer gleichzeitig telefonieren oder gar Videokonferenzen in HD abhalten wollen. Ein VoIP-Telefonat benötigt circa 100 KBit/s in beide Richtungen, bei Videokonferenzen in HD können es bis zu 4 MBit/s sein.
Internes Netz: Das interne LAN sollte möglichst durchgehend mit Gigabit-Ethernet ausgerüstet sein, alle Switches und Router Quality-of-Service- sowie VLAN-fähig sein. Für den Anschluss von Tischtelefonen ist zudem Power over Ethernet von Vorteil. Werden Endgeräte per WLAN angebunden, ist eine durchgängige, gemanagte WLAN-Infrastruktur mit mindestens 802.11n notwendig.
Stromversorgung: Anders als im ISDN-Netz mit seiner Notstromversorgung sind bei der IP-Telefonie im Fall eines Stromausfalls keine Gespräche über das Festnetz mehr möglich. Alle Router, Switches und Endgeräte in der Kommunikationsinfrastruktur sollten deshalb an eine unterbrechungsfreie Stromversorgung angeschlossen werden.
Fax: Falls Sie zwingend ein Papierfaxgerät benötigen, sollten Sie einen Provider wählen, der das Faxprotokoll T.38 unterstützt. Für die gelegentliche, nicht rechtsverbindliche Faxkommunika­tion genügt dagegen ein Fax-Webservice.
Problemfälle: Analoge Notrufsysteme in Aufzügen, Alarm­anlagen, Frankiermaschinen, Gegensprecheinrichtungen und Kartenterminals lassen sich nicht ohne Weiteres über ein IP-Netz betreiben. Vor der Umstellung sollten Sie alle potenziellen Pro­blemfälle im Unternehmen sammeln und Migrationspfade über Adapter beziehungsweise das Mobilfunknetz prüfen, oder den Ersatz durch IP-fähige Alternativen erwägen.

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