Business-IT
10.10.2019
E-Commerce
1. Teil: „Wenn Chatbots Nutzern unheimlich werden“

Wenn Chatbots Nutzern unheimlich werden

ChatbotChatbotChatbot
Bild: Shutterstock / LuckyStep
Beim Einsatz von Chatbots müssen die Händler das „Uncanny Valley“ vermeiden. Vielmehr sollte der Avatar dem Menschen möglichst ähnlich sein, um den Nutzer nicht zu verschrecken.
Digitale Sprachassistenten sind auch hierzulande beliebt: Über ein Viertel (27,3 Prozent) der Deutschen nutzt bereits digitale Helfer wie Google Assistant, Amazon Alexa, Siri oder Cortana. 5,7 Prozent haben ihre smarten Lautsprecher dabei sogar mehrmals täglich im Einsatz - so lautet das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von Eco - Verband der Internetwirtschaft e. V.
„Digitale Sprachassistenten unterstützen uns in allen Lebenssituationen immer stärker und werden darin auch immer besser - ob zu Hause, im Auto oder im Job“, erklärt Bettina Horster, Leiterin der Kompetenzgruppe IoT im Eco-Verband und Vorstand Vivai Software, diesen Befund.
Roboter und im Besonderen Chatbots gelten bis dato vor allem als Arbeitsmaschinen, effiziente und präzise Vollstrecker oder kompetente Ansprechpartner bei Service-Hotlines. In der deutschen Industrie sehen sie Menschen kaum ähnlich, um emotionale Verstrickungen auszuschließen.
In Asien hingegen werden schon länger humanoide Roboter entwickelt, etwa für die Alterspflege oder sogar als Sexpartner. Eine äußerliche Ähnlichkeit zu Menschen soll hier die Akzeptanz der Maschine erleichtern. Sie weckt aber auch Ängste: Was ist Mensch, was ­Maschine? Die Skepsis, die bei einer sehr großen Ähnlichkeit aufkommt, nennen japanische Roboterforscher „Uncanny Valley“.
Auch in Deutschland hat man bereits mit diesem Phänomen experimentiert, etwa auf der letzten CEBIT in Hannover: Dort wurden beispielsweise Staubsaugerroboter vorgeführt, die, wenn der Stromvorrat zur Neige ging, nach einer Steckdose suchten, um sich aufzuladen - und das umso dringender, je geringer die Stromreserven ­waren. Die Zuschauer fanden dies meist lustig, vor allem, wenn demonstriert ­wurde, wie „aufgeregt“ diese Geräte werden konnten, wenn sie auf dem Weg zur Steckdose fortgesetzt behindert wurden. Das wirkte niedlich, weil die Zuschauer sich darin wiedererkannten, also menschliches Verhalten bei einem „Wesen“ entdeckten, das gar kein Mensch ist.
Andererseits wurden Roboter, die besonders ­menschen-­ähnlich aussahen, auf der CEBIT oftmals sehr argwöhnisch beäugt. Es wirkte nämlich so, als würde sich ein Mensch ­nähern, der in seinem Ausdrucksverhalten etwas merkwürdig ist. Erwachsene zeigten sich dann Robotern gegenüber zurückhaltend und Kinder fingen manchmal an zu weinen, wenn diese seltsamen Gestalten mit ihnen Kontakt aufnehmen wollten.

Klarer Fokus wichtig

Der Leistungsumfang der aktuell verfügbaren Chatbots ist klar umrissen: Mit ihnen lässt sich die Beantwortung von einfachen und oft gestellten Fragen automatisieren. Diese kommen daher typischerweise in Call- und Service-Centern oder Fachanwendungen zum Einsatz, bei denen häufig immer wieder die gleichen Fragen anfallen.
Wolfgang Hildesheim, bei der Deutschland-Dependance des IT-Konzerns IBM als Director Watson, Data Science & Artificial Intelligence unter anderem für das Thema Künstliche Intelligenz zuständig, leitet daraus folgende Schlussfolgerung ab: „Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Chatbots sich auf ihr Kompetenzfeld konzentrieren und nicht Kompetenzen vorgaukeln, die sie nicht haben. Fokus und Klarheit über das, was der Chatbot kann, ist wichtig für seinen Erfolg.“
Das Auftauchen eines Problems wie „Uncanny Valley“ erstaunt, denn eigentlich erfreuen sich Chatbots großer Popularität. Bei vielen Experten gelten sie sogar als „The Next Big Thing“. Wie kann es sein, dass Menschen, die einen Roboter eigentlich putzig finden, sich plötzlich vor ihm gruseln? Das Problem liegt für Hildesheim an der Weiterentwicklung der Chatbots.
Die meisten Chatbots basieren heute noch auf Text: Die Frage wird per Tastatur eingetippt und der Chatbot antwortet im Textformat. Typischerweise kommen solche Tools auf Websites oder in Social-­Media-Umgebungen zum Einsatz. Zusätzlich kann man den Chatbot aber auch sprechen lassen und ihm ein animiertes Gesicht geben.
Die marktüblichen Text-to-Speech- und Speech-to-Text-Lösungen erlauben, Sprache in Text umzuwandeln und die Antwort des Chatbots wiederum in Sprache, sodass der Chatbot eine Stimme bekommt. Als Gesicht werden Avatare eingesetzt - dies können einfache bewegte Logos sein, zum Beispiel Smileys, oder auch sehr realistische, menschenähnliche Grafik­simulationen.
2. Teil: „Avatar als Akzeptanzhürde“

Avatar als Akzeptanzhürde

Der KI-Experte meint dazu: „Bei ­Akzeptanzstudien beobachtet man, dass das Vertrauen von Menschen in Chatbots steigt, sobald gute Chat-Technologie mit einfachen Avataren kombiniert wird.“ Werte von 50 bis 60 Prozent werden diesen Studien zufolge erreicht. Doch wenn dann Avatare immer menschenähnlicher werden, nimmt das Vertrauen erstaunlicherweise wieder ab.
Der Nutzer hat dann das Gefühl, beispielsweise mit einem Zombie oder ­einem Untoten zu reden - eben der Effekt des „Uncanny Valley“. Das hat sofort Auswirkungen auf das Vertrauen: Es sinkt auf 10 bis 30 Prozent. Erst wenn der Avatar sehr gut ist und dem Menschen sehr gleicht, steigt das ­Vertrauen wieder auf Werte von über 60 Prozent. „Insofern ist es wichtig, dass die Gesamtlösung so optimiert wird, dass die Nutzerakzeptanz am höchsten ist“, resümiert der IBM-Manager.
Wenn Roboter dem Menschen also zu ähnlich werden, sinkt die Akzeptanz. Wie können Händler nun verhindern, dass ihr Chatbot als gruselig wahrgenommen wird? Für Hildesheimer ist die Lösung die, dass der Chatbot auf die Nutzergruppe hin optimiert werden sollte: „Techniker, die auf einer Ölplattform Pumpen warten, erwarten eine schnelle und sachlich genaue Antwort ohne viel ‚Spielerei‘. Ein Chatbot, der in einer Einkaufsstraße ­Luxusprodukte für junge Käufergruppen anpreist, mag das Gegenteil sein.“ Hier liegt das Schwergewicht der Lösung auf einem großen, ­unterhaltsamen optischen Effekt und nicht auf einer dürren, wenn auch zutreffenden Information. Aus diesem Grund, so meint der Experte, sollte die Gesamtlösung immer unter Berücksichtigung der Nutzergruppe und dem gewünschten Ziel gestaltet werden.

Erst einmal klein anfangen

Wolfgang Hildesheims Rat an Händler, die einen Chatbot optimal einsetzen wollen, lautet deshalb denn auch, das Ganze Schritt für Schritt anzugehen: „Bei jedem Schritt lernt man etwas. Zum Beispiel kann man einfach einen ersten ­eigenen Chatbot bauen mit Watson Assistant und einigen wenigen Intents (Nutzerabsichten).“
In einem nächsten Schritt könne man den Chatbot in weitere Plattformen einbinden, etwa Smartphone-App oder Social-Media-Kanal. Besonders bei Mobile-Anwendungen hält Hildesheim eine Sprachsteuerung für sinnvoll.
Der letzte Schritt ist dann die Kombination mit einem Avatar. Der sollte allerdings hinsichtlich des „Uncanny Valley“-Effekts mit Bedacht ausgesucht werden. Hier gilt ganz eindeutig die Devise: Weniger - also eine einfache, reduzierte Darstellung - bewirkt oft mehr als ein hyperrealistisches Gesicht. 

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