Business-IT
13.07.2018
HR-Report 2018
1. Teil: „Die Chancen der Agilität werden zaghaft genutzt“

Die Chancen der Agilität werden zaghaft genutzt

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kentoh / shutterstock.com
Agile Organisationen gelten als ideal, um Flexibilität und Schnelligkeit zu verbessern. Dadurch erhöht sich die Flexibilität in der Produktentwicklung, in der Projektbearbeitung sowie im Mitarbeitereinsatz.
Der Beitrag wurde erstellt von Frank Sabel, Head of Marketing und Corporate Communications beim Personaldienstleister Hays.
Die agile Organisation gilt als die adäquate Struktur, um den digitalen Wandel gestalten und mit dem hohen Tempo auf den Märkten mithalten zu können. Anders als die traditionellen Linienorganisationen mit oft bis ins Detail geregelten Abläufen und Hierarchien passen sich agile Organisationen neuen Anforderungen einfacher an. Sie bieten eine ungleich höhere Flexibilität, um Produkte zu entwickeln, Projekte zu bearbeiten oder Mitarbeiter einzusetzen. Angesichts dieser theoretischen Vorteile müssten viele Unternehmen längst auf dem Weg in eine agile Organisation sein. Oder nicht? Um diese Frage zu klären, hat das Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) für den HR-Report 2018 über 1.000 Firmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt.

Noch kein Alltag

In der Tat geben 51 Prozent der Teilnehmer an, dass die Bedeutung einer agilen Organisation in ihren Unternehmen bereits heute groß oder sehr groß sei. Befragt nach der Bedeutung des Themas in drei Jahren, steigt die Zustimmung sogar auf 69 Prozent. Die IT ist dabei der Bereich, wo agile Strukturen am verbreitetsten sind: In jedem sechsten Unternehmen arbeitet sie bereits agil. In drei Jahren sollen es vier von zehn Firmen sein. Interessant: In Deutschland ist die IT schon in jedem fünften Unternehmen agil, in der Schweiz erst in jedem neunten.
Mittlerweile steht ein umfangreiches Set agiler Methoden zur Verfügung. Doch im Alltag sind diese neuen Werkzeuge offensichtlich noch kaum angekommen. Die drei wichtigsten Methoden sind aus Sicht der Teilnehmer Design Thinking (30  Prozent), Innovationslabore (26 Prozent) und Lean Startup (22 Prozent). Genutzt wird Design Thinking jedoch erst von 19 Prozent, die beiden anderen Methoden von 12 beziehungsweise 14 Prozent. Auffällig ist ein Alters­graben: Nur 17 Prozent der Befragten bis 40 Jahre schätzen agile Methoden als nicht wichtig ein, bei den über 50-Jährigen 36 Prozent.
Agile Methoden (Auswahl)
Design Thinking: Ist eine systematische Herangehensweise an komplexe Problemstellungen. Dabei bestimmen die Wünsche und Bedürfnisse der Anwender sowie nutzerorientiertes Erfinden im Sinne einer ständigen Rückkopplung den Prozess.
Innovationslabore: Sind interdisziplinäre und themenbezogene Bereiche, die sowohl räumlich als auch arbeitstechnisch von anderen Unternehmens­bereichen abgegrenzt bleiben, um dort innovative Prozesse un­gestört fördern zu können.
Personal Kanban: Ist eine Methode zur Organisation des Tagesgeschäfts durch Visualisierung der Wertströme und der Prozessabläufe auf einem Board. Das Board ermöglicht eine Statusbetrachtung und Priorisierung von Aufgaben. Diese sollten täglich im Team zumindest kurz diskutiert werden.
Lean Startup: Ist eine Methode, bei der ein Produkt um­gehend auf den Markt gebracht wird, um anhand des Nutzer-Feedbacks auf validierter Basis Anpassungen vornehmen zu können.
Instant Open Space: Ist eine Meetingmethode, mit der bis zu 50 Teilnehmer zu eigenen Themensetzungen angeregt werden. Mit Instant Open Space sollen Mitarbeiter frei über interessante Themen diskutieren, Ideen entwickeln und Projekte planen.
Scrum: Ist ein Rahmenwerk für multidisziplinäre Teams zur Entwicklung und Pflege qualitativ hochwertiger komplexer Systeme und Produkte. Kennzeichen sind kurze Projektetappen, sogenannte Sprints, und festgelegte Rollen. Hinzu kommen regelmäßige Meetings in jeweils vordefinierten Zeitabschnitten.
Lean Coffee: Ist eine strukturierte Vorgehensweise für den kollegialen Wissens­austausch im eher kleinen Kreis, die sich an die Idee des World Cafés anlehnt. Es gibt vorab keine Agenda, die Themen werden gemeinsam zu Beginn festgelegt.
Delegation Poker: Hier können Führungskräfte und Teams erproben, wie und auf welche Ebenen sich bestimmte team- oder unternehmens­relevante Entscheidungen delegieren lassen.
2. Teil: „Probleme durch Nebeneinander“

Probleme durch Nebeneinander

Die Einführung agiler Organisationsmethoden hat ihre Tücken. Denn auch wenn das Modell mit seinen kreativen Netzwerken verheißungsvoll klingt, bleiben für viele Prozesse Einheit, Ordnung und klar definierte Aufgabenteilung noch immer unabdingbar. Beide Formen haben deshalb ihre Daseins­berechtigung. So entsteht ein Nebeneinander zweier Arbeitsweisen und Kulturen: Hier das etablierte hierarchische System für das Tagesgeschäft, dort ein zweites System mit einer agilen, netzwerkartigen Struktur, das geeignet ist, um konstant nach neuen Lösungen und Ideen zu suchen.
Wo aber die Linienorganisation und agile Organisationsformen gleichermaßen implementiert sind, kommt es an der Schnittstelle immer wieder zu Prob­lemen bei der Abgrenzung. Hier ist es besonders wichtig, dass Verantwortlichkeiten wie die Vorgesetztenfunktion geklärt und vorhandene Prozesse und die dazu­gehörenden Strukturen neu ausgebildet werden. Auch muss das in vielen Abteilungen noch immer ausgeprägte Silodenken aufgebrochen werden.
Das Nebeneinander von Arbeitsgruppen hat zudem nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf die Führung der Mitarbeiter und die Unternehmenskultur. Im Zentrum der Anforderungen an die Führungskultur in agilen Organisationen stehen die Förderung der Eigenverantwortung der Mitarbeiter sowie deren aktive Beteiligung an den  Entscheidungsprozessen. Zugleich sollen sich die Führungskräfte von Kontrolleuren hin zu Unterstützern ihrer Mitarbeiter wandeln.
All diese Anforderungen verlangen in Zukunft eine weitaus intensivere Form der Kommunikation der Führungskräfte mit Mitarbeitern als heute. Das bedeutet aber auch, dass bei der Auswahl neuer Führungskräfte deren kommunikativen Fähigkeiten größeres Gewicht zukommen sollte als dem Fachwissen. Doch noch immer fußen Führungskarrieren nach übereinstimmender Meinung der Befragten in überwiegendem Maße auf überzeugenden fachlichen Kompetenzen.

Mehr Mut zur Lücke

Alles in allem zeigt der HR-Report 2018 auf, dass die Diskussion über flexiblere Strukturen zwar gerade angesichts der digitalen Transformation breit und intensiv geführt wird, dass jedoch noch nicht viel davon im Alltag der Unternehmen angekommen ist. Zu hoch ist das Beharrungsvermögen unserer vertrauten Organisationswelten. Firmen, die agiler werden wollen, müssen also eine Abkehr von den starren Prozessen und Abläufen vollziehen: weniger Prozesshandbuch, mehr Mut zur Lücke. Liebgewonnene Muster und alte Zöpfe, die früher Sicherheit geboten haben, greifen in der neuen digitalen Welt nicht mehr. Im Gegenteil, sie verlangsamen Organisationen, statt sie zu beschleunigen.
Die agile Organisation
Agile Organisationen zeichnen sich durch eine hohe und schnelle Anpassungsfähigkeit an veränderte Rahmen­bedingungen und Marktsituationen aus. Flexibilität hinsichtlich der Anpassungen von Produkten, Prozessen und vor allem der Mitarbeiter mit ihren Kompetenzen sind entscheidende Kriterien. Agile Organisationen sind in einem hohen Grad vernetzt und die Mitarbeiter organisieren sich selbst. Zudem sind die Arbeits- und Projektteams in der Lage, in gewissem Umfang autonom Entscheidungen zu treffen.

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