E-Commerce
08.04.2019
Datenzugriff und -export
1. Teil: „Das bringt ein ERP der nächsten Generation“

Das bringt ein ERP der nächsten Generation

ERPERPERP
 Michail Petrov / shutterstock.com
Viele E-Commerce-Projekte scheitern am Datenzugriff. Klassische ERP-Systeme sind meist nur bedingt für den Online-Handel geeignet. ERP-Systeme der neuen Generation gehen nun neue Wege.
Eine regionale Studie des Wirtschaftsausschusses des Rhein-Sieg-Kreises offenbart das Dilemma des altein­gesessenen mittelständischen Einzelhandels: Nur 24 Prozent der Einzelhändler in Siegburg sind derzeit in der Lage, mit ihrer Warenwirtschaft an einem Local-Commerce-Portal teilzunehmen. Das bedeutet im Umkehrschluss: 76 Prozent - und damit drei von vier Einzelhändlern des 40.000-Seelen-Städtchens - können nicht mitmachen.
Veraltete Technik bremst also E-Commerce-Ambitionen aus. Und Siegburg ist da kein Einzelfall. Überall in Deutschland sind traditionelle Einzelhändler technisch entweder gar nicht oder nur mit veralteten Systemen ausgerüstet. Doch wer Produktinformationen, Bestände oder Kundeninformationen manuell in Excel-Listen pflegt, kann den erfolgreichen Einstieg in den digitalen Handel von vornherein vergessen. Auf der anderen Seite merken aber auch große Handelshäuser, die in ihrer Systemlandschaft auf hochpreisige Lösungen wie die von SAP und Co. setzen, dass sie in ihren Digitalisierungsplänen ausgebremst werden. Grund: Solche Lösungen sind einfach nicht für Aufgaben wie den Online-Handel geschaffen.
„Klassische ERP-Systeme sind meist Datenbanken und Anwendungen, die vor 40 Jahren entstanden sind“, weiß Benedikt Sauter, der mit Xentral eine neue Generation von Enterprise-Resource-Planning-Systemen entwickelt hat. Primäres Ziel alter ERP-Lösungen war es, ein normiertes und strukturiertes Datenmodell zu haben, wie es die klassische Informatik fordert. „Allerdings sind diese Modelle extrem unflexibel und erfordern eine intensive Schulung der Mitarbeiter. Das ist genau das Gegenteil der Lösungen, die die heutige Generation benötigt“, sagt Sauter.
Wie schwer sich Unternehmen tun, aus traditionellen Systemlandschaften wie SAP R3 oder AS400 oder aus ihren stationären Kassensystemen die Daten zu ziehen, die sie für den Online-Handel benötigen, erlebt Martin Himmel, Mitgründer der auf System-, Prozess- und Organisationsoptimierung spezialisierten E-Commerce-Beratung Ecom Consulting, in Kundenprojekten oft. „Viele E-Commerce-Strategien  scheitern am Datenzugriff und -export und auch an der Datenhaltung“, so der Experte. Weil jede Firma ihre Daten in Systemen wie SAP anders anlegt und pflegt, gebe es keine Schnittstellenstandards, über die sich an diese Daten leicht wieder herankommen lässt. Doch wenn Online- und Offline-Kanäle beispielsweise nicht auf dieselben Bestände zugreifen können, werden Multichannel-Services wie Click & Collect oder Click & Reserve kompliziert. Und der Vertrieb über verschiedene Online-Marktplätze wird zum Fiasko, wenn die notwendigen Produktdaten auf Amazon, Ebay, Real und Co. jeweils gesondert gepflegt und exportiert werden müssen.
Vor diesem Hintergrund sind immer mehr Warenwirtschafts- und ERP-Lösungen entstanden, die speziell auf die Bedürfnisse des Online-Handels ausgerichtet sind. Ihr Leistungsumfang ist unterschiedlich: Die einen fungieren im Wesentlichen als Datenbrücken für Produktdaten in Richtung Marktplätze, andere automatisieren die kompletten E-Commerce-Prozesse und bieten APIs zu Shop-Systemen, Marktplätzen, Zahlungsanbietern sowie zu Versand- und Fulfillment-Dienstleistern.
2. Teil: „Automatisierung macht rentabel“

Automatisierung macht rentabel

Der Marktplatzexperte, E-Commerce-Berater und Händler Michael Atug hat sich für die ERP-Lösung von Plentymarkets entschieden. Mit seinem Online-Shop Mymaw.de verkauft er unter anderem Werkzeuge im Web und nutzt dabei auch Marktplätze wie Amazon oder Ebay. Sein Hauptziel: alle relevanten E-Commerce-Prozesse weitgehend zu automatisieren.
„Automatisierung sorgt dafür, dass ich überhaupt noch Geld verdiene“, berichtet er. Wenn beispielsweise ein Kunde über Ebay bei Mymaw-Werkzeuge einen Hammer bestellt, wandert der Auftrag ins ERP-System - mit dem Status „unbezahlt“. Hat der Kunde seine Rechnung beglichen, werden alle Aufträge eines Tages automatisch gesammelt als Pick­liste exportiert. Gleichzeitig werden ohne weiteres Zutun Versand­etiketten und Rechnungen gedruckt. Anschließend sendet das System - ebenfalls vollautomatisch - eine E-Mail mit der Bestellbestätigung an die Kunden.

Sorgfalt bei der Auswahl

Welche ERP-Lösung die beste ist, muss jeder Interessent für sich selbst herausfinden, indem er die Anforderungen genau definiert. „Wer letzten Endes nur einen Connector für Marktplätze braucht, wird sich ärgern, wenn er die eierlegende Wollmilchsau gekauft hat“, sagt Berater Martin Himmel. Entsprechend wichtig ist es, ein Briefing zu erstellen, das sämtliche Komplexitätstreiber beinhaltet, Prozesse darstellt und illustriert, was in welchen Systemen wann passiert.
Vor der Anschaffung einer ERP-Lösung sollten sich Unternehmen über noch etwas im Klaren sein: Wer sich einmal für ein bestimmtes Produkt entscheidet, wechselt in der Regel nicht mehr so schnell. Denn ein Umstieg ist nicht einfach. „Die Gefahr, dass da etwas schiefgeht, ist groß“, warnt Händler Michael Atug.
Vor der Implementierung selbst sollten sich die Händler ausreichend Zeit nehmen, um zu überlegen, welche Ziele man mit dem neuen System überhaupt erreichen will, empfiehlt Berater Himmel. Und Händler Atug plädiert aus eigener Erfahrung dafür, schon vorab die für sich passenden Datenstrukturen zu entwickeln. „Wer das nicht mit Köpfchen macht, wird später frickeln und sich mit Schnittstellen und Workarounds behelfen müssen“, betont er. Auch sollte man sich frühzeitig klarmachen, wie man mit dem System mitwachsen will. Das betrifft auch die Kosten. „Händler, die mit 100 oder 1000 Transaktionen pro Monat anfangen und dann auf 100.000 Transaktionen wachsen, werden sich ärgern, wenn sie beispielsweise 15 Cent pro Auftrag vereinbart haben und dann monatlich 15.000 Euro an den ERP-Anbieter überweisen“, so Atug.
Warenwirtschafts- und ERP-Lösungen für Online-Händler (Auswahl)

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