Augmented Reality
24.02.2020
Technik-Trend
1. Teil: „Augmented Reality - Die Welt ist nicht genug“

Augmented Reality - Die Welt ist nicht genug

Augmented Reality in der IndustrieAugmented Reality in der IndustrieAugmented Reality in der Industrie
Zapp2Photo / shutterstock.com
Unternehmen profitieren verstärkt von AR-Anwendungen. Revolutionäre Veränderungen wird es 2020 wohl nicht geben, aber Verbesserungen für Soft- und Hardware sollen kommen
Augmented Reality (AR) ist längst nicht nur für die Gaming- und Unterhaltungsbranche interessant. Für Business- und Industrieanwendungen ergeben sich ebenfalls große Anwendungspotenziale, etwa im Bereich technische Simulation, aber auch in der Aus- und Weiterbildung. AR bettet zusätzliche digitale Inhalte in die reale Umgebung ein. Anders als bei Virtual Reality (VR) wird dabei die echte Umgebung nicht zur Gänze überdeckt. Microsoft hat für seine HoloLens darüber hinaus noch den Begriff „Mixed Reality“ geprägt, um zu suggerieren, dass es sich dabei um mehr handelt als nur um AR oder VR.

Glänzende Marktchancen?

Viele Prognosen sagen virtuellen Welten eine glänzende Zukunft voraus - egal ob AR oder VR. Aber birgt der Markt tatsächlich so viele Chancen? Diese Frage beantworten kann Simon Bender, Research Professional am AWS-Institut für digitale Produkte und Prozesse in Saarbrücken. AWS steht dabei nicht für Amazon Web Services, sondern für den Gründer August-Wilhelm Scheer. Das private Forschungsinstitut AWSi sieht sich als Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis und arbeitet daran, neue Technologien zu entwickeln und Geschäftsmodelle vorauszudenken. „Auf dem AR-Markt bleibt es spannend“, prognostiziert Bender. „Viele Unternehmen haben bereits AR-Features in ihre Produkte integriert. Beispielsweise gibt es von Google eine AR-Naviga­tion und Amazon plant für seine Plattform ein AR-Feature, damit Kunden Produkte virtuell ausprobieren können.“ Gleichzeitig gebe es Entwicklungen wie den WebAR-Standard, der es ermögliche, AR-Inhalte direkt aus dem Browser abzurufen, oder neue Hardware wie die HoloLens 2 von Microsoft, die ganz neue Möglichkeiten für Unternehmen bringe. 
Als entscheidend für den wachsenden Erfolg von AR sieht Andreas Haizmann, Senior Product Manager Augmented Reality beim Fernwartungsspezialisten Teamviewer, Fortschritte bei der Hardware an: „In den vergangenen Jahren haben Dutzende von kleinen und großen Technologieunternehmen AR-Software-Lösungen und Datenbrillen entwickelt. Die Technologie reift stetig und die Hardware wird immer erschwinglicher. Wir sehen aktuell immer mehr Anwender sowohl aus dem B2B- als auch dem B2C-Bereich, die eine wachsende Anzahl von Anwendungsszenarien für sich entdecken und einen Nutzen daraus ziehen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass AR nicht nur einen kurzlebigen Hype darstellt, sondern langfristig Einzug in den Arbeitsplatz und unseren Alltag halten wird.“
Der ungebrochene Mobility-Trend befeuert den AR-Erfolg ebenfalls. Augmented Reality eröffnet auch bei der Entwicklung und Anwendung mobiler Inhalte neue Perspektiven: Innovative Navigations-Features verbessern die Kundenführung und mobiles Einkaufen wird zunehmend interaktiv.
Viele Menschen sind erstmals 2016 mit Augmented Reality in Berührung gekommen. Das AR-Spiel „Pokémon Go“ von Niantic wurde in den ersten drei Wochen mehr als 75 Millionen Mal heruntergeladen. Dank Pokémon Go hat also schon ein Millionenpublikum erste Erfahrungen mit AR gesammelt.
Während im Consumer-Umfeld Smartphone-basierte Angebote dominieren, kommen im Business-Bereich meist dedizierte Endgeräte wie Smart Glasses zum Einsatz. In den vergangenen Jahren haben sich mehrere Anwendungsszenarien in Unternehmen etabliert, sei es in der Logistik, in der Produktion oder bei Wartungs- und Reparaturarbeiten.„Das Potenzial ist gewaltig, wir befinden uns hier erst am Anfang einer spannenden Reise“, schwärmt Mixed-Reality-Manager Michael Zawrel von Microsoft - mit einem für einen Hersteller von AR-Geräten wenig überraschenden Überschwang.
Entscheidend ist nach seinen Worten der zügige Aufbau einer großen Nutzerbasis: „Analysen des Consulting-Unternehmens Deloitte zufolge werden in Deutschland 2023 bereits über 20 Millionen Anwender regelmäßig Augmented Reality verwenden. Das bedeutet, die Zahl der aktiven AR-Nutzer wächst jährlich im Durchschnitt um mehr als 50 Prozent.“
Andererseits haben in den letzten Monaten mehrere Hardware-Hersteller von AR-Devices aufgegeben, da­runter Daqri, die Osterhout Design Group (ODG) und Meta - wobei Letzterer unter neuem Namen und Eigentümer weiterbesteht.
Augmented, Virtual und Mixed Reality
Die drei Grundspielarten der erweiterten Realität lassen sich nicht immer leicht voneinander abgrenzen. Selbst große Konzerne verwenden die Begriffe in ihren Produkten und Marketing-Kampagnen mitunter irreführend. Grundsätzlich gilt: In der Augmented Reality wird die reale Welt um virtuelle, digitale Inhalte angereichert. Damit unterscheidet sich AR grundlegend von der Virtual Reality, die eine künstliche, computergenerierte dreidimensionale Umgebung schafft. Während VR zwingend eine dedizierte Hardware in Form einer entsprechenden Brille erfordert, ist AR über jedes moderne Smartphone oder Tablet nutzbar. Mixed Reality ist am schwierigsten zu definieren, da jeder etwas anderes darunter versteht. Mixed Reality dient als Sammelbegriff für sämtliche Technologien, die sich zwischen der echten Welt und der komplett virtuellen Realität befinden. 
Laut Microsoft ist die besondere Eigenschaft von Mixed Reality, dass Objekte der realen und der virtuellen Welt miteinander interagieren können. In einer Mixed Reality sollen sich digitale Objekte praktisch nahtlos in die Realität einfügen lassen. So könne der Benutzer etwa ein Wetter-Widget wie eine Wetterstation auf dem Wohnzimmertisch platzieren. Ganz gleich, wohin er sich im Raum bewegt, es bleibt an Ort und Stelle. Oder ein Ingenieur könnte prüfen, ob ein vorgesehenes und virtuell da­r­gestelltes Bauteil tatsächlich in eine vor ihm stehende Maschine passt.
2. Teil: „Augmented-Reality-Trends“

Augmented-Reality-Trends

  • VR, AR und MR: Was kann was?
    ● ja   ○ nein
    Quelle:
    com! professional
Oliver Köth, CTO des IT-Dienstleisters NTT Data Deutschland, sieht einen Trend hin zu X-Reality (XR), der Verschmelzung von AR und VR. Die Entwicklung wird begünstigt durch VR-Brillen mit einem See-Through-Modus, der es Nutzern erlaubt, AR-Inhalte zu ihrer VR-Experience hinzuzufügen.
Nach einer Studie von Gartner werden 2020 rund 100 Millionen Nutzer AR-fähige Einkaufstechnologien nutzen. IKEA etwa hat eine AR-App herausgebracht, mit der die Kunden sehen können, wie einzelne Möbelstücke in den heimischen vier Wänden zur Geltung kommen würden.
Apples ARKit und Googles ARCore liefern die Grundlage für Anwendungen im Bereich Indoor-Navigation. Das können zum Beispiel Wegbeschreibungen in Flughäfen, Einkaufszentren, Behörden oder Unternehmensgebäuden sein. Der Flughafen London-Gatwick bietet bereits eine App an, die basierend auf der Flugnummer eines Benutzers die kürzesten Wege zu Terminals und Gates darstellt.
Im August startete Google die Beta-Version einer AR-Funktion für Google Maps, die für alle AR-kompati­blen iOS- und Android-Mobilgeräte zur Verfügung stehen soll. Funk­tionen und Anwendungen die Navigation betreffend dürften daher dieses Jahr sprunghaft ansteigen.
Auf der Hardware-Seite sorgen verbesserte AR-Headsets und Smart Glasses bei gleichzeitig fallenden Preisen für Bewegung - allerdings sind die Akkulaufzeiten noch immer gering. Die neue HoloLens 2 von Microsoft verspricht Verbesserungen bei Leistung, Akkulaufzeit und Tragekomfort. Sie ist ausschließlich für Industrie­kunden gedacht.
Andere Hersteller sehen die Zukunft der Augmented Reality ebenfalls in erster Linie im Business-Sektor und liefern entsprechende Hardware. Die Glass Enterprise Edition 2 von Google ist bereits bei Unternehmenskunden wie Boeing, General Electric, DHL und Volkswagen im produktiven Einsatz.
Auch die AR-unterstützte Aus- und Fortbildung stufen viele Analysten als Trend ein. Unternehmen schulen Mitarbeiter dabei vor Ort mit AR-Overlays. Nach den Zahlen von ABI Research soll AR-basiertes Training in Unternehmen bis 2022 ein Marktvolumen von sechs Milliarden Dollar erreichen.

Augmented Browser

Auch im Web ist Augmented Reality mittlerweile angekommen: Seit Chrome 79 im November die WebXR-Device-API aufgenommen hat, können Entwickler webbasierte Augmented-Reality-Anwendungen auch für Smartphones erstellen. WebXR vereint Virtual und Augmented Reality. Anstatt spezielle Apps zu verwenden, können Benutzer einfach zu entsprechenden AR-Websites surfen. Mozilla beschäftigt sich ebenfalls seit geraumer Zeit mit WebAR, um AR-Lösungen für einen Browser-Ableger namens Firefox Reality bereitstellen zu können. Andere Browser-Hersteller werden folgen. 2020 ist wahrscheinlich das Jahr, in dem WebAR auf praktisch jedem aktuellen Browser verfügbar sein wird. Während Anbieter wie Epson, Metavision und Magic Leap möglichst viele Anwender in ihr geschlossenes Ökosystem locken wollen, soll sich der Browser als Standard für immersive Inhalte etablieren und den Marktzugang für VR und AR demokratisieren.
Teamviewer-Manager Haizmann dämpft hier die Euphorie etwas: „Die Vorstellung, AR-Anwendungen ohne Installationen und nur aus einem Webbrowser heraus einsetzen zu können, klingt zunächst sehr reizvoll. Obwohl WebAR den Zugang zu AR prinzipiell erleichtert, reichen die Möglichkeiten von WebAR-Anwendungen aber bei Weitem noch nicht an das heran, was mit einer explizit dafür entwickelten App möglich ist.“
3. Teil: „Anwendungen für AR“

Anwendungen für AR

  • AR-Cloud-Projekt: Erste Ansätze demonstrieren, wie eine 3D-Karte der virtuellen Welt aussehen könnte.
    Quelle:
    6D.ai
Ein Beispiel für Augmented Reality kennen die meisten: Bei einer Fußball-Übertragung werden zusätzliche Informationen wie Abseitslinien und die Torentfernung digital ins TV-Bild eingeblendet. Der Fantasie für ähnliche Anwendungen sind kaum Grenzen gesetzt: zusätzlicher Informationsgehalt von Print-Produkten durch begleitende AR-Apps, die das Druck-Erzeugnis interaktiv ergänzen. Oder eine Verbindung bestimmter Produkteigenschaften mit digitalen Inhalten, wie es etwa der Columbus-Verlag mit seiner App 4D Globus als Ergänzung eines Globus vormacht. Ein anderes Beispiel ist die Bedienung und Reparatur von Produkten und Maschinen mit Hilfe einer AR-App. Weiterbildung und individuelle Trainings von Mitarbeitern im Unternehmen mit AR-Unterstützung sind flexibel, standortunabhängig und skalierbar.
Fast schon etabliert ist die Optimierung von Abläufen für Lager- und Logistikarbeiter durch Vision-Picking. Dabei sind Papier oder Handheld-Devices überflüssig. Eine Datenbrille blendet den Mitarbeitern alle Arbeitsanweisungen und Hinweise ein, zum Beispiel wo sich ein bestimmter Artikel befindet oder wo er abgelegt werden soll. Der Kommissionierer hat dabei beide Hände frei und kann so leichter und effizienter arbeiten. Wichtige Informationen zur Ware lassen sich dem Lieferanten auf der letzten Meile via AR-App übermitteln -  etwa eine Darstellung des Wegs zur Lieferadresse, von Eingängen und Briefkästen oder von individuellen Lieferwünschen der Empfänger.
Für AWSi-Forscher Simon Bender sind die spannendsten Einsatzgebiete virtuelle Collaboration-Umgebungen, Engineering-Anwendungen und Digital-Twin-Ansätze für industrielle Anlagen. „Darüber hinaus gibt es vielversprechende Prototypen für die Telepräsenz an entfernten Orten sowie visionäre Themen wie die AR Cloud.“ (Siehe dazu „Vision AR Cloud“ auf Seite 25.)
Ähnliches verspricht Microsoft-Mann Zawrel: „Über die Kombination aus Künstlicher Intelligenz und Cloud-Computing ermöglicht die HoloLens 2 eine instinktive Zusammenarbeit in der digitalen Welt und einen Wissensaustausch über Hologramme - unabhängig von Raum und Zeit“. Im Bereich der plattformübergreifenden Dienste gebe es neben Dynamics 365 Remote Assist auch Anwendungen wie Azure Spatial Anchors. „Damit erstellen die Kunden Mixed-Reality-Anwendungen mit einem räumlichen Bezug. So können etwa Industriekunden in einer Fabrik Wartungsinformationen in Form von Hologrammen neben Maschinen an einer Produktionslinie platzieren und diese Informationen dann gezielt für berechtigte Mitarbeiter sichtbar machen.“
Ein Schwerpunkt der Forschung des AWS-Instituts ist die Frage, wie sich Arbeitsumgebungen und Kommunikationsformen mit dem digitalen Wandel ändern. „Dazu entwickeln wir in einem Forschungsprojekt eine XR-Anwendung zur digitalen Zusammenarbeit in virtuellen Arbeitsumgebungen“, erklärt Simon Bender. „In einem weiteren Projekt möchten wir die Aus- und Weiterbildung durch digitale Assistenzsysteme verbessern und ein drittes Projekt untersucht die Einsatzmöglichkeiten und Vorteile von AR-Technologie im Einzelhandel.“
Auch Unternehmen wie Teamviewer, bei denen man es nicht unbedingt erwartet, setzen inzwischen AR-Technik ein. Andreas Haizmann erläutert: „Bei Teamviewer ging es schon immer darum, Menschen dabei zu helfen, andere bei ihren Problemen zu unterstützen - das reicht vom technikversierten Enkel, der den Großeltern bei PC-Problemen unter die Arme greift, bis hin zum professionellen IT-Administrator. Mit Teamviewer Pilot ermöglichen wir unseren Kunden nun, jegliche Probleme zu lösen - nicht nur Probleme am Bildschirm. Mit der AR-basierten Lösung kann mir ein Experte virtuell über die Schulter schauen und dabei helfen, ein Problem zu beheben.“ Teamviewer Pilot baue auf der Team­viewer-In­frastruktur auf und erlaube es dem Experten zu sehen, was die Person sieht, die vor Ort Hilfe benötigt. Der Experte könne dann mit Hilfe von AR-Annotationen im dreidimensionalen Raum Markierungen setzen, Gegenstände und Bereiche hervorheben und Hilfestellungen einblenden, um die Person zu unterstützen. Haizmann nennt ein Beispiel: „Als auf einem Frachter im Arabischen Meer im Hafen von Karatschi in Pakistan bei der Löschung der Ladung plötzlich Probleme mit dem bordeigenen Kran auftraten, konnten die Experten von TTS, einem der führenden Kran-Hersteller, den Techniker vor Ort mit Teamviewer Pilot bei der Fehlerdiagnose und -behebung unterstützen.“
Weitere Anwendungen im Bereich Service und Training nennt Microsoft-Manager Zawrel: „Über Digital Twins beschleunigen holografische Technologien die Produktentwicklung und reduzieren Kosten. Oder nehmen Sie das Collaborative Training 4.0 von Bosch als spannendes Beispiel aus der Automobilindustrie: ein interaktives Training mit holografischen Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die Auszubildenden helfen, neue Produkte und Technologien zu verstehen und Servicetechniker befähigen, Reparatur- und Wartungsarbeiten effizienter durchzuführen. Oder Airbus, das nach einer vierjährigen Testphase mehr als 300 Anwendungsbereiche identifiziert hat, in denen Mixed-Reality-Lösungen einen Mehrwert bieten können. Mixed Reality ermöglicht den Auszubildenden von Airbus in der Luft- und Raumfahrt, in einer virtuellen Umgebung zu lernen, ohne dass ein tatsächliches Flugzeug oder physische Teile davon vor Ort sind.“ 
Für Chirurgen habe das Unternehmen apoQlar die Software Virtual Surgery Intelligence entwickelt, berichtet Zawrel. Die Software sei in der Lage, Patientenbilder aus dem MRT- und CT-Scan auf der HoloLens holografisch darzustellen. „Ärzte können die Anwendung vor einer anstehenden Operation nutzen, um das Krankheitsbild der Patienten zu analysieren und den Verlauf der Operation im Vorfeld zu planen.“
Verstärkt zum Einsatz kommt AR auch im Bereich Fast Prototyping.„Das Beispiel von Volvo zeigt, wie Fahrerassistenzsysteme und andere Komponenten als in Software definierte Prototypen schnell in realistischen Szenarien getestet werden können. Ein weiteres interessantes Beispiel ist das Münchner Start-up Re‘flekt, das Enterprise-AR-Lösungen entwickelt, etwa für Wartungs- oder Schulungsbedarf in der Industrie“, berichtet Oliver Köth von NTT Data Deutschland. Dessen Reflekt One ist eine skalierbare Augmented-Reality-Plattform, die es Unternehmen ermöglichen soll, einfach haus­interne AR-Anwendungen zu erstellen.
4. Teil: „AR gepaart mit KI“

AR gepaart mit KI

  • Quelle:
    Capgemini
Naheliegend ist die wachsende Bedeutung von KI für AR-Anwendungen. „Die beiden Technologien lassen sich auf vielen Ebenen kombinieren“, ist Simon Bender überzeugt. „Beispielsweise kann die Umgebungserkennung verbessert werden, wodurch sich die AR-Elemente besser und realistischer platzieren lassen, oder es kann eine Objekterkennung durchgeführt werden, um Zu­satz­­inhalte bereitzustellen.“ Ein weiteres Anwendungsgebiet seien digitale Assistenten, die den Kontext der aktuellen Handlung verstehen, oder Ansätze zur Mensch-Maschine-Interaktion mit teilautonomen Robotik-Systemen.
Auch Michael Zawrel sieht gute Gründe für ein Zusammenspiel. „Künstliche Intelligenz ist ein fundamentaler Bestandteil von Mixed Reality. Für intuitive Interaktionen in der gemischten Realität setzt Microsofts HoloLens 2 auf die KI-Fähigkeiten der Cloud-Plattform Azure und nutzt zahlreiche Sensoren und spezielle Tracking-Systeme.“ So messe ein Hand-Tracking-System die individuelle Form der Hände und ermögliche so eine präzise Bedienung. Eye-Tracking erlaube, den individuellen Abstand zwischen den Pupillenmittelpunkten zu messen, der beeinflusse, wie eine Person nahe oder ferne Objekte sieht. „Auf Basis eines KI-Algorithmus werden dann personalisierte 3D-Modelle an die Hände und Augen des Nutzers angepasst, wodurch das exakte Interagieren und Manipulieren von Hologrammen möglich wird. Die entsprechenden KI-Technologien laufen lokal auf der HoloLens 2 und werden als Perception AI bezeichnet, da sie der instinktiven Wahrnehmung und Aktivität des menschlichen Gehirns entsprechen.“ Gerade im kognitiven Bereich, etwa bei der Objekt-, Sprach- oder auch der Gesichtserkennung, sei KI elementar.
Objekterkennung ist auch für Andreas Haizmann ein Einsatzgebiet für das Zusammenwirken von KI und AR: „Am einfachsten vorstellbar ist das vor allem beim visuellen Austausch von Informationen im Kontext der Umgebung. Mit Hilfe von KI könnte eine AR-Anwendung relevante Objekte in der Umgebung erkennen, hervorheben und dem Nutzer entsprechende Informationen zur Verfügung stellen.“ Das könne viele Formen annehmen, etwa „Das hier ist die Schraube, die Sie als Nächstes benötigen“, oder, etwas banaler, „In diese Buchse an deinem Router musst du das Netzwerkkabel einstecken“.
Tabelle:

5. Teil: „Vision AR Cloud“

Vision AR Cloud

Trotz vieler Fortschritte im Detail: Echte disruptive Innovationen sind im Bereich Augmented Reality eher noch Mangelware. Seit gut einem Jahr elektrisiert allerdings ein Schlagwort die IT-Branche: AR Cloud. Gemeint ist eine dreidimensionale virtuelle Weltkarte, die in Echtzeit dargestellt wird. So entsteht ein digitales Abbild der physischen Realität, das für alle Benutzer einheitlich aussieht. Im virtuellen Gitternetz der AR Cloud können Anwendungen millimetergenau digitale Objekte platzieren, die dann für alle Anwender der AR Cloud sichtbar sind. Die AR Cloud ist somit eine Art digitaler Zwilling der Welt. Geprägt hat den Begriff 2017 der AR-Pionier Ori Inbar. Er ist der Ansicht, dass die AR Cloud künftig die wichtigste Software-Infrastruktur im Computing-Umfeld sein wird.
Doch noch steckt die AR Cloud in ihren Anfängen, es mangelt vor allem an einheitlichen Standards. Um der Gefahr entgegenzuwirken, dass eine AR Cloud von einigen wenigen Big Playern kontrolliert werden könnte, wurde die Initiative Open AR Cloud (OARC) ins Leben gerufen. „Wir beginnen mit dem historischen Versuch, die XR-Industrie zusammenzubringen, um an einer Open AR Cloud mitzuarbeiten, die als standardisierte, interoperable, frei zugängliche Grundlage für alle Entwickler dient“, erklärte Inbar bei der Gründung. 
Die Open-AR-Cloud-Organisation plant, ein detailliertes 3D-Modell der realen Welt zu entwickeln und diese Daten gratis zur Verfügung zu stellen. Das AR-Cloud-Ökosystem muss nach Ansicht der OARC von Anwendern, Organisationen und vielen dezentralen Einheiten kontrolliert werden anstatt zentralisiert und monopolisiert zu sein. Rund 40 Unternehmen sind bereits an Bord - die Big Five allerdings nicht.
Ein wichtiger Faktor, der häufig über Erfolg oder Miss­erfolg einer neuen Technologieplattform entscheidet, heißt Transparenz. Das Internet hätte niemals auch nur annähernd seine heutige Bedeutung erlangt, wenn es nur auf bestimmten Rechnern oder nur im Netzwerk einiger weniger Telekommunikationsanbieter funktioniert hätte. Stattdessen lebt es von offenen, frei verfügbaren Standards und der kostenlosen Nutzung von Patenten.
Jan-Erik Vinje, Managing Director der Open AR Cloud sowie AR-Architekt und Entwickler bei Norkart, einem Spezialisten für geografische Informationssysteme, will zusammen mit den Partner-Unternehmen eine ähnliche offene Plattform für Augmented Reality erschaffen. Es ist ein weiter Weg: „Der Schwerpunkt für 2020 wird auf dem Versuch liegen, die erste Referenzimplementierung einer Open Spatial Computing Platform zu erstellen. Wir denken, dass es sich lohnen wird, da wir hoffen, dass diese Plattform - wie das Internet - zu einem Motor des Wirtschaftswachstums sowie der technologischen und kulturellen Entwicklung wird“, so Vinje. (Siehe auch Interview auf Seite 24.)
Ein grundlegender Baustein für ein offenes und interoperables Spatial Web heißt Geopose. Der Standard referenziert die Position und Ausrichtung eines Objekts in einer realen oder virtuellen Welt mit sechs Freiheitsgraden - Position in drei Dimensionen plus Drehung um drei verschiedene Achsen. „Das braucht man, wenn man sich mit der Realität verbinden will“, erklärt Vinje. „Geopose ist für das räumliche Computing genauso wichtig wie die URL im Web. So wie URLs eine standardisierte Möglichkeit sind, mit anderen Informationen zu verlinken, wird Geopose eine universelle Möglichkeit bieten, die digitale Welt mit der physischen Welt zu verbinden und umgekehrt.“

Fazit & Ausblick

Für 2020 sind keine revolutionären Veränderungen in der AR-Technologie zu erwarten. Stattdessen kommen eher evolutionäre Verbesserungen der AR-Soft- und Hardware wie Apples ARKit 3.0 und sein A13-Chip im iPhone 11 zum Tragen. Microsoft-Manager Zawrel resümiert: „Der Markt für Mixed Reality ist noch immer recht jung und befindet sich spürbar im Aufbruch. Insbesondere die enge Verknüpfung mit Künstlicher Intelligenz spielt in diesem Kontext eine große Rolle. Einer der spannendsten Trends für unsere Firmenkunden ist derzeit das Thema Holoportation - also holografische Abbilder, über die Anwender unabhängig von Ort, Zeit oder Sprache zusammenarbeiten können. Gerade bei der immersiven Kommunikation und im Bereich der Collaboration sind in Zukunft sehr spannende Lösungen zu erwarten.“
Für Oliver Köth von NTT Data muss der Fokus vor allem auf der Alltagstauglichkeit der AR-Anwendungen und -Devices liegen. Als eine Art Brückentechnologie könnten seiner Meinung nach Augmented-Reality-Funktionen auf Smartphones genutzt werden.
Laut Andreas Haizmann hängt für die Entwicklung im kommenden Jahr viel davon ab, was Apple macht: „Hinsichtlich möglicher Trends im Bereich AR-Technik ist die spannendste Frage, ob Apple nächstes Jahr eigene AR-Glasses auf den Markt bringt. Es gibt viele Indizien dafür, dass Apple bereits an spezieller AR-Hardware arbeitet - meine Einschätzung ist jedoch, dass es bis zur Markteinführung noch etwas länger dauert. Mit Sicherheit werden wir aber von Apple und Goo­gle Funktionserweiterungen in deren AR-Frameworks sehen, die ganz neue Anwendungsszenarien ermöglichen.“ 
„Die AR-Technologie hat in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht und die Frameworks von Apple und Google ermöglichen Entwicklern die einfache Um­setzung von AR-basierten Apps“, konstatiert AR-Forscher Simon Bender. „Das führt dazu, dass sich immer mehr Unternehmen mit den Möglichkeiten auseinandersetzen und neue Software-Lösungen auf den Markt bringen, wodurch man auch von einer zunehmenden Anzahl von Nutzern ausgehen kann.“ Neben neuer Software werde auch der Hardware-Markt durch neue Mitspieler aufgemischt. „Gerüchten zufolge plant Apple eine AR-Brille, die perspektivisch das iPhone ablösen soll.“ Analysten erwarten jedoch, dass als Erstes ein AR-Headset von Apple auf den Markt kommt. 
Und Wolfgang Stelzle, CEO und Gründer des AR-Start-ups Re’flekt, prophezeit: „In zwei Jahren werden wir Augmented Reality in fast jedem Unternehmen und in unterschiedlichen Anwendungsfällen erleben. In zehn Jahren werden wir sehen, wie Smart Glasses das Ökosystem der mobilen Geräte erweitern. In 25 Jahren werden traditionelle mobile Geräte durch ausgefeilte AR-Geräte wie Brillen, Kontaktlinsen oder Hologramme ersetzt.“
6. Teil: „Im Gespräch mit Jan-Erik Vinje Mitgründer von Open AR Cloud“

Im Gespräch mit Jan-Erik Vinje Mitgründer von Open AR Cloud

  • Jan-Erik Vinje: Mitgründer Opne AR Cloud
    Quelle:
    Vinje
Jan-Erik Vinje, ist Mitgründer und Managing Director der Open AR Cloud Association OARC. Deren Vision ist ein offenes, interoperables Spatial Web, ein 3D-Modell der ganzen Welt, das es ermöglicht, die echte Welt mit virtuellen Services anzureichern.
Im Interview erklärt Vinje, warum die Open AR Cloud eine ähnliche technische Revolution werden könnte wie vor 30 Jahren das World Wide Web.
com! professional: Herr Vinje, wo steht die Open AR Cloud?
Jan-Erik Vinje: Anlässlich unseres einjährigen Jubiläums im Oktober hat die Open AR Cloud Association OARC ihre Pläne bekannt gegeben, eine erste Referenzimplementierung einer Open Spatial Computing Platform (OSCP) bis Ende 2020 zu konzipieren und zu bauen. Diese erste Version der Plattform wird aus den erforderlichen Standards, Protokollen, Referenzdiensten und Client-Implementierungen bestehen. Sie ist von der offenen WWW-Plattform inspiriert, die Timothy Berners-Lee vor 30 Jahren erfunden hat.
Open AR Cloud beabsichtigt nicht, weltweit die nötige Infrastruktur aufzubauen und die Plattform zu betreiben. Wir konzentrieren uns auf die Standards und Open-Source-Implementierungen und überlassen es den kommerziellen Akteuren, die Services bereitzustellen und Anbieter der Clients zu sein. Wir
gehen davon aus, dass die Menschen in Zukunft räumliche Services genauso selbstverständlich beziehen werden, wie sie heute Energie, Strom und Breitbandverbindungen kaufen.
com! professional: Welche Vorteile bietet der offene Ansatz?
Vinje: Der Ansatz einer auf offenen Standards basierenden Plattform hat sich in der IT-Welt bewährt. Er bietet eine skalierbare, dezentralisierte, interoperable und reibungslose Mög­lichkeit, die Zukunft der räumlichen Datenverarbeitung zu gestalten. 
Das ist etwas gänzlich anderes als die fragmentierten und verwirrenden geschlossenen Systeme, die derzeit einige der Technologiegiganten entwickeln. Es gab bereits Interesse von einer Reihe großer Unternehmen - interessanterweise auch von Branchenvertikalen außerhalb der XR-Branche -, die uns gesagt haben, dass sie genau nach etwas wie der OSCP suchen.
com! professional: Was steht auf der Agenda 2020?
Vinje: Damit die OSCP-Plattform aufgebaut werden kann, müssen wir mindestens 1 bis 2 Millionen Euro aufbringen, um einige der besten Köpfe der Branche für die harte Arbeit der Umsetzung einstellen zu können. Wir haben bereits ein Team von fachkundigen Freiwilligen, die an der ersten Konzeption arbeiten. 
Zusätzlich zur Einstellung von Mitarbeitern planen wir auch drei bis vier öffentliche Hackathons, die die Entwicklergemeinschaft einbeziehen, damit die mit den frühen Phasen der Plattform interagieren kann. OARC plant außerdem, für Kreative und Künstler eine Gelegenheit zu bieten, ihre digitalen Projekte und Erfahrungen auf der ersten Präsentation der OSCP-Plattform zu zeigen. Diese Inhalte sind praktisch so etwas wie die ersten Webseiten.
com! professional: Gibt es schon erste Anwendungen für die Open AR Cloud?
Vinje: Noch nicht, aber wir werden hoffentlich die ersten echten Anwendungen der Open Spatial Computing Platform nicht lange nach der geplanten Demons­trationsveranstaltung Ende 2020 sehen.
com! professional: Besteht die Gefahr, dass die großen Player mit eigenen AR Clouds die Open AR Cloud ausstechen?
Vinje: Nein, die Gefahr ist vielmehr, dass es sich um fragmentierte Ökosysteme handeln wird, die nur mit den Produkten des jeweiligen Herstellers funktionieren. Google, Facebook, Magic Leap und viele andere streben genau in diese Richtung. Je mehr sich diese geschlossenen Systeme verwurzeln, desto länger wird es dauern, bis wir die Branche aus diesem traurigen Zustand befreien und uns auf eine offene, widerstandsfähige Plattform zubewegen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt mit dem Aufbau der Open Spatial Computing Platform beginnen. Vielleicht können wir die mit den geschlossenen Plattformen inspirieren, zu uns zu kommen und ihr Geschäft auf einer offenen Plattform zu betreiben - so wie sie es bereits im Internet tun können. Der offene Ansatz macht den Kuchen für alle größer.

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