05.08.2019
Digitale Fingerfertigkeit
1. Teil: „Aufs Digital-Know-how der Mitarbeiter kommt es an“
Aufs Digital-Know-how der Mitarbeiter kommt es an
Autor: Anna Kobylinska
PopTika / shutterstock.com
Neue Techniken verändern den Arbeitsplatz und erfordern neue Kompetenzen. Digitalisierung allein reicht nicht. Die Mitarbeiter müssen mit den Systemen auch umgehen können.
Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit“. Die Forscher sprechen von einem klaren, sich verstärkenden Trend hin zu automatisierten und digitalisierten Prozessen. Zu einem ähnlichen Befund gelangte das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) unter Leitung von Professor Hartmut Hirsch-Kreinsen, einem der Vordenker im Bereich Industrie 4.0 und Arbeitsplatz 4.0. In dessen Studie „Digitalisierung von Arbeit - Industrie 4.0“ bringt es der ERP-Experte eines mittelständischen Betriebs aus dem metallverarbeitenden Gewerbe auf den Punkt: „Da, wo noch Geld verdient wird - geht ohne [hochentwickelte Technologie] nichts mehr.“ Einfache Aufträge rechneten sich auch in riesigen Stückzahlen kaum noch.
Jedes zweite Unternehmen in Deutschland nutzt bereits „4.0-Technologien“, konstatierte das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vergangenes Jahr in seinem Bericht „Arbeitsplatz 4.0
Neue Technologien von Robotik bis KI, Virtual Reality bis Sprachverarbeitung verändern die bestehenden Arbeitsweisen immens. Sichtbar wird das besonders im Zusammenwirken von Mensch und Maschine. So kann etwa eine Künstliche Intelligenz mit Hilfe von Augmented Reality dem Menschen Zusatzinformationen bereitstellen, deren unmittelbare Verfügbarkeit die Kompetenzen des Mitarbeiters in Echtzeit erweitert, Prozesse beschleunigt und die Ausführung von Arbeitsschritten begleitet. Oft ist der Mensch der Dreh- und Angelpunkt eines „intelligenten“ Fertigungssystems und (noch) nicht die KI: weniger vorhersehbar, dafür aber extrem anpassungsfähig.
„Qualität ist ein Killerkriterium. Ohne ist man raus“, bemerkte ein Betriebsleiter im Rahmen der FGW-Umfrage, „aber der Preis ist der erste, zweite und dritte Faktor“. Um Produktionsplanung und Qualitätskontrolle ins bestehende ERP-System zu integrieren und so die Fertigungskosten in den Griff zu bekommen, habe sein Unternehmen ein Manufacturing Execution System (MES) eingeführt. Vorerst erfolgt der Abgleich der beiden Systeme manuell für jeden einzelnen Auftrag durch die Mitarbeiter. Sie fungieren sozusagen als flexible Schnittstelle zwischen den zwei noch nicht integrationsfähigen Anwendungen ERP und MES. Zur direkten, vollautomatischen Anlagensteuerung hätte der Betrieb eine neue, vollvernetzte Ausrüstung mit passender Sensorik anschaffen müssen, wovon er aufgrund der geringen Betriebsgröße und der hohen Komplexität der Fertigungsprozesse Abstand genommen habe.
Die Mensch-Maschine-Zusammenarbeit hält nicht nur in den Produktionshallen der Industrie 4.0 Einzug - dort arbeiten ja die Menschen schon länger Hand in Hand mit Robotern. Kognitive Systeme sind inzwischen auch im Vertrieb, der Verwaltung und in wissensbasierten Bereichen wie Medizin und Recht auf dem Vormarsch. Zudem weicht der stationäre Arbeitsplatz zunehmend kollaborativen Plattformen wie Slack. Bemerkenswert: Mitarbeiter mit einem modernen digitalen Arbeitsplatz und einem flexiblen mobilen Zugriff auf Anwendungen berichten neunmal häufiger von einer Steigerung der persönlichen Produktivität als solche ohne, so eine Umfrage von VMware und Forbes Insights. Die Effizienz der Zusammenarbeit soll durch einen smarten Digital Workplace sogar um 12 Prozentpunkte steigen.
2. Teil: „Digital Dexterity“
Digital Dexterity
Mitarbeiter mit einem hohen Maß an dieser „digitalen Fingerfertigkeit“ sind laut Gartner 3,3-mal häufiger in der Lage, nützliche digitale Initiativen schnell zu starten und abzuschließen als ihre Kollegen mit geringerer digitaler Fingerfertigkeit. Noch ist diese Gruppe aber eine kleine Minderheit: Gartner zufolge machen solche Mitarbeiter bislang gerade einmal 9 Prozent der gesamten Belegschaft aus. Das ergab die Studie „Digital Dexterity at Work“ vom Oktober 2018.
Lebenslanges Lernen
Die Erkenntnis, dass Digitalkompetenzen an Bedeutung gewinnen, setzt sich in den Unternehmen aber mehr und mehr durch. Das stellt die Studie „Weiterbildung für die digitale Arbeitswelt“ fest, die Bitkom Research im Auftrag des Dachverbands VdTÜV durchgeführt hat. Während in der gleichen Untersuchung 2016 lediglich 4 Prozent der Befragten Digitalkompetenz als die wichtigste Fähigkeit von Mitarbeitern
einstuften, war es 2018 fast schon jedes fünfte Unternehmen (18 Prozent).
einstuften, war es 2018 fast schon jedes fünfte Unternehmen (18 Prozent).
Je größer das Unternehmen, desto höher fällt dabei die Wertschätzung digitaler Kompetenzen aus. Mehr als ein Drittel der Großunternehmen in Deutschland (35 Prozent) hält Digitalkompetenz für die wichtigste Fähigkeit seiner Mitarbeiter und damit für bedeutender als fachliche oder soziale Kompetenzen. Beinahe alle halten Digitalkompetenzen zumindest für genauso wichtig.
Mitarbeiter, die ihr Digital-Know-how verbessern wollen, erhalten auch Unterstützung: Bemerkenswerte 41 Prozent der Unternehmen gaben an, ihren Beschäftigten sowohl „die notwendige Zeit“ dafür zu gewähren als auch die Kosten zu übernehmen. 2016 waren es erst 13 Prozent. Ein Viertel der Unternehmen will die Kosten für Fortbildungen tragen, 16 Prozent stellen zumindest die Arbeitszeit zur Verfügung. Nur etwa jedes siebte Unternehmen (15 Prozent) will weder die Kosten übernehmen noch die Arbeitszeit dafür zur Verfügung stellen.
Sehr viel Zeit ist es aber nicht, die Mitarbeiter für die berufliche Fortbildung aufwenden dürfen. Im Schnitt sind es pro Jahr gerade einmal 2,3 Tage. Vier von zehn Unternehmen räumen ihrer Belegschaft ein bis zwei Weiterbildungstage ein, jedes dritte Unternehmen (32 Prozent) drei bis fünf Tage. Mehr als fünf Tage sind lediglich in 5 Prozent der Unternehmen üblich.
Weniger erfreulich ist auch, dass nicht einmal die Hälfte der Unternehmen (43 Prozent) eine Strategie zur Erlangung oder Vertiefung der digitalen Kompetenzen der Belegschaft schriftlich festgehalten hat. Und ein festes Budget für die Schulung der Digitalkompetenzen gibt es bisher nur bei rund 22 Prozent der Unternehmen. Drei von vier haben keine Mittel für diesen Zweck fest verplant.
Als wichtigste Hürden für Weiterbildung nannten die Unternehmen zu wenig Zeit (52 Prozent) und zu hohe Kosten beziehungsweise zu geringe Budgets (42 Prozent). Erschwert werden Fortbildungsaktivitäten auch durch die „Unübersichtlichkeit des Weiterbildungsmarktes in Deutschland“, wie Bitkom moniert. Nahezu jedes dritte Unternehmen (27 Prozent) könne deshalb die Qualität der Angebote rund um digitale Kompetenzen nicht beurteilen.
3. Teil: „Aus den Augen, aus dem Sinn“
Aus den Augen, aus dem Sinn
„Lösungen, die auf neue Arbeitsweisen abzielen, erschließen ein wachstumsstarkes Feld“, versucht Craig Roth, Research Vice President bei Gartner, Unternehmen mehr Engagement in diese Richtung schmackhaft zu machen. Noch läuft es aber meist ganz anders, wenn Unternehmen sich Digital Dexterity als Ziel setzen. Sitzungen zur Entwicklung der Unternehmensstrategie finden gewöhnlich in einem noblen Hotel statt. Am Ende der Tagung haben die Teilnehmer viele interessante Persönlichkeiten getroffen, eine Menge Neues gelernt und können sich die gesammelten Erkenntnisse gebündelt in einem dicken Buch auf den Schreibtisch legen - das dann ohne weitere Folgen ab ins Regal wandert. „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Zwölf Monate später stellen sich Firmenlenker dann die Frage, wie viel von der letztjährigen Corporate-Strategy zur Digital Dexterity umgesetzt werden konnte - und erhalten dann meist die Antwort: rein gar nichts.
Kein Wunder, dass viele Unternehmen nach tatkräftiger staatlicher Unterstützung rufen. In der erwähnten Studie von Bitkom Research und VdTÜV fordern 82 Prozent der 504 befragten Firmen, die Beratung der Bundesagentur für Arbeit (BA) müsse sich „stärker am tatsächlichen Qualifizierungsbedarf des Arbeitsmarktes“ orientieren, 81 Prozent wünschen sich steuerliche Vergünstigungen für die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Und 73 Prozent hätten gern, dass auch ihre Beschäftigten Weiterbildungen ohne Höchstgrenze steuerlich absetzen können.
4. Teil: „Wunsch und Wirklichkeit“
Wunsch und Wirklichkeit
Und eine weitere Schwachstelle haben die Verfechter der Digital Dexterity ausgemacht: Sie sind überzeugt, dass sich das Ziel dieses Konzepts nur erreichen lässt, wenn die Unternehmen fähig sind, neue Marktchancen rechtzeitig zu wittern und unmittelbar zu nutzen. Dafür brauche es eine Unternehmenskultur, in der die Mitarbeiter ihre eigenen Entscheidungsspielräume hätten, Kurskorrekturen selbstverständlich und die Führungskräfte mutig genug seien, schlechte Ideen und Projekte als solche zu erkennen und zeitnah einzustellen. Als Hauptproblem des Zeitalters der Digital Dexterity machen sie deshalb aus, dass viele Chefetagen zu starr und zu sehr nach Schema F handeln oder handeln müssen.
Dennoch bedeute Digital Dexterity keineswegs, dass Unternehmen keine fest definierte Strategie mehr haben sollten. Ganz im Gegenteil sei strategische Planung nach wie vor unvermeidlich. Doch vermittelten traditionelle strategische Planungen nur das trügerische Gefühl der Kontrolle in einer chaotischen Welt. Eine starre Unternehmensstrategie sei in einer Welt, in der die Ereignisse in Echtzeit und rund um die Uhr (24/7) verarbeitet werden müssten, einfach zum Scheitern verurteilt. Digital Dexterity setze voraus, dass Entscheidungen in Nahezu-Echtzeit getroffen werden - also ungefähr im Tempo von wenigen Klicks. Schließlich sei ja das Schlüsselwort in „Digital Dexterity“ eben „digital“.
Fazit & Ausblick
Problem erkannt, aber noch lange nicht gebannt, könnte man die Disruptionen rund um den Digital Workplace zusammenfassen. Dass es neue Formen der Weiterbildung braucht und auch neues Denken gefragt ist, haben Wirtschaft und Politik erkannt. Nun müssen den Worten nur noch mehr Taten folgen.
Furcht vor der Flexibilisierung der Arbeitsweisen ist jedenfalls nicht angebracht, wenn es nach Professor Hirsch-Kreinsen geht. Für ihn stellen die neuen Optionen einer „marktorientierten digitalisierten Echtzeitsteuerung von Arbeitsprozessen im Kontext neuer Unternehmensstrategien und Geschäftsmodelle“ zwar „festgefügte Arbeitsstrukturen“ nachhaltig infrage. Einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie etwa stünden „mögliche Risiken und negative Arbeitsfolgen gegenüber, zum Beispiel neu entstehende prekäre Arbeitsformen, ein ungeklärter Umgang mit personenbezogenen Leistungsdaten sowie Leistungsverdichtung“. Doch betont Hirsch-Kreinsen zugleich, dass es keine „eindeutigen und deterministischen“ Konsequenzen bei der Einführung neuer Technologien gebe. Er sieht vielmehr „große Spielräume für die Arbeitsgestaltung“.
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