Business-IT
31.05.2019
Online-Marketing
1. Teil: „Wir haben keinen aktiven Vertrieb mehr“

Wir haben keinen aktiven Vertrieb mehr

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Der Federnhersteller Gutekunst setzt auf zielgruppengerechte Marketing-Prozesse. Auf einen aktiven Vertrieb verzichtet das Unternehmen hingegen.
  • Jürgen Mugrauer: Marketingleiter bei Gutekunst
    Quelle:
    Jürgen Mugrauer
Seit über 50 Jahren ist die Gutekunst & Co. KG in Metzingen auf den Vertrieb und die Herstellung von Metallfedern aller Art spezialisiert. Die Bandbreite der Produkte ist gewaltig: Über 12.600 verschiedene Baugrößen hat das Familien­unternehmen direkt auf Lager, und was es nicht von der Stange gibt, wird nach Kundenvorgaben gefertigt.
Jürgen Mugrauer ist Marketingleiter bei Gutekunst Federnfabriken und kennt die Marketingaufgaben und -anforderungen von Industrieunternehmen der letzten zwei Jahrzehnte ziemlich gut. Im Interview erklärt er, wie er mit zielgruppenrelevanten Inbound-Marketing-Prozessen Kundenwünsche erfüllt.
com! professional: Wie würden Sie Ihre Buyer Personas, Ihre typische Zielgruppe, beschreiben?
Jürgen Mugrauer: Unsere Buyer Personas bestehen zu 86 Prozent aus dem technischen Personenumfeld und der Rest aus dem Einkauf.
Unsere Zielgruppe ist also nicht besonders preisaffin, sondern eher an einer schnellen Produktauswahl und umfangreichen technischen Unterstützung interessiert. Daher haben wir uns bei der Content- und Inbound-Strategie stark auf technische Zielgruppenthemen und technische Lead-Tools fokussiert.
com! professional: Sie sagen, dass man die Zielgruppe mehr in den Fokus stellen sollte. Wieso haben viele Unternehmen hier immer noch solche Schwierigkeiten?
Mugrauer: Ich kenne viele Unternehmen, die mit der Fokussierung auf die Zielgruppe ihre Probleme haben. Ich höre immer wieder den Satz: „Wir haben versucht, mit zielgruppenrelevanten Themen Traffic auf unserer Webseite zu erzeugen, jedoch nicht mit dem gewünschten Erfolg.“
Viele Kollegen haben offenbar ein Problem damit, das Content- und Inbound-Marketing richtig in die Hand zu nehmen oder externe Spezialisten miteinzubinden. Stattdessen wird immer noch viel Geld für Outbound-Marketing-Maßnahmen wie Messen oder Flyer ausgegeben.
com! professional: Viele mittelständische Unternehmen investieren vor allem auch in den Vertrieb.
Mugrauer: Ich habe vor Kurzem mit einem Kollegen gesprochen, der seinen Außendienst auf 75 Mitarbeiter verdoppelt hat, um seine Zielgruppe anzusprechen. Nicht dass ich etwas gegen einen guten Außendienst hätte - jedoch nicht als hauptsächliches Vertriebsinstrument, sondern als Vertriebskanal zum richtigen Zeitpunkt innerhalb der Customer Journey. Als Erstkontakt-Kanal halte ich den klassischen Außendienst nicht mehr für zeitgemäß.
2. Teil: „Verhältnis zwischen Marketing und Vertrieb“

Verhältnis zwischen Marketing und Vertrieb

com! professional: Wie ist Ihrer Erfahrung nach das Verhältnis zwischen Marketing und Vertrieb?
Mugrauer: Die Schwierigkeit ist, einen Weg zur Koexistenz zu finden. Bis jetzt hatte der Vertrieb immer eine
  • Nicht nur Standardfedern: Gutekunst Federn bietet auch eine individuelle Herstellung aus diversen Stahlarten an.
    Quelle:
    com! professional / Screenshot
viel leichtere Stellung als das Marketing im Unternehmen, weil er seine Arbeit konkret mit Umsatzzahlen belegen konnte. Das hat sich aber mit den vielen Analysemöglichkeiten geändert. Dennoch ist der Kampf zwischen Vertrieb und Marketing in vielen Unternehmen groß. Wir bei Gutekunst Federn haben keinen aktiven Vertrieb mehr. Wir bearbeiten den Strom an Anfragen und Bestellungen über unser Inbound-Marketing-Konzept. Wir gehen nicht auf Messen, wir haben keine Printprodukte mehr und keinen aktiven Vertrieb. Der Kunde kommt zu uns, weil er auf seine Fragen und Bedürfnisse im Internet auf die passende Lösung trifft - das ist alles. Eine typische Win-win-Situation.
com! professional: Welche Kanäle nutzen Sie, um Ihre Kunden zu kontaktieren?
Mugrauer: Wir haben als Grundlage unsere responsive und SEO-optimierte Website mit Shop, CAD-Generator und Federberechnung sowie unseren zielgruppenrelevanten Informations-Blog. Unsere Inhalte, Themen und Artikeleigenschaften sind alle zielgruppenrelevant und suchmaschinenoptimiert aufbereitet,  sodass wir 89 Prozent unseres Traffics über Google generieren. Die restlichen 11 Prozent erreichen wir über Fachzeitschriften und Industrieportale, redaktionelle Firmensuchmaschinen, Youtube und ein wenig So­cial Media.
Das Tolle ist auch, dass alle unsere Inhalte und Artikel „sharebar“ sind. Wir haben auf unserer Webseite Anwendungen und Informationen, die bis zu tausend Mal geteilt wurden - das ist natürlich perfekt. Zudem verteilen wir unsere Premiuminhalte auch direkt über RSS-Feed auf vertraglich gebundene Fachzeitschriften- und Industrieportale. Damit erhalten unsere Themen, Veröffentlichungen und Artikel eine viel höhere Reputation. Ohne die Rückverlinkung aus hochwertigen Webseiten ist die Position eins oder zwei bei Google und Co. schwerer zu erreichen. Wir haben bei unseren zielgruppenrelevanten Keywords über 1200 Top-Ten-Platzierungen bei Google und Co., und täglich werden unsere Keywords stärker und verlinken sich mehr.
com! professional: Was würden Sie anderen Unternehmen in Ihrem Umfeld raten?
Mugrauer: Einfach mal anfangen! Das Zuwarten und Zaudern bringt nichts. Eine funktionierende Content- und Inbound-Strategie ist aufwendig und bedarf unterschiedlicher Aufgaben, Fähigkeiten, Erfahrungen und Techniken. Und da hapert es leider immer noch. Auf meinen Vorträgen sind das Interesse und die Nachfragen immer groß. Doch wenn aktiv Unterstützung angeboten wird, dann ziehen sich Marketing-Verantwortliche meistens zurück und versuchen, das alleine zu regeln - das ist nicht nachvollziehbar. Denn das Ganze benötigt ein durchgängiges Inbound-Konzept und viel branchenspezifische Erfahrung. Die B2B-Industriebranche hat ganz andere Anforderungen als bei Online- und Inbound-Marketing-Maßnahmen anderer B2B-Branchen wie beispielsweise der IT- oder Medizinbranche.
3. Teil: „Änderung der Medientypen und -kanäle“

Änderung der Medientypen und -kanäle

com! professional: Was haben Sie nach den ersten Erfahrungen geändert, was waren Ihre Fails? Was ist Ihr derzeitiges Resümee?
Mugrauer: Wir machen eigentlich schon immer Content- und Inbound-Marketing. Darum haben sich in den vergangenen Jahren eigentlich nur die Medientypen und -kanäle geändert. Wenn Sie Gutes tun und Ihrer Zielgruppe einen klaren Mehrwert bieten, dann gibt es keine Fails. Diesen Vorsatz kann ich nur jedem Unternehmen empfehlen. Sobald man anfängt, etwas verkaufen zu wollen und dem Kunden hinterherläuft, dann ist das Gift für die Beziehung. Der beste Kunde ist der, der aufgrund des Produkt-, Service- und Informationsvorteils mit Ihnen ein Geschäft eingeht.
com! professional: Wie groß ist das Marketing-Team?
Mugrauer: Nur eine Handvoll externe Dienstleister und ich.
com! professional: Wie viel Freiraum haben Sie im Unternehmen, Neues auszuprobieren?
Mugrauer: Einmal im Jahr gibt es eine Budgetvereinbarung, der Rest ist meine Sache. In der heutigen Zeit ist es jedoch wichtig, auf dem Laufenden zu bleiben, ständiges Lernen und viel Engagement sind notwendig.
com! professional: Was bedeutet das konkret?
Mugrauer: Neben meinen täglichen Aufgaben engagiere ich mich bei verschiedenen Netzwerken wie dem Social-Media-Club, dem Industrie 4.0 Forum und bei den IHK-Netzwerkern. Zu meinen absoluten Lieblingsbeschäftigungen zählt jedoch der Marketing-Kreis „Mittelstand“, den ich vor ein paar Jahren mit befreundeten mittelständischen Marketingleitern gegründet habe. Dieser Kreis trifft sich regelmäßig, um über aktuelle Themen aus dem B2B-Marketing zu sprechen und zu diskutieren. Dabei werden auch gemeinsame Projekte entwickelt.

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