NFC
21.03.2015
Near Field Communication
1. Teil: „NFC kann und wird nicht scheitern“

NFC kann und wird nicht scheitern

Smartphone überträgt Daten per NFCSmartphone überträgt Daten per NFCSmartphone überträgt Daten per NFC
Foto: Shutterstock.com / Piotr Adamowicz
Near Field Communication bietet Unternehmen heute schon viele Einsatzmöglichkeiten. NFC-Experte Marc-Oliver Reeh erläutert, warum sich die Near Field Communication durchsetzen wird.
An kaum einer Technologie wird so hartnäckig festgehalten wie an NFC, obwohl nach Jahren der Entwicklung der Durchbruch immer noch auf sich warten lässt. Warum NFC dennoch großes Potenzial hat und welche Rolle es im Gemenge Internet der Dinge, Big Data und Industrie 4.0 spielt, erklärt Dr. Marc-Oliver Reeh vom Center for NFC Management. Das an der Leibniz Universität Hannover angesiedelte Institut bietet Marktteilnehmern aus Wissenschaft und Praxis eine Informations-, Kommunikations- und Beratungsplattform für NFC-Projekte.
com! professional: Sie sind NFC-Experte. Wie sehr nutzen Sie diese Technik selbst schon im Alltag?
Marc-Oliver Reeh: Unterschiedlich und nicht so umfangreich, wie man meinen möchte: meist fürs Mobile Payment mit Bezahlkarte oder Smartphone, gerne auch beim Touch-&-Travel-Service der Deutschen Bahn, wenn ich auf Geschäftsreise bin und etwa die Tarifzonen im ÖPNV nicht verstehe. NFC-Sticker verwende ich privat nicht, sondern nur im Auto und im Büro, um bequem und zuverlässig Bluetooth oder WLAN zu aktivieren.
com!: Was bremst NFC derzeit am meisten?
Reeh: Das größte Problem sehe ich in einer zu stark technologiefokussierten Kommunika­tion, die zu allem Überfluss auch dem Alleinstellungsmerkmal von NFC diametral entgegensteht. Hier wurden in der Vergangenheit von vielen Marktteilnehmern mit zu komplexen Angeboten Fehler gemacht.
Ein Gegenbeispiel ist der von einem Start-up entwickelte NFC-Ring zum Entsperren des Smartphones. Einfach in der Handhabung, leicht zu vermittelnder Nutzen – so muss NFC aussehen.
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Moderne Smartphones und Tablet-PCs haben die NFC-Technik längst eingebaut. Mit ihr bezahlen Sie zum Beispiel im Supermarkt oder tauschen Visitenkarten.
com!: Bringt möglicherweise die Integration eines NFC-Chips im iPhone 6 und 6 Plus den nötigen Schub?
Reeh: Wenn eine Marke wie Apple in einen Technologiepfad einsteigt, dann werden auf jeden Fall schon mal die Kritiker leiser. Der wichtigere Effekt ist aber, dass viele Endanwender durch die große mediale Beachtung erstmals mit dem Thema NFC und Bezahlen per Smartphone in Berührung gekommen sind. Wenn Apple die NFC-APIs aber nicht bald für die Developer Community öffnet, glaube ich noch nicht an nachhaltig positive Effekte fürs NFC-Ökosystem insgesamt.
2. Teil: „NFC hat den Status des Hypes hinter sich gelassen“

NFC hat den Status des Hypes hinter sich gelassen

  • NFC im Tal der Enttäuschungen: Laut Gartner befindet sich NFC auf dem Tiefpunkt des Hype-Cycles 2014. Den Analysten zufolge wird es noch zwei bis fünf Jahre dauern, ehe die Technologie den Produktivitätsstatus erreicht.
com!: Laut Gartner hat NFC den Status des Hypes hinter sich gelassen. Jetzt gelte es, sinnvolle Einsatzszenarien zu finden. Wie sehen Sie das?
Reeh: Das Hype-Cycle-Modell von Gartner ist sicher ein interessantes Tool, um die Verbreitung technologischer Innovationen vergleichbar zu machen. Doch wird hier stark verallgemeinert. Ich denke, dass NFC als Service Enabler weniger einem eigenständigen als vielmehr verschiedenen lösungsbezogenen Innovationszyklen folgt. Wenn zum Beispiel ein Zielmarkt aufgrund von Lock-in-Effekten noch nicht reif ist für eine neue Technologie, dann lässt sich vom NFC-Standardisierungsgrad nicht einfach auf das Marktpotenzial zum Beispiel von NFC Mobile Payment schließen. Der wahre Hype um NFC muss folglich von außen kommen und steht uns wahrscheinlich erst noch bevor. Was zur Killer-Applikation avanciert ist schwer zu sagen.
com!: Was muss denn passieren, damit wir mit dem Smartphone oder speziellen Kreditkarten bald überall kontaktlos bezahlen können? Ist eine Standardisierung nötig, wie sie Ebay-CEO John Donahoe gefordert hat?
Reeh: Im Gegensatz zu vielen anderen Systemen ist NFC bereits ein hoch standardisiertes, internationales Kommunika­tionsprotokoll für Proximity-Dienste wie Mobile Payment. Die größte Herausforderung sehe ich deshalb nicht im Bereich Standards und Interoperabilität, sondern in der Entwicklung nachhaltiger, geteilter Erlösmodelle, die insbesondere auch den stationären Einzelhandel mit einbeziehen. Optimaler Treiber wäre jedoch der Kunde, der von sich aus nach kontaktlosen Bezahllösungen verlangt. Dafür bedarf es allerdings zwingend weiterer kommunizierbarer Mehrwerte.
com!: Es scheint fast so, als wären der bargeldlose Zahlungsverkehr oder Poster, die URLs funken, derzeit die einzigen Felder, auf die sich die Anstrengungen konzentrieren. NFC wird dabei eher als Brücke zwischen verschiedenen Medien eingesetzt.
Reeh: So schlecht finde ich den Gedanken der Brückentechnologie gar nicht. Denn NFC sollte auf keinen Fall Selbstzweck sein. Da NFC als relativ simple Kommunikationstechnologie keine Wunder vollbringen kann, finde ich das He­rausstellen einer besonders einfachen und sicheren Kommunikation durchaus gut. Jeder, der NFC zum ersten Mal mit einer kontaktlosen Karte oder dem Smartphone verwendet, ist von der Schnelligkeit begeistert. Ausschlaggebend für die Gesamtbewertung ist der Nutzen für den Anwender. In diesem Sinn verstehe ich NFC gern als Brücke zwischen verschiedenen realen und virtuellen Diensten.
3. Teil: „NFC-Technik eignet sich nicht nur für Smartphones“

NFC-Technik eignet sich nicht nur für Smartphones

  • Apple Pay: iPhone 6 und 6 Plus sind die ersten Apple-Smartphones mit NFC. Derzeit ist der Einsatz aufs mobile Bezahlen beschränkt.
com!: NFC wird praktisch nur mit dem Smartphone in Verbindung gebracht. Eignet sich die Technologie denn nicht auch für andere Geräte und Objekte?
Reeh: Überall, wo ich zwischen zwei Geräten schnell eine Datenverbindung einrichten will, ist NFC sinnvoll. Möchte ich etwa bei Freunden meine Urlaubsbilder von der Digicam auf dem großen Fernseher zeigen und sind beide Geräte mit einem NFC-Chip ausgestattet, so genügt es, Kamera und Fernseher kurz miteinander zu tappen. Automatisch wird dann Bluetooth zur Übertragung der Bilddateien konfiguriert.
Ein anderes Einsatzszenario wäre ein Gast-WLAN zu Hause für Besucher mit eigenem Tablet und verbautem NFC-Chip im WLAN-Router. Allerdings gestaltet sich die Adap­tion von NFC im Consumer-Bereich eher schleppend, da viele Akteure auf den Durchbruch bei den Smartphones warten.
com!: Besteht die Gefahr, dass anderen Technologien NFC noch den Rang ablaufen?
Reeh: Die NFC im vergangenen Jahr am häufigsten gegenübergestellte Technologie heißt Bluetooth Low Energy (BLE), auch Beacon genannt. Durch den Einsatz von kleinen BLE-Funkbaken können Smartphones aus mehreren Metern Entfernung mit individuellen Push-Informationen versorgt werden. Zum Einsatz kommen soll BLE im Bereich Location Based Services und Mobile Marketing. Damit könnte es in vielen Use Cases eine sinnvolle Ergänzung zum Pull-Medium NFC darstellen (und umgekehrt).
Für sicherheitsrelevante Applikationen wie Payment, Access- oder ID-Management bietet NFC aufgrund der deutlich kürzeren Funkreichweite sowie der korrespondierenden Secure-Element-Infrastruktur klare Vorteile.
  • NFC-Tags: NFC-Tags nennt man kleine Aufkleber, Plastikkarten oder Schlüsselanhänger, die einen NFC-Chip ohne eigene Stromversorgung haben. Die Tags haben zwei Kernkomponenten: den eigentlichen NFC-Chip und Drahtschleifen, die als Funkantenne und als Induktionsschleife dienen.
com!: Müsste NFC nicht eigentlich der Ausgangspunkt für umfassende Anwendungskonzepte sein statt nur ein Zwischenschritt oder eine Lösung für ein Pro­blem?
Reeh: Das ist zwar ein schöner Gedanke, doch ich wäre froh, wenn NFC überhaupt in jedem beworbenen Anwendungsfall ein echter Problemlöser wäre. Allerdings könnte NFC sehr wohl ein Umdenken in den IT-Konzernen unterstützen, weg von zu viel technischer Finesse hin zu mehr Usability und besserer User Experience.
Da beide Aspekte den unbekannten Faktor namens Kunde in die Entwicklung mit einbeziehen, spreche ich flexiblen, interdisziplinären und kreativen Anwendungskonzepten die größten Erfolgsaussichten zu. Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Gerade bei den Themen NFC und Mobile Business reden wir von komplexen, weitverzweigten Erlösnetzwerken, die für alle Beteiligten recht neu sind und bereits jetzt viel Goodwill vom Entwicklungsvorstand einfordern.
com!: Welche Rolle kann NFC bei der digitalen Transforma­tion spielen, die alle Branchen und Unternehmen erfasst hat und die in den nächsten Jahren einen massiven Umbau von Geschäftsprozessen und Geschäftsmodellen mit sich bringen wird?
Reeh: Megatrends wie das Internet der Dinge, Big Data und Industrie 4.0 haben zumindest immer zwei erfolgsnotwendige Komponenten: innovative Technologien und innovative Verwendungszusammenhänge.
  • Touch & Travel: Bei der Deutschen Bahn ersetzt das Handy dank NFC die Fahrkarte.
NFC ist in diesem Gesamtgefüge digitaler Ökonomien sicher nur ein kleines Rädchen, doch womöglich das Missing Link, um den Verbraucher umfassend und niederschwellig in smarte Systeme zu integrieren. Für gewinnbringende mobile Geschäftsmodelle bedarf es dann, neben der erwähnten User Experience, jedoch auch ganzheitlicher Enterprise-Mobility-Strategien, die auf Prozess- wie Entscheidungsebene weit mehr erfordern, als das bloße Einbinden von NFC als weiteren Kanal im Multi-Channel-Mix.
Für kleine Firmen und Start-ups ist die Kalkulation sicher eine andere, da NFC als internationaler Standard First Movern ein hohes Markt- und Differenzierungspotenzial bietet. Welche NFC-Anwendung Teil des nächsten Facebook ist, wird uns die Zukunft zeigen. Sicher ist: Viele NFC-Anwendungen werden sich im professionellen Umfeld schneller durchsetzen als im Endkundenmarkt, da es sich bei Firmen gewissermaßen um zentral administrierte Insellösungen handelt, die einfacher flächendeckend zu implementieren und zu konfigurieren sind.
4. Teil: „Der konkrete Nutzen von NFC in Unternehmen“

Der konkrete Nutzen von NFC in Unternehmen

  • Zugangskontrolle: Smartphones mit NFC können den Träger authentifizieren.
com!: Wie sieht es denn derzeit mit dem konkreten Einsatz von NFC in Unternehmen aus?
Reeh: Die Einsatzmöglichkeiten von NFC im Unternehmensumfeld sind heute schon überaus vielfältig. Im Industrie- und Produktionsumfeld kommen für viele Prozesse bereits RFID-Lösungen zum Einsatz. Radio Frequency Identification ist die technische Grundlage für NFC (induktive Kopplung aktiv-passiver Systeme auf 13.56 MHz) und dient, wie der optische Barcode, zur automatischen Objekt­identifikation.
Lange Zeit entwickelten sich beide Anwendungsgruppen getrennt voneinander. Seit ein paar Jahren erkennen wir jedoch eine deutliche Zunahme von Verbundprojekten. Durch die Kombination von end-to-end-implementierten RFID-Systemen und kostengünstigen NFC-Smartphones lassen sich beispielsweise weitverzweigte Access-Lösungen realisieren.
Sobald NFC als Zugangskontrolle genutzt wird, lassen sich schnell weitere Einsatzmöglichkeiten finden, zum Beispiel die automatische WLAN-Konfiguration von mitgebrachten Geräten oder das Bezahlen am Snackautomaten und in der Kantine. Grundsätzlich könnte auch der Beamer im Konferenzraum mit NFC versehen werden und Tablets könnten die richtige Konfiguration für den Zugriff selbstständig ab­lesen.
com!: Welche Einsatzmöglichkeiten von NFC in Unternehmen finden Sie besonders spannend?
Reeh: All jene Ansätze, die das NFC-Smartphone, gewissermaßen als PDA 2.0, in den Mittelpunkt der persönlichen Arbeitsabläufe stellen. Bei gegebener Rechenleistung kann ich meinen kompletten Office-Alltag über das Smartphone abbilden und mich jederzeit gegenüber der digitalen physischen Firmenumgebung (für Screen Mirroring, Druckjobs und Ähnliches) authentifizieren.
  • Stromversorgung per Induktion: Weil NFC-Tags keine eigene Stromversorgung haben, muss der Kommunikationspartner die Energie mit Hilfe von Magnetwellen zur Verfügung stellen. Die treffen auf die Induktionsschleife des Tags und erzeugen so Strom. Das Tag benötigt etwa 1 Watt, um seine gespeicherten Daten zu senden.
Auch die Kontrolle von Maschinen mit proprietären Steuerungsprogrammen wird mittels Konverter über die sichere NFC-Schnittstelle die Effizienz, Flexibilität und Visibilität von Industrieanlagen weiter erhöhen. Mit einem unternehmensübergreifenden Rechtemanagement via NFC-Token auf dem Smartphone sind solche Arbeiten dann auch beim B2B-Kunden denkbar.
com!: Groß sind auch die Erwartungen an das Internet der Dinge. Eine Schlüsselrolle für den Erfolg soll NFC  spielen. Halten Sie das für realistisch?
Reeh: Das Internet der Dinge wird zweifelsohne einer der Wettbewerbstreiber des nächsten Jahrzehnts. Den Ansatz, Menschen im (Berufs-)Alltag durch smarte Hintergrundprozesse aktiv zu unterstützen, finde ich mit Blick auf die zunehmende Informationsflut, immer kürzere Innovationszyklen und nicht zuletzt den demografischen Wandel sehr unterstützenswert.
Zu unterscheiden sind dabei vollautomatisierte, medienbruchfreie Prozesse, die zum Beispiel mittels RFID und Sensorik Umweltinformationen untereinander austauschen, und Prozesse, die genau gegenteilig das Aktivwerden des Nutzers durch NFC für Informations- und Kontrollaufgaben vorsehen. Voraussetzung bei all diesen Überlegungen ist aber, dass der Nutzer zuvor sein Einverständnis für die Einbindung von RFID & Co gegeben hat.
com!: Wenn NFC scheitert, scheitert dann auch das Internet der Dinge?
Reeh: Auf keinen Fall. Das Internet der Dinge ist mehr ein Konzept als eine konkrete, singuläre Technologie. Und wenn wir – Stand heute – von Big Data und der komplexen Informationsgewinnung im Data Mining reden, so ist dies nichts im Vergleich dazu, wenn erst jedes einzelne Objekt auf der Welt mit einer eigenen IP-Adresse ausgestattet ist und miteinander kommunizieren möchte. Der Weg hin zu einer beherrschbaren Orchestrierung dieser IT-Landschaft wird aber noch eine lange Zeit in Anspruch nehmen.
NFC dagegen werden wir viel früher umfangreich zu Gesicht bekommen. NFC wird also nicht scheitern und kann das auch gar nicht mehr. Schließlich haben wir mit weltweit über 1 Milliarde genutzten Kontaktloskarten und NFC-Smart­phones im dreistelligen Millionenbereich eine hoch attraktive technologische Basis für smarte Lösungen und Geschäftsmodelle der Zukunft.

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