10.06.2015
Ringen um Netzneutralität
1. Teil: „Kommt das Zweiklassen-Internet?“
Kommt das Zweiklassen-Internet?
Autor: Andreas Dumont
iStock / Apatsara
Wenn es nach den Netzbetreibern geht, dann gibt es bald eine Internet-Maut. com! professional geht dem Thema Netzneutralität auf den Grund und beleuchtet das Für und Wider.
Die Vision einiger Netzbetreiber besteht in voneinander unabhängigen Datennetzen mit unterschiedlichen Inhalten, die von wenigen Anbietern kontrolliert werden. Eine Motivation dafür sind technische Engpässe. Im Zeitalter von Netflix, Youtube und IPTV gelangt die technische Infrastruktur des Internets zunehmend an ihre Grenzen. Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom müssen viel Geld in die Hand nehmen, um ihre Netze entsprechend auszubauen.
Dieser dritten Strategie hätte eine EU-Verordnung den Weg geebnet, wäre sie nicht vom Europäischen Parlament zurückgewiesen worden. Derzeit versuchen Rat und Parlament, eine Einigung zu erzielen.
2. Teil: „Was heißt Netzneutralität?
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Was heißt Netzneutralität?
Barbara van Schewick, Informatikerin und Rechtswissenschaftlerin an der Stanford Law School, schreibt: „Das Internet stellt aufgrund des End-to-End-Prinzips ein neutrales Netzwerk dar, das nicht in der Lage ist, Anwendungen an seinen Rändern auszuschließen oder ihre Ausführung zu behindern. Gegenläufig dazu wird es Netzbetreibern im Zuge neuer technologischer Entwicklungen möglich, bestimmte Anwendungen unter der Verletzung der End-to-End-Architektur des Internets zu diskriminieren.“
Sie definiert die Netzneutralität also über das Ende-zu-Ende-Prinzips des Internets. Zu den neuen Techniken gehört etwa Deep Packet Inspection, mit der sich auslesen lässt, welche Art von Daten in einem Netzpaket stecken.
La Quadrature du Net, eine französische Nichtregierungsorganisation, die sich für Bürgerrechte im Internet einsetzt, meint: „Netzneutralität bedeutet, dass das Internet keine Torwächter hat. Das umfasst alle Bereiche, die mit dem Informationsfluss im Internet zu tun haben, wie freie Rede, Zugang zu Wissen, Copyright und Innovation. Dank dieses Prinzips behält jeder die Freiheit, beliebige Informationen abzurufen oder zu produzieren.“
Hier geht es also darum, dass es keine Instanz geben darf, die bestimmt, welche Daten im Netz übertragen werden und welche nicht, dass also die Netzbetreiber lediglich als Weiterleiter von Informationen fungieren.
3. Teil: „Nicht schlüssige Argumente
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Nicht schlüssige Argumente
In der öffentlichen Diskussion um die Netzneutralität werden immer wieder Argumente vorgebracht, die sich bei näherem Hinsehen als nicht schlüssig erweisen.
- Gleichbehandlung aller Datenpakete: Häufig wird Netzneutralität gleichgesetzt mit der Forderung, alle IP-Pakete gleichberechtigt zu behandeln. Diese generelle Gleichberechtigung ist allerdings weder gegeben noch erwünscht. Unternehmen nutzen nämlich Techniken zum Monitoring, zur Lastverteilung oder zur Abwehr von Gefahren wie Denial-of-Service-Angriffen, indem sie die Datenpakete gerade nicht gleichbehandeln. Auch VoIP-Pakete werden bevorzugt behandelt, anders wäre eine störungsfreie Telefonie gar nicht möglich.
- Das Zweiklassen-Internet gibt es schon: Argumentiert wird, in den Internet-Protokollen IPv4 und IPv6 seien unterschiedliche Geschwindigkeiten ausdrücklich vorgesehen. Ausschlaggebend für Netzneutralität ist aber, dass der Kunde entscheidet, was priorisiert wird, nicht der Netzbetreiber.
- Netzneutralität verhindert den Netzausbau: Netzriesen wie die Telekom führen gern ins Feld, durch das erhöhte Datenaufkommen seien ungeheure Investitionen nötig, die es zu refinanzieren gelte. Doch hat die Telekom das Netz aus Kupferleitungen einst zum Nulltarif erhalten und hätte genug Zeit und Geld gehabt, diese nach und nach durch leistungsfähige Glasfaseranbindungen zu ersetzen.
- Netzneutralität verhindert neue Geschäftsmodelle: Das Gegenargument lautet schlicht: Bislang war das Internet weitgehend neutral, was Geschäftsmodellen von Amazon bis Zattoo offenbar nicht im Weg stand.
4. Teil: „Pro und contra Netzneutralität “
Pro und contra Netzneutralität
Netzneutralität garantiert, dass sich neue Inhalte, Angebote und Dienste auch kleiner Anbieter im Internet durchsetzen können, und begegnet der Gefahr einer Zersplitterung des Internets. Nicht das Netz an sich erschafft Werte, sondern seine Nutzer und deren Anwendungen.
Angesichts der massiven wirtschaftlichen Interessen der Netzbetreiber kann nur eine gesetzliche Verpflichtung zur Netzneutralität die Wahrung des Prinzips gewährleisten. Andernfalls droht die Diskriminierung von Inhalte-Anbietern oder der Ausschluss vor allem kleinerer Wettbewerber auf Content-Märkten. Für die Nutzer wäre dann nicht erkennbar, ob eine Webseite vielleicht nur deswegen nicht mehr aufgerufen werden kann, weil der Anbieter keinen Vertrag mit dem eigenen Provider hat.
Nicht eingeschränkt werden muss die Netzneutralität auch für neue Dienste, etwa im medizinischen Sektor, bei denen ein bevorzugter Datentransport sinnvoll erscheint – sofern diese neuen Dienste nicht über das Internet, sondern in einem eigenen Netzwerk laufen.
5. Teil: „Netzneutralität soll Fortschritt bremsen“
Netzneutralität soll Fortschritt bremsen
Wirtschaftspolitiker in Europa halten mehrheitlich eine gesetzliche Verpflichtung zur Wahrung der Netzneutralität für entbehrlich, die bisherigen Regeln seien ausreichend. Die Befugnisse, gegen Preisabsprachen und Monopole vorzugehen, seien längst vorhanden. Vom Netzwerkmanagement, etwa in Form der Qualitätsdifferenzierung, werden vielmehr positive ökonomische Effekte erwartet. Es wird davon ausgegangen, dass der Wettbewerb unter den Netzbetreibern für eine Aufrechterhaltung des offenen Internets sorgen wird.
Ein weiteres Argument: Empfindliche Dienste wie etwa Videokonferenzen oder Sicherheitssysteme müssten bevorzugt werden, um reibungslos zu funktionieren. Bei E-Mails hingegen sei es egal, wenn sie etwas später ankommen.
Immer wieder hört man auch, dass sich mit der Regulierung eigentlich ja gar nichts ändern würde – dann wäre sie aber auch nicht nötig.
6. Teil: „Lösungen zur Netzneutralität im Vergleich“
Lösungen zur Netzneutralität im Vergleich
Zum Thema Spezialdienste heißt es, dass Datendienste, die nicht über das öffentliche Internet laufen und somit nicht als Angebote von Breitbandanbietern verstanden werden können, von dem Regelwerk nicht erfasst werden. Eine Hintertür bleibt also offen.
Erstmals werden Breitbandanbieter wie Telekommunikationsanbieter eingestuft und unterliegen damit strengeren Rechtsnormen. Mehrere Unternehmen wie AT&T und Verizon haben bereits Klage gegen das Regelwerk angekündigt.
Netzneutralität in der EU
Auf EU-Ebene herrscht ein zähes Ringen zwischen Europäischem Rat, der die Netzneutralität aufweichen will, und Europäischem Parlament, das mehrheitlich eine strikte Netzneutralität verankern will.
In der Beschlussvorlage des Europäischen Rats von Anfang März 2015 heißt es, dass es Providern gestattet werden soll, „Spezialdienste zu verkaufen, die eine besondere Qualitätsstufe benötigen“.
Im Entwurf des EU-Parlaments steht, dass „der gesamte Internetverkehr gleich und ohne Diskriminierung, Einschränkung oder Störung unabhängig von Absender, Empfänger, Art, Inhalt Gerät, Dienst oder Anwendung behandelt“ wird. Wie die Verhandlungen ausgehen werden, ist offen. Als weltweit erstes Land hat übrigens Chile bereits im Juli 2010 ein Gesetz zur Wahrung der Netzneutralität verabschiedet.
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