Forschung
30.12.2015
IBMs KI-Projekt
1. Teil: „Künstliche Intelligenz? Dr. Watson weiß Rat!“

Künstliche Intelligenz? Dr. Watson weiß Rat!

Künstliche IntelligenzKünstliche IntelligenzKünstliche Intelligenz
Shutterstock / VLADGRIN
IBMs KI-Projekt Watson beantwortet Kundenanfragen, hilft bei der Krebstherapie und analysiert Aktienkurse. Kleineren Firmen und Entwicklern steht das System über die Cloud zur Seite.
Ihre Kunden rufen bei Ihrer Hotline an – und statt eines Servicemitarbeiters nimmt ein Computer das Gespräch an und stellt dem Anrufer Fragen. Das ist nichts Neues. Bereits heute haben viele Servicehotlines einen vorgeschalteten Sprachcomputer, der den Anrufer mehr oder weniger zuverlässig in die richtige Abteilung weiterverbindet.
  • IBM Watson: Das Programm soll Antworten auf Fragen geben, die in natürlicher Sprache an den Computer gestellt werden.
    Quelle:
    IBM
In Zukunft jedoch dürfte in vielen Firmen das Weiterverbinden an einen Mitarbeiter wegfallen: Die Kommunikation mit dem Kunden übernehmen menschlich kommunizierende, kognitive Computerprogramme. Schneller und vor allem kostengünstiger als jeder Mitarbeiter findet der Computer passende Antworten auf fast alle Fragen.
Ein solches Computerprogramm ist das Künstliche-Intelligenz-Projekt Watson von IBM. Das nach dem Gründer von Big Blue benannte Programm zur Künstlichen Intelligenz (KI) soll Antworten auf Fragen geben, die in natürlicher Sprache an den Computer gestellt werden. Watson ist eine semantische Suchmaschine, die dem Fragesteller innerhalb kürzester Zeit Antworten in natürlicher Sprache zurückgibt. Das Ziel von Watson ist die quasinatürliche Interaktion zwischen Mensch und Maschine.
Doch Watson kann noch viel mehr: Die Technik analysiert etwa die unzähligen Daten einer Firma und bereitet sie auf. Und auch in der Medizin hilft Watson – indem er bei der Behandlung bösartiger Hirntumore eingesetzt wird und individuelle Therapievorschläge erstellt.
2. Teil: „IBM Watson-Technik schlägt den Menschen “

IBM Watson-Technik schlägt den Menschen

  • Deep Blue vs. Kasparow: In der zweiten Partie gab der Schachweltmeister in Remisstellung auf.
    Quelle:
    Wikipedia
Bereits 1997 zeigte IBM mit dem Großrechner Deep Blue, dass der Computer den Menschen schlagen kann. Deep Blue besiegte in einem Mensch-gegen-Maschine-Wettbewerb den damaligen Schachweltmeister Gary Kasparov. Der IBM-Rechner war schon damals in der Lage, 200 Millionen mögliche Schachzüge pro Sekunde zu berechnen.
Wie gut IBMs semantische Suchmaschine Watson in der Praxis bereits funktioniert, bewies IBM nach vier Jahren Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Februar 2011 bei einem erneuten Mensch-gegen-Maschine-Duell: Watson trat in der bekannten US-Quizserie Jeopardy gegen die beiden erfolgreichen Kandidaten Ken Jennings und Brad Rutter an – und gewann.
Maschine schlägt Mensch: Nach vier Jahren Forschungs- und Entwicklungs­arbeit schlug Watson im Februar 2011 im US-Fernsehquiz Jeopardy seine beiden menschlichen Gegner.
Bei Jeopardy kämpfen drei Kandidaten gegeneinander, indem sie komplexe Fragen zu einem breiten Themenspektrum beantworten. Für falsche Antworten gibt es Abzüge. In dem Quiz zählen Wahrscheinlichkeit, Genauigkeit und Reaktionsschnelligkeit. Normalerweise beantworten die Kandidaten die Fragen bereits, während sie noch vom Moderator vorgelesen werden. Um gegen menschliche Spitzenkandidaten antreten zu können, musste Watson rund 70 Prozent der gestellten Fragen mit einer Genauigkeit von über 80 Prozent in maximal drei Sekunden beantworten können.
3. Teil: „So funktioniert der Selbstlerncomputer Watson“

So funktioniert der Selbstlerncomputer Watson

  • Apple Siri: Sobald eine Frage von den Mustern abweicht, die dem Sprachassistenten bekannt sind, muss die Computerstimme passen.
    Quelle:
    Apple
Eine Interaktion zwischen Mensch und Maschine gibt es schon für ein paar Hundert Euro auf dem Smartphone: So beantwortet Apples Siri-Technik (Speech Interpretation and Recognition Interface) auf dem iPhone oder iPad schon seit Jahren die Fragen der Nutzer, etwa nach dem Wetter. Das funktioniert nur mit unzähligen, zuvor von Apple programmierten Gesprächssituationen. Sobald eine Frage von den Mustern abweicht, die Siri bekannt sind, muss die Computerstimme passen.
Watson arbeitet anders: Bei Fragen erkennt die Maschine Subjekt, Prädikat und Objekt. Dabei baut Watson sogenannte Ontologien auf, also Zusammenhänge. So erkennt Watson, dass zum Beispiel die Begriffe „Angela Merkel“ und „Bundeskanzlerin“ häufig zusammen auftauchen, und stellt automatisch einen Zusammenhang her.
Doch bevor man den Selbstlerncomputer Watson für eigene Zwecke nutzen kann, muss die Künstliche Intelligenz erst einmal trainiert werden. So muss der Computer mit einer Menge Daten und Regeln gefüttert werden. Im Rahmen von Kundenanfragen wären das zum Beispiel Produktinformationen, Schulungsunterlagen oder Geschäftsbedingungen. Dabei versteht Watson nicht nur Englisch, sondern mittlerweile zahlreiche weitere Sprachen mehr oder weniger gut.
Auch kann Watson laut einem Bericht des Wirtschaftsmagazins „Fortune“ inzwischen sogar fluchen – und wenn nötig auch einmal „Scheiße“ sagen. Eric Brown, Wissenschaftler bei IBM, ließ Watson die legendäre Webseite Urbandictionary.com lernen. Die Seite erklärt englische umgangssprachliche Ausdrücke wie „oh my god“ – und auch „shit“. Watson konnte allerdings laut „Fortune“ beim Antworten nicht zwischen höflichen und obszönen Ausdrücken unterscheiden. Das 35-köpfige Forschungsteam rund um Watson programmierte kurzerhand einen Filter, um die Begriffe des Urban Dictionary aus Watsons Speicher wieder zu löschen. Das Beispiel zeigt, wie schwierig die „natürliche“ Kommunikation für eine künstliche Intelligenz noch immer ist.
Ob man angesichts seiner wachsenden Fähigkeiten Angst haben muss vor Watson, das muss jeder selbst entscheiden. HAL 9000, der fiktive, aber Watson nicht unähnliche Computer in dem Stanley-Kubrick-Film „2001: Odyssee im Weltraum“ wurde jedenfalls irgendwann neurotisch. IBMs Watson macht letztlich nur das, was der Mensch ihm beibringt.
4. Teil: „Watson-Technik im Callcenter und Kundenservice“

Watson-Technik im Callcenter und Kundenservice

Das Watson-Modul Engagement Advisor soll die Arbeit von Callcenter-Mitarbeitern einfacher machen – oder die Mit­arbeiter gleich ganz ersetzen. Egal ob man als Kunde Fragen zu einem Produkt hat oder bei einer Fluggesellschaft eine Verbindung stornieren möchte, Watson soll sich um alles kümmern.
  • Watson in der App der Stadt Surrey: Die Maschine beantwortet unter anderem Fragen nach der Mülltrennung.
    Quelle:
    IBM
Wie gut Watson im Kundenservice funktioniert, zeigen Tests von IBM mit der Umstellung des eigenen Hilfesystems auf Watson. Wie das Magazin „Fortune“ berichtet, finden die Callcenter-Mitarbeiter die gesuchten Informationen mit der Watson-Technik rund 40 Prozent schneller. Das dürfte unter anderem daran liegen, dass Watson die Informationen nicht nur anhand von Stichwörtern sucht, sondern auch anhand von Zusammenhängen.
Die südwestkanadische Stadt Surrey setzt bei Bürgeranfragen bereits auf IBMs Watson und hat die Technik in ihre mobile Stadtinfo-App My Surrey integriert. Bürger und Besucher können über die App direkt Fragen stellen und erhalten eine ordentliche Antwort statt einer einfachen auf Suchbegriffen basierenden Liste.
Ein Beispiel: Auf die Frage „Wie melde ich einen Gesetzesverstoß?“ erhält man als Antwort „Melden Sie einen Gesetzesverstoß per E-Mail an bylawcomplaint@surrey.ca oder per Telefon unter 604-591-4370“.
Power7-Server
Knapp 3000 CPU-Kerne in einem Cluster aus über 90 Servern: Mit dieser Rechenleistung gewann IBMs Computersystem Watson das Jeopardy-Duell.
IBM
Die Technik hinter Watson
Technisch basiert Watson auf IBMs DeepQA-Architektur – einer Massenparallel-Architektur, die auf der Grundlage des probabilistischen Nachweisprinzips arbeitet.
Sämtliche Schlussfolgerungen des Computersystems Watson basieren auf Wahrscheinlichkeiten. Zur Beantwortung einer Frage wurden für die TV-Quizshow Jeopardy über 100 Methoden zur Analyse natürlicher Sprache, zur Identifizierung von Quellen, zur Ermittlung und Generierung von Hypothesen, zur Feststellung und Bewertung von Nachweisen und zur Verbindung und Einstufung von Hypothesen verwendet.
DeepQA verbindet diese Methoden so, dass sich ihre Stärken ergänzen und auf diese Weise zu einer höheren Genauigkeit, Wahrscheinlichkeit oder Geschwindigkeit beitragen. DeepQA nutzt zum Beispiel eine pervasive Konfidenzbewertung – das bedeutet, dass kein Einzelelement mit einer bestimmten Antwort verknüpft ist. Alle Elemente erzeugen Kennzeichen und entsprechende Wahrscheinlichkeiten, sogenannte Konfidenzen. Sie ermöglichen eine Bewertung unterschiedlicher Frage- und Inhaltsinterpretationen.
Die ersten Versuche mit Watson liefen noch auf einem ein­zelnen Prozessor, der ganze zwei Stunden brauchte, um eine Frage zu beantworten. Für die TV-Quiz-Show Jeopardy skalierte Watson knapp 3000 Power7-Kerne in einem Cluster aus über 90 Power750-Servern. Jeder dieser Server arbeitete mit 32 Power7-Kernen mit 3,55 GHz und bis zu 512 GByte Speicher. Als Betriebssystem kam Linux zum Einsatz. Insgesamt verfügte das System über 16 TByte Speicher.
Mittlerweile läuft Watson auf mehreren IBM-Rechenzentren weltweit. Wer IBMs Watson als Unternehmen nutzen möchte, braucht keine eigenen Server im Keller: Watson ist als Cloud-Service über das Internet von überall aus erreichbar.
5. Teil: „Watson in der Medizin und Gesundheitsvorsorge“

Watson in der Medizin und Gesundheitsvorsorge

  • Watson in der Krebsmedizin: Lukas Wartman vom Mc­Donnell Genome Institute an der Washington University in St. Louis analysiert Genome mit IBMs Watson Genomic Analytics.
    Quelle:
    IBM
Mit dem Beantworten von Kundenanfragen sind die Grenzen von Watson noch längst nicht erreicht. So nutzt beispielsweise neben rund 15 Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen das Forschungsinstitut New York Genome Center (NYGC) die Watson-Technik zur Behandlung von Glioblastomen, bösartigen Hirntumoren. Der Computer analysiert in Sekundenbruchteilen Mutationen. Für den Patienten kommen dabei individuell auf ihn zugeschnittene Therapievorschläge heraus.
Dass dem menschlichen Onkologen damit bald das Aus droht, muss man wahrscheinlich nicht fürchten – die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Krebstherapie fällt weiterhin ein Arzt.
IBMs Watson ist für die Medizin aber ein wichtiges Werkzeug, um möglichst schnell Entscheidungen zu treffen. Dabei kann der Computer auf einen fast unbegrenzten Fundus an Wissen zurückgreifen. Beispiel Glioblastome: Watson nutzt zur Entscheidungsfindung Millionen von klinischen Studien und Behandlungsprotokollen. Zudem vergleicht Watson Milliarden von DNA-Beispielen mit den Genomen des Patienten. Kein Arzt könnte so viel medizinische Literatur und das Wissen aus früheren Behandlungen verarbeiten wie ein Computer – die Menge an medizinischen Daten soll sich alle fünf Jahre verdoppeln.
IBMs Watson macht aber auch vor dem Smartphone nicht Halt: Nach einem Bericht in der Wochenzeitung „Die Zeit“ will IBM mit Watson die Gesundheitsdaten von Millionen iPhone- und Apple-Watch-Nutzern analysieren. Dem Bericht zufolge will IBM die Daten der Apple-Gesundheitsplattformen Health­Kit und ResearchKit in seiner Cloud sammeln, auswerten und die Ergebnisse verschiedenen Forschungseinrichtungen und Kliniken anbieten. „Wir wollen das analytische Gehirn hinter HealthKit und ResearchKit sein“ wird dazu der IBM-Manager John E. Kelly in der „New York Times“ zitiert.

Mit Watson Geld verdienen

Auch bei monetären Entscheidungen soll die Watson-Technik helfen. Neben dem Kundenservice und der Medizin ist der Finanzsektor der dritte große Pfeiler, auf den IBM mit Watson setzt.
Watson kann in kürzester Zeit Neuigkeiten der Finanzbranche durchstöbern, Aktienkurse analysieren und Quartalsberichte scannen. Allein die Nachrichtenagentur Reuters veröffentlicht jeden Tag rund 9000 Seiten an Finanznachrichten. Solche Riesenmengen an verarbeiteten Informationen können zum Beispiel Banken dazu dienen, vor der Kreditvergabe oder vor Investitionen den intelligenten Watson zu befragen und dessen Rat einzuholen.
6. Teil: „Watson für Großkunden und kleinere Firmen“

Watson für Großkunden und kleinere Firmen

Die Angebote für Großkunden, die IBM unter dem Namen Watson vermarktet, bestehen aus mehreren Modulen. So ist für die Krebstherapie unter anderem Watson Oncology Advisor zuständig, um Kundenanfragen kümmert sich Watson Engagement Advisor und das Modul Watson Analytics bereitet Daten grafisch auf.
  • Predictive Analytics mit Watson: Das Watson-Modul Analytics verarbeitet diverse Daten und versucht Zusammenhänge vorherzusagen.
    Quelle:
    IBM
Dabei handelt es sich entweder um Cloud-Angebote aus einem IBM-Rechenzentrum oder um On-Premise-Software – also um klassische Kaufsoftware, die lokal beim Kunden läuft. Letzteres ist zum Beispiel der Fall, wenn die Daten nicht unbedingt in einer Cloud liegen sollten, etwa im Gesundheitssektor.
Feste Preise für diese individuellen Großkundenangebote gibt es nicht. Laut Dirk Michelsen, Managing Consultant im Watson-Team bei IBM, sind die Preise für Großkunden projektbezogen und Verhandlungssache.

Watson testen

Für kleinere Firmen und Entwickler vermarktet IBM Watson unter der Bezeichnung Watson Developer Cloud. Es handelt sich dabei um Standard-Cloud-Dienste, die auf IBMs Platform-as-a-Service-Plattform Bluemix laufen. Dazu gehören zahlreiche kognitive Dienste etwa zum Analysieren von Texten und Bildern oder für Übersetzungen. Diese lassen sich zum Beispiel in eigene Apps integrieren.
Über die Bluemix-Plattform lässt sich die Watson-Technik ausprobieren. Eine Bluemix-Instanz mit 256 MByte Arbeitsspeicher, 0,5 GByte Speicherplatz, bis zu 100 Nutzern und bis zu 300 HTTP-Anforderungen pro Sekunde ist kostenfrei. Zusätzlich bietet IBM einen Containerzugang an, der sich ebenfalls testen lässt, ohne dass Kosten anfallen. Wer dann mehr Rechenleistung benötigt, kann diese kostenpflichtig hinzubuchen.
Entwickler können aber auch eigene kognitive Apps für IBMs Watson-Technik programmieren. So gibt es zum Beispiel mit Watson Spoken Healthcare Question and Answer bereits einen Gesundheitsratgeber sowie Apps, die den besten Wohnort ermitteln oder die passende Schule für den Nachwuchs finden.
Tabelle:


mehr zum Thema