Business-IT
14.06.2015
Praxisbericht
1. Teil: „IT-Fusion bei Unitymedia und Kabel BW“

IT-Fusion bei Unitymedia und Kabel BW

Praxisbericht zur IT-Fusion bei Unitymedia und Kabel BWPraxisbericht zur IT-Fusion bei Unitymedia und Kabel BWPraxisbericht zur IT-Fusion bei Unitymedia und Kabel BW
Unitymedia
Die IT spielte beim Verschmelzen der beiden Kabelnetzbetreiber Unitymedia und Kabel BW eine maßgebliche Rolle, wie das Projekt Mach 1 zeigt.
  • IT-Fusion: Das Projekt Mach 1 in Zahlen
Wie fusioniert man die inkompatiblen Prozess- und Systemlandschaften zweier Unternehmen? Indem man zunächst integriert und erst danach optimiert. Zumindest stellte sich dieses Vorgehen bei Unitymedia als praktikabel heraus.
Seit 1. Juli 2012 firmierten die von Liberty Global übernommenen regionalen Kabelnetzbetreiber Unitymedia und Kabel BW zwar unter einem gemeinsamen Namen, die bisherigen Markennamen wurden aber weiterhin getrennt voneinander verwendet. So gab es zwei separate Produktportfolios sowie gesonderte Prozesse und Systeme, die sich aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung auch gar nicht miteinander kombinieren ließen. Verschiedenste Aufgaben mussten doppelt erledigt werden, was der produktiven Zusammenarbeit im Weg stand.

Eine Prozess-Landschaft

Um wirtschaftliche Vorteile herauszuarbeiten, beschloss das Unternehmen, die Prozess- und Systemlandschaften zusammenzufassen. Es rief das Projekt Mach 1 ins Leben. Aus zwei Firmen sollte eine „gemacht“ werden. Eine weitere Bedeutung des Projektnamens Mach 1 definiert Jan Bock, Senior Vice President Information Technology und federführend bei der Umsetzung des Projekts, so: „Bei Mach 1 ging es ums Machen und nicht ums Fabulieren.“
Dass Mach 1 umgesetzt werden würde stand fest – eigentlich unabhängig von dem von der Geschäftsführung vor Projektbeginn in Auftrag gegebenen Business Case, der die Wirtschaftlichkeit und die sinnvollste Umsetzung des Projekts validieren sollte. Bock: „Es gab letztlich keine Alternative zu Mach 1. Denn nur durch dieses Programm konnten wir die Zusammenführung von Kabel BW und Unitymedia wirklich abschließen.“
Überlegungen, vielleicht doch mit zwei verschiedenen Prozess- und Systemlandschaften weiterzuarbeiten oder zunächst auf eine Zwischenlösung zu setzen, gab es deshalb nicht.
2. Teil: „Das Projekt Mach 1 bei Unitymedia & Kabel BW“

Das Projekt Mach 1 bei Unitymedia & Kabel BW

Für Mach 1 wurden gleich mehrere Zielvorgaben definiert. Um die Komplexität der IT-Landschaft zu verringern, galt es, veraltete Systeme zu finden und auszusortieren. Ferner sollten sämtliche Arbeitsprozesse abteilungsübergreifend effizienter und transparenter gestaltet werden.
Das Projekt blieb damit nicht auf die IT beschränkt, sondern erstreckte sich auch über viele weitere Fachbereiche, bezog also das gesamte Unternehmen ein. Bock fasst zusammen: „Durch die neuen gemeinsamen Strukturen und Prozesse wollten wir es schaffen, dass wir uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren können und nicht mehr von administrativen Aufgaben ausgebremst werden.“
Gleichzeitig rückte die Medienplattform Horizon in den Fokus: Horizon ist ein Produkt von Unitymedia. Es verbindet klassisches Fernsehen mit Video-on-Demand- und TV-Archiven und kombiniert Webinhalte von Internetanbietern wie Youtube und eigene Inhalte zu einem Medienpaket.
Der Zugriff auf Horizon ist mit dem Fernseher, dem Web­browser sowie verschiedenen mobilen Geräten möglich. Bis November 2014 stand Horizon nur den Kunden von Unitymedia und damit nur in Nordrhein-Westfalen und Hessen zur Verfügung. Seit November 2014 ist Horizon auch bei Kabel BW in Baden-Württemberg verfügbar.
Mit 300 Mitarbeitern aus dem eigenen Unternehmen und 100 Externen arbeiteten rund 400 Personen an Mach 1. 72 Wochen nach dem Start wurde das Projekt erfolgreich und termingerecht abgeschlossen.

Erst integrieren, dann optimieren

Die Strategie zur Umsetzung von Mach 1 zeigt sich in dem Leitsatz „Erst integrieren, dann optimieren“. Ausschlaggebend für diese Abkehr von der sonst bei Kabel BW üblichen Reihenfolge war die gewünschte Schnelligkeit der Umsetzung. Dennoch wurde auch bei diesem Ablauf der Fehlervermeidung große Beachtung geschenkt.
  • Meilensteine der Fusion: Der Zusammenschluss von Unitymedia und Kabel BW.
Doch worin integrieren? Eine Analyse zeigte, dass die bestehenden Prozesse von Unitymedia dem geplanten Ziel schon sehr nahekamen – deutlich näher als die von Kabel BW. Die Vorgehensweise war somit schnell gefunden. Anstatt von Grund auf eine neue Plattform zu entwickeln, zog die Projektleitung die bestehenden Systeme von Unitymedia heran und baute darauf die Zielarchitektur auf. Ausgestaltet wurde die Zielarchitektur dann in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen Fachabteilungen.
Daraus ergaben sich schließlich vier essenzielle Themenbereiche: Weiterentwicklung des Unitymedia Business Support Systems, Migration des Business Support Systems von Kabel BW, Weiterentwicklung der Integration von Network & Operations Technology und Web, Konsolidierung der SAP-Systeme.
Den vier Themenbereichen wurden insgesamt 28 Unterprojekte zugeordnet, die von Sales- und Controlling-Systemen über das Logistiksystem auch die Vertragsdatenbanken tangierten. Die Unterprojekte dienten der Vorbereitung der Systemlandschaft für die Migration in das Business Support System der Zielplattform.
Bei genauerer Betrachtung der Prozesse von Kabel BW stellten sich lediglich einige wenige als geschäftskritisch heraus. Nur sie wurden integriert.
3. Teil: „Die Umsetzung der Meilensteine und Cutover“

Die Umsetzung der Meilensteine und Cutover

Ende April 2014, zu Ostern, sollte der Cutover stattfinden, das heißt die Einrichtung und Initialisierung des Produktivsystems, das Schließen der Altsysteme und die Migration der Daten in das neue System. „Allerdings gingen nicht alle 28 Projekte schon an Ostern live, das wäre für unser Team schlichtweg zu viel gewesen“, schränkt Jan Bock ein. Die IT-Organisation zog deshalb schon einige Meilensteine und Aktivitäten vor, um potenzielle Risiken bei der Umstellung am Osterwochenende auf ein Minimum zu reduzieren.
  • Die deutschen Kabelnetzbetreiber: Unitymedia Kabel BW strich Anfang 2015 den Bestandteil Kabel BW aus dem Namen.
Das knappe Zeitfenster für Mach 1 erforderte deshalb eine genau geplante Umsetzung. Von den Meilensteinen über die Testdurchläufe und Schulungen bis hin zur endgültigen Implementierung und zum Live-Betrieb wurden sämtliche Aktivitäten und deren Integrationszeitpunkt minutiös festgelegt.
Ab Dezember 2013 arbeiteten zu diesem Zweck alle Fachbereiche schon mit einem einheitlichen Data Warehouse, das Informationen aus mehreren Applikationen als Grundlage für das Berichtswesen bereitstellt. Im Januar 2014 startete das IT-Team die ersten Tests für das Business Support System. Ein weiterer Meilenstein, der noch vor Ostern erreicht wurde, war die Händler-Provi­sionierung.
„Problemlos“ ist das Wort, mit dem der Cutover seitens der Verantwortlichen beschrieben wird. Von Karfreitag bis Ostermontag vollzog das IT-Team exakt nach Ablaufplan den Wechsel auf die neue integrierte Prozess- und Systemlandschaft.
Im Anschluss startete die Optimierung, die „Get-well-Phase“, um Probleme in den Systemen und Prozessen schnell beheben zu können. Konkrete Lösungsansätze in Form von Workarounds und Trainings halfen den Mitarbeitern in dieser Phase.

Wettbewerbsvorteile

Mit der Migration sind die vormals getrennten Prozess- und Systemlandschaften von Unitymedia und Kabel BW mitei­nander verschmolzen.
Für das Unternehmen ergeben sich dadurch entscheidende Wettbewerbsvorteile. Neben einer gemeinsamen Kundensicht und Arbeitsweise in den Fachbereichen konnten mit dem Projekt Mach 1 unnötige Doppelentwicklungen in zwei Systemwelten vermieden und damit die Kosten und die Komplexität für den laufenden Betrieb reduziert werden.
Sämtliche Callcenter setzen nunmehr ein gemeinsames Frontend ein, das sämtliche Kundendaten und Prozessinformationen an zentraler Stelle bündelt und die Kommunikation mit den Kunden erleichtert.
Im Bereich Netzwerk wird außerdem ein einheitliches System für die Ressourcensteuerung des Außendienstes eingesetzt, was die Einsatzplanung der Techniker stark vereinfacht.
4. Teil: „Schnelle Kommunikation über Intranet-Portal“

Schnelle Kommunikation über Intranet-Portal

Für das recht kleine IT-Team und die Fachabteilungen stellte Mach 1 eine hohe Doppelbelastung während des Projektzeitraums dar. 40 externe Dienstleister mussten koordiniert und 80 Systeme an die Zielarchitektur angepasst werden. „Die Herausforderung bestand auch darin, die Spannung und Motivation der Programm-Mitglieder über den gesamten Zeitraum hinweg aufrechtzuerhalten“, beschreibt Jan Bock ein kritisches Element des Projekts.
Das Unternehmen stellte eigens dafür ein Kommunika­tionsteam ab, das über ein unternehmensweites Intranetportal, mehrere Informationsveranstaltungen sowie Tagungen und Telefonkonferenzen für Führungskräfte laufend über die aktuellen Projektfortschritte und anstehenden Änderungen informierte. Insgesamt 1700 Anwender wurden im Lauf der 72 Wochen für Mach 1 geschult.
Tabelle:

Kommunikation – das ist für Jan Bock auch in anderer Hinsicht der Schlüssel zum Erfolg von Mach 1: „Einen Erfolg bekommen Sie nur, wenn die Fachbereiche mit dem IT-Team zusammenarbeiten, beide also wirklich miteinander reden.“
Unitymedia profitiere künftig von einem einheitlichen Marktauftritt und einer Stärkung der Marke, bilanziert Jan Bock. „Derzeit ist Mach 1 die einzige erfolgreiche Vollinte­gration im deutschsprachigen Telekommunikationsmarkt. Andere Unternehmen haben diesen Kraftakt erst noch vor sich.“
Bock bezieht sich mit dieser Aussage auf die anhaltende Konsolidierung der Kabel- und sogar der Mobilfunknetzbetreiber. In den vergangenen zehn Jahren wurden viele Übernahmeangebote unterbreitet und Gegenübernahmen gestartet. Anfang 2014 hat sich Vodafone zum Beispiel Kabel Deutschland einverleibt und steht damit voraussichtlich vor einer ähnlich umfangreichen Aufgabe, wie sie Unitymedia bereits abgehakt hat.
Unitymedia hofft, dass man sich dank Mach 1 einen Wettbewerbsvorteil am Markt herausgearbeitet und diesen gefestigt hat.

Weitere Infos

5. Teil: „„Die Belastung war sehr groß – physisch und mental““

„Die Belastung war sehr groß – physisch und mental“

Unser Interviewpartner ist Jan Bock, Senior Vice President Information Technology bei Unitymedia Kabel BW.
  • Jan Bock, Senior Vice President Information Technology, Unitymedia Kabel BW.
com! professional: Wie groß war die Belastung für die IT-Abteilung mit der Umsetzung von Mach 1?
Jan Bock: Die Belastung für uns alle war über einen längeren Zeitraum zugegebenermaßen schon sehr groß, sowohl mental als auch physisch. Wir mussten zu einem bestimmten Termin liefern. Verschiebungen hätten dazu geführt, dass sich andere Projekte verzögert hätten. Dazu lief parallel auch noch das Tagesgeschäft.

com! professional: Den Zeitplan hat Ihr Team einhalten können. Mit oder ohne Überstunden?

Bock: Wir haben in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat tatsächlich einige zusätzliche Schichten einschieben müssen, das ließ sich leider aufgrund zusätzlicher Arbeit nicht vermeiden. Manchmal auch an den Wochenenden und insbesondere zum Ende des Projekts. Positive Gleitzeitsalden haben wir nach Projektabschluss zeitnah abgebaut.
com! professional: Bei der Planung wurden sicherlich kritische Stolpersteine ausgemacht. Was hätte das Projekt scheitern lassen können?
Bock: Viele und komplexe Teilprojekte, die alle in Abhängigkeit zueinander standen. Eine missglückte Integration hätte sich zum Beispiel negativ auf unsere Kundenbeziehungen ausgewirkt. Zur Veranschaulichung des Vorhabens einige Zahlen: Das Projekt lief von November 2012 bis Juni 2014. Insgesamt haben wir 28 verschiedene Teilprojekte aufgesetzt. 400 Projektmitarbeiter, 40 Lieferanten sowie zwölf Fachbereiche waren beteiligt. Umgerechnet waren dies rund 15.000 Mann­tage und etwa zwei Milliarden migrierte Datensätze.
com! professional: Und mit welchen Problemen waren Sie und Ihr Team dann tatsächlich konfrontiert?
Bock: Ehrlich gesagt bin ich sehr zufrieden mit dem Verlauf. Durch die gute Vorbereitung, die Planung und sehr motivierte Mitarbeiter haben wir das Projekt erfolgreich beendet. Einige Nachwehen gab es nach der Umstellung natürlich auch, die wir aber schnell in den Griff bekommen haben, da wir darauf vorbereitet waren.
com! professional: Wie viel digitale Transformation steckt in der Fusion der beiden Firmen?

Bock: Mach 1 war keine digitale Transformation. Das Projekt war die Grundlage für die digitale Weiterentwicklung unseres Unternehmens.
Die IT ist ein wichtiger Baustein unserer Wertschöpfungskette. Ohne unsere IT-Systeme könnten wir weder Internet-, TV- und Telefoniedienste bereitstellen noch Kundenaufträge abwickeln.
com! professional: Ihren Blick Richtung Beginn der Projektplanung gewandt – was hätten Sie aus heutiger Sicht vielleicht anders angehen sollen?
Bock: Ich würde noch mehr Energie am Anfang des Projekts investieren, damit es auf der Zielgeraden etwas entspannter wird.

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