Business-IT
20.04.2023
Innovatives Konzept
1. Teil: „Sprachbarrieren zwischen IT und Business überwinden“

Sprachbarrieren zwischen IT und Business überwinden

Shutterstock / pathdoc
Business und IT verstehen einander nicht wirklich. Es braucht bessere Sprachkompetenzen auf beiden Seiten. Bislang fehlten spezifische Weiterbildungsangebote für die Business-Seite. Die Berner Fachhochschule hat dafür neue Konzepte entwickelt und getestet.
Wenn CIOs über Erfolge berichten, so stellen sie derzeit meist drei Aspekte in den Vordergrund: die Etablierung eines Dialogs mit dem Business auf Augenhöhe, die Veränderung der Kultur in der IT-Abteilung und die hohe Komplexität der Aufgaben. Wenn umgekehrt Führungskräfte aus dem Business über die IT-Abteilung sprechen, hört man viele Beschwerden über die IT als Ganzes, aber auch Lob einzelner Führungskräfte der IT-Abteilung. Diese sind Ansprechpartner in Problemfällen und haben sich das Vertrauen durch erfolgreiche Projekte verdient. Sie können mit Komplexität umgehen, so ist die Wahrnehmung, und das wird ihnen im Einzelfall hoch angerechnet.
Man könnte also meinen: IT und Business verstehen einander gut. Tatsächlich aber bedeutet gegenseitige Wertschätzung nur, dass man respektvoll miteinander umgeht – gegenseitiges Verständnis bedeutet es nicht! Im Idealfall betrifft die Wertschätzung alle von der „anderen Seite“, häufig wird sie aber nur Einzelnen entgegengebracht, weil es kein echtes Verständnis für die Aufgaben, Ziele, Werte, Praktiken und Artefakte der „anderen Seite“ gibt.

Verständnis fehlt auf beiden Seiten

Neudeutsch formuliert: Die Wertschätzung skaliert schlecht, solange im Business das Verständnis für die Arbeit der IT fehlt oder/und in der IT das Verständnis für die Arbeit des Business. Die beiden Probleme sind aber nicht symmetrisch. Während es viele Weiterbildungsangebote zu Geschäftsmanagement-Themen für die Führungskräfte aus der IT gibt, fehlen die reziproken Angebote für das Business. Die Führungskräfte des Business haben kaum Möglichkeiten, ein fundiertes Verständnis der IT zu erwerben. In der Folge verstehen sie Konzepte wie Agilität falsch, begreifen den Nutzen von Unternehmensarchitekturen nicht wirklich und sehen die Werkzeuge des IT-Managements als kundenfeindlich an. Das hat konkrete negative Folgen.
Beispielsweise gibt es selten ein Bewusstsein dafür, dass der „Product Owner“ eine Schlüsselrolle in Scrum-Projekten hat und deshalb das Ausüben der Rolle genügend Zeitressourcen benötigt. Das untergräbt die Wirksamkeit der Scrum-Methodik. Außerdem ist die Kultur des agilen Arbeitens dem Business meist fremd: Sie verstehen weder die Notwendigkeit hoher Disziplin (die auch für sie gilt, beispielsweise beim Testen) noch die hohe Transparenz in Bezug auf die Fähigkeiten der Mitarbeitenden in agilen Teams. So lebt man sich in Projekten schnell auseinander und in der Folge gelingt es trotz Agilität nicht, die Innovationsgeschwindigkeit zu erhöhen. Ganz zu schweigen von skalierter Agilität, beispielsweise mittels Scaled Agile Framework (SAFe), was praktisch ausschließlich als „IT-Ding“ vom Business angesehen wird. Das könnte ein Grund für die Probleme damit sein.
Ich erinnere mich an eine eindrückliche Schilderung in diesem Zusammenhang. Die IT-Abteilung einer sehr großen Organisation tat kund, dass sie in Zukunft agil arbeiten werde. Die eine Hälfte der Führungskräfte aus dem Business zuckte mit den Achseln und meinte, wenn es euch Freude macht, unterstützen wir das. Die andere Hälfte reagierte negativ und wollte die Agilisierung der IT nicht akzeptieren. Ich war nicht dabei, kenne aber die Organisation gut. Sie kommt dem Idealbild einer Expertenorganisation sehr nahe – eine Kultur des „Big Picture“ gibt es kaum, weil ihr Geschäftsfeld intern dafür als „zu komplex“ angesehen wird. Da ist es nur logisch, wenn Führungskräften aus dem Business das Verständnis fehlt, dass sie die IT verstehen sollten.
2. Teil: „Das Problem: Wechselseitige Sprachbarrieren“

Das Problem: Wechselseitige Sprachbarrieren

Natürlich gibt es Unternehmen, in denen die Führungskräfte im Business ein gutes Verständnis von IT haben. Nur sind diese Unternehmen die Ausnahme. Die Sprachbarrieren zwischen IT und Business sind fast überall riesengroß. Das alltägliche gegenseitige Missverstehen hätte hohes kabarettistisches Potenzial, wenn es genügend Menschen gäbe, die beide Seiten verstünden. So aber gibt es wenig zu lachen, vielen bleibt nur die Faust im Sack. Und das, obwohl es eigentlich vielerorts den Wunsch gibt, die Grenze zwischen Business und IT abzubauen.
Einerseits möchten immer mehr Mitarbeitende im Business einfache Datenanalysen selbst machen, statt der IT dafür Aufträge zu geben. Und es verlangen immer mehr Führungskräfte aus dem Business, dass Ideen für Geschäftsinnovationen auch aus der IT-Abteilung kommen müssen. Andererseits kommt es zu Situationen, in denen die IT sich beim Business für die Interessen der Kund*innen einsetzt, weil das Business im Rahmen von IT-Innovationen unbewusst ganze Kund*innengruppen entsorgt. Und natürlich wünscht sich die IT, dass das Business seine IT-Aufgaben, etwa Anwendungstests, ordentlich erledigt. Problem nur: Da man die Sprache der „anderen Seite“ nicht versteht, scheitert auch der Grenzabbau.

Die Lösung: Neugier und Sprachkurse

Die Lösung des Problems sind Neugier und Sprachkurse. Neugier ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Neugier kann man nicht trainieren. Desinteresse an Fremdem ist eine Charaktereigenschaft, die Vorteile hat (keine Zeitvergeudung) und Nachteile (keine Empathie). Menschen mit Desinteresse an Fremdem sind für gewisse Aufgaben besonders geeignet (weil sie sich nicht ablenken lassen) und für andere völlig ungeeignet (weil ihnen das Interesse für komplexe Situationen fehlt). Ausbildung und Weiterbildung ändern daran meist wenig. Wo aber Neugier vorhanden ist, kann ein Sprachkurs sehr wirksam sein.
Bislang gibt es vor allem Weiterbildung in Business-Sprache für Fachkräfte aus der IT. Sie sollen damit in ihrer Karriere unterstützt werden. Das funktioniert gut, auch wenn man sich oft wünschen würde, dass weniger Business-Slang in diesen Weiterbildungen vermittelt würde. Denn es geht eigentlich nicht darum, dass Informatiker*innen wie Betriebswirte klingen, sondern dass sie mit Betriebswirten sprechen können. Das heißt, es geht um eine Aneignung von Business-Sprache, nicht um Anpassung an die Business-Sprache. Denn Anpassung an Slang birgt immer die Gefahr, im Bullshit-Bingo zu landen.
Was jedoch fast völlig fehlt, sind Kurse, in denen Führungskräfte aus dem Business die Sprache der IT erlernen können. Gemeint ist auch hier: sich die Sprache der IT für ihre persönlichen Bedürfnisse aneignen können und nicht, eine IT-Expertise zu simulieren. Denn für die IT-Expertise haben wir die IT-Abteilung. Was es braucht, ist auf Business-Seite die Fähigkeit, mit der IT-Abteilung in einer Sprache sprechen zu können, welche die Mitarbeitenden der IT-Abteilung verstehen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
3. Teil: „Ein dreistufiges Konzept“

Ein dreistufiges Konzept

Unsere Zusammenarbeit mit der Praxis hat uns gelehrt, dass ein dreistufiges Sprachkurs-Modell sinnvoll wäre:
  1. Direkte Kommunikationshilfen – maßgeschneiderte kurze Kurse zur digitalen Transformation für eine Branche oder einen Konzern
  2. Weiterbildungsangebote zu wichtigen IT-Themenbereichen, welche bewusst Nicht-IT-Expert*innen adressieren
  3. Umfassende Sprachausbildung, welche nicht nur die richtigen Worte vermittelt, sondern auch die wichtigen Perspektiven und Denkmodelle
Internationale IT-Großkonzerne investieren intern erfolgreich in die erste Stufe. Die Qualität ist dabei oft hoch. Ungenügende Weiterbildungsbeispiele habe ich bislang vor allem außerhalb des IT-Sektors gesehen, konkret bei Weiterbildungen, die primär der Compliance dienen und die die Mitarbeitenden so lange absolvieren müssen, bis sie in den Tests die angeblich richtigen Antworten anklicken. Das legt nahe, dass die erste Stufe auf freiwilliger Basis realisiert werden sollte, damit sie durch Qualität überzeugt und nicht zur Pflichtübung verkommt.
Größere nationale Konzerne können dem Beispiel der Großkonzerne der IT-Branche folgen und für ihre Führungskräfte maßgeschneiderte Kurse entwickeln, die konzernintern die Kommunikation zwischen Business und IT fördern. Und KMUs könnten über ihre Verbände maßgeschneiderte branchenspezifische Schulungen erarbeiten lassen.
Angebote auf der zweiten Stufe sollten auf dem Wissen aus der ersten Stufe aufbauen. Das heißt: Je nachdem ob die Teilnehmenden eine erste Stufe absolviert haben oder nicht, funktionieren Angebote der zweiten Stufe unterschiedlich. Wer gelernt hat, im eigenen Bereich mit der IT erfolgreich zu kommunizieren, kann auf der zweiten Stufe spezifisches Wissen für Innovationsprojekte erwerben. Wer keine erste Stufe absolviert hat, wird vor allem verstehen lernen, in welchen Bereichen sie oder er sich aktiv um IT-Belange kümmern muss – und dann hoffentlich die erste Stufe nachholen.
Die dritte Stufe des Sprachkurs-Modells ist die anspruchsvollste. Hier geht es nämlich darum, durch die Förderung der Sprachkompetenzen das Denken zu schulen. Damit soll sowohl das Stellen von Fragen gefördert werden als auch das Generieren kreativer Ideen. Idealerweise sollte beides automatisiert und so selbstverständlich werden, dass wichtige Perspektiven von selbst beim Generieren und beim Ausarbeiten von Ideen berücksichtigt werden.

Die praktische Umsetzung

Wir experimentieren mit allen drei Stufen. Konkret haben wir für die Schweizer Agrargenossenschaft Fenaco (7,4 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr) einen Weiterbildungskurs für ihre Führungskräfte entwickelt, in dem diese in zwei Tagen die Grundlagen der Sprache der IT lernen. Dabei geht es um die Themenfelder Digitalisierungsstrategie, Plan, Bild und Run. Sie werden nun den 170 Führungskräften in Deutsch und Französisch angeboten, nachdem die Konzernleitung sich selbst schulen ließ, um die Qualität zu überprüfen.
  • Drei Stufen: Entwicklung einer maßgeschneiderten Führungskräfteausbildung zur digitalen Transformation.
    Quelle:
    com! professional
Die Entwicklung des Kurses verlangte, dass wir das fachlich notwendige Wissen in eine Form transformierten, welche im Konzern bekannte Artefakte verwendet, praktische Beispiele aus dem Konzern im Unterricht einsetzt und eine konzernkompatible Sprache spricht. Denn das Ziel ist natürlich, dass das neue Wissen sofort im beruflichen Kontext genutzt werden kann.
Auf der zweiten Stufe zeigen unsere Experimente, dass abstrakte IT-Konzepte oft erstaunlich gut ankommen, allerdings nur bei einigen. Das Problem ist, dass aus der aktuellen beruflichen Tätigkeit nur bedingt abgeleitet werden kann, wer das Sprechen über abstrakte Perspektiven erlernen wird und wer nicht.
In Bezug auf die dritte Stufe haben wir in der Bachelor-Ausbildung einen expliziten Sprachkurs zu digitaler Transformation eingeführt und auf der Master-Ebene einen impliziten. Auf Bachelor-Ebene geht es dabei darum, durch das Sprechen über Perspektiven auch das Denken in diesen Perspektiven zu vermitteln und möglichst sogar weitgehend zu automatisieren. Dazu gehört vor allem ein Training des Fragenstellens. Wo verkürzt kommuniziert wird, sollten automatisch Rückfragen gestellt werden, die das Verständnis fördern.
Auf Master-Ebene dient der implizite Sprachkurs vor allem der Erweiterung des Horizonts durch Aneignung abstrakter Perspektiven. Studierende sollen sich durch das Sprechen darüber diese Perspektiven aneignen. Ziel ist, dass sie in Brainstorming-Sessions möglichst viele kreative Ideen entwickeln können und in Analyse-Sessions lernen, die kritischen Fragen zu stellen.
4. Teil: „Die Zukunftsvision“

Die Zukunftsvision

Was würde passieren, wenn Business und IT besser miteinander kommunizieren könnten, weil jede Seite die Sprache der anderen Seite versteht? Einfach gesagt: Die IT würde den Unternehmen mehr Mehrwert bringen. Die Resilienz und die Innovationsgeschwindigkeit würden gesteigert. Darüber hinaus würde ein neues Verständnis von Unternehmensführung entstehen, welches wir uns heute noch gar nicht richtig vorstellen können, weil uns die Anschauungsbeispiele aus der Praxis fehlen.
Die Frage „Wozu ein Sprachkurs?“ hat eine simple Antwort: Weil er den Unterschied macht! Durch den Erfolg von ChatGPT wird der wahrgenommene Unterschied paradoxerweise größer, nicht kleiner. Denn ein bisschen Blabla kann nun jeder, das liefert ChatGPT.
Wer sich unterscheiden will, muss inhaltlich substanzielle Kommunikation zwischen Business und IT realisieren. Wer dies schafft, wird dafür die Konkurrenz hinter sich lassen – und alle werden dies sehen.
Digitalisierungssprachkurs im Verband/im Konzern
  • Anbieter: Die Berner Fachhochschule (BFH), Institut Digital Technology Management, hat das Konzept erarbeitet, bietet es an und führt es durch
  • Ziel: Verbesserung der Kommunikation zwischen Business und IT
  • Mittel: maßgeschneiderte Inhalte zur digitalen Transformation für die Branche/den Konzern – konkret zu Strategie und Umsetzung
  • Adressatenkreis: Geschäftsleitung bei kleinen bis mittleren KMUs, Geschäftsleitung und erste Berichtsebene bei großen KMUs, obere Führungskräfte aus dem Business bei Großunternehmen und Konzernen (zum Beispiel 150 bis 200 Personen bei 10.000 Mitarbeitenden)
  • Dauer: 2 bis 3 Tage
Wichtige Eigenschaften
  • Sprache: Angepasst an branchen- oder konzernspezifische Begrifflichkeiten
  • Theorie: State of the Art, mit illustrativen Metaphern aus dem Alltagsleben (zum Beispiel Stadtarchitektur) verständlich gemacht
  • Modelle: Möglichst einfach verständliche Grafiken plus in der Branche/im Konzern verwendete Artefakte (etwa Unternehmensarchitektur-Darstellungen)
  • Beispiele: Aus der Praxis der Branche/des Konzerns und aus Bereichen von breitem Interesse (Gesundheitswesen, Sport, Medien und so weiter)
  • Gestaltung: Interaktiv, Wechsel von Input und mindestens einem Drittel Breakout-Sessions
  • Anspruch: Sofortige Anwendbarkeit des erworbenen Wissens in der Praxis als Führungskraft im Business, welche IT-Projekte in Auftrag gibt

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