Business-IT
24.01.2024
Status quo der IT
1. Teil: „Die ITK-Branche wächst weiter“

Die ITK-Branche wächst weiter

Shutterstock / vs148
Die Wirtschaft ist aktuell vielen Krise ausgesetzt. Doch die Digitalbranche scheint den Herausforderungen zu trotzen.
Unstete Zeiten trifft es wohl ganz gut: Krieg in Europa, Fachkräftemangel, drohende Energieknappheit, hohe Inflation – die vergangenen Monate waren für die deutsche Wirtschaft nicht einfach. Die Liste der aktuellen Schwierigkeiten stellt die Unternehmen in Deutschland vor große Herausforderungen. Und ein Ende dieser multiplen Krise ist erst einmal nicht in Sicht.
Trotz dieser Herausforderungen ist die Digitalbranche recht optimistisch ins Jahr 2023 gestartet: Die Geschäfte liefen zum Jahresbeginn weiterhin deutlich besser als in der Gesamtwirtschaft und die Aussichten wurden überwiegend positiv bewertet. So prognostizierte der Bitkom im Januar: „Die Digitalbranche zeigt sich in einem von Krieg, gestörten Lieferketten und Inflation geprägten Umfeld sehr stabil und setzt weiter auf Wachstum.“
Doch zwischenzeitlich zog kurzzeitig die eine oder andere dunkle Wolke auch über der ITK-Branche auf und viele Unternehmen sahen die Lage nicht mehr ganz so positiv. Auch in der Digitalbranche, die sich bislang weitgehend krisenfest zeigte, verschlechterte sich im Frühjahr dieses Jahres das Geschäftsklima. Der Bitkom-ifo-Digital-index verzeichnete im Mai einen Abstieg um 7,4 Zähler auf 17,7 Punkte. Für die kommenden Monate bewerteten die Unternehmen der IT- und Telekommunikation auch die Geschäftserwartungen deutlich schwächer als in den Vormonaten. Zwar war der Bitkom-ifo-Digitalindex noch weit entfernt von seinen beiden Tiefpunkten zu Beginn der Corona-Pandemie und im Sommer vergangenen Jahres – aber ganz so krisenresistent wie erhofft ist die Digitalbranche aber wohl doch nicht.
Der Bitkom-ifo-Digitalindex zeigt das Geschäftsklima in der Digitalbranche. Er basiert auf der monatlichen Konjunkturumfrage des ifo-instituts und bildet sich aus dem geometrischen Mittel der Werte für die Geschäftslage und die Geschäftserwartungen. Berücksichtigt werden Daten der Digitalbranche.
  • Bitkom-ifo-Digital-index: Im Frühjahr 2023 bewerten die Unternehmen der IT- und Telekommunikation die Geschäftserwartungen deutlich schwächer als noch zum Jahresanfang.
    Quelle:
    Bitkom
Doch der Dämpfer währte anscheinend nur kurz: Der Bitkom gab Anfang Juli bekannt, dass man für 2023 für die Unternehmen der IT und Telekommunikation im deutschen Markt ein Umsatzwachstum von 2,1 Prozent auf 213,2 Milliarden Euro erwartet. Für nächstes Jahr schätzt der Bitkom sogar eine Verdopplung des Wachstums auf 4,7 Prozent und Inlandsumsätze von 223,2 Milliarden Euro.

Jobmotor ITK-Branche

Zwischen temporärer Krisenstimmung und aktueller Euphorie – eines ist die Digitalbranche ganz bestimmt: Ein Job-Motor. Die ITK-Unternehmen schaffen in diesem Jahr in Deutschland laut dem Bitkom rund 12.000 neue Arbeitsplätze. Bis Ende des kommenden Jahres sollen voraussichtlich noch einmal rund 39.000 weitere Stellen hinzukommen. Insgesamt habe die ITK-Branche nach Angaben des Digitalverbands hierzulande in den vergangenen 20 Jahren mehr als eine halbe Million zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen: Sie wuchs von rund 806.000 Arbeitsplätzen im Jahr 2004 auf voraussichtlich 1,35 Millionen im Jahr 2024.
Mit Sicherheit würde das Job-Wachstum in der Digital-Branche noch viel höher ausfallen, wenn es da nicht ein ziemlich großes Problem gäbe – den Fachkräftemangel. So gab es zuletzt in Deutschland 137.000 offene Stellen für IT-Fachkräfte. Und zudem geht ein guter Teil der Mitarbeiter in den nächsten Jahren in Rente, so Tobias Regenfuss, Senior Managing Director / Technology Lead DACH im Beratungshaus Accenture. „Die Attraktivität des deutschen Arbeitsmarktes für ausländische Arbeitskräfte nimmt derzeit eher ab und die Anforderungen an Mitarbeitende steigen rapide an.“ Sein Fazit: „Der Arbeitsmarkt kann das kaum abbilden.“
Die Regierung bietet bereits unterstützende Maßnahmen an, etwa das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, die „EU Blue Card“ oder einen Rentenzuschlag bei späterem Renteneintritt. Allerdings reichen diese Schritte zur Gewinnung von Arbeitskräften nach Ansicht von Tobias Regenfuss nicht aus. „Laut einer aktuellen Studie von Accenture und Harvard University gibt es allein in Deutschland 15,4 Millionen potenziell verfügbare, aber übersehene Arbeitskräfte – sogenannte Hidden Worker“. Dazu gehörten Senior Professionals oder Frührentner, Personen mit Pflegeverantwortung, Menschen mit Einschränkungen und Langzeitarbeitslose. „Unternehmen sollten Maßnahmen ergreifen wie die Vergrößerung ihrer Kandidaten-Pools, einen vereinfachten Einstieg in Form von Nutzerfreundlichkeit der Recruiting-Tools und leichtere Immigrationswege. Zudem sollten Unternehmen Mitarbeitenden die größtmögliche Arbeitsflexibilität bieten und Weiterbildungen ermöglichen.“
2. Teil: „Herausforderungen für die Wirtschaft“

Herausforderungen für die Wirtschaft

Doch der Fachkräftemangel ist nicht die einzige Herausforderung für die Digitalbranche. „Deutschland hat wie wenige andere Volkswirtschaften in den letzten Jahrzehnten von der Globalisierung profitiert“, erklärt Gernot Gutjahr. Er ist Partner und Head of CIO Advisory bei KPMG. „Dabei betrieben deutsche Unternehmen neben einem globalisierten Geschäft auch eine globalisierte IT insbesondere in Osteuropa und Asien, vor allem in Indien und China.“
Technologien wie die Public Cloud würden heute zwar das alte Paradigma in Frage stellen, wonach Resilienz nur auf Kosten der Effizienz erkauft werden kann. Doch angesichts der Corona-Pandemie, des Krieges in der Ukraine, der seit Jahren zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China und der anhaltenden makroökonomischen Unsicherheiten offenbarten sich Gernot Gutjahr zufolge jetzt einige in der Vergangenheit eingegangene Risiken. Dazu zählen ihm zufolge eine nach COVID-19 beispiellos hohe Fluktuation in indischen Service Delivery Center, besonders lange Lieferzeiten von sechs bis neun Monaten für IT-Güter wie Arbeitsplatzrechner, Server und Netzwerk-Hardware sowie häufigere Cyberangriffe auf zu wenig segmentierte digitale Infrastrukturen. „Angesichts dieser Informationen bewerten viele Unternehmen ihre Outsourcing-, Public-Cloud- und Lokations-Strategie neu und nehmen Anpassungen vor und beginnen damit, Technologie-Services selektiv geografisch zu entkoppeln und ihr Outsourcing, Public-Cloud-Partner und Shoring-Lokationen selektiv zu diversifizieren.“
Doch vor allem die hohe Inflation in den vergangenen Monaten macht den ITK-Unternehmen hierzulande zu schaffen. „Zunächst einmal war natürlich im B2C-Bereich Zurückhaltung spürbar, da Menschen Ausgaben verschoben oder sehr viel preissensitiver agiert haben“, so Nadine Wolanke, SVP Sales Germany bei Salesforce. Das schlägt sich auch in Zahlen nieder: Der Salesforce Shopping Index zeigt für den deutschen Online-Handel im ersten Quartal 2023 immer noch einen Rückgang um 5 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert. Für Händler und Hersteller bedeutet das: Sie müssen sich sehr viel stärker auf das Thema Kundenloyalität konzentrieren. Denn der Anteil der Online-Bestellungen, die von Wiederholungskäufern stammen, ist im ersten Quartal um 3 Prozent gegenüber dem ersten Quartal 2022 gestiegen. „Und hier kommt das Thema Daten – und diese effizient zu nutzen – wieder zum Tragen“, betont Nadine Wolanke. „Das heißt weiter in Digitalisierung investieren und vorhandenes ,Datenkapital‘ voll ausschöpfen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Dass der Druck auf die Kosten durch die Inflation deutlich steigt, bestätigt auch Senior Managing Director Tobias Regenfuss von Accenture. „Die Anbieter sind unter Druck, weil sie zum einen die Löhne erhöht haben, um das rare und gute Personal zu halten und sich somit ihre Lieferkosten erhöht haben. Zum anderen geben die Kunden ihren Kostendruck an die Provider weiter, da auch ihre Kosten – insbesondere für Energie und auch für Löhne – stark gestiegen sind.“
Als herausfordernd bezeichnet Michael Guschlbauer die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im aktuellen Jahr. Die Corona-Pandemie sei zwar laut dem Vorstand IT-Systemhaus & Managed Services bei Bechtle einerseits überwunden und beeinträchtige die Geschäftsabläufe vom Grundsatz her nicht mehr. „Aber klar – die massiven Investitionen in Hardware während der Corona-Pandemie führt momentan im Hardware-Bereich zu einer gewissen Zurückhaltung.“ Die IT-Budgets seien aber da und würden nun beispielsweise verstärkt in rechenzentrumsnahe Netzwerkprojekte investiert. Die Notwendigkeit einer weiteren Digitalisierung stünden jedoch bei den IT-Verantwortlichen außer Frage – „daher sind auch mittel- und langfristig die Perspektiven unserer Branche sehr positiv“, so Guschlbauer weiter. „Die hohe Inflation belastet die Gesamtwirtschaft und damit selbstverständlich auch die IT-Branche. Preiserhöhungen vor allem im Dienstleistungsbereich sind leider die unweigerliche Folge.“
3. Teil: „Bremsklotz Unternehmenskultur“

Bremsklotz Unternehmenskultur

Doch es sind nicht immer nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die als Bremsklotz wirken. „Zudem wird die Digitalisierung durch komplexe und langwierige Entscheidungsprozesse in Unternehmen erschwert, die der dynamischen Entwicklung nicht gerecht werden“, berichtet Tobias Regenfuss.
Vielen Unternehmen fällt es ihm zufolge schwer, Innovationen schnell zu adaptieren. „Das liegt zum einen an einer Kultur, die keine Fehler erlaubt, zum anderen aber auch an der starren Unternehmens-Anatomie inklusive vielen Hierarchie-Ebenen. Die Bereiche Kommunikation und Training werden als Begleitinstrumente zu technischen Transformations-Projekten oft unterbelichtet.“
Hinzu komme, dass zuletzt regulatorische Rahmenbedingungen und fehlende Dynamik in der Anpassung dieser Vorschriften die Adoption von Technologien bremse – insbesondere bei Banken, Versicherungen, im Gesundheitswesen und im öffentlichen Sektor.

Fünf Jahre DSGVO

Apropos regulatorische Rahmenbedingungen: Neben den ohnehin schon vielen Herausforderungen gibt es noch ein Thema, dass die Unternehmen in Deutschland seit fünf Jahren umtreibt: Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Die für Verbraucher eigentlich ganz gute Regelung „hemmt in großen Teilen der deutschen Wirtschaft Innovationen und wird als Hindernis für Wachstum und Wohlstand in der digitalen Welt wahrgenommen“, wie der Digitalverband Bitkom anlässlich des fünften Jahrestags der DSGVO zusammenfasst.
Konkret heißt das: Sechs von zehn Unternehmen hierzulande zögern bei der Datennutzung, weil sie Angst haben, gegen den Datenschutz zu verstoßen. Fast ebenso viele haben schon einmal Pläne für Innovationen gestoppt, weil datenschutzrechtliche Vorgaben oder Un­sicherheiten sie dazu gezwungen haben. Dabei geben 22 Prozent der Unternehmen an, dass dies schon häufig der Fall war, bei 24 Prozent mehrfach und bei 14 Prozent bislang einmal. So die Zahlen einer Umfrage von Bitkom Research.
Der frühere Bitkom-Präsident Achim Berg äußerte sich daher bezüglich der Datenschutz-Grundverordnung auch eher verhalten: Zwar sei ein einheitliches Datenschutzrecht für die ganze EU ein großartiges Projekt für die Bürger ebenso wie für die EU als Wirtschaftsraum. Nach fünf Jahren Datenschutz-Grundverordnung müsse man allerdings festhalten: „Die DSGVO hat ihr Versprechen, für europaweit einheitliche, verständliche und praxistaugliche Datenschutz-Regeln zu sorgen, nicht eingelöst.“ Stattdessen führe die eigenständige Interpretation durch jede nationale und regionale Aufsicht zu Rechtsunsicherheit. Die Folge: Viele Unternehmen würden deshalb auf die Entwicklung neuer Technologien und Dienste verzichten – „oder verlagern ihre Projekte ins Ausland. Das zeigt sich nicht zuletzt an Verboten für innovative Technologien wie ChatGPT in einzelnen EU-Mitgliedstaaten, die für massive Verunsicherung sorgen“, so Achim Berg weiter.
  • Datenschutz bremst innovative Projekte
    Quelle:
    Bitkom Research
Ähnlich sehen es die Unternehmenslenker in Deutschland: 58 Prozent der Unternehmen glauben, dass Deutschland Chancen für Wachstum und Wohlstand verschenke, weil zu oft auf Datennutzung verzichtet wird. 63 Prozent sagen, dass durch strenge Regeln innovative datengetriebene Geschäftsmodelle in Deutschland erstickt oder aus dem Land vertrieben würden.

Schwere Zeiten für Start-ups

Die aktuelle wirtschaftliche Zurückhaltung bekommen nicht nur die großen Unternehmen zu spüren, sie betrifft auch Start-ups. Die Mehrheit der jungen Unternehmen in Deutschland ist aktuell auf der Suche nach frischem Kapital – und erlebt eine stärkere Zurückhaltung von Investoren aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung. Acht von zehn Start-ups (79 Prozent) geben laut dem Bitkom an, dass durch die konjunkturelle Entwicklung Investoren deutlich zurückhaltender geworden seien, sieben von zehn (71 Prozent) haben in den kommenden 24 Monaten Kapitalbedarf – im Durchschnitt geht es dabei um 2,3 Millionen Euro. Das ist zwar im Vergleich zum Vorjahr mit 3,3 Millionen Euro ein Rückgang um fast ein Drittel – aber: 14 Prozent der Start-ups halten es derzeit für unwahrscheinlich, dass sie das benötigte Geld auftreiben können. Der Rückgang des Kapitalbedarfs lässt sich wohl damit erklären, dass viele Jungunternehmen in den vergangenen Monaten auf die Kostenbremse traten und ihre Profitabilität erhöhten. So liegt aktuell die durchschnittliche Zahl der Mitarbeiter bei 14. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es noch 20.
Als Folge überlegen daher viele Start-ups Deutschland den Rücken zu kehren. Aktuell ist nach Angaben des Digitalverbands Bitkom nur rund ein Drittel der Gründer der Meinung, dass es in Deutschland ausreichend Venture Capital gibt. Ebenfalls rund ein Drittel überlegt, mit dem eigenen Start-up ins Ausland zu gehen, weil es in hierzulande zu wenig Kapital gibt. Ein Börsengang ist dabei für die Mehrheit der Start-ups aktuell keine Option. Nur 31 Prozent halten den Gang aufs Parkett bei einer deutschen Börse in der Zukunft für eine Option, 25 Prozent können sich das jedoch im Ausland vorstellen.
4. Teil: „„Unternehmen sollten stärker auf Diversität setzen““

„Unternehmen sollten stärker auf Diversität setzen“

Was sind die Technologien, die Unternehmen in Sachen IT aktuell nachfragen? com! professional spricht darüber mit Tim van Wasen, Deutschland-Chef von Dell Technologies.
com! professional: Herr van Wasen, was sind Ihrer Erfahrung nach die aktuellen Trend-Themen in der Unternehmens-IT?
  • Tim van Wasen Geschäftsführer von Dell Technologies in Deutschland
    Quelle:
    Dell
Tim van Wasen: Ein Klassiker schlechthin ist die IT-Sicherheit. Die Cyberkriminellen rüsten immer stärker auf, nicht zuletzt durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Unternehmen müssen sich darauf einstellen und proaktiv sowohl in die Abwehr als auch in ihre Fähigkeiten zur Wiederherstellung nach einem erfolgreichen Angriff investieren.
com! professional: Wie könnte das aussehen?
van Wasen: Neben klassischen Security-Maßnahmen inklusive einer umfassenden Backup- und Recovery-Strategie rückt der so genannte Zero-Trust-Ansatz immer stärker in den Mittelpunkt. Wenn Mitarbeiter angesichts flexibler Arbeitsmodelle und der zunehmenden Cloud-Nutzung über die unterschiedlichsten Endgeräte von außerhalb des Firmennetzwerks auf Anwendungen und Services zugreifen, stoßen traditionelle Sicherheitskonzepte schnell an ihre Grenzen. Das Zero-Trust-Modell geht deshalb nach dem Prinzip „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ davon aus, dass nichts sicher ist.
com! professional: Und wie lässt sich Zero Trust umsetzen?
van Wasen: Bei der Implementierung von Zero-Trust-Frameworks kommen beispielsweise Lösungen wie risikobasierte Multi-Faktor-Authentifizierung, Identitäts- und Zugriffsmanagement sowie automatisierte Richtlinienentscheidungen zum Einsatz. Damit können Unternehmen jederzeit die Benutzer- und Systemidentität überprüfen, den Zugriff zum jeweiligen Zeitpunkt abwägen und so die Sicherheit aufrechterhalten. Darüber hinaus spielen ein kontinuierliches Monitoring, umfassende Verhaltensanalysen und Threat Intelligence eine wichtige Rolle, um Anoma­lien in Echtzeit zu erkennen. Angesichts der Tatsache, dass Schwachstellen in Lieferketten und Rechnern zunehmen, gewinnt zudem der Security-by-Design-Gedanke an Bedeutung. Unternehmen erwarten integrierte Sicherheitsfeatures sowie verifizierte Lieferketten entlang des kompletten Produktlebenszyklus.
com! professional: Gibt es weitere Themen, die gerade aktuell sind?
van Wasen: Weitere zentrale Themen der IT sind Multi-Cloud, Edge Computing, Künstliche Intelligenz und As-a-Service. Laut Analysten werden 2025 rund 80 Prozent aller Daten an der Edge anfallen. Waren bisher komplexe Algorithmen mit Lerneigenschaften dem Cloud-Computing vorbehalten, müssen Unternehmen künftig bereits am Netzwerkrand eine Vorsortierung vornehmen. Das betrifft autonom fahrende Autos ebenso wie eine intelligente Fertigungsmaschine in der Produktionshalle. Gerade wenn Entscheidungen in Echtzeit erfolgen sollen, zwingen die extrem großen Datenmengen und die Notwendigkeit möglichst geringer Latenzzeiten bisherige Rechenmodelle in die Knie.
com! professional: Sie haben Edge Computing angesprochen. Das bringt Herausforderungen mit sich, etwa betriebliche Silos, komplexe Workload-Migrationen, inkonsistente SLAs…
van Wasen: Unternehmen interessieren sich daher verstärkt für Edge-Operations-Plattformen. Deren offenes Design ermöglicht nicht nur die freie Wahl von Software, IoT-Frameworks und Betriebstechnologien. Sie erlaubt darüber hinaus die Zusammenführung von bestehenden und neuen Anwendungsszenarien und schützt mithilfe von Zero-Trust-Sicherheitsfunktionen die komplette Infrastruktur.
Für den Aufbau und Betrieb flexibler IT-Infrastrukturen richten unsere Kunden ihren Blick immer stärker auf As-a-Service-Modelle. Statt ihre IT-Infrastruktur im eigenen Rechenzentrum vorzuhalten und zu betreiben, beziehen sie diese vereinfacht gesagt als Dienstleistung über die Cloud. Ein externer Partner übernimmt das Management der IT-Komponenten, und die Infrastruktur dafür hält er entweder im Rechenzentrum des Kunden oder an einem Co-Location-Standort bereit. Statt also Geld in IT-Ausrüstung für das eigene Rechenzentrum zu stecken, werden die Aufwendungen als Betriebskosten abgerechnet, laufen damit als operative Ausgaben in die Gewinn- und Verlustrechnung ein und können steuerlich geltend gemacht werden. Zudem entlasten solche Modelle die IT-Abteilung von Routineaufgaben, sodass mehr Zeit für gewinnbringendere Aufgaben zur Verfügung steht.
com! professional: Trotz As-a-Service-Modellen und externer Dienstleister – viele Unternehmen haben zu wenig Fachkräfte.
van Wasen: Das Problem des Fachkräftemangels ist alles andere als neu und wird uns auch noch längere Zeit begleiten. Statt allein auf politische Lösungen zu warten, können Unternehmen selbst vieles tun, um als Arbeitgeber der Wahl wahrgenommen zu werden.
Neben klassischen Maßnahmen wie attraktive Rahmenbedingungen – vom Gehalt über flexible Arbeitsbedingungen bis hin zu konkreten Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten –  sollten Unternehmen noch viel stärker auf Diversität setzen, um beispielsweise deutlich mehr Frauen für die IT zu begeistern. Auch hier haben es die Unternehmen selbst in der Hand, durch spezielle Anreize und Programme ihre Organisation für weibliche Talente attraktiv zu machen und verschiedene Karrierewege inklusive flexibler Arbeitsmodelle aufzuzeigen. Gleichzeitig gilt es, den Wünschen und Anforderungen der jungen Generation entgegenzukommen: Dienstrad statt Firmenwagen, Urlaub statt Gehaltserhöhung, hybrides Arbeiten statt starrer Bürozeiten – die Schwerpunkte haben sich verschoben.
5. Teil: „Rechenzentren auf Wachstumskurs“

Rechenzentren auf Wachstumskurs

Wenn es aber einen Sektor in der ITK-Branche gibt, der weiterhin ordentlich brummt, dann ist das der Rechenzentrums-Bereich. Wie die fortschreitende Digitalisierung in Deutschland den IT-Markt verändert, lässt sich deutlich an den Rechenzentren im Land ablesen. Ob Industrie oder Verwaltung, ob Arbeitswelt oder Freizeit – ohne ausreichend Server-Leistung in Rechenzentren läuft mittlerweile kaum noch was. So wundert es nicht, dass sich die Leistung von Rechenzentren in den vergangenen zehn Jahren hierzulande fast verdoppelt hat. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit.
Dabei werde das Wachstum in Deutschland vor allem durch den zunehmen Ausbaus von Cloud-Computing getrieben: 89 Prozent der Unternehmen hierzulande nutzen inzwischen Cloud-Anwendungen. So wundert es nicht, dass sich die Kapazitäten von Cloud-Rechenzentren in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt haben – von 470 Megawatt im Jahr 2017 auf 880 Megawatt im vergangenen Jahr. Aktuell machen Cloud-Rechenzentren laut dem Borderstep Institut knapp 40 Prozent des Marktes aus. Insgesamt gibt es in Deutschland derzeit rund 3000 Rechenzentren mit mindestens zehn Server-Racks sowie circa 47.000 kleinere IT-Installationen.
Der Rechenzentren-Boom sorgt für eine deutliche Last in den Stromnetzen. Während der Strombedarf laut Borderstep im Jahr 2012 noch bei 11 Milliarden Kilowattstunden lag, waren es im vergangenen Jahr bereits 18 Milliarden – das entspricht etwa 0,55 Prozent am Gesamtenergieverbrauch. Die im letzten Jahr stark gestiegenen Energiepreise sorgen daher für die eine oder andere Sorgenfalte bei den Rechenzentrumsbetreibern – und für einen neidischen Blick auf die Nachbarländer. So zahlten Industriekunden in Deutschland mit einer Leistungsaufnahme von 5 Megawatt – und damit auch Rechenzentren in dieser Größe – durchschnittlich 24,6 Cent pro Kilowattstunde, wie das Boderstep Institut vorrechnet. Zum Vergleich: In Frankreich musste ein vergleichbarer Rechenzentrumsbetreiber lediglich 13,5 Cent veranschlagen.
  • Die zunehmende Digitalisierung führt zu einem weiteren Wachstum der Rechenzentren in Deutschland. Vor allem die Kapazitäten von Cloud-Rechenzentren haben sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt.
    Quelle:
    Boderstep Institut
Dieses Jahr sollen die gestiegenen Strompreise bei deutschen Rechenzentren zu einer Mehrbelastung von rund 1,8 Milliarden Euro führen.
6. Teil: „Cloud als mächtiges Zugpferd“

Cloud als mächtiges Zugpferd

Doch wie bereits bei den Rechenzentren angesprochen, wenn es einen weiteren Bereich in der IT gibt, der ungebrochen boomt, dann ist es das Cloud-Computing. „Die Cloud ist bei den meisten unserer Klienten ihr primäres Rechenzentrum“, unterstreicht auch Gernot Gutjahr von KPMG. Die IT-Infrastruktur richte sich vollständig an der Cloud und an Cloud-nativen Technologien wie Container und Data Mesh aus.
Den anhaltenden Cloud-Boom unterstreicht auch Michael Guschlbauer von Bechtle: Unter den aktuellen Zugpferden in der IT sei der Aufbau von Multi-Cloud-Architekturen an erster Stelle – „und hier insbesondere die nahtlose Orchestrierung von Private-Cloud-Umgebungen mit Public-Cloud-Services“. Starke Wachstumsfelder seien weiterhin auch IT-Security – von der Angriffsprävention bis hin zur effektiven Bewältigung einer Attacke. Ein aktueller Trend, der im Markt nicht zuletzt durch den zunehmenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz relevanter wird, sei Edge-to-Cloud, „ein Ansatz, der sowohl das Thema Datenhoheit wie auch die Verarbeitungsgeschwindigkeit unterstützt“.
Die Kunden von KPMG setzen Gernot Gutjahr zufolge aktuell vermehrt auch auf die Themen Data Mesh, also dezentrale Datenarchitekturen, Künstliche Intelligenz, IT-/OT-Konvergenz sowie auf Low-Code und No-Code. Dabei würden die Kunden das Zusammenspiel aus Automatisierung, Low-Code und KI nicht zuletzt nutzen, um effizienter zu werden.
Das Thema Effizienz spielt auch Nadine Wolanke von Salesforce zufolge aktuell bei den Unternehmen eine wichtige Rolle: „In erster Linie geht es heute darum, Effizienz und Produktivität mit KI-basierten Lösungen zu steigern“, fasst sie zusammen. Besonders hohe Potenziale ergäben sich jetzt für generative KI in allen kundenrelevanten Bereichen wie Vertrieb, Marketing, Service und dem Handel. Hier ermögliche Künstliche Intelligenz den Mitarbeitern, Kunden schnell und personalisiert zu unterstützen, während sie ihre jeweiligen individuellen Präferenzen berücksichtigen und Empfehlungen und Prognosen nutzen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Thema Cloudifizierung weiter an Fahrt aufgenommen hat und aktuell Bestandteil fast jeder IT-Strategie ist. Die damit verbundenen architektonischen Veränderungen in der IT-Systemlandschaft sowie Organisations-, Prozess- und Sicherheitsaspekte bestimmen einen Großteil der IT-Agenda, so Olaf Riedel, Leiter des Sektors Technologie, Medien & Telekommunikation DACH bei EY. Die Digitalisierung der Produktion durch IIoT und Robotik, unterstützt durch Process Mining, kommt Riedel zufolge derzeit dagegen nur in kleinen Schritten voran, „da aus Sicht der Unternehmenslenker die Auswirkungen auf Geschäftsmodell und Ökosystem noch nicht immer vollständig abgeschätzt werden können und daher sehr vorsichtig und in Pilotprojekten agiert wird.“
7. Teil: „Fazit & Ausblick“

Fazit & Ausblick

Wir befinden uns noch immer mitten in der vielzitierten digitalen Transformation unserer Wirtschaft. In praktisch allen Branchen verändern sich Märkte und Geschäftsmodelle, angetrieben durch technologische Innovationen, tiefgreifend.
„Unternehmen setzen deshalb auf IT-Architekturen, die ihnen hohe Agilität und Anpassungsfähigkeit ermöglichen“, fasst Michael Guschlbauer von Bechtle zusammen. In der Praxis sei die Transformation der Legacy-IT hin zu Multi-Cloud-Architekturen und der Ausbau kollaborativer, hybrider Modern-Work-Konzepte insbesondere im Mittelstand ungebrochen. „Darüber hinaus erleben wir eine sehr große Nachfrage im Geschäftsfeld Security – und das in allen Phasen (Protect, Detect, Respond). Ein deutlich wachsendes Interesse stellen wir daneben bei IoT-Lösungen fest.“
Auch wenn es der ITK-Branche vergleichsweise gut geht und die Nachfrage erst einmal ungebrochen ist – auch im digitalen Bereich gibt es so einiges, dass nicht reibungslos funktioniert: „Die insbesondere im internationalen Vergleich schlechte Infrastruktur, ein nach wie vor hohes Misstrauen gegenüber der Cloud, aber auch die starke Regulierung (Datenschutz, Schutz kritischer Infrastrukturen, Telekommunikation, lange Antrags- und Genehmigungsverfahren) sind Gründe für die Investitions-Zurückhaltung“, resümiert Olaf Riedel von EY. „Darüber hinaus wirken auch geopolitische Aspekte wie der Krieg in der Ukraine oder der Handelskonflikt zwischen den USA und China sowie die Zinspolitik der Notenbanken bremsend.“
Olaf Riedel zufolge sollte der Schulterschluss zwischen Lehre und Forschung, Industrie und Finanziers sowie Politik und Gesellschaft in Deutschland viel stärker auf die Agenda und in den Mittelpunkt der Strategie gerückt werden. „Bislang agieren diese zu stark disjunkt mit Nachteilen für den Standort Deutschland. Eine gemeinsame, strategische und nachhaltige Positionierung dieser drei Disziplinen wäre ein enormer Katalysator für die zukünftige erfolgreiche Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Deutschland.“ Bislang sind Olaf Riedel zufolge jedoch nur wenige Schritte in diese Richtung greifbar und erkennbar und meist nur auf zwei der drei Akteure beschränkt.

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