05.01.2016
Brave New World
1. Teil: „Wie Big Data uns hilft – und manipuliert“
Wie Big Data uns hilft – und manipuliert
Autor: Michael Kurzidim
Shutterstock/Aliwak
Großbritannien redet säumigen Zahlern mit Verhaltenspsychologie ins Gewissen. China will Wohlverhalten seiner Bürger mit Scoring-Punkten belohnen. Und die Zürcher Kantonspolizei senkt die Verbrechensrate um 30 Prozent - mit Software.
Big Data Analytics ist wertneutral. Die neue Technologie kann uns helfen, Kranke besser zu behandeln, Verkäufe von Produkten exakter zu prognostizieren und Maschinen effizienter zu warten. Sie hat aber auch eine dunkle Schattenseite. Big Data eignet sich - wie Big Brother und Big Deal - ganz hervorragend als Kontroll- und Überwachungsinstrument.
Jennifer Helsby von der Universität Chicago sieht die Technologie mit kritischen Augen. "Die Werte, die für uns wichtig sind, werden nicht automatisch in die Systeme integriert", sagte die Wissenschaftlerin auf dem 32ten Chaos Communication Congress (32C3). Ein besonders besorgniserregendes Beispiel ist das Social Credit System, das die chinesische Regierung zurzeit einrichtet, um seine Bürger zu kontrollieren.
China: Scoring-Punkte für gutes Benehmen
Viele Teilnehmer sähen das System bislang positiv, sagte Helsby. So bekämen Leute mit guten Scoring-Werten zum Beispiel einen besseren Service in Hotels geboten. Die Kehrseite: Menschen am unteren Ende der Staatsbürger-Skala haben Probleme damit, eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz zu finden. Reisevisa werden für die unsicheren Kandidaten nur zögerlich ausgestellt. Helsby sieht daher in dem System ein "subtiles und hinterhältiges Mittel der sozialen Kontrolle", das Wohlverhalten fördere. Ein mündiger Bürger sieht anders aus.
2. Teil: „Verbrecher sind wie Pilzesammler“
Verbrecher sind wie Pilzesammler
Ein Schweizer Case: Die Kantonspolizei Zürich setzt die Prognosesoftware PreCobs zur Verbrechensprävention ein. Die Algorithmen machen sich eine verhaltenspsychologische Tatsache zunutze: Menschen handeln nach Mustern. Verbrecher kehren wie Pilzesammler oft in das Quartier zurück, in dem sie bereits erfolgreich waren.
Dank PreCobs soll in Zürich die Zahl der Einbrüche um signifikante 30 Prozent zurückgegangen sein.
Vorreiter der Verbrechensbekämpfung mittels Big Data war das Polizei-Department von Chicago. Die Amerikaner führten eine Hotlist, auf der Personen standen, die in naher Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Verbrechen begehen würden. Die Kandidaten standen sozusagen unter virtuellem Tatverdacht, auch wenn sie bislang noch nicht straffällig geworden waren.
3. Teil: „Clevere SMS reduziert Ausfallquote“
Clevere SMS reduziert Ausfallquote
2010 ging im Nachbarland Großbritannien das "Behavioural Insights Team" an den Start. Die Verhaltenspsychologen wollen das gesellschaftliche Leben im Vereinigten Königreich optimieren, indem sie Bürger in die richtige Richtung stupsen (nudge people). Ein Beispiel: 11,1 Prozent aller Patienten versäumen es, pünktlich zu einem ambulanten Behandlungstermin im Krankenhaus zu erscheinen. Sie lassen den Termin einfach sausen, und verursachen dadurch erhebliche Fehlkosten. Denn die Zahl der versäumten Arzttermine summiert sich jedes Jahr auf 5,5 Millionen.
Säumigen Steuerzahlern redeten die Verhaltenspsychologen nach einer ähnlichen Methode ins Gewissen. 90 Prozent aller Steuerzahler in ihrem Quartier haben bereits bezahlt - nur Sie nicht. Das Argument überzeugte viele. Ob die 90 Prozent stimmen, bleibe einmal dahin gestellt.
Techniken der Psychopolitik
Die gleiche Technik wäre aber auch auf politische Wahlen applizierbar, zum Beispiel: Die Mitgliedschaft in der EU kostet Sie jedes Jahr 1100 Pfund. Stimmen Sie für den Brexit, den Austritt des britischen Königreiches aus der Europäischen Union.
Oder für den Verbleib, weil ein EU-Austritt jedes Jahr mit 2400 Pfund auf der Kostenseite zu Buche schlagen würde. Konservative und Linke werden durch jeweils andere Argumente angesprochen. Welche das sind, enthüllt zum Beispiel eine Analyse ihrer Kommentare in sozialen Netzwerken. Der Psycho-Politik, unterstützt durch Big Data, steht noch eine große Zukunft bevor.
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