05.06.2017
Digitale Transformation
1. Teil: „Wegbereiter für die Digitalisierung“
Wegbereiter für die Digitalisierung
Autor: Michael Stadik
chombosan / shutterstock.com
Damit die Digitalisierung gelingt, müssen alle im Unternehmen an einem Strang ziehen. Wichtig ist eine realistische Einschätzung der eigenen Situation. Außerdem sollten Fehler vermieden werden.
Roboter als Jobkiller, Arbeitstage mit beruflichen Mails bis weit in den Feierabend, der rasante Umbruch bei etablierten Geschäftsmodellen: Die Auswirkungen der digitalen Revolution setzen viele Menschen unter Druck. Dennoch sind europaweit die meisten Arbeitnehmer optimistisch gestimmt. Nach einer aktuellen Ricoh-Studie glauben 95 Prozent der Befragten, dass ihre Unternehmen vom Wandel profitieren werden.
Eine klare Mehrheit wünscht sich auch, dass mehr Technologie zur Verbesserung der Kundenkommunikation eingesetzt und die entstehenden Synergien durch digitale Innovationen zur Vereinfachung von Geschäftsabläufen genutzt werden. Auch die zunehmende Automatisierung wird positiv gesehen: Die Arbeitnehmer erhoffen sich eine effizientere Zeiteinteilung und mehr Freiraum für die wesentlichen Aufgaben.
David Mills, der als CEO von Ricoh Europe die Umfrage in Auftrag gegeben hat, erwartet daher in den kommenden Jahren zwei Kategorien von Unternehmen: solche, die ihre Arbeitsabläufe optimal an die Digitalisierung angepasst haben, und solche, die „Veränderungen scheuen, wodurch ihre Arbeitnehmer auf der Strecke bleiben“.
Auch Sabine Remdisch beobachtet einen epochalen Wandel: „Hierarchische Strukturen lösen sich auf, strukturelle Grenzen verschwimmen, die Symbolik verändert sich“, kommentiert die Leiterin des Instituts für Performance Management an der Leuphana Universität Lüneburg. Sie forscht derzeit als Gastwissenschaftlerin an der Stanford University zum Themenfeld „Successful Leadership in the Digital Age“ und hat dazu die Leadership Garage ins Leben gerufen.
Toolbox für Manager
In der digitalen Ära, so Remdisch, dreht sich auch alles um das Wir, nicht um das Ich: „Wir teilen Daten in der Cloud, wir benutzen gemeinsame Tools, um Datenaustausch zu organisieren und Wissen zu teilen, wir kommunizieren über Webkonferenzen.“
Die Führungskraft muss Mitarbeitende stark machen im Netzwerk, empfiehlt die Personalexpertin. Manager sollten demnach ihr Team mit Informationen versorgen und mit den richtigen Menschen vernetzen. „Bei der Führung auf Distanz liegt die Herausforderung darin, auch ohne Face-to-face-Kontakt Vertrauen aufzubauen, Mitarbeitende an Entscheidungen zu beteiligen und für ihre Bedürfnisse sensibel zu sein“, beobachtet Sabine Remdisch. Innovationskultur bedeutet ihrer Meinung nach, dass die Führungskraft für ein innovationsfreundliches Klima Sorge trägt: „Die Mitarbeitenden müssen zu kreativem Handeln und disruptivem Denken motiviert werden.“
Hemmnisse überwinden
Innovative Unternehmen setzen daher zunehmend auf eine neue Managementposition – den Chief Digital Officer (CDO), der zentral für die Digitalisierungsstrategie, -planung und -umsetzung verantwortlich ist. Denn nur mit der richtigen Einstellung, da sind sich viele Beobachter einig, können Führungskräfte die digitale Transformation erfolgreich gestalten. „Der Chief Digital Officer sollte idealerweise das Mindset aus einem Digital-Unternehmen mitbringen, das von Transparenz, Kundenzentrierung und der ständigen Bereitschaft zum Wandel geprägt und weitgehend frei von Hierarchiedenken ist“, beschreibt der Experte die Anforderungen.
Die Unternehmensberatung KPMG hebt in einer aktuellen Studie zum CDO in Deutschland (Position vorhanden/Relevanz für Unternehmen) den menschlichen Faktor hervor: „Die kulturellen Voraussetzungen für die digitale Transformation zu schaffen, ist eine der schwersten Aufgaben.“
Die Analyse konzentriert sich auf die Medienwirtschaft, denn in dieser Branche ist die Digitalisierung bereits fortgeschritten. Die Kernergebnisse, die bei den Medientagen München 2016 vorgestellt wurden, lauten: Ein Drittel der befragten 110 Unternehmen beschäftigt bereits heute einen CDO. Der trägt aber nur selten die Hauptverantwortung, sondern wirkt meist vornehmlich unterstützend. Und insgesamt 37 Prozent der befragten Medienhäuser bauen digitale Geschäftsbereiche auf.
2. Teil: „Keine Lust auf Wandel?“
Keine Lust auf Wandel?
„Der CDO kann nur Plan B sein“, fasste indes Patrick Fischer bei der Präsentation der CDO-Studie seine Erfahrungen zusammen. Der Geschäftsführer von Sport1 Media betonte, dass vielmehr alle Beschäftigten die Digitalisierung leben müssten. Dabei ist die Offenheit für neue Technologien seiner Meinung nach unabhängig vom Alter oder Geschlecht. „Es gibt Mitarbeiter, die haben einfach keine Lust auf die digitale Transformation.“
Aufzuhalten ist die Entwicklung jedoch nicht: „In Deutschland hat sich einiges getan“, weiß Markus Humpert, Bereichsleiter Digitale Transformation beim Digitalverband Bitkom. Nach seinen Beobachtungen nimmt die Zahl der CDOs stetig zu. Allerdings dürften derzeit nur etwa 6 bis 15 Prozent der Unternehmen einen CDO oder einen vergleichbaren Wegbereiter beschäftigen. Humpert fordert: „Der Wandel muss noch stärker in der Unternehmensführung verankert werden.“
„Bei größeren Unternehmen und Konzernen in Deutschland erwarten wir einen Trend hin zu multiplen, dezentral vernetzten CDOs.“ General Electric in den USA beispielsweise zählt zu den international aufgestellten Konzernen, die ihre Digitalisierung auf mehrere Schultern verteilen. Im Mittelstand, so Merx, ist der CDO allerdings noch die Ausnahme. „Im Unternehmenssektor droht derzeit eine digitale Spaltung“, warnt denn auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in ihrem aktuellen Jahresgutachten.
Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) drohten abgehängt zu werden. Neben Finanzierungsbeschränkungen machen die Experten auch hausgemachte Hürden aus: „Nicht alle KMUs scheinen die Bedeutung der anstehenden Veränderungen wahrzunehmen“, urteilt das angesehene Gremium, das die Einrichtung eines bundesweiten Programms „KMU Digital“ fordert. Im Plattform-Geschäft, dem laut Digital Economist Holger Schmidt „zentralen Geschäftsmodell der digitalen Ökonomie“, dürfte der Zug abgefahren sein. Nur Zalando kann hierzulande mit Amazon, Ebay und Google mithalten.
Haben deutsche Unternehmen und Branchen in die digitale Spur gefunden, eröffnen sich jedoch zahlreiche Chancen. So rührt Baywa-Chef Klaus Josef Lutz seit Jahren die Trommel, um das Smart Farming zu etablieren: Der Kuhstall der Zukunft beispielsweise ist voll durchdigitalisiert. Die App Agri-Check des bayerischen Agrarkonzerns wurde allein mehr als 50.000-mal für Android-Betriebssysteme geladen. Sie liefert Landwirten auf einen Blick die wichtigsten Informationen für ihren Betrieb: Wettervorhersagen, Pflanzenbauberatung, aktuelle Marktdaten und auch Katastrophenwarnungen. Zudem ist die App der direkte Draht zu den Baywa-Beratern vor Ort und stellt besondere Angebote in der Region vor. Langfristig, so die Hoffnung, kann die landwirtschaftliche Digitalisierung zum Umweltschutz beitragen und die Effizienz steigern.
3. Teil: „Fail forward in hohem Tempo“
Fail forward in hohem Tempo
Das Internet der Dinge breitet sich auch in Domänen aus, die traditionell von deutschen Qualitätsmarken beherrscht werden. Global Player aus Deutschland wie die Bosch-Tochter BSH Hausgeräte treiben mit Standards wie Home Connect die Vernetzung in Haushalt und Küche voran – seit 2014 maßgeblich von Chief Digital Officer Mario Pieper gesteuert. Sein Erfolgsrezept ist die Kunst der Mitarbeiterführung, um alle mit auf die digitale Reise zu nehmen. Sein Kollege Martin Wild, Chief Digital Officer bei Media-Saturn, setzt zudem auf die US-amerikanische Management-Philosophie „Fail forward“, die Ingenieursperfektionismus und hohes Innovationstempo unter einen Hut bringt.
Wie tief die Transformation in alle Wirtschaftsbereiche eindringt, zeigt auch das Transaktionsvolumen bei Logistik- und Industrie-Immobilien in Deutschland: Mit 4,5 Milliarden Euro stieg hier der Investmentumsatz 2016 um 12,5 Prozent. Vor allem der stetig wachsende E-Commerce und die damit einhergehende Nachfrage nach innerstädtischen Logistik-Immobilien beleben das Maklergeschäft, erklärt der Branchenverband Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) in Berlin. „Produktion, Distribution und Handel wachsen langfristig in einer Immobilie zusammen“, so ZIA-Mitglied Andreas Schulten.
Klar ist: Nur mit einem motivierten Team, das den digitalen Wandel als Chance sieht, kann die Transformation gelingen – unabhängig von Branche und Industrie.
4. Teil: „So klappt die Digitalisierung in der Praxis“
So klappt die Digitalisierung in der Praxis
TÜV Süd: Globale Herausforderung
„Bei Industrie 4.0 geht es gleichzeitig um Vertrauen und Veränderung“, sagt Dirk Schlesinger. Der Chief Digital Officer der TÜV Süd AG in München ist seit Mai 2016 verantwortlich für die digitale Transformation des Konzerns (Umsatz 2015: 2,22 Milliarden Euro), der vor mehr als 150 Jahren gegründet wurde und heute weltweit rund 24.000 Mitarbeiter beschäftigt.
Die deutsche Institution stellt sich einer globalen Herausforderung. Derzeit wird ein Kompetenzzentrum aus mehreren Digital Units gebildet. Die erste dieser Einheiten ist im Frühjahr 2016 in Singapur gestartet, die zweite entsteht gerade in München.
Schlesinger, der direkt an den Vorstandsvorsitzenden Axel Stepken berichtet, kennt sich aus in der digitalen Welt: Vor seinem Wechsel zu TÜV Süd war er elf Jahre in verschiedenen Führungspositionen bei Cisco tätig, unter anderem als Leiter der Internet Business Solutions Group (IBSG) in Asia Pacific. Den Umgang mit unterschiedlichen Kulturen ist der CDO also durchaus gewöhnt.
Bosch: Intelligente Küche
Digitalisierung auseinandersetzen.
Bosch treibt die Vernetzung im Haushalt voran. Deshalb müssen sich auch alle Mitarbeiter mit der Wer setzt im Haushalt die Standards für das Internet of Things? Mit Home Connect ist die BSH Hausgeräte GmbH in München bereits weltweit top platziert. Verantwortlich für die intelligente Vernetzung von Kühlschrank, Herd und Co. ist Mario Pieper, der seit 2014 als Chief Digital Officer die digitale Transformation der Bosch-Tochter steuert. Dabei folgt der CDO einem einfachen Prinzip: „Ich möchte alle Kollegen mit auf die digitale Reise nehmen.“
Sein dreistufiges Konzept ist simpel: Zuerst lernen die Beschäftigten die Thematik kennen, dann, sie anzuwenden. Drittens muss das Team die Bereitschaft zeigen, die Maßnahmen aktiv ein- und umzusetzen.
Die Herausforderung: Von der Produktion über die Verwaltung bis zum Vertrieb sind alle Bereiche in dem Bosch-Unternehmen vom digitalen Wandel betroffen. Der Zentralbereich für die Global Digital Transition ist daher direkt beim CEO Karsten Ottenberg angegliedert. Entscheidend ist auch, dass der global agierende Konzern seine Mitarbeiter an der langen Leine lässt: In allen Kernregionen der BSH gibt es Manager, die vor Ort selbstständig die digitale Transformation forcieren.
Saturn: Rasantes Tempo
Vom Schlusslicht zum Vorreiter: Martin Wild, Chief Digital Officer bei der Media-Saturn-Holding, hat einen strategischen Nachteil genutzt, um die Unternehmenskultur der Ingolstädter an das rasante Tempo im digitalen Wandel anzupassen: „We try fast, we fail fast and we adjust even faster“, beschreibt Wild das englische Motto für die Transformation des Elektronikhändlers.
Wild hat umfangreiche Start-up-Erfahrungen, die auch im großen Konzern nützlich sind. Sowohl die blaue (Saturn) als auch die rote Gruppe (Media Markt) setzen inzwischen die Standards bei der Verknüpfung von stationärem Einkauf und E-Commerce: bei Technikfragen Tech-Nick fragen – oder Roboter Paul, der seit Kurzem die Kunden im Shop unterstützt und sie auf dem Weg zu den gesuchten Produkten begleitet – Small-Talk übers Wetter inklusive. Auch bei Virtual Reality und Instore-Navigation halten Martin Wild und sein Team Anschluss. Same Day Delivery hat Media-Saturn sogar als erster Händler bundesweit angeboten.
5. Teil: „Digitalisierung sorgt für Dynamik im Job“
Digitalisierung sorgt für Dynamik im Job
Der Hamburger Hafen ist Deutschlands Tor zur Welt. Ohne intelligente Vernetzung und Sensorik läuft hier schon lange nichts mehr. Zuständig für die Digitalisierung des Hafenmanagements ist Sebastian Saxe, CDO und CIO der Hamburg Port Authority.
Sebastian Saxe : Wir sind jetzt in drei Einheiten organisiert, wobei wir uns zum einen auf den internen kulturellen Wechsel konzentrieren. Zum anderen konzentrieren wir uns natürlich auch auf digitale Geschäftsmodelle im Haus und mit Partnern in der Logistik, auf Digitalisierungsthemen sowie -megatrends zur Optimierung der Abläufe im Hamburger Hafen, die wir diskutieren und gegebenenfalls umsetzen.
com! professional: Wie sieht Ihr beruflicher Alltag aus?
Saxe: Sehr dynamisch! So stehen frühmorgens beziehungsweise spätabends verschiedene Calls per Videokonferenz mit Häfen in aller Welt auf dem Programm. Ansonsten informiert mich mein Team in Stand-up-Meetings über interne und externe Themen des Tages und über berichtsrelevante Zwischenstände langfristiger Tätigkeiten. Im Anschluss folgen diverse Termine und Arbeitsblöcke.
com! professional: Wie haben Sie Ihr CDO-Team zusammengestellt?
Saxe: Häufig höre oder lese ich, dass sich die alte, erfahrene Generation mit der jungen, kreativen und innovativen Generation zusammenbringen muss: Genau dieses Setting setzen wir bei der HPA um. Einerseits beschäftigen wir Kollegen, die direkt von der Universität rekrutiert wurden, oder auch Werkstudenten, Praktikanten sowie Masteranden, andererseits haben wir erfahrene Kollegen, die sich sehr gut in dem originären Geschäft auskennen, zahlreiche Kontakte haben und die Geschäftswelt in aller Komplexität verstehen und aktiv mitgestalten wollen.
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