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30.11.2016
Next Generation Network
1. Teil: „So kämpfen alternative Anbieter mit der All-IP-Umstellung“

So kämpfen alternative Anbieter mit der All-IP-Umstellung

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Nicht nur die Telekom, auch die alternativen Netzbetreiber kämpfen mit Problemen bei der All-IP-Umstellung – sowohl technisch als auch bei der Akzeptanz der Kunden.
Kein Thema beherrscht die TK-Branche so sehr wie die All-IP-Umstellung. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei die Deutsche Telekom, die als größter Netzanbieter am Markt die Migration auf das Next Generation Network (NGN) maßgeblich vorantreibt. Bis Ende 2018 möchten die Bonner die All-IP-Umstellung abgeschlossen haben, so das offizielle Ziel – wobei am Markt durchaus Zweifel herrschen, ob dieses Ziel auch wirklich eingehalten werden kann.
Dies gilt vor allem für den Geschäftskundenbereich, denn für dieses Segment haben die Bonner noch immer keinen SIP-Trunk am Markt, mit dem auch Mehrgeräteanschlüsse migriert werden können. Doch dieser soll laut Telekom im nächsten Frühjahr kommen. Insgesamt hat die Telekom aber nach eigenen Angaben bereits 1,1 Millionen Anschlüsse im GK-Bereich auf IP umgestellt, dabei dürfte es sich jedoch in erster Linie um kleinere Geschäftskunden handeln.
Doch auch wenn alle Augen beim Thema All-IP auf die Telekom gerichtet sind – es lohnt sich, einen Blick auf die anderen Telekommunikationsanbieter und deren Status quo beim Netzausbau und auch bei der Migration der Kunden im B2B-Segment zu werfen.
Zu den Pionieren im NGN-Umfeld hierzulande zählt die QSC AG in Köln, die laut eigenen Angaben bereits seit 2006 ein All-IP-Netz betreibt und auch sämtliche Geschäftskunden auf NGN-Services umgestellt hat. Gleichwohl bieten die Kölner ebenfalls ISDN-Services für Kunden an – über eine Krücke. Denn die Kölner setzen bei diesen Kunden ein ISDN-Gateway, das die alte Welt mit der neuen verbindet.

Sanfter Übergang ins All-IP-Zeitalter

Zu 100 Prozent auf NGN setzt darüber hinaus auch HFO Telecom, und das ebenfalls seit 2006. Neukunden werden laut CEO Achim Hager komplett an das NGN-Netz angeschlossen, „aus den anderen Alt-Netzen angemieteten Kunden haben wir aktuell planmäßig rund 30 Prozent bislang migriert“, so Hager weiter. Bis 2018 soll diese Umstellung weitgehend abgeschlossen sein, „es gibt aber kein festes Enddatum, da wir unseren Bestandskunden weitere fünf Jahre die Möglichkeit geben, das alte ISDN-Protokoll und die entsprechenden Anlagen auch bei uns im NGN-Netz zu betreiben“, betont Hager.
Eine Strategie übrigens, die auch bei den meisten anderen alternativen Anbietern praktiziert wird. Zoltan Bickel, Bereichsleiter Enterprise Product Management bei Vodafone, erklärt: „Grundsätzlich nehmen wir keine ‚Zwangsumstellung‘ vor, vielmehr findet bei uns eine ‚sanfte‘ Migration statt.“
Bis Ende 2022 betreibt der Carrier für seine Geschäftskunden noch ISDN-Anschlüsse, eine komplette Umstellung ist laut Bickel für Anfang 2023 geplant. Damit gehört Vodafone zu den Anbietern, die noch mit am längsten auf die alte Technik setzen – 1&1 Versatel wird offiziell die ISDN-Technik samt eigenem TDM-ISDN-Netz noch bis mindestens 2020 betreiben, dasselbe Zeitfenster hat auch M-net vorgesehen. Und einige Netzbetreiber wollen sich heute noch auf keinen Zeitpunkt festlegen, an dem sie die „alte“ Technik nicht mehr unterstützen – klar ist aber auch, dass ISDN früher oder später keine Rolle mehr spielen wird.
2. Teil: „Probleme bei der Umstellung“

Probleme bei der Umstellung

Bis dahin sind allerdings noch etliche Hürden zu meistern, denn die Migration ­geschieht keineswegs so reibungslos, wie ­viele Anbieter hoffen. Martin Wittmann, Leiter Geschäftskunden­management bei M-net, beispielsweise glaubt, „dass es in vielen Unternehmen noch an Vertrauen in die VoIP-Technologie mangelt“. Offenbar gibt es in diesem Bereich nach wie vor Aufklärungsbedarf. Dies bestätigt auch Jan Heerlein, für All-IP zuständiger Produktmanager bei der EWE TEL. Der regionale Netzbetreiber hat seine Kunden zum Thema NGN befragt – das Ergebnis: „Rund zehn Prozent der Kunden gaben dabei an, gar nicht auf IP umstellen zu wollen“, so Heerlein.
Auch Zoltan Bickel von Vodafone spricht aus der Warte der Kunden: „Viele geben uns das Feedback, dass eine zu schnelle Umstellung für sie ein erhebliches Problem ist, da viele ihrer zentralen Anwendungen über ISDN laufen und sie entsprechend Vorlauf für eine saubere Planung benötigen.“ Er spricht damit ein zentrales Problem bei der All-IP-Umstellung an. Denn Sonderdienste wie zum Beispiel EC-Cash-Systeme oder Türfreisprechanlagen basieren in den meisten Fällen auf analoger oder ISDN-Übertragungstechnologie – und müssen für die All-IP-Umstellung entweder ausgetauscht werden, oder Gateways sorgen für eine Übersetzung von der ISDN- in die IP-Welt und umgekehrt.
Das funktioniert nicht immer problemlos, deshalb hat beispielsweise die Telekom ein Testlabor eingerichtet, in dem Hersteller dieser Lösungen die ­Kompatibilität mit dem NGN der Bonner prüfen können. Arne Günther, Senior Product Manager Fixed Connectivity bei Telefónica, mahnt zudem: „Die Herausforderung der ISDN-Sonderdienste kann nicht alleine von den Netzbetreibern gelöst werden, dazu ist die historisch gewachsene Vielfalt zu groß.“
Uneinigkeit herrscht indes beim Thema Fax over IP (FoIP): Zwar können auch hier Adapter wie ein ATA (analoger Telefonadapter) dafür sorgen, dass die Datenpakete auch in IP-Netzen transportiert werden können, doch nicht immer funktioniert dies reibungslos.
3. Teil: „Nicht jeder unterstützt den Fax-Codec T.38“

Nicht jeder unterstützt den Fax-Codec T.38

Das liegt in der Natur des Netzes begründet: In IP-Netzen erfolgt die Übertragung von Daten immer in einzelnen Paketen – und häufig kommt es vor, dass Pakete beim Transport verloren gehen. Bei der VoIP-Telefonie haben diese Verluste meist nur geringe Auswirkungen. Anders sieht es beim Versenden von Faxen aus: Kommt es hierbei zu Datenverlusten, so werden die Faxe unlesbar oder das Gerät bricht die Übertragung einfach ganz ab. ­Abhilfe könnte hier die Unterstützung des Standards T.38 schaffen. 
Das Gros der befragten Netzbetreiber unterstützt T.38 in ihren All-IP-Netzen – dazu gehören etwa 1&1 Versatel, BT, QSC oder Telefónica. Doch es gibt auch Ausnahmen: M-net hat laut Martin Wittmann diesen Dienst „vor einigen Jahren aufgrund diverser Probleme deaktiviert“, die Münchner prüfen derzeit aber eine Wiedereinführung.
Die Telekom – immerhin der Platzhirsch unter den Netzbetreibern – hatte schon vor geraumer Zeit angekündigt, dass sie T.38 nicht aktiv unterstützen wird. Und auch Vodafone gehört zu den Netzbetreibern, die FoIP via T.38 (noch) nicht einführen. „Unsere Tests haben gezeigt, dass die Geräteelemente zur Unterstützung von T.38 in der Regel noch nicht die notwendige Produktreife haben“, berichtet Zoltan Bickel.
Diese und andere Hürden dürften auch dafür sorgen, dass die Carrier – obwohl deren Netze häufig zu hundert Prozent All-IP-fähig sind – nur einen Teil ihrer Bestandskunden migriert haben.
Bei Ecotel wurden laut Oliver Jansen, Director Marketing und Produktmanagement, rund zehn Prozent der Bestandskunden umgestellt. Vodafone-Manager Bickel nennt auf diese Frage keine konkreten Zahlen, verweist aber darauf, dass die Migration im SoHo-Bereich deutlich schneller voranginge als im gehobenen Mittelstand oder bei Großkunden. „Hier ist der Umstellungsaufwand aufgrund der Größe der eingesetzten TK-Systeme naturgemäß deutlich höher“, erklärt er. Ludger Piel, Product Manager bei BT One, wiederum erläutert, dass eine Vielzahl von Geschäftskunden zwar bereits All-IP-Dienste wie SIP-Trunking für die Kommunikation nutzen, „aber viele verwenden daneben auch ISDN-Anschlüsse, etwa für Sonderdienste“.

Migration verläuft oft schleppend

Eine langsame Gangart bei der Migration schlägt darüber hinaus auch 1&1 Versatel ein – obwohl diese nach eigenen Angaben mit über 41.000 Kilometern das zweitgrößte Glasfasernetz Deutschlands betreiben. Gleichzeitig aber hat die United-Internet-Tochter ihren Kunden noch bis mindestens 2020 die Garantie gegeben, das TDM/ISDN-Netz weiter zu betreiben. Deshalb nutzen die meisten von ihnen für die Sprachübertragung noch die alte In­frastruktur. „Aufgrund unserer Garantie besteht hier auch keine besondere Notwendigkeit für einen kurzfristigen Wechsel“, so Wolfgang Nüsser, Head of Product Management. Aber er betont: „Neukunden setzen in der Regel alle auf All-IP.“
Die Beispiele zeigen: Nicht nur bei der Telekom verläuft die Migration im B2B-Bereich schleppend, auch die alternativen Anbieter haben mit dem ein oder anderen Problem beim Thema Next Generation Network zu kämpfen. An erster Stelle ist hier sicherlich die zögerliche Akzeptanz der Kunden zu benennen – doch diese versuchen die Anbieter mit viel Überzeugungsarbeit und unterschiedlichen Aktionen zu verbessern. Aber auch technische Probleme müssen noch gelöst werden.

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