Business-IT
03.03.2017
Management und Führung
1. Teil: „Die passende Agilität finden“

Die passende Agilität finden

Manager bei der ArbeitManager bei der ArbeitManager bei der Arbeit
Agilität im Unternehmen bedeutet nicht, alle vorhandenen Strukturen über Bord zu werfen. Vielmehr sollten bestehende Strukturen mit neuen Methoden gestärkt werden.
Neues verkauft sich gut am Beratermarkt. Radikal umdenken, radikal umlenken, radikal neu. Gern erzählen Experten, dass alles Bisherige falsch gewesen sei. Das lässt die Kassen klingeln. Aber es spiegelt ein gefährliches Ent­weder-oder-Denken ohne Grautöne.
Agiles Management und agile Führung werden – wie alle Managementmethoden – als ultimative Lösungen verkauft. Doch wer alles neu machen will, der richtet oft erheblichen  Schaden an. Besser wäre es, auf dem vorhandenen Grad an Agilität aufzusetzen und diesen weiterzuentwickeln. 
In Wahrheit gibt es kein „Falsch“, sondern nur ein für die jeweilige Situation und das Unternehmen „Passend“ oder „Unpassend“. Statt Entweder-oder empfiehlt sich fast immer Sowohl-als-auch, also ein Mix aus Altem und Neuem. Bei jeder Veränderung sollten das jeweilige Unternehmen und seine individuellen Herausforderungen im Mittelpunkt stehen – nicht ein Konzept oder eine Methode. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht.
Es hört sich an wie eine Drohung: „Ihr müsst jetzt agiles Management machen, sonst zieht die Digitalisierung an euch vorbei!“ Oder: „Command and Order ist völlig unwirksam, schafft die Führung ab und ermöglicht Selbstorganisation!“ Oder auch: „Zielvereinbarungen braucht man nicht mehr, weg damit.“
All das zeugt von einseitigem Denken. Agilität, also die schnelle und flexible Reaktion auf sich ändernde Märkte, ist weder Einzelmaßnahme noch Methode, sondern eine generelle Haltung. Diese ist beispielsweise durch agile Kernwerte wie Commitment (Selbstverpflichtung), Offenheit, Fokus, Einfachheit, Mut und Respekt geprägt.
Aus dieser Haltung heraus leiten sich Prinzi­pien ab und bieten sich bestimmte Herangehensweisen für Unternehmens- und Personalführung an. Diese sind aber firmenindividuell verschieden – und abhängig von der Reife eines Unternehmens.
2. Teil: „Erst die Strategie“

Erst die Strategie

Bevor ein Unternehmen agiler werden kann, stehen zuerst oft andere Maßnahmen an.
Digitalisierungsstrategie entwickeln: Daran gekoppelt sind eine glaubwürdige Vision und nachvollziehbare Ziele. Ohne Ziele kann es kein Commitment geben, ein agiler Kernwert. Denn Commitment bedeutet, dass sich Mitarbeiter einem Ziel verpflichten.
Werte identifizieren: Hier geht es um die bereits vorhandenen, von allen Mitarbeitern gelebten Werte, nicht um die Werte auf dem Papier. Welche Prinzipien entspringen diesen Werten? Gibt es überhaupt Prinzipien, die wirklich gelebt werden? Ein Prinzip zum Wert „Mut“ wäre etwa „Wir haben Raum zum Experimentieren“.
Teamwork beobachten: Das Unternehmen sollte Dysfunktionen auf Unternehmens- und Teamebene ergründen und so weit wie möglich beseitigen. Vertrauen die Mitarbeiter sich gegenseitig? Nehmen sie sich in die Verantwortung? Gehen sie konstruktiv mit Konflikten um? Selbstorganisation passt nicht in eine Kultur voller Misstrauen und Egoismus.
Führung reflektieren: Das Unternehmen sollte die Reife der Führung erkennen und diese mit geeigneten Maßnahmen weiterentwickeln. Dabei hilft der Agilitäts-Reifegrad-Grid.
Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Ein Betrieb besteht seit 50 Jahren. Etliche Mitarbeiter arbeiten seit Jahrzehnten dort und sind Command, Order & Control gewohnt. Führungskräfte verstehen sich als Vorgesetzte, die entscheiden und kontrollieren. Mitarbeiter sehen sich als Angestellte, die einen sicheren Job wollen, um ihre Familien zu ernähren, nicht um sich selbst zu verwirklichen. Keiner traut dem andern.
In einem solchen Betrieb lässt sich keine Selbstorganisa­tion einführen. Es wäre viel sinnvoller, sich erst einmal mit der Strategie zu beschäftigen. Wo stehen wir und wohin wollen wir? Was lief bisher gut und woran wollen wir anknüpfen? Ein mit einer neuen Strategie eingeleiteter Veränderungsprozess muss alle Mitarbeiter einbinden. Und er muss offen und transparent kommuniziert werden.
Weiterhin darf niemand ein „Ende“ erwarten. Denn die Umgestaltung eines Unternehmens ist nie zu Ende. Insofern sind frühere Change-Modelle (wie das von Kurt Lewin), die nach dem Verändern vom Einfrieren eines bestimmten Zustands ausgehen, heute obsolet. Die Märkte lassen das gar nicht zu.

Agilität braucht Reife

Agilität stellt selbst organisierte Teams in den Mittelpunkt. Mitarbeiter steuern sich über Strukturen, wie sie etwa aus dem agilen Projektmanagement bekannt sind. Wesentlich dazu gehören kommunikative Elemente wie Retrospektiven. Solche Selbstorganisation braucht jedoch ein reifes Unternehmen und reife Mitarbeiter. Ein reifes Unternehmen ist ein Unternehmen, das sich selbst reflektiert. Reife Mitarbeiter identifizieren sich mit den Zielen und sind in hohem Maß bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Solche Mitarbeiter haben keine Angst, Fehler zu machen. Sie gehen respektvoll mit Kollegen um. Und sie sind bereit, sich zu einer gemeinsamen, für alle attraktiven Vision zu bekennen. Davon sind viele Unternehmen jedoch meilenweit entfernt. Das Projekt „Aristoteles“, in dem Google effektive Teams untersuchte, brachte zutage, dass in guten Teams nur etwas besonders war: der gegenseitige Respekt – nicht etwa die Stärken der Mitarbeiter oder der Führungsstil.
3. Teil: „Nicht gleich alles ändern“

Nicht gleich alles ändern

Oft hören wir von Firmen, die agile Methoden eingeführt, aber damit eher neue Probleme als Lösungen geschaffen haben.
Der Grund liegt in der fehlenden Vorarbeit und mangelnden Individualisierung, aber auch in einer grund­legenden Fehlinterpretation. Viele denken, das eine sei dem anderen überlegen. So gibt es die Tendenz zur Verallgemeinerung.
Beispiel Mitarbeitergespräche und Performance-Management: Viele Unternehmen haben im Fahrwasser des Agil-Trends Mitarbeiterbewertungen und Zielvereinbarungen abgeschafft. In Zeiten der Unplanbarkeit seien diese nicht mehr zeitgemäß. Außerdem behindere man Menschen damit in ihrem „Flow“ und störe ihre intrinsische Motivation. Diese aber sei nötig für selbst organisierte Teamarbeit.

"Ohne Leistungseinschätzung geht es kaum"

Doch nicht alle Mitarbeiter sind auf die gleiche Weise intrinsisch zu motivieren. Natürlich ist eine Beurteilung im Jahresturnus in Zeiten von Projektarbeit und schnellem Wandel nicht mehr zeitgemäß. Aber auch die Peer Reviews aus der Start-up-Szene, bei denen Kollegen anderen Kollegen mit Daumen hoch/Daumen runter Feedback geben, sind aus psychologischer Sicht unnützer Spielkram. Sie fördern Buddy-Beziehungen, aber nicht Leistung und erst recht nicht Respekt.
Ohne Leistungseinschätzung geht es eben kaum, denn auch motivierte Mitarbeiter wünschen sich Rückmeldungen und Vergleiche. Sowohl-als-auch-Lösungen verbinden die verschiedenen Ansprüche. Das Beratungs­unternehmen Deloitte etwa hat zwar das Jahresgespräch abgeschafft, führt aber viermal im Jahr sogenannte Performance Snapchats durch und wöchentliche „Check-Ins“, in denen die Führungskraft zum Beispiel nach Hindernissen bei der Arbeit fragt.
Diese Idee stammt aus dem agilen Projektmanagement, wo der agile Coach in täglichen Stand-up-Meetings die „Impediments“ bei der Projektarbeit aufschreibt. Es ist also durchaus möglich, sich nur in Teilen von agilen Ansätzen inspirieren zu lassen.

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