Business-IT
04.11.2016
Virtuelle Assistenten verändern Märkte und Unternehmen
1. Teil: „KI macht die Chatbots immer schlauer“

KI macht die Chatbots immer schlauer

Chats am SmartphoneChats am SmartphoneChats am Smartphone
Macrovector / Shutterstock.com
Chatbots gelten allgemein als die nächste große Errungenschaft in der Kundenkommunikation. com! professional zeigt, was heute bereits möglich ist und was die Zukunft bringen wird.
50 Jahre, nachdem der KI-Pionier Joseph Weizenbaum mit „Eliza“ den ersten Chatbot vorstellte, trifft man in vielen Bereichen auf Software, die einen menschlichen Gesprächspartner simulieren – nicht zuletzt bei der Kommunikation mit Kunden.
  • Hohe Erwartungen: Kunden erhoffen sich von Chatbots vor allem einen besseren Service wie 24-Stunden-Kontakt und schnelle Antwortzeiten.
    Quelle:
    eMarketer/Myclever Agency, Basis: 1000 Internetnutzer in UK
Allein für den Facebook-Messenger gibt es derzeit über 30.000 Bots. In erster Linie profitieren davon Online-Händler, Lieferdienste und Taxi-Unternehmen, die es ihren Kunden so ermöglichen, Waren, Lebensmittel oder Dienstleistungen direkt per Chat zu beziehen.
Hier könnte man sich fragen, warum ausgerechnet ein Chatbot dafür benutzt werden muss. Für Tobias Göbel, Director Emerging Technologies bei Aspect Software, einem Unternehmen, das unter anderem Enterprise-orientierte Chatbots entwickelt, liegt die Antwort auf der Hand: „Die bis­herigen Selbstbedienungsangebote sind alle mit mehr oder weniger Aufwand seitens des Kunden verbunden.“ Entweder muss man sich durch mindestens ein halbes Dutzend Fenster klicken, bevor man zum Ziel gelangt, oder eine Unternehmens-App installieren und mit einer neuen Oberfläche klarkommen oder man hängt minutenlang in der Warteschleife. „Mit Hilfe von Chatbots kann der Kunde die Frage, die er hat, direkt als Textnachricht verpackt an das Unternehmen senden“, so Göbel.

Das Jahr der Chatbots

Chatbots sind also bequem. So weit so gut. In diesem Jahr sind Chatbots jedoch plötzlich zu einem der heißesten Themen in der IT-Welt geworden. Dies, so glaubt Erez Baum, CEO des Chatbot-Plattform-Anbieters imperson, ist auf eine Reihe von Faktoren zurückführen. Smartphone-Nutzer würden immer weniger Apps herunterladen. Dafür steige die Popularität von Messaging-Diensten wie Facebook-Messenger oder Slack.
Auch die rasant gestiegene Nutzung von Werbeblockern im Internet spielt hier eine nicht unbedeutende Rolle. „Um sich den neuen Entwicklungen anzupassen, müssen Unternehmen neue Kommunikationskanäle suchen, um dem Kunden nah zu bleiben“, findet der imperson-CEO. Ein Chatbot, ein Dienst, mit dem man über ein Chat-Interface interagieren kann, ist für diese Aufgabe perfekt geeignet.
Darüber hinaus haben technologische Durchbrüche dem Chatbot-Trend Schub verliehen: „Die jüngsten beeindruckenden Erfolge in den Bereichen Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, Deep Learning, natürliche Sprachverarbeitung und kognitives Computing haben das Interesse an Chatbots wieder entfacht“, sagt David Cruickshank, Senior Director Strategy and Operations beim SAP Co-Innovation Lab im Silicon Valley.
Die Chatbots von heute sind im Vergleich zu ihren Vorgängern so weit entwickelt, dass Experten und Anbieter lieber von virtuellen Assistenten beziehungsweise kognitiven Agenten sprechen. 
Diese Entwicklungen sind der Aufmerksamkeit der großen Unternehmen nicht entgangen. „Großunternehmen haben schon immer nach neuen Möglichkeiten gesucht, Geschäftsprozesse zu automatisieren, zu kodifizieren und letztlich zu vereinfachen – und werden das weiterhin tun“, erklärt Beerud Sheth, CEO des Bot-Plattform-Anbieters Gupshup.
2. Teil: „Chatbots im Unternehmen“

Chatbots im Unternehmen

Im Enterprise-Bereich werden Chatbots auf zweierlei Weise verwendet. „Chatbots können sowohl die Workflows der Mitarbeiter optimieren als auch im Kundenkontakt eingesetzt werden“, sagt Maximilian Hille, Analyst im Bereich Mobile Business und Enterprise Mobility bei dem IT-Research- und Beratungsunternehmen Crisp Research. Auch viele Enter­prise-orientierte Chatbot-Anbieter nennen für den Chatbot-Einsatz Kundenbetreuung und Kundenbindung als typische Anwendungsszenarien.
Olav Strand, Geschäftsführer des Managed-Services-Anbieters IPsoft, weiß auch, warum: „Viele Anfragen sind Routinefragen, die ein kognitiver Agent beantworten und so den Mitarbeiter entlasten kann.“ Fragen nach Formularen und Anträgen, Rechnungsauskünfte, Bestellungsannahmen oder die Frage, wo auf einer Website bestimmte Inhalte zu finden sind – all das kann ein Enterprise-Chatbot übernehmen. 
Beim Einsatz von Chatbots innerhalb eines Unternehmens sieht es noch interessanter aus. Für Jeff Orr, Research Director Future Enterprise bei ABI Research, sind Chatbots schon jetzt ein wichtiges Kommunikationsmittel für die Personalabteilung.
„Im Bereich HR werden Chatbots zunehmend für das Onboarding und die Einarbeitung neuer Mitarbeiter eingesetzt“, erklärt er. „Anstatt eine Frage per E-Mail zu verschicken oder jemanden aus der Personalabteilung aufsuchen zu müssen, fragt der neue Mitarbeiter einen Chatbot.“ Erst wenn die Frage zu spezifisch ist und anhand der allgemeinen Antwortendatenbank nicht adressiert werden kann, wird der Mensch eingeschaltet.
Ein Beispiel für den HR-Einsatz ist etwa der US-Online-Händler Overstock. Seit Juli dieses Jahres kümmert sich der von Aspect Software entwickelte Chatbot Mila um die Krankmeldungen der Mitarbeiter. Im Vergleich zu dem früheren Verfahren soll diese Art der Kommunikation deutlich schneller und effizienter verlaufen.
  • SAP Co-Innovation Lab: Einsatzbeispiel für Chatbots im Internet of Things.
Wesentlich anspruchsvollere Möglichkeiten für Chatbots sieht SAP-Mann David Cruickshank. Im SAP Co-Innova­tion Lab arbeitet SAP zusammen mit Kore, einem aufstrebenden Unternehmen im Bereich Enterprise-Bots, an Einsatzszenarien für Chat­bots in Unternehmen, die SAP-Produkte wie SAP HANA Cloud Platform, SAP Cloud for Customer (C4C), SAP SuccessFactors und Con­-
cur nutzen.
„Der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Chatbots, die über die Messaging- und Kommunikationsplattform von Kore mit den wichtigsten Anwendersystemen interagieren“, erklärt David Cruickshank. Dabei übernehmen Chatbots Aufgaben wie die Erstellung einer neuen Opportunity in SAP CRM oder die Einleitung der Prozesse für die Erstattung von Reisekosten.
Auch beim Internet of Things sieht Cruickshank großes Potenzial für Chatbots – die in diesem Fall mit Sensoren und Instrumenten für Anlagen wie Klimatechnik, Pumpen, Kompressoren oder Generatoren interagieren: „In diesem Szenario kann der Bot einen Wartungsmitarbeiter schnell alarmieren, wenn Parameter wie Temperatur, Luftstrom oder Vibration außerhalb der Norm liegen.“
3. Teil: „Technische Implementierung von Chatbots“

Technische Implementierung von Chatbots

Die eigentliche Einführung von Chatbots im Unternehmen gestaltet sich jedoch nicht so einfach, wie man annehmen könnte. Das fängt schon bei der Entwicklung eines Chat­bots an. Zwar gibt es genügend Frameworks, Bibliotheken, Vorlagen und Plattformen, die das Erstellen funktionsfähiger Chatbots vereinfachen oder das zumindest versprechen. Doch laut Tobias Göbel von Aspect Software spielen diese Komponenten nicht die entscheidende Rolle: „Was man übersieht, ist, dass wir es mit einer ganz neuen Art von Benutzerschnittstellen zu tun haben. Es geht nicht mehr um grafische Ein­gaben, sprich Graphical UI, sondern um konversationelle Schnittstellen, also Conversational UI.“ Folglich sei Unterstützung aus anderen Bereichen wie Linguistik, Psychologie oder sogar Theaterwissenschaften gefragt.
Einen weiteren wichtigen Punkt nennt Chris Brown, Chief of Staff im Office des CEOs von TeleTech, einem Unternehmen für das Design und die Bereitstellung von Kundenumgebungen. Man brauche ein Team, das sich um die Qualitätskontrolle kümmere: „Man muss den Hype um Chatbots von der Wirklichkeit trennen. Und die Wirklichkeit ist eben so, dass die meisten Chatbots nur etwa 60 Prozent aller Anfragen übernehmen können.“ Es bedürfe deshalb eines fortlaufenden Trainings der Chatbots, damit sie mit der Zeit schlauer werden.
Auch die Integration mit Unternehmenssystemen muss berücksichtigt werden. Schließlich soll ein Chatbot den Zugriff auf Informationen in verschiedenen Unternehmensanwendungen und Systemen einfacher und schneller machen.
Olav Strand von IPsoft ist sogar davon überzeugt, dass dies bereits in der Anfangsphase genau bedacht werden muss. Strand weiß, wovon er spricht. IPsoft bietet Unternehmen einen kognitiven Agenten namens Amelia an, der von Beginn an mit Blick auf die Integra­tion in Unternehmensumgebungen entwickelt wurde. „Eminent wichtig ist, dass die Architektur der Lösung von Anfang an auf den Einsatz in heterogenen Enterprise-Umgebungen konzipiert wurde, um den kognitiven Agenten eng mit den CRM-Systemen, SAP und selbst geschriebenen Applikationen verlässlich zu verbinden“, so Olav Strand.
Jeff Orr von ABI Research rät den Unter­nehmen, entsprechende Partnerschaften zu bilden. Die Entwicklung eines Chat­bots, der sinnvoll an die Unternehmenssysteme angebunden wird, benötige Kompetenzen und Technologie, die die meisten IT-Organisationen normalerweise nicht haben.
Sergey Galchenko, CTO des Telekommunikationsunternehmen Star2Star, hält dafür den Einsatz einer Integrationsplattform as a Service (iPaaS) für vielversprechend. Dabei sind die wichtigsten Voraussetzungen hohe Skalierbarkeit und Performanz bei niedriger Latenzzeit, damit relevante Daten von anderen Geschäftsanwendungen über ihre APIs nahezu in Echtzeit gesammelt werden, um diese anschließend in einer Bedienoberfläche bündeln zu können.
Mit an oberster Stelle steht außerdem die Sicherheit. Anurag Lal, CEO und Präsident von Infinite Convergence Solutions, dem Anbieter des Messaging-Services NetSfere mit Chatbot, empfiehlt den Unternehmen, bei der Aus­­wahl von Chatbot-Anbietern auf dieses Feature besonders großen Wert zu legen: „Chatbots müssen bestimmte Sicherheitsfunktionen vorweisen, um sensible Daten, die zwischen unterschiedlichen Plattformen ausgetauscht werden, zu schützen.“
4. Teil: „Die Chatbot-Nachfrage wird steigen“

Die Chatbot-Nachfrage wird steigen

Sind Chatbots also tatsächlich das nächste große Ding oder nur ein vorübergehender Hype? Maximilian Hille von Crisp Research hält Chatbots eindeutig für die Technologie der Zukunft: „Durch viele Anwendungsszenarien und die kurzen Entwicklungszyklen der Anbieter ergeben sich mehr und mehr Möglichkeiten. Auch die diversen Chancen, neue Kunden zu adressieren und zu akquirieren, direkte Initiativen zu starten und die Mitarbeiter mit neuen Technologien für mehr Produktivität auszustatten, deuten darauf hin.“
Olav Strand stimmt zu: „Die Nachfrage nach kognitiven Agenten entwickelt sich rasant. Wir sprechen momentan mit vielen Unternehmen, die den Nutzen solcher Systeme sehen – auch, um die eigenen Mitarbeiter von Routine-Aufgaben zu befreien.“
Der CEO von IPsoft sieht in den Chatbots die Möglichkeit, dem Menschen kreativere und anspruchsvollere Aufgaben zu überlassen. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass Groß­unternehmen dem Einsatz kognitiver Agenten insgesamt sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, wenn sie deren Potenzial erkennen.
Auch Aspect Software bekommt viel positive Resonanz: „Ich habe in den letzten Monaten mit über 30 Unternehmen in verschiedensten Teilen der Erde gesprochen, und das Interesse ist unglaublich groß – egal in welcher Region und über alle Industrien hinweg“, sagt Tobias Göbel.

Die Chatbots werden kommen

Auch wenn der Chatbots-Trend sich im Enterprise-Bereich noch nicht ganz durchgesetzt hat, sehen viele Experten den Einsatz von Chatbots im Unternehmen als durchaus aussichtsreich für alle Beteiligten an. „Die Vorteile für den Nutzer sind in erster Linie Effizienz, Bequemlichkeit und ein­fache Bedienbarkeit“, betont Van L. Baker, Research Vice President im Bereich Mobility bei Gartner. „Aus der Pers­pektive des Unternehmens sind die Vorteile größere Mitarbeiterzufriedenheit, effizientere Nutzung der Enterprise-Daten und -Ressourcen und die Beschleunigung der Arbeitsabläufe.“
Allerdings wird sich der Umbruch wohl so schnell nicht vollziehen. „Es hat immer eine Zeit gedauert, bis eine neue Plattform angenommen wurde; man denke nur an mobile Apps oder soziale Netzwerke“, sagt Tobias Göbel. David Cruickshank pflichtet ihm bei: „Selbstverständlich werden wir uns nicht von heute auf morgen plötzlich von Chatbots umgeben wiederfinden.“ Es gebe noch genügend Hürden, die überwunden werden müssten. Doch er schätzt die aktuelle Entwicklung als sehr positiv ein: „Es ist offensichtlich, dass die Chatbot-Technologie viele spezifische Bedürfnisse von großen Unternehmen bereits heute adressieren könnte.“

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