Digitalisierung
31.05.2017
Programmierwett­bewerbe
1. Teil: „Hackathons gelten als Innovationstreiber“

Hackathons gelten als Innovationstreiber

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Iryna Bezianova / Shutterstock.com
Gestandene Konzerne lassen sich immer öfter von Hackern auf die Sprünge helfen. Christian Strobl, CEO und Mitgründer von Hackerbay, erläutert im Gespräch mit com! professional das Phänomen Hackathon.
  • Christian Strobl, CEO und Mitgründer von Hackerbay
    Quelle:
    Hackerbay
Es gibt kaum ein Großunternehmen, das heutzutage nicht nach Wegen und Möglichkeiten sucht, die Digitalisierung des Geschäfts zu unterstützen. Hackathons gelten dabei als eine der schnellsten und dabei relativ kostengünstigen Methoden, um Innovation ins Unternehmen zu holen und systematisch zu fördern.
Doch wie genau profitieren die Unternehmen von den innovativen und neuen Ansätzen von Hackern, die das Silicon Valley so erfolgreich machen? Das erklärt der CEO und Mitgründer der Unternehmensberatungsfirma Hackerbay Christian Strobl im Gespräch mit com! professional.
com! professional: Was versteht man eigentlich unter einem Hackathon?
Christian Strobl: Das Konzept der Hackathons ist nicht besonders neu, bereits in den 90er-Jahren haben die ersten Events dieser Art stattgefunden. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Wörtern Hacken und Marathon. Unter Hacken wird hierbei nicht das Eindringen in fremde Computersysteme verstanden, sondern damit ist das Tüfteln gemeint.
Hackathons sind nichts anderes als Programmierwett­bewerbe, die meist am Wochenende stattfinden, in der Regel 24 Stunden dauern und bei denen junge Programmierer Apps und Software entwickeln, um bestimmte Herausforderungen zu lösen. Alle Projekte werden anschließend vor der Jury präsentiert, die die besten Projekte mit einem Preis auszeichnet. Gerade im Silicon Valley werden Hacker als Rockstar-Programmierer gefeiert.
com! professional: Das hört sich erst einmal nach einer Spaßveranstaltung an. Warum führen dennoch immer mehr große Konzerne regelmäßig Hackathon-Events durch?
Strobl: In erster Linie helfen Hackathons den Unternehmen, mit jungen Leuten in Kontakt zu kommen, die Technologie verinnerlicht haben und frische Ideen mitbringen. Stellen Sie sich das kurz vor: Wer verbringt schon freiwillig sein Wochenende mit Technologie – und dann auch noch 24 Stunden am Stück? Das ist jemand, der in der Regel nicht an ein Unternehmen gebunden, sondern ein Freidenker ist. Diese Leute kommen aber in Kontakt mit den Experten in den Großunternehmen.
com! professional: Und bringen so Innovation in eine von Tradition geprägte Unternehmenskultur?
Strobl: Ganz genau. Gerade durch diese Verbindung zweier Welten entstehen neue Ideen. Das Schöne dabei ist: Es bleibt häufig nicht bei einem Projekt- oder Konzeptentwurf. Das Ziel jedes Hackers ist immer, am Ende des Hackathons ein funktionstüchtiges Produkt zu liefern. Deshalb hat man nach solch einem Wochenende üblicherweise dreißig bis fünfzig fertige Prototypen, die im Unternehmen präsentiert werden können, um neue Inspiration hervorzurufen.
com! professional: Oder gleich in die Tat umzusetzen.
Strobl: Absolut. Durch die auf einem Hackathon entwickelten Prototypen entstehen oftmals neue Produkte. Der „Like“-Button auf Facebook ist zum Beispiel ein Hackathon-Projekt gewesen. Der E-Mail-Dienst Gmail wurde ebenfalls auf einem Hackathon erfunden.
com! professional: Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür, wie Hackathons einem Unternehmen zu Innovation verholfen haben?
Strobl: So ein Beispiel haben wir als Hackerbay in unserem eigenen Portfolio. Das Media-Team von Twitter Deutschland wollte letztes Jahr einen Wettbewerb namens Vote Twitterstar veranstalten. Um das zu ermöglichen, musste man ermitteln, wie oft Fans innerhalb von sieben Tagen einen Webstar re­tweetet haben. Die Messung sollte dabei über eine Schnittstelle zum Twitter-Produkt erfolgen. Die zu erwartenden Nutzerzahlen waren dabei so hoch – um die fünf Millionen –, dass man eigentlich einen speziellen API-Zugang von Twitter USA benötigt hätte. Die interne IT-Abteilung in San Francisco konnte dabei jedoch nicht helfen, weil sie mit dem Kernprodukt sehr beschäftigt war, und so drohte die ganze Veranstaltung zu platzen.
Wir wurden dann gefragt, ob wir nicht eine Idee hätten. So kam Hackerbay ins Spiel. Wir haben innerhalb von drei Tagen eine Schnittstelle auf 36 dezentralen Rechenzentren gebaut, die die öffentliche Schnittstelle überlistet hat.
Die Lösung wurde zunächst während des Super Bowl 2016 mit 120.000 Tweets pro Minute erfolgreich getestet. Da­nach ging auch das Projekt Vote Twitterstar live und wurde schließlich zur erfolgreichsten Twitter-Kampagne in Deutschland. Später wurde sie auf mehrere europäische Länder ausgeweitet.
2. Teil: „Deutsche Unternehmen zeigen sich offen für die Hacker-Kultur“

Deutsche Unternehmen zeigen sich offen für die Hacker-Kultur

com! professional: Werden die Hackathon-Events als Quelle für Innovation überhaupt anerkannt?
Strobl: Meiner Erfahrung nach sehen immer mehr Unternehmen die Hackathons als Innovationstreiber. Das liegt vor allem an dem starken Wettbewerb aus dem Silicon Valley. Tesla hat beispielsweise eine Trial-and-Error-Kultur eingeführt: Sie probieren viel und sind dabei wahnsinnig schnell. Infolgedessen bringt Tesla immer wieder Innovationen auf den Markt. Diese Schnelligkeit wollen andere Unternehmen auch haben.
Selbstverständlich gibt es auch eher traditionelle Unternehmen, die dem Hackathon-Konzept gegenüber abgeneigt sind, weil es ihnen zu viel Trubel ins Unternehmen bringt. Sie wollen einfach so weitermachen wie bisher. Ich bin dennoch überzeugt, dass sich diese Einstellung früher oder später ändern wird. Viele Unternehmen, die 2013 noch gesagt haben „Was ist ein Hackathon? Das ist nichts für uns“, sind mittlerweile begeistert von der Innovationskraft und dem Spaß, sich mit anderen aus dem Silicon Valley zu messen, um bessere Produkte für Kunden zu entwickeln.
com! professional: Ist es unter rechtlichen Gesichtspunkten problematisch für die Anwendungen und Projekte, die während eines Hackathons entstehen, dass dazu letztlich externe Entwickler eingeladen werden?
Strobl: Datenschutz ist selbstverständlich ein großes Thema, insbesondere weil es ja auch um Geschäftsgeheimnisse geht. Hierbei gehen Unternehmen in der Regel in zwei Schritten vor. Im ersten Schritt findet vier bis sechs Wochen vor einem Hackathon die interne Aufbereitung der Daten statt. Das Unternehmen klärt in der Regel mit der Rechtsabteilung, welche Programm- oder Code-Beispiele für das Hackathon bereitgestellt werden.
Im zweiten Schritt unterschreiben die Teilnehmer bei sensiblen Daten eine Vertraulichkeitsvereinbarung oder spezielle Allgemeine Geschäftsbedingungen.
com! professional: Wie sieht es mit Hackathons in deutschen Unternehmen aus?
Strobl: Es hat sich in letzter Zeit in dieser Hinsicht sehr viel getan. Mittlerweile haben fast alle DAX-30-Konzerne, zum Beispiel Deutsche Lufthansa, ProSieben oder Volkswagen, Hackathons durchgeführt. Dabei hat die Qualität solcher Events und das Verständnis der Materie stark zugenommen. Ich hätte früher nicht gedacht, dass die deutschen Unternehmen für die Hacker-Kultur so offen sein könnten. Vermutlich liegt es daran, dass die Großunternehmen nun den Gedanken zulassen, dass es bestimmte Dinge gibt, die sie gut können, und dass es wiederum andere Dinge gibt, bei denen sie es sich erlauben können, Hilfe von außen zu holen.
com! professional: Werden also in Zukunft immer mehr Großunternehmen in Deutschland auf Hackathons zurückgreifen?
Strobl: Das sollten sie auf jeden Fall tun, wenn sie die digitale Innovation ernsthaft vorantreiben wollen. Aktuell gibt es immer noch eine Diskrepanz zwischen einem einmaligen Hackathon-Event und den etwa 300 bis 500 Millionen Euro betragenden internen Risikokapitalrücklagen für Innovationen. Bei Hackerbay wünschen wir uns, dass die Hacker-Kultur auch längerfristig auf Projektbasis in den Unternehmen aufgenommen wird. Damit wird das Experimentieren zu einem dauerhaften Prozess – und die Veränderung zu einer Konstante.

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