Datenschutz
19.07.2018
Log-in-Allianz
1. Teil: „Es kommt eine digitale ID für jeden Deutschen“

Es kommt eine digitale ID für jeden Deutschen

Log-inLog-inLog-in
Kolonko / shutterstock.com
Thomas Duhr, Geschäftsleiter der netID-Allianz erzählt vom Kampf gegen Facebook & Co. Dafür haben sich mehrere Unternehmen zusammengeschlossen und eine Log-in-Allianz gegründet.
Die Zeit drängt. Seit Kurzem ist die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft, in absehbarer Zeit kommt die E-Privacy-Verordnung dazu. Damit wird europaweit der Datenschutz neu geregelt. Der Knackpunkt für Werbungtreibende: Wollen sie die Daten der User weiter verwenden, müssen sie dafür deren Zustimmung einholen – und das für jede einzelne Website.
  • Thomas Duhr: Stellvertretender Geschäftsleiter Interactive beim RTL- Vermarkter IP Deutschland und Vizepräsident im Digitalverband BVDW
    Quelle:
    IP Deutschland
Seit Monaten formieren sich deshalb im Hintergrund Allianzen, die gewissermaßen einen Spagat vollziehen wollen. Ihr Ziel: eine Einwilligung gleich für ein ganzes Bündel von Webangeboten einzuholen. Dazu wollen sie eine Lösung auf den Markt bringen, die für den User möglichst einfach ist und den beteiligten Partnern erlaubt, Daten gesetzeskonform zu erheben, zu analysieren und weiterzureichen.
Für den Werbemarkt in Deutschland gilt derzeit die European netID als wichtigste Log-in-Allianz. An ihr sind Schwergewichte wie die Medienkonzerne RTL und Pro Sieben Sat1 sowie United Internet Media beteiligt. Geht ihr Plan auf, sollen die User schon bald über nur ein Log-in ihre Genehmigung zur Datenerhebung auf sämtlichen Seiten dieser Unternehmen geben können – also von GMX.de bis „TV Now“.
Thomas Duhr, stellvertretender Geschäftsleiter Interactive beim RTL- Vermarkter IP Deutschland und Vizepräsident im Digitalverband BVDW, treibt die Log-in-Allianz netID seit Monaten maßgeblich voran. Im Interview äußert er sich dazu, wie sich die netID von Mitbewerbern wie Verimi abgrenzt, wann sie startbereit ist, welche Marketingmaßnahmen geplant sind und wie sie sich als Alternative gegen Plattformen wie Facebook behaupten möchte. Die US-Player verfügen in dieser Gemenge lage über einen großen Vorteil. Mit nur einem Log-in ebnen sie schon heute den Usern den Zutritt und den Werbungtreibenden vielfältige Möglichkeiten.
com! professional: Herr Duhr, wir haben den Eindruck, dass der Log-in-Dienst Verimi mehr die Verbraucher im Visier hat und die European netID Foundation mehr auf Marketing und Werbung ausgerichtet ist. Liegen wir hier falsch?
Thomas Duhr: Das kann man so nicht sagen. Bei beiden Initiativen steht klar der Verbraucher, also der Internetnutzer, im Vordergrund. Denn laut der DSGVO und der E-Privacy-Verordnung gilt künftig: alle Macht dem Konsumenten. Dem versuchen beide Bündnisse gerecht zu werden. Der Nutzer wird als maßgebliche Instanz miteinbezogen und wir versuchen, ihm die Abgabe seiner Willenserklärung zur Übermittlung seiner Daten so einfach wie möglich zu gestalten.
com! professional: Was unterscheidet dann Verimi und netID?
Duhr: In Bezug auf den Konsumenten, dass wir uns bei der European netID Foundation zunächst auf Sachverhalte fokussieren, die mit der Internetnutzung einhergehen, also um Marketing, Personalisierung, Content Recommendation oder Tracking und Analytics. Diese Aspekte sind erforderlich, um dem Konsumenten die User Experience zu liefern, die er heute gewohnt ist. Verimi geht einen Schritt weiter und ermöglicht den Zugang und die Nutzung ganz anderer Felder, etwa beim Bankkonto. Das überfordert nach unserem Dafürhalten den Konsumenten zum jetzigen Zeitpunkt aber noch.
com! professional: Für Advertiser ist netID also spannender?
Duhr: Wir sind sicher, dass das so ist. Verimi steht für Verify me. Das Prinzip dahinter geht also mit der Frage einher, wie weit der Authentifizierungsprozess beim Sign-on reicht, also wie weit ich mich als User „entblättern“ muss. Das Verimi-Modell basiert aktuell schon auf einem „Level of Authentication 4“ (LOA 4). Der LOA 4 entspricht, wenn wir mal das Analoge als Vergleich heranziehen, den Anforderungen des Post-Ident-Verfahrens. Es gäbe ja auch die Video-Ident-Verfahrenslogik. Das ist zwar spannend, die Frage ist nur, ob man für den medialen Anwendungszweck eine Authentifizierung via Video-Ident benötigt. Ich sehe das für klassische E-Commerce-Anbieter sowie für mediale Anbieter – von der Monetarisierung über Werbung bis hin zur inhaltlichen Gestaltung der Angebote – als nicht zwingend erforderlich. Wir gehen zwar davon aus, dass eine digitale ID für jeden Deutschen in den nächsten Jahren kommt, derzeit ist die Grundeinstellung aber noch eine andere. Wir arbeiten mit der European netID Foundation zunächst auf LOA 1 und 2. Das ist ausreichend, um die Marketing- und E-Commerce-Anforderungen von DSGVO und der kommenden E-Privacy-Verordnung zu erfüllen.
com! professional: Wann startet die netID und wie sieht sie aus?
Duhr: Das Konzept der netID ist dezentral. In der Auslegung der DSGVO ist die Single-Sign-on- und die Cookie-Zustimmungslogik aktuell. Es wird also nichts auf dem Bildschirm des Nutzers aufpoppen. Die Initiatoren der European netID Foundation verfügen schon jetzt über eine große Menge an Identifiern im Sinne einer Benutzername-Passwort-Kombination. Das heißt: Es gibt Nutzer der Mediengruppe RTL, der Pro-Sieben-Sat1-Gruppe und der United-Internet-Gruppe. User, die zum Beispiel einen Web.de-Account von United Internet nutzen, haben die Option, ihre Benutzername-Passwort-Kombination von Web.de zur netID zu machen. Aktuell haben wir zwischen 35 und 40 Millionen netIDfähige Accounts. Diese könnten mit einer aktiven Willenserklärung des Kunden entsprechend umgewandelt werden.
com! professional: Muss der User diese ID jeweils neu bestätigen, wenn ein neuer Partner hinzukommt?
Duhr: Ja, in der harten Lesart des Gesetzes muss jede Veränderung, die in diesem Kontext entsteht, vom jeweiligen Nutzer bestätigt werden. Wir hoffen aber, und das ist ja auch einer der Gründe des Schulterschlusses mit den anderen Häusern, dass es uns gemeinsam gelingt, einige der „erwartbaren Fehlfunktionen“ dieses gut gemeinten Gesetzes zu minimieren. Denn wir denken, dass weder der Konsument noch der Gesetzgeber das so gewollt hat.
Level of Authentication (LOA)
Der LOA gibt Auskun‚ darüber, wie kontrolliert der Zugang zu bestimmten Webseiten und Online-Services ist. Je höher das Level, umso strenger sind die Vorsichtsmaßnahmen, die den User zum Beispiel davor schützen sollen, dass Unbefugte auf seine Daten zugreifen. Die nur mit einem einfachen Passwort geschützten Bereiche fallen unter den LOA 1. LOA 4 gilt als die bislang strengste Vorkehrung. Sie sieht ein vierfaches Identifikationsverfahren vor und kommt überall dort zum Einsatz, wo es um den Zugang zu höchst vertraulichen Datensätzen geht. In Deutschland wird derzeit über einen LOA 5 für Kontoregistrierungen diskutiert.
2. Teil: „netID soll im Sommer die Beta verlassen“

netID soll im Sommer die Beta verlassen

com! professional: Wann geht es denn nun los mit der netID?
Duhr: Wir gehen davon aus, dass wir im Sommer die netID in mehr als einer Betaversion haben werden.
com! professional: Noch dürfte es mit der Bekanntheit der Marke netID beim Nutzer nicht weit her sein. Sie müssen erst einmal ordentlich investieren, um sie bekannt zu machen.
Duhr: Natürlich müssen wir die netID erst einmal platzieren. Die klassische Markenbekanntmachung mit bezahlten Maßnahmen ist sicher wichtig, aber nicht allein entscheidend. Ich glaube, dass sich das Angebot von selbst verbreiten wird. Wenn die netID in den Angeboten von United Internet, RTL, Pro Sieben Sat1 sowie weiteren Partnern sichtbar ist, wird der Nutzer schlicht nicht um den klassischen „Eyeball- Effekt“ herumkommen. Am Ende werden das Produkt und die Reichweite der netID überzeugen.
com! professional: Der Internetnutzer ist, was das Wissen über Datenschutz angeht, nach wie vor recht unbedarft. Wie wollen Sie hier Aufklärung leisten?
Duhr: Das ist ein erzieherischer Prozess, dem wir uns aber definitiv verschrieben haben. Wir wollen mit der netID das Thema Datenhoheit erklären. Der Nutzer - und nicht nur der - ist in seiner Unbedarftheit in den vergangenen Jahren möglicherweise in die Falle des ein oder anderen US-Riesen getappt. Jetzt gilt es, Alternativen zur präsentieren, die verantwortungsvoll mit seinen Daten und Einwilligungen umgehen und
gleichzeitig Mehrwerte schaffen.
com! professional: Wenn es um Datenallianzen geht, werden neben Verimi oder Emetriq oft auch E-Commerce-Bündnisse wie Criteo genannt. Kann man das denn vergleichen?
Duhr: Da werden im Moment einige Dinge miteinander vermischt. Das Geschäfts modell der Intermediäre wird derzeit durchaus infrage gestellt. Unternehmen, die sich im Datentransfer-Bereich bewegen, versuchen natürlich auch, sich zusammenzuschließen und einheitliche Verfahrenslogiken zu entwickeln. Da ist etwa Criteo schon recht gut aufgestellt, wenn sie sich als Allianz auf der Seite der E-Commerce-Anbieter gegen Amazon positionieren. Denn mit der relativ großen Zahl an Shops kann man gemeinschaftlich das Beste aus dem Business-Modell herausholen. Auf lange Sicht bietet aber auch netID für Unternehmen wie Criteo alternative Möglichkeiten.
com! professional: Kommen wir zum Verhältnis Verimi und netID: Was ist hier an Kooperationen und Koalitionen geplant?
Duhr: Zusammenarbeit ist denkbar und sinnvoll, ein Zusammenschluss bei so unterschiedlichen Konzepten jedoch derzeit eher unwahrscheinlich. Wenn es aber darum geht, die netID auf LOA 3 und 4 zu bringen und „Verimi-fähig“ zu machen, kann es durchaus Ergänzungen und Kooperationen geben.
com! professional: Was bedeutet, die net ID sei „europäisch“?
Duhr: Dass sie sich an die europäische Gesetzgebung hält und die Daten, die entstehen, im Gesamtkonstrukt den europäischen Nutzungsraum nicht verlassen - außer der Nutzer stimmt explizit zu.
Log-in-Allianzen
netID: Im Juli 2017 wurde von Pro Sieben Sat1, der Mediengruppe RTL Deutschland sowie dem Vermarkter United Internet Media die Log-in-Allianz netID initiiert. Als erster Partner war Zalando an Bord. Ziel ist es, die Nutzung von Internetdiensten mit Hilfe eines Single Sign-on datenschutzkonform und transparent zu organisieren. Bereits vorhandene Log-ins von Mitgliedsunternehmen können für das Single Sign-on genutzt werden, eine separate Registrierung ist nicht nötig. Bei der Umsetzung entschied man sich für ein Stiftungsmodell. In diesem Sommer möchte die netID eine Version auf dem Markt haben, die den Usern Zutritt zu allen Seiten gewährt, die zum Kreis der Initiatoren zählen: von GMX.de bis TV Now.
Verimi: Verimi wurde im Mai 2017 gegründet. Zu den Gesellschaftern gehören Allianz, Axel Springer, Bundesdruckerei, Core, Daimler, Deutsche Bank, Postbank, Here Technologies, Deutsche Telekom, Giesecke + Devrient sowie Lu‚ hansa. Sie statteten Verimi mit über 50 Millionen Euro Startkapital aus. Einmal registriert, erhalten die Nutzer Zugang zu den Angeboten aller Website-Partner (Single Sign-on). Außerdem soll es möglich sein, personenbezogene Daten unterschiedlicher Dokumente wie Pass, Ausweis, Führerschein sicher zu hinterlegen. Zuletzt geriet Verimi in die Schlagzeilen, da die Spitzenmanagerin Donata Hopfen ausstieg.
Social Log-ins: Facebook, Google, Twitter oder Xing: Die sozialen Netzwerke bieten einen Service, den Allianzen wie Verimi oder netID ihren Usern erst mühsam vermitteln müssen: Über sie können sich die User über die hinterlegten Zugangsdaten auf anderen Seiten einloggen – ein neues, kompliziertes Anmeldungsprozedere entfällt. Nach Untersuchungen erhöht der Einsatz von Social-Log-ins die Anmeldungen. Allerdings bleibt bei den Usern o‚ auch das ungute Gefühl, nicht zu wissen, was mit ihren Daten geschieht.
Advertising ID & Digitrust: Das Advertising ID Consortium wurde im Mai 2017 von den amerikanischen Adtech-Unternehmen Appnexus, Mediamath und Liveramp gegründet. Seitdem haben sich insgesamt 15 Adtech-Anbieter der Initiative angeschlossen, unter anderem Adform, Dataxu und Unruly. Im Dezember ist das deutsche Unternehmen Roq.ad beigetreten. Ziel des Konsortiums ist es, dass alle Mitglieder nicht jeweils eigene Cookies, sondern eine gemeinsame Nutzer-ID des Konsortiums verwenden. So können User webseitenübergreifend besser zugeordnet und zielgerichteter umworben werden. Ganz ähnliche Ziele verfolgt Digitrust, ein Konsortium, das 2013 von zwanzig Werbetechnologie-Anbietern in den USA gegründet wurde – unter ihnen Pubmatic und Quantcast.
IAB Europe: Der „Industry Transparency & Consent Mechanism“ ist eine Lösung des Branchenverbands IAB Europe. Sie soll es Webseitenbetreibern sowie Werbungtreibenden und deren Partnern ermöglichen, das Opt-in des Nutzers entlang der Werbeauslieferungskette zu übermitteln, damit alle beteiligten Technologieanbieter rechtlich auf der sicheren Seite sind. IAB Europe hat die Lösung gemeinsam mit Werbetechnologie-Anbietern entwickelt. Sie basiert auf vier Säulen: einem User Interface (UI), einer Liste der Technologieanbieter, einem technischen Kommunikationsstandard und den Regeln, wie der Standard
genutzt werden soll. Das User Interface wird nicht zentral vorgeschrieben. Über das UI kann der Nutzer seine Zustimmung zur Datennutzung abgeben.

mehr zum Thema