Business-IT
14.02.2018
Interview mit Marco Lenck (DSAG)
1. Teil: „Es herrscht eine große Unsicherheit am Markt“

Es herrscht eine große Unsicherheit am Markt

SAPSAPSAP
Cineberg / Shutterstock.com
Der Wandel auf dem Software-Markt belastet die Beziehung zwischen SAP und Anwendern. Marco Lenck von der DSAG spricht über die Hürden, die der Walldorfer Konzern nehmen muss.
  • Marco Lenck, Vorstandsvorsitzender der DSAG
    Quelle:
    DSAG
In der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) haben sich vor 20 Jahren deutsche, österreichische und schweizerische SAP-Kunden zusammengeschlossen, um dem ERP-Weltmarktführer SAP auf Augenhöhe gegenübertreten zu können. Allzu oft fühlten sie sich gegenüber dem großen Konzern in der Rolle des Bittstellers.
Aktuell umstritten in der Beziehung zu SAP sind vor allem Themen wie teure Doppellizenzierungen, die Kunden durch die Cloud drohen, oder unzureichend ausgebildete SAP-Berater, die den ihnen vertrauenden Kunden schon mal eine falsche Auskunft geben. Nicht absichtlich, sondern weil sie es offensichtlich nicht besser wissen. Das muss sich ändern, fordert die DASG.
Im Gespräch mit com! professional äußert sich DSAG-Vorstand Marco Lenck über die leidenschaftliche Hassliebe der Anwender zu SAP und darüber, was der Software-Konzern in Zukunft besser machen sollte.
com! professional: Die DSAG ist kürzlich 20 Jahre alt geworden. Welches Thema treibt sie als Anwendervertreter derzeit am stärksten um?
Marco Lenck: Die Digitalisierung bewirkt zurzeit eine massive Veränderung, wie Prozesse in den Unternehmen durchgeführt werden. Das beeinflusst auch die Art und Weise, wie Kunden ihre (SAP-)Lizenzen abrechnen müssen.
com! professional: Das liegt vor allem am Mietmodell Cloud, oder?
Lenck: Das liegt an fixen On-Premises-Lizenzen, die viele unserer Mitglieder noch in ihren Büchern führen, und an der Cloud. Aber auch an der veränderten Metrik, die in den Unternehmen Einzug hält. Wenn immer mehr Prozesse automatisiert werden, greift ein nutzerbasiertes Lizenzmodell immer weniger.
com! professional: Weniger Anwender, weniger User-Lizenzen. Für die SAP-Kunden wird es also immer preiswerter, könnte man meinen.
Lenck: Eben nicht. SAP überlegt sich neue Metriken, um automatisierte Prozesse zu bepreisen, und diese Kosten kommen zusätzlich zu den User-Lizenzen, die viele Kunden sowieso haben, noch obendrauf. SAP-Anwender geben ja nur einen Teil ihrer Aufgaben ab, die User-Lizenzen benötigen sie weiterhin. Prozessautomatisierung verursacht dadurch für die Unternehmen zusätzliche Lizenzkosten. Es gibt keine einfache Lösung für diese Thematik, aber es gibt einen enorm großen Gesprächsbedarf. Ich wünsche mir von der SAP, dass wir diese Problematik angehen und überlegen, wie wir zukünftig Lizenzen abrechnen.
com! professional: Sie haben ein neues, vertikales Lizenzmodell vorgeschlagen. Was verstehen Sie darunter?
Lenck: Ein perfektes Beispiel für vertikale Lizenzierung wäre: Sie haben heute On-Premises-Lizenzen für SAPs BI-Plattform Business Objects, um Ihre Daten zu analysieren. Jetzt gibt es parallel das Angebot, Business Objects Analytics aus der Cloud zu beziehen. Typischerweise ersetzt das Cloud-Angebot aber nicht komplett die On-Premises-Lösung, sondern komplettiert diese. Der Kunde bezahlt also doppelt: seine On-Premises-Lizenzen pro User, die er sowieso schon hat, und das gemietete Business Objects aus der Cloud. Das ist eine klassische Doppellizenzierung, obwohl der Prozess der gleiche ist. Wir fordern von der SAP ein neues Lizenzmodell, das On-Premises und die Cloud vertikal, sozusagen als zwei Seiten ein und derselben Lizenz betrachtet, um auf diese Weise Doppellizenzierungen zu vermeiden.
com! professional: Wollen Sie die Unterteilung in On-Premises-User-Lizenzen und Mietlizenzen aus der Cloud denn einfach abschaffen?
Lenck: Wir werden SAP Vorschläge unterbreiten, wie man diesen Zielkonflikt zwischen On-Premises und Cloud am besten auflösen kann.
Zur Person: Marco Lenck
Marco Lenck ist Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG).
Lenck wurde auf der jüngsten DSAG-Jahresversammlung vergangenen September in seinem Amt bestätigt. Die DSAG mit Sitz in Walldorf versteht sich als unabhängige Interessenvertretung aller SAP-Anwender in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Ziel der DSAG ist es, darauf hinzuwirken, dass bedarfsgerechte SAP-Lösungen geschaffen werden, sowie den Erfahrungs- und Informationsaustausch sowohl der SAP-Kunden untereinander als auch mit SAP zu fördern. Die 1997 als eingetragener Verein gegründete DSAG zählt heute über 3300 Mitgliedsunternehmen mit 60.000 Mitgliedspersonen und hat sich als eine der größten SAP-Anwendergruppen weltweit etabliert.
2. Teil: „Zurückhaltung bei Cloud-Lösungen“

Zurückhaltung bei Cloud-Lösungen

com! professional: Gemäß Ihrer eigenen Umfrage unter DSAG-Mitgliedern erkennen Firmen das Zukunftspotenzial von Lösungen wie S/4HANA und der Cloud. Trotzdem schrecken viele Unternehmen noch vor einer Migration zurück. Wie erklären Sie sich diese Zurückhaltung?
Lenck: Es gibt ein riesiges Informationsdefizit, das ich für die Zurückhaltung der Kunden verantwortlich mache. Angenommen, Sie wollen ein konkretes Produkt wie S/4HANA Release 1610 einführen. Die Frage, welche neuen Funktionalitäten die Version 1610 im Vergleich zu vorherigen Releases anzubieten hat, ist extrem schwierig zu beantworten. SAP bietet einen sogenannten Simplification Guide an, der 600 Seiten umfasst. All diese Seiten müssen Sie durchackern, um sich über die neue Version zu informieren. Und im 600-seitigen Simp­li­fication Guide steht noch nicht einmal alles drin.
com! professional: Das bedeutet?
Lenck: Selbst wenn Sie den Guide durchgearbeitet haben, sind Sie nicht rundum gut informiert. Hinzu kommt: SAP-Berater sind nicht alle auf dem gleichen Kenntnisstand. Selbst wenn Sie als Kunde einen Berater konsultieren, müssen Sie sich zwei Fragen stellen: „Was kann das Produkt denn nun tatsächlich?“ und „Ist das, was mir mein SAP-Berater erzählt, wirklich noch aktuell oder schon veraltet?“
com! professional: Welche Probleme sehen Sie in der momentanen Umbruchsituation denn noch?
Lenck: Es herrscht eine große Unsicherheit am Markt. Das ist kein Vorwurf an die SAP. Zurzeit verändern sich zeitgleich sehr viele Dinge fulminant. Schauen Sie sich die S/4-Releases 1503 (Simple Finance), 1511 und 1610 an. Jede Version hat eine völlig andere Funktionalität. Und in der im September auf den Markt gekommenen aktuellen 1709er-Version hat sich schon wieder extrem viel geändert. SAP lässt die Kunden hier zu häufig im Regen stehen. Die Kunden müssen selbst entscheiden, ob sie ein Release einführen wollen oder eben nicht.
com! professional: Dann müsste SAP Berater besser schulen?
Lenck: Definitiv.
com! professional: SAP puscht momentan Künstliche Intelligenz und Machine Learning. Ist das für einen DSAG-Mittelständler denn schon relevant?
Lenck: Ein Programmierer der 1980er- und 1990er-Jahre hat einfache Entscheidungswege programmiert, um einer Maschine Künstliche Intelligenz zu verpassen. Heute sind wir in der Lage, aus den Daten ohne Hilfe eines Programmierers Modelle zu generieren, anhand derer die Maschine Entscheidungen treffen kann. Das ist schon ein deutlicher Fortschritt zu den neuronalen Netzen vor 30 Jahren. Aber die Künstliche Intelligenz ist in den Geschäftsprozessen der heutigen Unternehmen noch nicht wirklich vertreten.
com! professional: Kein Kunde setzt nur und ausschließlich SAP ein. Wie offen ist SAP für Lösungen der Mitbewerber?
Lenck: Kunden entscheiden sich für eine SAP-Lösung, weil sie der Prozessreife einer SAP vertrauen und ihre Geschäftsprozesse damit abbilden. Die SAP ist sicher nicht der einzig mögliche Plattformbetreiber.
com! professional: Was fällt Ihnen ganz spontan zu SAP ein?
Lenck: Ein wichtiger Partner, mit dem sich immer eine Unterhaltung lohnt, auch wenn wir manchmal unterschiedlicher Meinung sind.

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