E-Commerce
21.01.2019
Tom Lurtz von KPMG
1. Teil: „Durch Digitalisierung die Kundenbindung stärken“

Durch Digitalisierung die Kundenbindung stärken

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Black Salmon / Shutterstock.com
Wie können Handel und Netzbetreiber durch Digitalisierung die Kundenbindung stärken? Diese Frage behandelt der Unternehmensberater Tom Lurtz von KPMG im Gespräch mit com! professional.
Wie Unternehmen Geschäftsmodelle schaffen, mit denen das Kundenerlebnis und die Kundenbindung verbessert werden, ist der Schwerpunkt des Unternehmensberaters Tom Lurtz von KPMG. Im Interview erklärt er, wie Handel und Netzbetreiber auf die umfangreichen Herausforderungen durch die Digitalisierung reagieren können und welche Rolle Künstliche Intelligenz dabei (nicht) spielen kann.
com! professional: Digitalisierung, KI, 5G: Wie muss sich der Handel auf diese Herausforderungen einstellen?
Tom Lurtz: Das Thema Digitalisierung hält in immer mehr Branchen Einzug, wenn es um die Kundenbeziehung geht. Nehmen Sie die Automobilbranche, wo nicht nur der Kauf des Fahrzeugs im Internet vorbereitet wird, sondern mit Car­sharing ein Geschäftsmodell entsteht, bei dem die Geschäftsbeziehung nahezu komplett digitalisiert ist. Die Technologie hat hier den Kundenkontakt und damit den Verkaufsprozess fundamental verändert.
com! professional: Ist das auf die TK-Branche übertragbar?
Lurtz: Natürlich, auch hier ist schon zur Information des Kunden immer weniger der Verkäufer vor Ort für den persönlichen Kontakt gefragt, sondern eher das Netz, ein Hotline-Mitarbeiter oder in Zukunft ein Voice- oder Chatbot. Die TK-Industrie war hier schon immer sehr weit, aber nun wird das Tempo noch verschärft.
  • Tom Lurtz, Partner im Bereich Advisory bei KPMG
    Quelle:
    KPMG
Zusätzlich lässt sich der Verkaufsprozess nicht mehr trennscharf abgrenzen, sondern er erstreckt sich über die gesamte Dauer der Kundenbeziehung. Zum Beispiel wird die Verlängerung eines Mobilfunkvertrags mit auf den Kunden abgestimmten digitalen Interaktionen bereits vom ersten Vertragstag an vorbereitet. Sie wird keine lange Entscheidung, sondern ein logischer Schritt für den Konsumenten sein. Das erfordert ein Zusammenarbeiten der verschiedensten Unternehmensbereiche.
com! professional: Hat in dieser Welt der Handel noch Platz?
Lurtz: Wenn er es schafft, den Kunden dank seines Wissens genau auf seine Bedürfnisse hin zu bedienen, durchaus. Denn Tarife etwa sind hochkomplex und fordern vor allem für anspruchsvolle Zielgruppen weiter einen guten Verkaufsberater, der die individuellen Anforderungen des Kunden versteht.
com! professional: Und was ist mit dem Einkaufserlebnis?
Lurtz: Ja, das gibt es. Das Erlebnis scheint eine Rolle zu spielen, wie man bei Internethändlern, die physische Shops eröffnen, beobachten kann. Ein Thema wie Smart Home kann ich ja auch über einen Showroom viel besser als im Netz demonstrieren. Es geht darum, Erlebnisse und Anwendungsfälle zu gestalten, die relevant für den Kunden und erklärungsbedürftig sind. Für einzelne Geräte wie Smartphones ist das Kauferlebnis aber immer öfter ein sehr kurzer Moment. Die Kunden, die stark im Thema sind, schauen sich vielleicht das Gerät mal schnell im Shop an, haben aber ihre Entscheidung oft schon längst getroffen und kaufen entsprechend online. Es wird aber immer Zielgruppen geben, die spezielle Anforderungen haben, wie etwa technisch weniger interessierte Kunden, bei denen das anders ist und sein wird.
com! professional: Oft kaufen Kunden dann für ein paar Euro weniger online …
Lurtz: Gerade das bemängelt der stationäre Handel ja immer. Das kann sich nur ändern, wenn Unternehmen und ihre Partner sich als Ganzes verstehen. Wer das Produkt gut erklärt und demonstriert, verkauft trotzdem nicht immer, hat aber einen großen Anteil am Verkauf über einen anderen Kanal. Diesen Prozess gerechter zu gestalten gelingt, wenn wir das Kunden­erlebnis von der ersten digitalen Information über den Verkauf bis zum After-Sales-Service in den Mittelpunkt stellen. Bisher sind die Modelle zu oft auf einzelne Stationen dieser Wertschöpfungskette ausgerichtet, etwa wenn nur der Preis beim Verkauf im Mittelpunkt steht. Für einen kundenorientierten Hersteller ist es ja am Ende egal, wer sein Produkt verkauft hat, solange der neue Kunde zufrieden ist und möglichst lange Kunde bleibt.
com! professional: Entstehen Konflikte nicht schon bei der Frage, wer den Kundenkontakt hält – das Unternehmen oder sein Handelspartner?
Lurtz: Hier kommt es eben genau auf die Kundenzentrierung der beiden Partner an: Der Kunde möchte ein Anliegen gelöst wissen und ist bereit, hierfür Informationen zu teilen. Unternehmen und Partnerschaften, die diesem Anspruch nicht gerecht werden, müssen die eigenen Prozesse und die Ausrichtung überdenken und dabei auch auf digitale Interaktionskanäle mit dem Kunden setzen. Das fängt beim Erstkontakt an, etwa wenn entschieden wird, wann ich den Kunden bloß mit Informationen – in der Regel digital – bespiele oder wann ich persönlich mit ihm interagiere. Letzteres wird alternativ vermehrt durch immer bessere Voice- oder Chat­bots erfolgen, denn wenn diese mit Verständnis des Kontexts gezielt Fragen beantworten können, wird ihre Akzeptanz zunehmen.
2. Teil: „KI wertet menschliche Interaktion auf“

KI wertet menschliche Interaktion auf

com! professional: Und die Menschen überflüssig machen …?
Lurtz: Nein, es wird immer Bereiche geben, in denen Anbieter ihren Kunden und vor allem bestimmten Gruppen durch persönlichen Kontakt Wertschätzung und Glaubwürdigkeit demonstrieren müssen. Auch bestimmte Szenarien wie Pro­bleme, die Kunden haben, erfordern menschliche Interventionen. Selbst daraus lassen sich für Unternehmen wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Die Interaktion zwischen zwei Menschen wird künftig eher noch aufgewertet, sie kann etwas Besonderes sein. Der Künstlichen Intelligenz nimmt man auch keine Empathie und emotionale Intelligenz ab, sie kann aber viel mehr Informationen aufnehmen und verarbeiten und besser skalieren, als es ein Mensch könnte.
com! professional: Informationen über den Kunden sind ein kostbares Gut. Hemmen Datenschutzbestimmungen KI?
Lurtz: Ich spreche lieber von intelligenter Automatisierung als von Künstlicher Intelligenz. Das beschreibt das angestrebte Ziel am besten. In einem ersten Schritt können uns bereits jetzt sehr gut monotone und wiederkehrende Arbeitsschritte wie das Ausfüllen von Formularen abgenommen werden. Man muss grundsätzlich wissen, wen man als Unternehmen mit welchen Inhalten persönlich ansprechen will, dazu braucht man auch Informationen.
com! professional: Was ändert sich am Mobilfunkvertrieb, wenn demnächst neben die klassische Plastik-SIM-Karte vermehrt die digitale eSIM-Karte tritt?
Lurtz: Theoretisch könnte ich damit ja innerhalb von zwei Sekunden meinen Netzbetreiber wechseln. Noch sind wir nicht so weit, aber das kommt. Wenn wir an eine SIM-Karte denken, haben wir heute ein Telefon vor Augen, doch mit der eSIM können wir viel mehr Geräte vernetzen, was ein großer Vorteil ist. Das Gewicht im Vertrieb verlagert sich damit von den SIM-Karten auf konkrete Anwendungsfälle wie Smart Home oder Smart Office. Das ist eine Chance für den Handel, weil es sich hier um ein Einkaufserlebnis handelt, das erklärungsbedürftig ist und eine ganzheitliche Beratung erfordert.
com! professional: Braucht man dann noch Netzbetreiber, die nur Spediteure von Daten sein werden?
Lurtz: Eines spricht sehr stark für die Netzbetreiber: Sie agieren lokal und sind bei Problemen im Vergleich zu den bekannten großen Internetkonzernen vor Ort und besser erreichbar, nicht nur für Kunden, sondern auch für Partner, die Anwendungen auf Basis von Vernetzung anbieten. Auch bei der Nutzung persönlicher Daten können Netzbetreiber mehr Vertrauen aufbauen. Abgesehen davon brauchen zukünftige Anwendungen natürlich stabile, sichere, leistungsfähige Netze. Somit bieten Netzbetreiber das Rückgrat für ein digitales und vernetztes System.

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