Digitalisierung
05.05.2017
Strategie-Diskussion
1. Teil: „Der deutsche Mittelstand im digitalen Wandel“

Der deutsche Mittelstand im digitalen Wandel

Digitalisierung im MittelstandDigitalisierung im MittelstandDigitalisierung im Mittelstand
Peshkova / shutterstock.com
88 Prozent der deutschen Firmen sehen die Digitalisierung als Chance. Trotzdem glauben rund 60 Prozent, dass der Wandel in ihrem Unternehmen nicht schnell genug vollzogen wird.
Rund 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland gehören zum Mittelstand. Sie sind der Erfolgsmotor der deutschen Wirtschaft. Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie stellen die Mittelständler fast 60 Prozent aller Arbeitsplätze im Land und erwirtschaften mehr als die Hälfte der Wertschöpfung. Die häufig inhabergeführten Firmen unterscheiden sich von Großkonzernen aber nicht nur durch ihre Größe, sondern häufig auch durch qualitative Besonderheiten wie hohe Flexibilität und Innovationskraft.
  • Quelle: Bitkom Research
Damit Deutschland sein Erfolgsmodell Mittelstand und seine Stellung als Exportweltmeister verteidigen kann, ist es erforderlich, dass sich Unternehmen verändern und die Weichen in Richtung Digitalisierung stellen. In vielen Unternehmen ist das längst bestimmendes Thema. Dass für einen Ausbau der Wettbewerbs­fähigkeit die digitalen Technologien weiterentwickelt und interne Prozesse und die Beziehungen zu Kunden und Lieferanten auf den Prüfstand gestellt werden müssen, haben viele Mittelständler verstanden.

Digitalisierung als Chance

Doch was genau heißt Digitalisierung? Und was heißt es für Unternehmen, sich damit auseinanderzusetzen? Die Berater von Deloitte liefern folgende Definition: „Digitalisierung bedeutet die Veränderung von Geschäftsmodellen durch die Verbesserung von Geschäftsprozessen aufgrund der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechniken.“ Digitalisierung ist also im Kern eine Strategie und eine Zukunftsorientierung.
Die IT-Branche etwa muss sich seit jeher immer wieder neu erfinden, um auf technologische Innovationen zu reagieren. Die digitale Transformation hingegen umfasst wesentlich mehr, so Harald Esch, Area Vice President Central Eu­rope beim Cloud-Anbieter Salesforce.com: „Sie beeinflusst alle Unternehmensbereiche von Marketing, Vertrieb, Service bis hin zu IT, sie verändert Wertschöpfungsketten in Unternehmen und sorgt für völlig neue Geschäftsmodelle.“ Die digitale Transformation ist seiner Ansicht nach ein kontinuierlicher Prozess, der Unternehmen und Gesellschaft bereits seit Jahren begleitet.
„Die Begriffswelt der Digitalisierung kann mittelständische Unternehmen natürlich erst einmal überwältigen, muss sie aber nicht“, weiß Dirk Beemelmanns, Business Development Manager beim IT-Systemhaus Bechtle. Seiner Erfahrung nach gibt es drei Gruppen von Unternehmen: Diejenigen, die die Veränderung wollen und antreiben. Diejenigen, die das Innovationspotenzial, das hinter der Digitalisierung steckt, noch gar nicht oder kaum kennen. Und diejenigen, die glauben, sie könnten das Thema nicht im eigenen Umfeld umsetzen, etwa weil ihre eigenen Produkte nicht digitalisierbar sind. „Im Mittelstand bewertet man eher im Einzelfall, wo eine Transforma­tion einen Mehrwert bringt oder der Profitabilität dient.“
2. Teil: „Digitalisierungs-Voraussetzungen von Firmen sind sehr unterschiedlich“

Digitalisierungs-Voraussetzungen von Firmen sind sehr unterschiedlich

Laut Werner Schwarz, Vice President Competence Center beim IT-Dienstleister Cancom, sind die Digitalisierungs-Vo­raussetzungen und -Anforderungen bei den Unternehmen meist sehr unterschiedlich. „Aber die Digitalisierung betrifft alle Branchen und umfasst alle Lebensbereiche, und genau diese zunehmende Vernetzung und damit auch steigende Komplexität kann dazu führen, dass Mittelständler oft nicht wissen, wo sie überhaupt anfangen sollen“, so Schwarz.
Die sichtbarsten und schon seit Jahren zum Standard gehörenden Zeichen des digitalen Wandels sind Smartphones und Tablets: So meldet sich zum Beispiel ein Handwerker auf einer Baustelle mit seinem Smartphone am IT-System der Firma und bestellt ein Ersatzteil. Oder ein Vertriebsmitarbeiter nutzt sein Tablet, um im Kundengespräch die aktuellsten Produktinformationen parat zu haben. Doch die Digitalisierung geht deutlich weiter: So werden mit der Industrie 4.0 neue Technologien Bestandteil der Produktion. Maschinen kommunizieren untereinander und Kunden und Partner werden in die Geschäftsprozesse integriert.
Cyber-physische Systeme (CPS, kleine Netzwerke aus Sensoren und Computern), smarte Fabriken und das Internet der Dinge – brauchen Unternehmen diese neue Technologien tatsächlich, um erfolgreich zu sein? Eigentlich stellt sich die Frage so gar nicht mehr, denn die neuen Technologien haben die Wirtschaft schon verändert. „Die Digitalisierung ist kein Trend im klassischen Sinn. Wir können uns nicht für oder gegen sie entscheiden – denn sie ist schon längst da und wird weiter zunehmen. Ob wir wollen oder nicht“, so Dirk Beemelmanns von Bechtle.
3. Teil: „Digitalisierung ist mehr als nur neue Technologie“

Digitalisierung ist mehr als nur neue Technologie

Auch nach Ansicht von Werner Schwarz von Cancom haben wir es bei der Digitalisierung mit mehr zu tun als einer neu entwickelten Technologie: „Mit der Digitalisierung sehen wir die Veränderung ganzer Branchen und Geschäftsmodelle durch IT. Viel mehr noch, die Menschen verändern ihre Lebens- und Nutzungsgewohnheiten in Bezug auf das Konsumieren von Produkten und Services.“ All das werde, so Schwarz, Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin nachhaltig verändern.
Für Harald Esch von Salesforce ist die Digitalisierung nur dort sinnvoll, wo man wirklichen Mehrwert in der Wertschöpfung erzielt. „Es gibt verschiedene Punkte im Unternehmen, die dadurch effizienter und zielgerichteter arbeiten können. Schaut man beispielsweise auf wiederkehrende Prozesse: Diese verschlingen wertvolle Zeit der Mitarbeiter, sind aber wichtig. Hier macht die Automatisierung von Prozessen Sinn.“
Die Möglichkeiten sind laut Esch mannigfaltig, man müsse aber herausfinden, was an welcher Stelle tatsächlich zweckmäßig ist. „Der Mittelstand bewegt sich aus meiner Erfahrung heraus mit Bedacht. Vielleicht nicht mit der Geschwindigkeit, die sich manche wünschen, aber dafür nachhaltig und robust.“
Als Treiber für die Digitalisierung gelten vor allem moderne Informations- und Kommunikationstechniken. Diese Treiber lassen sich zwei Kategorien zuordnen: Interne Treiber ergeben sich aus dem Unternehmen heraus, zu ihnen zählen etwa die Verbesserung der Prozesse oder die Optimierung der Kostenstruktur. Externe Treiber kommen aus dem Unternehmensumfeld, zum Beispiel als Anforderungen der Kunden, Veränderungen der Marktkonstellationen oder Verpflichtungen durch die Politik.
Der Schritt ins digitale Zeitalter sichert einem Unternehmen also seine Wettbewerbsfähigkeit in einem immer globaler werdenden Markt. Die Digitalisierung ist kein Kann, sondern ein Muss.
4. Teil: „Skepsis gegenüber der Transformation“

Skepsis gegenüber der Transformation

Vor diesem Hintergrund sind die Transformationsbestrebungen in mittelständischen Unternehmen noch ausbaufähig. Laut der Studie „Digitalisierungsindex Mittelstand“ der Deutschen Telekom und der Analysten von Techconsult schätzen aber immerhin knapp drei Viertel der deutschen Mittelständler das Thema Digitalisierung als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ ein. Dabei klafft eine Lücke zwischen den Branchen: Fertigungsunternehmen und Dienstleister gaben am häufigsten an, dass die Digitalisierung für ihr Unternehmen eine große Revelanz hat. Im Baugewerbe hingegen hält nur jedes fünfte Unternehmen das Thema für wichtig – Häuser zu bauen ist dann doch ein analoger Vorgang.
Auch wenn viele Unternehmen die Notwendigkeit der Digitalisierung erkannt haben – wenn es um die konkrete Umsetzung und den Einsatz von neuen Techniken wie dem Internet der Dinge geht, dann fällt vor allem eines auf: Zurückhaltung. Da wird meist erst einmal passiv beobachtet anstatt an vorderster Front mitzu­mischen.
Die Skepsis gegenüber der Transformation ist ja auch nicht ganz unberechtigt. So verändern sich durch die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft Unternehmensprozesse, die sich oft seit vielen Jahrzehnten kaum verändert haben: Produktionszyklen werden kürzer, neue Produkte kommen schneller auf den Markt und neue Player drängen auf angestammte Märkte.
  • Einsatz digitaler Technologien: Mangelnde IT-Kompetenzen der Beschäftigten stellen die größte Hürde dar.
    Quelle:
    KfW-Studie "Digitalisierung im Mittelstand" (August 2016)
Die Techconsult-Studie bescheinigt deutschen Mittelständlern einen durchschnittlichen Digitalisierungsindex von lediglich 52 von 100 möglichen Punkten. Der Index bildet sich anhand von 64 Kriterien – vom Betrieb einer eigenen Unternehmenswebseite bis hin zur Entwicklung neuer digitaler Produkte und Dienste. Die größten Anstrengungen hat der Mittelstand bislang im Bereich IT-Sicherheit und Datenschutz unternommen. Die Nachrichten und Enthüllungen über diverse staatliche Schnüffelaktionen, Millionenschäden durch Cyber­angriffe sowie rechtliche Vorgaben zu Datenschutz und Compliance schärfen das Bewusstsein der Unternehmen für die Sicherheitsproblematik. Hinzu kommt, dass die IT-Sicherheit von elementarer Bedeutung ist, ohne die weitere Digitalisierungsbestrebungen zum Scheitern verurteilt wären.
Drastisch formuliert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie den Stand der Digitalisierung. Die im November 2016 veröffentlichte Bilanz zum IT-Gipfel kommt zu dem Schluss, dass der Mittelstand in Sachen Digitalisierung unterdurchschnittlich abschneidet und die Bemühungen derzeit stagnieren. Es seien vielmehr vor allem Kleinstunternehmen, die die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft vorantreiben. Der Rückstand des Mittelstands könnte sich laut Bundeswirtschaftsministrium bis 2021 weiter vergrößern, denn für gut die Hälfte der kleinen und mittleren Unternehmen sei die Digitalisierung derzeit nicht Bestandteil der Geschäftsstrategie.
5. Teil: „Digitalisierung als lästige Pflicht“

Digitalisierung als lästige Pflicht

Da haben viele Unternehmen also noch einen weiten Weg vor sich. Das liegt möglicherweise auch daran, dass die Digitalisierung im wahrsten Sinne des Wortes Bauchschmerzen bereitet. Die Studie „Die Psychologie der Digitalisierung“ von Innovation Alliance, einem internationalen Netzwerk aus Technologie-Unternehmen, wollte herausfinden, wie sich die Digitalisierung für den Mittelstand anfühlt. Fazit: Für die meisten Entscheider ist sie eine lästige Pflichtveranstaltung. Dabei empfindet jeder dritte Entscheider beim Thema Digitalisierung Gefühle wie Angst und Einsamkeit. Schöne Seiten hat der digitale Wandel aber offenbar auch: Knapp zwei Drittel verbinden das Ganze mit dem Begriff Freude.
  • Für mehr als zwei Drittel der deutschen Mittelständler ist die Digitalisierung „wichtig“ beziehungsweise „sehr wichtig“.
    Quelle:
    Techconsult/ Deutsche Telekom "Digitalisierungsindex" (Juni 2016, n=1016 kleine und mittelständische Unternehmen)
Für Harald Esch von Salesforce ist der deutsche Mittelstand jedoch bereits viel digitaler als sein Ruf. Was aus seiner Sicht den Erfolg vieler Mittelständler ausmacht, ist deren bedachte Grundhaltung. „Und das ist nicht falsch, sollte man doch erst einmal eine Gesamtstrategie für das Unternehmen haben, bevor man einzelne Baustellen angeht.“
Und: Das Geschäft vieler Mittelständler läuft bestens – weshalb also nicht alles beim Gewohnten belassen? Dirk Beemelmanns bringt es auf den Punkt: „Ein erfolgreicher Unternehmer weiß, dass Stillstand langfristig Rückschritt bedeutet.“
Ähnlich sieht es Werner Schwarz von Cancom: „Der Druck zu Veränderungen kommt sowohl von Kundenseite als auch von Wettbewerbern und, nicht zu vernachlässigen, von den eigenen Mitarbeitern beziehungsweise den potenziellen Fachkräften von morgen.“
Gelungene Digitalisierung: Der Fotodienstleister CEWE setzt bereits seit einem Vierteljahrhundert auf digitale Produkte.
CEWE
Von der Dunkelkammer zum digitalen Fotobuch: CEWE
Die Oldenburger CEWE Stiftung gilt als Musterbeispiel für die erfolgreiche Digitalisierung.
Der Fotodruck war lange Zeit eine analoge Angelegenheit: Bilder wurden auf Filmpatronen geknipst, im Fotoladen abgegeben und in einem Labor entwickelt. Danach gingen die Negative und die Bilder zurück an den Kunden. Mit der Verbreitung von Digitalkameras und immer preisgünstigerer Farbdrucker war klar, dass klassische Fotodienst­leister es in Zukunft schwer haben würden.
Der Mittelständler CEWE hat bereits vor rund 25 Jahren erkannt, dass er auf die Digitalisierung setzen muss. Nach der Einführung der Foto-CD stellte CEWE 1997 die weltweit erste Annahme-Station für digitale Bilddaten in einem Fachgeschäft auf. Ein weiterer Schritt war 2005 die Einführung des Fotobuchs.
Der 1961 gegründete Fotodienstleister ist ein Musterbeispiel für ein Unternehmen, das sich im Zuge der Digitalisierung neu erfunden hat. Olaf Lies, niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, bezeichnete CEWE als „Blaupause“ für die Umsetzung der Digitalisierung.
6. Teil: „Digitalisierungs-Strategien“

Digitalisierungs-Strategien

Um den Digitalisierungsgrad zu erhöhen, müssen selbstverständlich auch die infrastrukturellen Voraussetzungen vorhanden sein. Das erklärte Ziel der Bundesregierung ist, dass bis 2018 eine flächendeckende Breitbandinfrastruktur von mindestens 50 MBit/s zur Verfügung steht.
Davon ist man noch weit entfernt: Laut der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Studie „Digitalisierung von Geschäftsprozessen“ der Technischen Universität Chemnitz erreichen gerade einmal 16 Prozent der Mittelständler eine vertragliche Internetanbindung ab 50 MBit/s. Zudem ist die tatsächliche Geschwindigkeit teils deutlich geringer als die vertraglich zugesicherte Leistung.
Hinzu kommt: Unternehmen fehlt oft das Know-how, zum Beispiel für den Betrieb komplexer Cloud-Umgebungen, die häufig Voraussetzung für eine Digitalisierung sind. Diese Lücke könnten laut Dirk Beemelmanns von Bechtle etwa Managed Services schließen. „Immer mehr deutsche Unternehmen setzen auf externe Hosting-Dienste. Firmen, deren Kernkompetenz nicht im IT-Bereich liegt, können damit oft eine Menge Geld einsparen.“
Harald Esch von Salesforce pflichtet dem bei: „Ja das stimmt, viele Unternehmen – und vor allem die kleinen – können diese Herausforderungen nicht allein lösen – dafür gibt es aber verlässliche Partner und Lösungen, die auch für kleine Unternehmen erschwinglich sind.“
Werner Schwarz von Cancom ist der Meinung, dass die Transformation nur gelingen kann, wenn Unternehmen sie zügig und konsequent angehen. Wer den Blick für die Kundenwünsche verliere, laufe Gefahr, dass ihm Wettbewerber oder branchenfremde Anbieter Marktanteile streitig machen: „Kurz: disrupt or be disrupted.“ Unternehmen sollten am Aufbau ihres digitalen Kerns arbeiten, dem „Digital Core“. Grundlage dieses digitalen Kerns sei die sichere Vernetzung etwa von Maschinen, Sensoren, Kunden und Mitarbeitern.
Übrigens: Den meisten Mitarbeitern dürfte die relative Trägheit ihrer Arbeitgeber in Bezug auf die Digitalisierung recht sein. Wie die „Berliner Zeitung“ im März aus einer bislang unveröffentlichten Umfrage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung berichtete, fürchten 81 Prozent der Menschen in Deutschland, dass durch die technologische Entwicklung immer mehr Menschen beruflich abgehängt werden. Knapp zwei Drittel der Befragten gehen sogar davon aus, dass die Digitalisierung mehr Jobs vernichtet als durch sie geschaffen werden.
Digitaler Tag: Ersetzt das Etikett durch ein Display.
Lufthansa Worldshop, Miles & More GmbH
Digitalisierung des Fliegens: Rimowa
Der Kofferhersteller Rimowa hat ein
intelligentes Gepäckstück entwickelt, das das Reisen digital macht.
Das Fliegen ist trotz moderner Techniken wie Online-Check-in noch immer recht kompliziert, etwa wenn man einen Koffer aufgeben möchte. Schuld daran ist der Kofferanhänger. Ausgestattet unter anderem mit einem Strichcode, dem Zielflughafen sowie mit dem Passagiernamen soll er dafür sorgen, dass ein Gepäckstück möglichst ohne Umwege seinen Weg findet.
Die Fluggesellschaften würden den Umgang mit den Koffern gern vereinfachen und beschleunigen, indem die Fluggäste ihre Gepäckanhänger bereits zu Hause ausdrucken. Doch das Vorhaben scheitert an einer einfachen Sache: Die Etiketten müssen nach geltendem Recht farbig sein – und nicht jeder Fluggast verfügt über einen Farbdrucker.
Rimowa, 2015 von der „Wirtschaftswoche“ als bester Mittelständler Deutschlands ausgezeichnet, hat für das Etikettenproblem eine digitale Lösung entwickelt: das Rimowa Electronic Tag. So funktioniert es: Koffer sind mit einem eingebauten Farbdisplay ausgestattet, das das Papieretikett ersetzt. Eine Smartphone-App sendet die Fluginformationen per Bluetooth an den Koffer, der auf dem Display das Etikett anzeigt. So lässt sich der Koffer ohne Umwege direkt am Flughafen abgeben. Unterstützt wird der digitale Koffer bereits von der Deutschen Lufthansa und der taiwanesischen Eva Air.
Warum sind farbige Gepäckanhänger überhaupt Pflicht? Alle Gepäckanhänger von Koffern, die innerhalb der Europäischen Union aufgegeben werden, sind an der Seite mit zwei grünen Streifen versehen. Sie zeigen dem Zoll an, dass ein Koffer an einem Flughafen in der EU aufgeben wurde, und ermöglichen so eine schnelle Unterscheidung von Gepäck, das von außerhalb der EU kommt.
7. Teil: „Interview mit Markus Humpert von Bitkom“

Interview mit Markus Humpert von Bitkom

  • Markus Humpert: Bereichsleiter Digitale Transformation bei Bitkom
    Quelle:
    Bitkom
Die digitale Transformation ist für mittelständische Unternehmen eine Herausforderung. Mit Markus Humpert, Bereichsleiter Digitale Transformation beim Digitalverband Bitkom, spricht com! professional darüber, was die größte Hürden sind und wie Unternehmen vom Wandel profitieren.
com! professional: Herr Humpert, wie stellt sich die digitale Transformation im Mittelstand aus Ihrer täglichen Praxis dar?
Markus Humpert: Die deutsche Wirtschaft bietet auf den ersten Blick das gewohnte Bild. International werden wir beneidet um unsere Autoindustrie, Logistikunternehmen und Maschinenbauer sind weltweit führend, wir haben innovative Elektronikunternehmen. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass sich in den vergangenen Jahren alles verändert hat. Beim Auto zum Beispiel geht es längst nicht mehr nur darum, das beste Getriebe zu bauen, es geht um digitale Fahrassistenten und die Einbindung des eigenen Fahrzeugs in intelligente Verkehrskonzepte. Und erfolgreiche Logistiker setzen auf intelligente Software, die Probleme auf Routen schon lange vor dem Menschen erkennt. Diese Veränderungen sind der Kern der digitalen Transformation.
com! professional: Herrscht bei den traditionell operierenden Unternehmen überhaupt Klarheit darüber, was Digitalisierung ist?
Humpert: Gerade im Mittelstand haben wir kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. So sehen nach einer Bitkom-Umfrage fast drei Viertel der mittelständischen Unternehmen in Deutschland die Digitalisierung als zentrale Herausforderung für ihr Unternehmen an. Doch mehr als die Hälfte gibt zugleich an, keine zentrale Digitalisierungsstrategie zu haben. Wichtiger als Begrifflichkeiten zu verstehen, ist es, neue Technologien praktisch zum Vorteil des eigenen Unternehmens einzusetzen.
com! professional: In der IT-Branche gab es doch schon immer neue Entwicklungen. Was macht die digitale Transformation so besonders?
Humpert: In der Vergangenheit hat die Digitalisierung für die Unternehmen in erster Linie eine Veränderung von Geschäftsprozessen bedeutet. Diese wurden schneller, günstiger, effizienter. Heute verändert die Digitalisierung die Geschäftsmodelle – und zwar in allen Branchen. Die Adaption neuer Technologien durch Kunden erfolgt deutlich schneller. Das Smartphone ist dabei nur das prominenteste Beispiel.
com! professional: Und aus welcher Richtung kommt der Druck zu Veränderungen – eher von der Kundenseite oder von Mitbewerbern?
Humpert: Sowohl als auch. Zukünftig werden sich Unternehmen nicht durch den Einsatz von neuesten Technologien differenzieren können, das wird eine Selbstverständlichkeit sein. Über den Erfolg entscheiden Service, Kundenerlebnis und generierter Nutzen. Neben den veränderten Kundenerwartungen senkt die Digitalisierung in vielen Bereichen auch die Makteintrittsbarrieren für branchenfremde Wettbewerber, die zusätzlich die Innovationsgeschwindigkeit erhöhen können.
com! professional: Das Geschäft vieler Mittelständler läuft bestens. Warum sollten sie sich eigentlich überhaupt um das Thema Digitalisierung sorgen?
Humpert: In der digitalen Welt gibt es eigentlich nur eine Konstante: Veränderung. Wer heute Global Player ist, kann morgen schon vom Markt verschwunden sein. Und wer gestern als Start-up angefangen hat, kann heute schon Weltmarktführer sein. Wer die Digitalisierung aus einer Position der Stärke angehen kann, der kann sie gestalten. Wer erst einmal mit dem Rücken zur Wand steht, weil die Geschäfte nicht mehr laufen, für den ist es womöglich schon zu spät.
com! professional: Was sind die größten Herausforderungen für Mittelständler? Wie kommen sie bei diesem Tempo mit und profitieren vom Wandel?
Humpert: Mittelständler stehen häufig ratlos vor dem Thema Digitalisierung. Die Digitalisierung ist so allumfassend, dass es vielen schwerfällt, sie zu durchblicken. Man müsste an so viele Stellen gleichzeitig handeln, dass man es am Ende lieber gleich ganz sein lässt. Dagegen hilft, nicht alles auf einmal zu wollen - dafür aber einfach anzufangen. Loslegen. Schritt für Schritt. Dabei kann der Mittelstand seine Stärken ausspielen: Flexibilität und Kundennähe.
com! professional: Viele Firmen haben keine große eigene IT-Abteilung im Haus. Wie sollen diese Unternehmen die Digitalisierung stemmen?
Humpert: Die digitale Transformation ist auch nicht die Aufgabe einer IT-Abteilung. Ganz am Anfang muss die Entscheidung stehen, die Digitalisierung im Unternehmen zur Chefsache zu machen. Was getan wird und was nicht, wie es getan wird, wer es macht – das alles sind strategische Entscheidungen, die auf oberster Ebene getroffen werden müssen.
Nur: Wie trifft man solche Entscheidungen, wenn man vielleicht selbst nicht so ganz weiß, wo die Chancen der digitalen Zukunft liegen und wo ihre Risiken? Denn viele Chefs im Mittelstand kennen sich in ihren bestehenden Absatzmärkten hervorragend aus, wissen über Konkurrenten und Zulieferer bestens Bescheid, aber neue Technologien, die erst morgen für die Unternehmen relevant werden, haben sie nicht so sehr auf dem Schirm. Dafür gibt es eine einfache Lösung: ein Team bilden und falls nötig externe Unterstützung einbeziehen. Die IT-Abteilung sollte dabei ein Spieler unter vielen sein.
com! professional: Die Digitalisierung erledigt sich nicht von heute auf morgen. Welches sind die wichtigsten Schritte?
Humpert: Es ist wichtig, geplant und Schritt für Schritt vorzugehen – ein Digitalisierungs-Team einrichten, eine Digitalstrategie entwickeln, den Mitarbeitern Digitalkompetenz vermitteln, moderne Technologien einsetzen, sich mit Kunden und Partnern austauschen und voneinander lernen, die Zusammenarbeit mit Start-ups suchen.
com! professional: Was meinen Sie – muss alles, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert werden?
Humpert: Es muss und kann vor allem nicht alles auf einmal digitalisiert werden. Deshalb braucht jedes Unternehmen eine individuelle Digitalstrategie, in der genau diese Entscheidungen getroffen werden. Digitalisierung darf nie Selbstzweck sein, sondern muss in einem klaren Nutzen für das Unternehmen, die Mitarbeiter und Kunden begründet sein.
com! professional: Welche Veränderungen stehen den Unternehmen beim Dauerthema digitaler Wandel noch bevor?
Humpert: In den kommenden Jahren werden uns die Themen Künstliche Intelligenz und autonome Systeme sicherlich stark beschäftigen. Auch das Thema Plattform-Ökonomie wird auf jeden Fall in vielen Branchen große Bedeutung haben. Wenn man bedenkt, dass wir vor etwas mehr als zehn Jahren noch nicht wussten, was ein Smartphone ist, wird aber auch eines deutlich: Wirklich vorhersagen lässt sich die digitale Zukunft nicht. Eine Digitalstrategie wird daher für jedes Unternehmen ein kontinuierlicher Prozess sein, keine einmalige Checkliste, die es abzuarbeiten gilt.

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