Big Data
28.02.2017
Organizational Intelligence
1. Teil: „Daten sind Produktionsmittel“

Daten sind Produktionsmittel

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Rawpixel.com / Shutterstock.com
Unternehmen, die gewonnene Daten als Produktionsmittel ansehen und effizient verwerten, können aus den Erkenntnissen von Big-Data-Analysen erhebliche Wettbewerbsvorteile erzielen.
  • Rado Kotorov, Chief Innovation Officer und Vice President Market Strategy bei Information Builders.
    Quelle:
    Information Builders
Rado Kotorov ist Chief Innovation Officer und Vice President Market Strategy beim Software-Haus Information Builders. Im Gespräch mit com! professional erklärt er, wie sich Analyse-Erkenntnisse in Wettbewerbsvorteile verwandeln lassen, und warum BI nur ein Teil der Lösung ist.
com! professional: Herr Kotorov, Sie haben zusammen mit Gerry Cohen ein Buch über „Organizational Intelligence“ geschrieben. Was macht Organisationen intelligent?
Rado Kotorov: Ähnlich wie das menschliche Gehirn verschie­dene Aufgaben in unterschiedlichen Bereichen verarbeitet, sind auch in einem Unternehmen verschiedene Abteilungen für unterschiedliche Aspekte der Wissensaneignung und -vermittlung zuständig. Organizational Intelligence verbindet diese Ebenen und hebt so den Gesamt-IQ eines Unternehmens.
com! professional: Das Konzept stammt aus den 1990er-Jahren. Warum ist es heute noch – oder wieder – relevant?
Kotorov: Manchmal muss man über den Hype hinausgehen und zu Konzepten zurückkehren, die sich bewährt haben. Auch wenn der Begriff schon älter ist, enthält er genau die richtige Idee: Man muss ein Unternehmen als ein System betrachten, das die gesamte Organisation umfasst.
com! professional: Wie unterscheidet sich Organizational Intelligence von Business Intelligence?
Kotorov: Business Intelligence ist nur ein Aspekt der Informationsgewinnung und -verarbeitung. Um faktenbasierte Entscheidungen treffen zu können, ist mehr notwendig. Das umfasst neben BI auch andere technische Bereiche wie Advanced Analytics und Decision Support, aber auch die Frage, wie die Unternehmenskultur den freien Informationsfluss unterstützt.
com! professional: Welche Vorteile bringt es, wenn Unternehmen Wissensvermittlung nach diesem Prinzip organisieren?
Kotorov: Das Entscheidende ist die Betrachtung des Unternehmens als Ganzes. Ich möchte dazu noch einmal die Analogie zum menschlichen Gehirn aufgreifen. Es kann nur dann seine Höchstleistung bringen, wenn alle Gehirnbereiche funktionieren und zusammenarbeiten. Ist beispielsweise der Frontallappen geschädigt, kann der Betroffene nicht mehr planen. Ähnlich ist es in einem Unternehmen. Getrennte Analysesysteme haben sicher ihre Berechtigung und erfüllen ihren Zweck, aber wenn Informationen zu Schlüsselfaktoren werden, kann nur eine abteilungsübergreifende Datenverarbeitung und -analyse wirkliche Mehrwerte erzeugen.
com! professional: Unterstützen aktuelle BI-Werkzeuge das?
Kotorov: Nein, es klafft eine Lücke zwischen den Analyse-Ergebnissen und ihrer operativen Nutzung. Die meisten Unternehmen haben eine Menge gründlich analysierter Informa­tionen, aber sie verdienen damit kein Geld.
com! professional: Sie haben erwähnt, dass sich dazu auch die Kultur im Unternehmen wandeln muss. Wie gelingt das?
Kotorov: Wir haben in den vergangenen hundert Jahren in den Business Schools dieser Welt gelehrt, wie man physische Produktionsfaktoren verwaltet. Nun müssen Unternehmen lernen, wie man digitale Assets managt. Nur so lassen sich langfristig Wettbewerbsvorteile schaffen. Nehmen Sie nur das Beispiel Uber. Jedes Taxiunternehmen, jeder Limousinen-Service hat diese Daten, aber keiner ist auf die Idee gekommen, da­raus ein neues Geschäftsmodell zu machen und die vorhandenen Informationen zu monetarisieren. Die Frage lautet deshalb: Wie kann man die Geisteshaltung so ändern, dass Mitarbeiter Daten als ein Produktionsmittel erkennen, mit dem sich Geld verdienen lässt? Das ist der Schlüssel zu allem.
2. Teil: „Mitarbeiter müssen Daten als ein Produktionsmittel erkennen“

Mitarbeiter müssen Daten als ein Produktionsmittel erkennen

com! professional: Wer muss diesen Wandel in Gang bringen?
Kotorov: Der Impuls muss aus dem Top-Management kommen. So wie Unternehmen ihre Supply Chain planen, sollten sie auch das Thema Organizational Intelligence angehen. Es geht darum, funktionierende, standardisierte und wiederholbare Prozesse einzuführen.
com! professional: Gerade Wissensarbeiter neigen dazu, Informationen für sich zu behalten, weil sie glauben, so unentbehrlich zu sein. Wie motiviert man sie, ihr Wissen preiszugeben?
Kotorov: Das ist in der Tat ein großes Problem. Es schlummert viel stilles Wissen in den Köpfen. Wenn der Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, ist dieses Wissen verloren. Das stille Wissen zu aktivieren, ist Teil der Organizational Intelligence.
com! professional: Ein Problem, vor allem von Selfservice BI, ist, dass verschiedene Abteilungen auf unterschiedliche Daten zugreifen und daher zu voneinander abweichenden Ergebnissen kommen. Wie wichtig sind hier Datenmanagement und Data Governance für die Operational Intelligence?
Kotorov: Wenn Analystenteams unabhängig voneinander Daten bearbeiten und bewerten, führt das zum Chaos. Jede operativ wirksame Anwendung benötigt zwingend Datenmanagement und Data Governance. Man kann es sich nicht leisten, Entscheidungen in Echtzeit auf falschen Daten zu treffen.
com! professional: Es ist also entscheidend, die Datenqualität durchgängig sicherzustellen?
Kotorov: Daten sind Rohmaterial, aus dem wirtschaftlich verwertbare Erkenntnisse entstehen, und sie sollten deshalb nicht anders behandelt werden als andere Ausgangsprodukte in der Produktion. Allerdings glaube ich, dass viel zu sehr über Datenqualität und viel zu wenig über die Validität der Berechnungen geredet wird. Es ist mindestens genau so gefährlich, aus perfekt aufbereiteten Daten falsche Schlüsse zu ziehen, wie auf einer unzureichenden Datenbasis zu agieren.
com! professional: Birgt nicht gerade Selfservice BI die Gefahr solcher Fehlinterpretationen?
Kotorov: Absolut, manche glauben, wir müssten die Analysten nicht mehr ausbilden, weil die Tools so einfach zu bedienen sind. Das ist Wahnsinn.
com! professional: Was folgern Sie daraus?
Kotorov: Wir meinen, dass jeder Analyst für die Wissensebene, auf der er arbeitet, zertifiziert werden muss. Wir verlassen uns bei wichtigen Entscheidungen immer mehr auf diese Menschen, wissen aber oft gar nicht, was sie überhaupt wissen.
com! professional: Wird in einem Unternehmen, das Organizational Intelligence lebt, nicht jeder Mitarbeiter in gewisser Weise zum Datenanalysten?
Kotorov: Nein, wenn man jeden Mitarbeiter zum Datenanalysten machen würde, käme die Produktion zum Erliegen. Es gibt eine schöne Studie aus dem Jahr 1995. Die britische Regierung gab damals jedem Mitarbeiter Zugang zu Excel und die Produktivität sank um 50 Prozent.
com! professional: Aber ist nicht jeder Teil des Informationsflusses und der Informationsverarbeitung?
Kotorov: Ja, aber wir müssen zwischen verschiedenen Ebenen und Aufgaben unterscheiden. Ein Manager sollte seine Zeit nicht damit verbringen, selbst Reports zu erstellen, er hat mit der Interpretation der Analyse-Ergebnisse genug zu tun. Ist es die Aufgabe eines Fahrers bei DHL, seine Route selbst zu optimieren? Sicher nicht. Soll ein Arzt Untersuchungsdaten in Excel eingeben und dort analysieren? Nein, er soll Patienten behandeln. Wir brauchen eine klare Unterscheidung zwischen den Mitarbeitern, die Daten analysieren, jenen, die Schlüsse daraus ziehen, und denen, die sie operativ umsetzen.
com! professional: Gibt es Organisationen, die dieses Konzept bereits verwirklicht haben?
Kotorov: Ja, wir haben in unserem Buch viele Beispiele gesammelt, darunter Automobilhersteller, Banken, Lebensmittelkonzerne, aber auch kirchliche Einrichtungen.
Zwar stammen derzeit die Beispiele noch vornehmlich aus den USA. Wir planen aber eine zweite Aus­gabe, in der wir auch Organisa­tionen aus Europa und Japan berücksichtigen wollen.

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