Business-IT
07.10.2016
Revolutionär?
1. Teil: „Die Blockchain als Business-Treiber“

Die Blockchain als Business-Treiber

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AntartStock / Shutterstock.com
Die Blockchain-Technologie ermöglicht neue Geschäftsmodelle und birgt erhebliche Effizienzsteigerungen für die Wirtschaft. Allerdings gilt es auch die Risiken der Technologie im Auge zu behalten.
  • Quelle: World Economic Forum
Erstmals in die Schlagzeilen rückte die Blockchain-Technologie als Grundlage der Kryptowährung Bitcoin. Im Kern ist sie nichts anderes als ein webbasiertes, dezentrales, öffentliches Buchhaltungssystem.
Ursprünglich war die Idee einer verteilten, kryptografisch abgesicherten Transaktionsabwicklung teils misstrauisch beäugt, teils überheblich belächelt worden. Mittlerweile konnten aber zahlreiche Start-ups in der Fintech- und Insurtech-Szene den Nutzen der Technologie als technischen Unterbau für ihre neuartigen Geschäftsmodelle nachweisen.
Das Potenzial der Blockchain-Technologie wird vor allem darin gesehen, Ineffizienzen im Prozess der Transaktionsabwicklung auszumerzen. In der Start-up-Szene ist von Robobanking, P2P-Geldanlagen, P2P-Versicherungen, P2P-Krediten und anderen derartigen Geschäftsmodellen für Transaktionen ohne einen Vermittler die Rede. Auch etablierte Finanzinstitute erhoffen sich massive Einsparungen durch den Wegfall von Rechnungsprüfern, Clearinginstituten und anderen Zwischenstellen.
Blockchain-verwaltete Vermögenswerte belaufen sich mittlerweile auf die stolze Gesamtsumme von 1,6 Milliarden Dollar weltweit, das Wachstum zwischen 2013 und 2016 betrug satte 1600 Prozent. Und mehr als 1,4 Milliarden Dollar Venture Capital ist in den letzten drei Jahren in Start-ups aus der Blockchain-Szene hineingeflossen.

Smarte Verträge

Zu den wichtigsten Alleinstellungsmerkmalen der Blockchain-Technik gegenüber anderen Systemen der Informa­tionsverarbeitung zählt ihre Fähigkeit, sogenannte smarte Verträge zu erfassen und ihre Ausführung durchzusetzen. Solche Verträge enthalten Daten und selbstausführenden Code. Diese Informationen ruhen in der Blockchain, bis ein festgelegtes Auslöse-Ereignis eintritt. Zu den vielversprechendsten Geschäftsmodellen für Smart Contracts zählen:
  • die direkte Abwicklung von P2P-Transaktionen, also ohne eine zentrale Abrechnungsstelle
  • die Ausführung smarter Verträge zwischen zwei und mehr Parteien mit automatischen Zahlungsvorgängen ohne die Notwendigkeit eines Treuhand-Accounts
  • Transaktionsbuchführung und Speicherung von Handelsdaten für eine vereinfachte Buchrevision
  • ein Verzeichnis von Eigentumsrechten, zum Beispiel ein öffentliches Kataster für Immobilien oder ein Register für Luxusgüter und Kunstwerke; sichere Nachverfolgung des Transfers von Vermögenswerten
  • die notarielle Beglaubigung von Dokumenten durch das Einbetten von Informationen über diese Dokumente in einer öffentlichen Blockchain
  • nutzungsabhängige Lizenzmodelle für die Musik-, Software- und Filmindustrie, aber auch für das Leasing oder den Verleih von Fahrzeugen und anderen Gütern
  • die Umsetzung kognitiver, also lernfähiger Wertschöpfungsketten im Rahmen von Industrie 4.0 und IoT mit vollständiger Transparenz des dezentralen Kassenbuchs (Ledger)
Viele dieser Einsatzszenarien sind zwar noch größtenteils ungetestet, die ersten Erfahrungen sind jedoch ermutigend.
2. Teil: „Blockchain im Finanzsektor“

Blockchain im Finanzsektor

  • P2P-Kreditvergabe leicht gemacht: Der Blockchain-basierte Dienst Bitbond visualisiert laufende Bitcoin-Transaktionen – im Bild leiht ein anonymer deutscher Nutzer einem Kanadier 0,50 Bitcoins (rund 270 Euro).
Das Feld, auf dem die Blockchain-Technik bisher den stärksten Eindruck hinterlässt, ist eindeutig der Finanzsektor. Hier sind die Anwendungen am weitesten und vielfältigsten entwickelt, hier geht es bereits um große Summen und nicht nur um Nischenangebote. Einige Beispiele sollen das illustrieren.
Crowdlending: Wer einen Kredit beantragen möchte, muss längst nicht mehr zur Bank gehen: P2P-Kreditvergabeunternehmen machen es möglich. Bereits heu­te liegt das weltweite P2P-Kreditvolumen bei mehr als 50 Milliarden Dollar. In Deutschland wurden schon 660 Millionen Euro per Crowdlending vergeben. Und in der Schweiz hat sich das Crowdlending-Volumen vergangenes Jahr von 3,5 auf 7,9 Millionen Franken nahezu verdoppelt, wie das Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der Hochschule Luzern festgestellt hat. Studienleiter Andreas Dietrich prognostiziert eine weitere Verdoppelung für das laufende Jahr. Blockchain-Technologie dürfte dieser aufkeimenden Industrie einen enormen Wachstumsschub verleihen.
IBM Global Financing Unit: Als System zur Nachverfolgung von Transaktionen hat sich die Blockchain-Technologie bei IBM bewährt. IBMs Global Financing Unit verarbeitet jedes Jahr Verbindlichkeiten des Konzerns im Wert von 2,9 Millionen Dollar und zeichnet für die Vergabe von Krediten an über 4000 Zulieferer verantwortlich. Dank der Blockchain soll es IBM gelungen sein, die Streitschlichtung von 40 Tagen auf zehn Tage zu reduzieren und rund 100 Millionen Dollar an zuvor gebundenem Kapital für andere Zwecke frei zu machen.
Allianz Risk Transfer AG: Zu den Vorreitern der Blockchain-Technologie zählt auch der Versicherungskonzern Allianz, der 2015 über 152 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete. Da die eingezahlten Prämien am Kapitalmarkt angelegt werden müssen, um im Versicherungsfall Auszahlungen zu gewährleisten, gehört die Allianz auch zur Weltspitze der Vermögensverwaltungen mit mehr als 1,24 Billionen Euro Kapital.
Die Blockchain-Technik hat der Konzern in einem Pilotprojekt seiner Tochter Allianz Risk Transfer AG mit der Investmentfirma Nephila Capital getestet. Konkrekt ging es um Smart Contracts für Katastrophen-Anleihen und Katastrophen-Swaps. Diese beiden Finanzvehikel übertragen beim Auftreten einer vorab definierten Katastrophe das Risiko auf einen Dritten. Tritt das Ereignis ein, springen die Anleihen-Gläubiger für den Versicherer ein, ansonsten verdienen sie.
Durch Wegfall der „menschlichen Intervention“ in der Ausführung derartiger Verträge verspricht sich die Allianz geringere Schnittstellenverluste und eine niedrigere Fehlerrate bei gleichzeitig steigender Geschwindigkeit und Effizienz. Die geringen Transaktionskosten sollen es erlauben, Risiken auf Investoren auszulagern und sich zudem gegen die Nichterfüllung dieser Verträge abzusichern. Bei Blockchain-gestützten Katastrophen-Anleihen könnten sogar Vermittlungs- und Überwachungsfunktionen, wie sie derzeit von Banken, Vermittlern, Rechnungsprüfern und Clearingstellen wahrgenommen werden, in Software-Code übertragen werden.
Blockchain-Konsortium: Unter dem Dach des Fintech-Start-ups R3 haben sich Finanzinstitute aus aller Welt zusammengeschlossen, um die Zusammenarbeit der Finanzbranche in puncto Blockchain zu fördern und Standards für Blockchain-basierte Lösungen zu erarbeiten. Die Banken versprechen sich davon eine schnellere und effizientere Abwicklung des Interbankenhandels bei deutlich niedrigeren Arbeitskosten, da eine zentrale Buchungsstelle überflüssig werden könnte. Mitglieder des Konsortiums sind unter anderem Deutsche Bank, Commerzbank und UBS.

Buchführung für Industrie 4.0

Heutzutage werden alle Transaktionen, die in der Wirtschaft stattfinden, intern in proprietären Hauptbüchern einzelner Marktteilnehmer aufgezeichnet. Das volle Potenzial der Blockchain komme aber erst dann zum Tragen, wenn die Buchführung die Grenzen dieser Ökosysteme überschreite, schreibt IBM in einer aktuellen Studie (Fast forward: Rethinking enterprises, ecosystems and economies with blockchains, IBM Institute for Business Value, 2016).
Das HyperLedger-Projekt der Linux Foundation, dem auch die Deutsche Börse und SWIFT angehören, soll diese integra­tive Buchführung ermöglichen. IBM erhofft sich eine Automatisierbarkeit sämtlicher Vorgänge entlang der Wertschöpfungskette mit Hilfe kognitiver IoT-Systeme. Gemeint sind etwa RFID-bestückte Bauteile, Fertigungsroboter, Messinstrumente, Windturbinen, autonome Fahrzeuge und andere fernsteuerbare Elektronik. Die sollen nach Vorstellung von IBM an sein KI-System Watson angebunden werden und so betriebsübergreifende Optimierungen der Wertschöpfungskette vornehmen können. Das hätte laut IBM etliche positive Effekte:
  • Kostensenkungen durch die gemeinsame Nutzung von Lagerkapazitäten, LKW-Flotten oder Schiffscontainern
  • bessere Bedarfsprognosen von Herstellern und Händlern
  • Einschätzung der künftigen Zahlungsfähigkeit eines Lieferanten durch Finanzinstitute aufgrund seiner Erfolgsbilanz
  • bessere Verfolgung der Herkunft von Waren durch Regulierungsbehörden dank Blockchain-gestützter Frachtbriefe
Klar ist aber auch: Zu den Nutznießern der Buchführung auf Blockchain-Basis und der damit verbundenen umfassenden Transparenz sämtlicher Vorgänge werden viel eher Großkonzerne gehören als mittelständische Zulieferer und kleinere Unternehmen. Konsumenten können deshalb auch kaum mit günstigeren Endverbraucherpreisen rechnen.
3. Teil: „Schwachstellen und Risiken der Blockchain“

Schwachstellen und Risiken der Blockchain

Bei allem erwiesenen Potenzial weist die Blockchain-Technologie immer noch Kinderkrankheiten auf. Und sie bringt neuartige Risiken ins Spiel. In Deutschland beobachtet deshalb die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Fintech-Innovationen rund um die Blockchain mit höchster Aufmerksamkeit. Dazu BaFin-Präsident Felix Hufeld: „Die Aufsicht muss bei der Zulassung von Innovationen immer auch Aspekte wie beispielsweise den Verbraucherschutz und die Geldwäschevorschriften berücksichtigen.“
  • Digitales Geld abheben: Iliana Oris Valiente, Mitgründerin von Rubix, dem Blockchain-Solutions-Zweig der IT-Beratung Deloitte, übergibt einen Bitcoin-Bankautomaten der Öffentlichkeit.
    Quelle:
    Foto: Deloitte
Richard Lumb, Group Chief Executive Financial Services bei der IT-Beratung Accenture, wiederum prognostiziert, dass sich die Unveränderlichkeit der Blockchain, die als Schutz vor Manipulationen gepriesen wird, „als ihr eigener schlimmster Feind erweisen“ könnte. Er glaubt, dass selbst Smart Contracts anfällig sind für menschliche Fehler und auch die ausgefeiltesten IT-Architekturen zu Ergebnissen führen können, deren Auswirkungen rückgängig gemacht werden müssten.
Darüber hinaus lässt sich seiner Meinung nach die Unveränderlichkeit der Blockchain ohnehin nicht mit geltendem Recht vereinbaren, etwa mit dem „Recht auf Vergessenwerden“, das heißt dem Recht der Verbraucher auf Privatsphäre und auf Selbstbestimmtheit, das EU-Bürgern zusteht.
Andere Experten, etwa die Forscher Ittay Eyal und Emin Gün Sirer von der Cornell University, warnen dagegen davor, zu sehr auf die Unveränderlichkeit der Blockchain zu ver­trauen. Sie haben schon vor Jahren bewiesen, dass Angreifer – zumindest theoretisch – mit sogenannten Selfish-Mining-Attacken die Rechenkraft eines Blockchain-Netzwerks übernehmen können, um anschließend Transaktionen rückgängig zu machen und andere Benutzer zu bestehlen.   
Auch ein technisches Problem ist noch ungelöst: Der Schwierigkeitsgrad der Blockchain-Berechnungen nimmt mit zunehmender Länge der Blockkette, also mit wachsender Anzahl erfolgter Transaktionen, stark zu. Dadurch sind mehr Rechenkraft und mehr Zeit für die Durchführung der Transaktion erforderlich und der Energiebedarf steigt. Zum Vergleich: Das Mining-Netzwerk hinter der digitalen Währung Bitcoin verarbeitet heute gerade einmal rund 225.000 Transaktionen pro Tag, und das zum Teil mit Verzögerungen von bis zu einer halben Stunde.
Analysten zufolge ließe sich das Problem der geringen Skalierbarkeit zwar durch ein zugangsbeschränktes System mit einer limitierten Anzahl von Knoten mildern. Dafür wäre allerdings eine zentrale Legitimationsstelle notwendig, die die Blockchain-Teilnehmer als vertrauenswürdig einstuft. Das aber würde in den Augen einiger Befürworter der Blockchain viele ihrer Vorteile zunichtemachen.
Besonders harsch geht Mike Hearn, einer der lange Zeit wichtigsten Bitcoin-Entwickler, mit den Unzulänglichkeiten der Blockchain-Technologie ins Gericht. Für ihn ist Bitcoin bereits gescheitert – und er glaubt auch, den Schuldigen zu kennen: „Was eine neue, dezentrale Form von Geld werden sollte, die ganz ohne systemrelevante Institute und ohne die Problematik des „too big to fail“ auskommen sollte, scheiterte, weil es an funktionierenden Sicherheitsmechanismen mangelt.“ Das Bitcoin-System werde von einer Handvoll Leute kontrolliert, bemängelt Hearn. Schlimmer noch, das Bitcoin-Netz sei am Rande des technischen Kollapses. „Die Mechanismen, die dieses Ergebnis hätten verhindern sollen, haben versagt. Daher gibt es keinen guten Grund mehr, zu glauben, dass das Bitcoin-System besser sein könnte als das bestehende Finanzsystem“, schlussfolgert Hearn.

Fazit zu Blockchain

In der Blockchain-Technik stecken noch ernst zu nehmende Risiken. Insider und Beobachter sind sich dennoch einig: Sollten die Anbieter der Distributed-Ledger-Plattformen tatsächlich die Ärmel hochkrempeln, um die konzeptionellen Schwachstellen der Blockchain zu beheben, wird sich die Technologie auf breiter Front durchsetzen und der gesamten Wirtschaft eine erfrischende Brise Effizienz in die Segel blasen und zahlreiche Branchen verwandeln. Viele etablierte Geschäftsmodelle stehen vor einer Generalüberholung. Die Pioniere der Fintech- und Insurtech-Branchen haben es vorgemacht: Durch die Blockchain können Unternehmen ihre Kostenstruktur völlig neu definieren und Kundennähe ganz neu entdecken.

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