Blockchain
01.09.2017
Smart Contracts
1. Teil: „Die Blockchain automatisiert das Vertragswesen“

Die Blockchain automatisiert das Vertragswesen

Blockchain automatisiert den Vollzug von VerträgenBlockchain automatisiert den Vollzug von VerträgenBlockchain automatisiert den Vollzug von Verträgen
a-image / shutterstock.com
Smarte Verträge lassen Geschäfte ohne menschliches Zutun selbstständig ablaufen. Außerdem punktet die Technologie mit Manipulations-Sicherheit und lückenloser Nachverfolgbarkeit.
  • Transparenz bei Lebensmitteln: Smarte Verträge sollen es dem Endverbraucher ermöglichen, die Herkunft von Produkten zu kontrollieren – und sich zum Beispiel zu vergewissern, dass faire Löhne gezahlt werden.
Starre Verträge auf Papier und ihre digitalen Entsprechungen in PDF-Form sollen bald der Vergangenheit angehören. „Die juristische Branche muss sich auf den seit Jahrhunderten größten Paradigmenwechsel gefasst machen“, erklärt Peter Hunn, Gründer des Start-ups für juristische Dienstleistungen Clause.io. Er geht davon aus, dass neue Technolo­gien „das Vertragswesen und kommerzielle Transaktionen gleichermaßen fundamental verändern“. Datengetriebenes Krypto-Vertragswesen – smarte Verträge (Smart Contracts) – sollen Wirtschaft und Gesellschaft bald einen neuen Leistungsschub verleihen.
Dank smarter Verträge sei es für Unternehmen unter anderem möglich, „Produkte mit geringem Aufwand hochfrequent anzupassen“, sagt Jürgen Stoffel, Managing Director IT bei der Rückversicherung Hannover Re. Dies sei für adaptive Produkte und Dienstleistungen, die sich automatisch an den sich wandelnden Bedürfnissen der Kunden ausrichten, von elementarer Bedeutung.

Blockchain-Verträge

Smarte Verträge sind Software-Anwendungen, die auf der Basis vorgegebener Regeln im Rahmen einer zuvor getroffenen Vereinbarung zwischen Vertragsparteien autark handeln und alle relevanten Ereignisse in einer gemeinsamen Kette aus Datenblöcken (Blockchain beziehungsweise Distributed Ledger Technology, DLT) kryptografisch beglaubigt aufzeichnen. Eine mögliche Übersetzung des Begriffs Distributed Ledger ist laut Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin „verteilte Hauptbücher“. Distributed Ledger sind  demnach eine Art von öffentlichen, dezentral geführten Kontobüchern, und DLT ist das technologische Rahmenwerk für deren Einsatz.
So können beispielsweise IIoT-Produktionsanlagen im Rahmen eines smarten Vertrags selbst Bestellungen von Ersatzteilen aufgeben oder mit Lieferanten über die Zustellung von Rohmaterial verhandeln. Die resultierende Blockchain liegt dann dezentral bei vielen Marktteilnehmern und wird von diesen kryptografisch beurkundet. So sollen Manipulationen, wenn nicht völlig unmöglich gemacht, so doch stark erschwert werden. „Die Blockchain ist ein sehr leistungsstarkes Werkzeug, wenn es darum geht, nachzuweisen, dass etwas nicht gefälscht oder verändert wurde“, sagt der Smart-Contracts-Pionier und Geschäftsführer von Global Financial Assets Nick Szabo.
Smarte Verträge bestehen aus ausführbarem Programmiercode. Smarte Verträge und Bündel von smarten Verträgen verhalten sich wie autonome Agenten. Im Prinzip könnte ein Unternehmen, „angekettet an eine Blockchain, (lediglich) aus einem Haufen smarter Verträge und autonomer Agenten“ bestehen, meint Don Tapscott, Mitgründer und Geschäftsführer des Blockchain Research Institute. Eine solche Firma würde komplett ohne Menschen auskommen, sie brauchte „weder einen Geschäftsführer noch sonstiges Management noch irgendwelche anderen Mitarbeiter“, so Tapscott weiter.
Eines der ersten Vorhaben dieser Art ist letztes Jahr allerdings schiefgegangen. The DAO (Decentralized Autonomous Organization) sollte zum Vorbild für Effizienz werden: ein Unternehmen ohne physischen Sitz, ohne einen Chef und ohne Mitarbeiter. The DAO bestand aus smarten Verträgen auf Basis der Ethereum-Blockchain, die sämtliche Geschäftsabläufe des Unternehmens regeln sollten.
Das Geschäftsmodell war denkbar einfach und scheinbar übersichtlich. Die Mitglieder sollten darüber abstimmen, wie das eingesammelte Kapital mit Hilfe smarter Verträge in diverse Start-ups und Produkte zu investieren sei, um so einen Ertrag zu erwirtschaften – kurz: Wagniskapital auf der Ethereum-Blockchain. Mit seiner Crowdfunding-Finanzierungskampagne hat das staatenlose Start-up Rekorde gebrochen. Doch dann wurde binnen weniger Tage in dem quelloffenen Code des smarten Vertrags, der The DAO zugrunde lag, eine gravierende Verwundbarkeit gefunden. Diese wurde, noch bevor sie behoben werden konnte, ausgenutzt: Es gelang einem Benutzer, etwa ein Drittel des Gründungskapitals auf ein Nebenkonto abzuzweigen.
Damit war das Ende von The DAO besiegelt. Die Ethereum-Gemeinde musste abstimmen und hat entschieden, die Transaktion – weil betrügerisch – entgegen den Richtlinien rückgängig zu machen.
Smarte Verträge: Vorteile und Risiken
Smarte Verträge auf Blockchain-Basis haben aus Sicht der Unternehmen sowohl Vor- als auch Nachteile.
  • Kostensenkungen: Durch den Verzicht auf einen Mittelsmann entfällt ein relevanter Kostenpunkt sowohl bei der Transaktionsabwicklung als auch bei der betriebsinternen Verwaltung von Verträgen. Das Risiko dabei: Diese Kosten­senkungen werden an Geschäftspartner möglicherweise nicht weitergegeben. Unternehmen mit einer geringen Hebelwirkung gegenüber ihren Kontrahenten ziehen da möglicher­weise den Kürzeren.
  • Zeiteinsparungen und Effizienzsteigerungen: Die Digitalisierung aller Vorgänge vereinfacht die softwaregesteuerte Nachverfolgung der verschiedenen Abläufe im Rahmen vertraglicher Beziehungen. Das Risiko dabei: Bei KMUs können diese Entwicklungen dazu führen, dass qualifizierten Mitarbeitern gekündigt werden muss, weil sich ihre Arbeitsplätze angesichts der Unternehmensgröße nicht mehr rechtfertigen lassen. Bei unvorhergesehenen Ereignissen liegen dann keine Handlungsrichtlinien vor und zugleich fehlt Personal.
  • Minimierung von Fehlern: Softwaregestützte Überwachung von Abläufen im Rahmen eines smarten Vertrags senkt die Fehlerrate bei der Durchsetzung verbindlicher Abwicklungstermine und anderer Klauseln. Das Risiko dabei: Vertragspartner können durch Buchhaltungstricks Fehler mehr oder weniger unbemerkt durchgehen lassen.
  • Lückenlose Nachverfolgbarkeit und Prüfbarkeit vertragsrelevanter Ereignisse: Die Distributed-Ledger-Technologie  ermöglicht die Umsetzung IoT- beziehungsweise IIoT-gestützter Performance-Benchmarks und unterstützt die Durchführung rein maschineller Audits. Das Risiko dabei: Größere Unternehmen können massive Rechenleistung für die KI-gestützte Analyse umfassender Datenbestände ihrer IoT-getriebenen Geschäftsabläufe im Rahmen von smarten Verträgen zurate ziehen, während dem Mittelstand unter Umständen nicht genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, um die Kosten solcher Systeme zur Echtzeit-Optimierung der Vertragsabwicklung unter Einhaltung von Datenschutzrichtlinien zu tragen.
2. Teil: „Verteilte Ketten“

Verteilte Ketten

Die verteilte Natur einer Blockchain, die bei smarten Verträgen die Konsensfindung und die Manipulationssicherheit sicherstellen soll, erschwert gleichzeitig die Anbindung smarter Verträge an externe Schnittstellen (APIs, Application Programming Interface). Es geht zwar, aber nur über Umwege.
Das Start-up SmartContract.com möchte Unternehmen dabei unterstützen, diese Herausforderungen der Interoperabilität ihrer smarten Verträge mit Hilfe einer Technologie namens ChainLink in den Griff zu bekommen. Mit SWIFT, dem World Economic Forum, Gartner und anderen hat das Unternehmen kompetenzstarke Partner gefunden, um smarten Verträgen den Praxisschliff externer Konnektivität zu geben. Mit ChainLink können Unternehmen ihre smarten Verträge an die Blockchains Ethereum, Bitcoin und Hyperledger sowie eine Vielzahl relevanter APIs anbinden – von IoT-Plattformen über Zahlungssysteme und Börsenplätze bis hin zu Backend-Systemen wie SAP oder Salesforce.
Unternehmen überwachen so beispielsweise den Weg von Rohstoffen, finalen Produkten oder Ersatzteilen entlang der Lieferkette per GPS. Bei der Anlieferung am Ziel löst der smarte Vertrag die vereinbarte Zahlung automatisch aus. 
Eine offene Entwicklungsplattform zur Einbindung smarter Verträge an Ökosysteme geschäftlicher Anwendungen rund um das Lieferanten-, Supply-Chain- und Asset-Management hat Monax Industries entwickelt. Die Monax-Plattform ist kostenfrei und quelloffen. Lediglich Premium-Support und IT-Dienste schlagen zu Buche. Zu den Benutzern von Monax-Lösungen zählen unter anderem die Consulting-Agenturen Deloitte, PwC und Accenture.

Konsortien schaffen Standards

Inzwischen gibt es einen Konsens über die Notwendigkeit von Standards, um die Implementierung von smarten Verträgen zu erleichtern. Zu diesem Zweck haben sich bereits eine Reihe von Konsortien gebildet. Das Interesse daran ist enorm. R3, das bisher größte DLT-Konsortium von Banken und Versicherern, erhielt kürzlich eine Finanzspritze in Höhe von 107 Millionen Dollar. Hinter R3 stehen unter anderem die Commerzbank, die Deutsche Bank, Credit Suisse und UBS.
Aus Clause.io ist kürzlich das erste Konsortium speziell für rechtsverbindliche smarte Verträge hervorgegangen. Die Ini­tiative nennt sich Accord Project und rühmt sich bereits namhafter Unterstützer. Dabei sind etwa das Hyperledger Project der Linux Foundation und der Verband IACCM (International Association for Commercial and Contract Management). Auch das kanadische Software-Unternehmen Clio hat sich dem Vorhaben angeschlossen. 
Ziel ist die Entwicklung einer Technologieplattform für intelligente, dynamische und rechtlich bindende Verträge. Solche Verträge wären in der Lage, sich mit IT-Systemen zu integrieren, um Daten aus IoT-Plattformen, Webdiensten sowie Management- und Buchhaltungssystemen der Vertragspartner in Echtzeit zu beziehen. Auf diese Weise ließen sich zum Beispiel Preise, Garantien, Lieferbedingungen und andere Vertragsklauseln in Reaktion auf bestimmte vertraglich festgelegte Ereignisse dynamisch aktualisieren.
Datengetriebenes Vertragswesen soll auch an andere IT-Plattformen Anschluss finden. Beispiele sind etwa Geolocation-Dienste für die Anlieferung von Gütern oder Bank-APIs zum Ausführen von Zahlungsvorgängen.
Hürden smarter Verträge
Zahlreiche Herausforderungen stehen smarten Verträgen derzeit noch im Weg. Dazu zählen:
  • Das Fehlen geeigneter technischer und juristischer Standards: Die Datenformate und APIs sowie die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind noch weit von dem nötigen Reifegrad entfernt, um eine praxistaugliche Umsetzung smarter Verträge und die erforderliche Interoperabilität von DLT-Ketten zu gewährleisten.
  • Datenschutz: Eine verteilte DLT-Kette muss sicherstellen, dass die verschiedenen Teilnehmer nur ganz bestimmte, für sie freigegebene Daten einsehen dürfen, um sensible Geschäftsgeheimnisse wie Einkaufspreise oder Gewinnmargen der beteiligten Parteien nicht Mitbewerbern preiszugeben.
  • Cybersicherheit: Die kryptografische Beglaubigung von Abläufen muss garantiert manipulationsfrei ablaufen.
3. Teil: „Digitalisierte Verträge“

Digitalisierte Verträge

  • Verifizierbar: Dank smarter Preisetiketten mit Anbindung an smarte Verträge sollen Verbraucher die Herkunft von Bekleidung zurückverfolgen können.
In den vergangenen Jahren haben Unternehmen damit begonnen, bereits geschlossene Vereinbarungen konsequent zu digitalisieren und in internen Datenbanken zu erfassen. Doch auch spezialisierte Software zur Verwaltung von Vertragslebenszyklen (Contract Lifecycle Management, CLM) bedarf zwingend der menschlichen Kontrolle. So ist eine CLM-Software beispielsweise nicht in der Lage, auf Ereignisse in der realen Welt autonom zu reagieren.
Blockchain-Technologie mit Anbindung an IoT-APIs und Möglichkeiten automatischer Rechtdurchsetzung sollen hier Abhilfe schaffen.
Was aber, wenn die Vertragspartner vor Gericht gehen? Dann nämlich hilft ein smarter Vertrag in Form von Software-Code wenig, warnt Casey Kuhlman, Geschäftsführer von Monax. Dies gelte sogar für relativ gut verständlichen Code wie EtherScript von Ethereum.
Würde ein Unternehmen einen solchen Vertrag als Beweisstück vorlegen, würden die Richter nur mit dem Kopf schütteln. Als Lösung empfehle sich die duale Integration: Smarte Verträge müssten gleichzeitig einmal in Code und einmal in menschlicher Sprache verfasst werden.
Nikolas Guggenberger, der sich am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster mit den juristischen Implikationen von smarten Verträgen auf Blockchain-Basis befasst, sieht hier noch weitere Problemfelder. Er unterstreicht, dass sich „zwischen Automatisierung und Einzelfallgerechtigkeit Konflikte ergeben“ können. Daher fordert Guggenberger die Sicherung rechtlicher Grundprinzipien und eine innovationsoffene Modernisierung des deutschen Rechts.

Beispiele aus der Praxis

Die Finanz- und Versicherungsbranche sowie  die globale Versorgungskette zählen zu den ersten Anwendungsfeldern für smarte Verträge, doch sind das längst nicht die einzigen. Das zeigen die folgenden Beispiele:
Musikindustrie: Firmen wie Peertracks und Ujo arbeiten an smarten Verträgen für die Mu­sik­branche. In einem smarten Vertrag wird unter anderem vermerkt, wer welche Rechte an einem Song hat, unter welchen Bedingungen ein Song abgespielt werden darf und wie die Erlöse hieraus zu verteilen sind. Mit jedem Verkauf eines Songs rechnet der smarte Vertrag automatisch die Beträge aus und schüttet sie an die beteiligten Künstler und sonstige Rechte­inhaber selbstständig aus – ohne Mittelsmann, ohne Zwischenstelle, ohne die üblichen Verzögerungen und Kosten.
Urheberrecht: Stampd.io verschafft dem Urheber eines digitalen Werks den Nachweis über den Besitz der digitalen Kopie zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das Besondere daran: Die Krypto-Beurkundung erfolgt ohne jeden Zugriff auf die Inhalte der betreffenden Dateien und ermöglicht so deren unbestreitbare Geheimhaltung.
Versicherung: Ein Beispiel dafür, dass smarte Verträge nicht nur bei digitalen Gütern, sondern auch bei Dienstleistungen stark im Kommen sind, ist das in New York ansässige Insurtech-Start-up Lemonade. Es unterstützt das Einreichen von Versicherungsansprüchen per mobiler App. Die Ansprüche sollen dabei innerhalb von drei Minuten bearbeitet werden – inklusive der automatischen Zahlungsabwicklung.
Aktienhandel: Das Unternehmen Symbiont möchte komplexe Finanzinstrumente in einer leicht verständlichen Programmiersprache entwickeln und vollständig in einem verteilten Ledger digitalisieren. Mit der Smart-Securities-Technologie von Symbiont soll es bereits möglich sein, komplexe Instrumente und vertragliche Vereinbarungen auf Distributed- Ledger-Basis zu modellieren. Die Lösung unterstützt sowohl manuell eingeleitete Unternehmensentscheidungen, etwa die Ausgabe von Aktien oder die Ausschüttung einer Dividende, als auch automatische, sich vollständig selbstausführende Ereignisse wie die Vergütung von Vorstandsmitgliedern mittels Optionen oder Aktien. Der US-Bundesstaat Dela­ware erkennt Symbionts Blockchain bereits als akzeptable Form der Aufzeichnung von Aktienbesitz an.
Kreditmarkt: Synaps, ein Joint-Venture zwischen Symbiont und dem Finanzdatenanbie­ter Ipreo Holdings, entwickelt eine Plattform zur Abwicklung des Handels mit Bankdarlehen im Konsortialkreditmarkt unter Verwendung smarter Verträge. Die Lösung unterstützt unter anderem das Abwickeln von Leerverkäufen, sogenannten Short Sales, und die algorithmische Bewertung der Handelsberechtigung eines Agenten. Sie kann jede Kreditgenehmigung wie auch -verweigerung in der Blockchain erfassen.
Supply Chain: Das Start-up Provenance hat sich zum Ziel gesetzt, die Nachverfolgung der Herkunft von Produkten und Rohstoffen mit Hilfe von DLT-Technologie zu revolutionieren. Unternehmen sollen so die Authentizität ihrer Produkte gegenüber dem Endverbraucher einfacher nachweisen können. Mit diesem Ziel vor Augen gewährt die Plattform dem Verbraucher einen Einblick in die Fair-Trade-Handelsbedingungen mit jedem einzelnen Lieferanten.

Fazit

Unser Streifzug durch die Blockchain-Welt belegt: Smarte Verträge sind im Aufwind. Obwohl bereits an vielen Ecken da­ran gearbeitet wird, sind vor einem breiten Einsatz in der Praxis allerdings noch einige Hürden zu überwinden. Beispiele aus den unterschiedlichsten Branchen machen aber schon klar, wohin die Reise geht.

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