Internet der Dinge
17.03.2017
IoT-Plattformen
1. Teil: „AWS vs. Azure beim Internet der Dinge“

AWS vs. Azure beim Internet der Dinge

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iconimage / Fotolia.com
Amazon und Microsoft konkurrieren um die steigende Nachfrage nach IoT-Diensten. Doch wer hat bei Technologien rund um das Internet der Dinge wirklich die Nase vorn?
Das Internet der Dinge verhilft praxisorientierten Erfindern zu neuen, bahnbrechenden Ideen. So schickt sich zum Beispiel die Münchner Workaround GmbH an, die Fließband­arbeit zu revolutionieren: mit ProGlove, einem IoT-fähigen, „smarten“ Handschuh. ProGlove unterstützt Mechaniker in der Logistik- und Fertigungsbranche dank einer Reihe von Sensoren und integrierter drahtloser Konnektivität bei der Auswahl von geeigneten Werkzeugen und passenden Bauteilen. Ein ebenfalls inte­grierter Vi­brationsmotor und eine kleine LED-Leuchte am Saum warnen vor Fehlern. Der IoT-Handschuh erhöht demnach die Produktivität, senkt die Fehlerrate und verbessert die Sicherheit – insbesondere bei langer und monotoner Arbeit. Die ersten Pilot-Implementierungen sind bereits im Gange.
  • Fest im Griff: Der digitale Arbeitshandschuh ProGlove hilft einem Fließbandarbeiter, schnell die richtigen Bauteile auszuwählen und sie korrekt zu montieren.
    Quelle:
    Foto: PRO GLOVE / Bernhard Huber
Mit großem Nachdruck verfolgt seit Längerem auch der Handelskonzern Rewe das Thema IoT: Die vormals zeitintensive manuelle Verbuchung von Waren und Transporthilfsmitteln erfolgt dort mittlerweile dank RFID-Technologie, IoT und durchgängiger Vernetzung vollständig automatisiert und damit wesentlich effizienter als früher. Das IoT-gestützte Warenwirtschaftssystem auf der Basis von IoT-Technologie der Bosch Software Innovations GmbH liefert im Rhythmus von fünf Minuten den Standort jedes einzelnen Joghurtbechers, Milchkartons und anderer Produkte.
Thomas Friedl, Geschäftsführer Rewe Systems, zeigt sich sehr zufrieden, wie es mit dem Internet der Dinge bei Penny, dem Discounter der Rewe Group, gelaufen ist: „Mit der Einführung der mobilen Inventuranwendung konnte Penny die Prozesse rund um die Inventur erheblich beschleunigen.“ Zwischen der Bestellung und der Lieferung vergeht dadurch oft weniger als ein Tag. Stark nachgefragte Lebensmittel sind stets vorrätig und dennoch immer frisch, da sie kurzfristig geliefert werden können.

Wachstums-Chance IoT

Weil diese Beispiele für viele andere stehen, bekommt die deutsche Wirtschaft von Beratungsgesellschaften wie Deloitte regelmäßig Bestnoten für ihr Engagement in Sachen Digitalisierung. In der Studie „Industrie 4.0 im Mittelstand“ führt Deloitte diese Erfolgsgeschichte vor allem auf die „Wandlungsfähigkeit und Innovationsstärke“ deutscher Unternehmen zurück. Insbesondere der deutsche Mittelstand zeichne sich durch „unternehmerische Ideen, Risikobereitschaft und Innovationsfreudigkeit“ aus, schreiben die Deloitte-Partner Lutz Meyer, Leiter des Mittelstandsprogramms, und Jürgen Reker, Leiter der Region Nord für den Bereich Mittelstand bei Deloitte in Hannover.
Dennoch, so die Autoren, bestätige die Studie insgesamt, dass ein Großteil der Unternehmen im Kontext von Industrie 4.0 noch erhebliche, bisher nicht ausgeschöpfte Potenziale aufweise. Das scheint sich mittlerweile auch in den Führungsetagen herumgesprochen zu haben. Fast drei von vier Unternehmen (72 Prozent) sind inzwischen nämlich davon überzeugt, dass IoT innerhalb der nächsten drei Jahre für sie „wichtig“ oder „sehr wichtig“ werden wird, fand vergangenen Herbst eine Studie von Dimension Data heraus.
Kein Wunder also, dass die großen Cloud-Anbieter wie Amazon AWS und Microsoft auf diesem Feld große Wachstums-Chancen wittern. Laut einem aktuellen Bericht von IDC sollen sich die Ausgaben für die Public Cloud von circa 70 Milliarden Dollar 2015 auf 140,1 Milliarden Dollar im Jahr 2019 verdoppeln – und das zu einem guten Teil aufgrund der IoT-Revolution. Allein der deutsche Vorzeige-Software-Konzern SAP möchte in den nächsten fünf Jahren rund zwei Milliarden Euro in IoT investieren. Dafür eröffnet das Unternehmen IoT-Labs unter anderem im kalifornischen Palo Alto, in Shanghai, München und Berlin. Die Investitionen in IoT sind vor allem für die Entwicklung neuer Produkte, aber auch für den Vertrieb und für konkrete IoT-Anwendungen vorgesehen.
Durchblick dank IoT: Datenhelm von Daqri für Augmented-Reality-Anwendungen in der Industrie.
Daqri
IoT: Anwendungen und Geschäftsmodelle
Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) vollzieht den Brückenschlag zwischen realer und virtueller Welt. Bei IoT erhalten physische Objekte in der realen Welt eine eindeutige Kennung (meist über den sehr umfassenden IPv6-Adressraum) und die Fähigkeit, Daten über Ereignisse oder Zustände – etwa Standortdaten unter Verwendung von RFID oder GPS – zu kommunizieren. IoT eröffnet damit zahllose Möglichkeiten für intelligente Anwendungen zum Steuern von Abläufen, zum Beispiel in der Logistik und Produktion im Rahmen von Industrie 4.0. IoT fördert zudem die Entstehung neuer Geschäftsmodelle. So verlassen sich etwa innovative Start-ups in der Versicherungsbranche (Insurtechs) bei der Risikoeinschätzung auf die Sensorik von Wearables ihrer Versicherungsnehmer.
IoT ermöglicht des Weiteren die Umsetzung von Bereichsüberwachungen (Geofencing). Dabei handelt es sich um die Fähigkeit physischer Objekte, das Überschreiten virtueller Grenzen zu erkennen und an ein zentrales System zu melden. Betritt oder verlässt der Benutzer eines IoT-Geräts eine Geofencing- Zone, kann dieses Ereignis bestimmte Aktionen auslösen, zum Beispiel eine Benachrichtigung über Sonderangebote beim Betreten einer Einkaufszone oder eine Liste anstehender Wartungsarbeiten, wenn ein Techniker eine Produktionshalle betritt.
Ein weiteres Anwendungsgebiet von IoT entsteht im Zusammenhang mit Technologien der erweiterten Realität (Augmented Reality, AR). AR ergänzt die physische Realität um computergenerierte Inhalte wie Datenvisualisierungen, akustische Signale und interaktive virtuelle Elemente. So lassen sich etwa Kundenerlebnisse im Online-Handel durch das gezielte Einbetten von Produktvisualisierungen in die reale Umgebung einzelner Kunden personalisieren oder die Daten aus Industriesensoren direkt auf dem Display des Sicherheitshelms eines Wartungstechnikers visualisieren. Einen solchen Datenhelm bietet zum Beispiel die amerikanische Firma Daqri an.
IoT verwandelt physische Gegenstände in smarte Objekte, die über eine kontextabhängige, oft cloudgestützte Intelligenz verfügen können. In Kombination mit passender Sensor- und Aktortechnik entstehen sehr ausgeklügelte, autonome, also eigenständig handelnde Systeme, die sich auch um Künstliche Intelligenz ergänzen lassen.
Als Nebeneffekt der Digitalisierung entsteht ein grundlegend verbessertes Kundenverständnis, das entlang der gesamten Wertschöpfungskette bessere Resultate zutage fördert. Handel und Lieferanten werden in die Lage versetzt, auf kurzfristige Bedarfsschwankungen zeitnah zu reagieren.
Die Zeiten, als Handelsketten von Flensburg bis München und von Aachen bis Berlin in all ihren Filialen ein einheitliches Sortiment führten, sind in der IoT-Ära endgültig vorbei. Dank IoT können sie viel besser auf Besonderheiten lokaler Märkte eingehen. Auf Basis von IoT-Sensorik ist eine nutzungsgerechte Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen in vielen Branchen wie dem Versicherungswesen bereits gang und gäbe. Insurtech-Start-ups wie Sureify Labs (www.sureify.com) oder Amodo (www.amodo.eu) haben ihre Geschäftsmodelle rund um das Internet der Dinge aufgebaut.
2. Teil: „Vier IoT-Felder“

Vier IoT-Felder

Das Internet der Dinge (IoT) verzahnt die physische und die digitale Welt mit Hilfe von Sensorik. So entstehen – mit Künstlicher Intelligenz aus der Cloud im Rücken – kognitive, also wahrnehmungsfähige und autark agierende Steuerungssysteme der realen Wirtschaft und zahlreiche neue Geschäftsmodelle.
Experten sind sich einig: Die bevorstehende Transformation soll sich im Mittelstand vor allem in diesen vier Bereichen niederschlagen:
1. Intelligente Fabrik (Smart Factory): Die Ausstattung der gesamten Fertigung mit IoT-Sensoren (zum Beispiel RFID) verknüpft die Produktionsprozesse mit intelligenten Kontrollsystemen für einen schonenderen Umgang mit Ressourcen. Das industrielle Internet der Dinge (IIoT) holt somit auch den Mittelstand – entlang der gesamten Wertschöpfungskette – mit ins Boot.
2. Intelligenter Geschäftsbetrieb (Smart Operations): Moderne Systeme zur Fertigungssteuerung (Manufacturing Execution Systems, MES) und Auftragsüberwachung verhelfen Unternehmen zu einer flexiblen Produktionsplanung und steigern die Agilität der übrigen Geschäftsabläufe.
3. Intelligente Produkte (Smart Products): Die Ausstattung von Produkten mit IoT-Sensoren fördert die Entstehung kundennaher Dienstleistungen und ermöglicht die Erfassung und Auswertung relevanter Leistungsmerkmale für die Entwicklung bedarfsgerechter Produktverbesserungen. Intelligente Produkte stehen damit nicht nur während der Herstellung, sondern auch nach dem Verkauf im Verlauf ihres gesamten Lebenszyklus mit dem Hersteller in Kontakt.
4. Neue Geschäftsmodelle mit datengetriebenen Dienstleistungen: Durch intelligente Vernetzung von Unternehmen, Produkten und Kunden entstehen neue Dienstleistungen rund um intelligenter Produkte – und neue Geschäftsmodelle.
Diese Umwälzungen erfordern von den Unternehmen eigene IoT-Kompetenzen rund um die IoT-Plattform der Wahl.

Microsoft fordert Amazon heraus

Besonders stark haben sich in jüngster Zeit Amazon und Microsoft mit dem Aufbau von IoT-Plattformen als Teil ihrer Cloud-Strategien hervorgetan. Laut den Analysten von IDC verbuchen die beiden Platzhirsche im stark wachsenden Public-Cloud-Markt mit ihren Plattformen AWS beziehungsweise Azure gemeinsam den Löwenanteil der Umsätze.
Vor allem, weil Amazon vier Jahre früher mit seiner Cloud-Plattform losgelegt hat, liegt Amazon aber noch deutlich in Führung mit einem Marktanteil von rund 30 Prozent, während Microsoft auf gerade einmal 11 Prozent kommt. Der Vorsprung schwindet aber. So konnten die Redmonder ein Wachstum von 103 Prozent im Vergleich zum Vorjahr vermelden – AWS „nur“ 59 Prozent.
Kriterien für IT-Plattformen
Eine IoT-Plattform in der Cloud sollte folgende Anfor­derungen erfüllen:
  • eine Management-Plattform zum Verwalten und Überwachen von IoT-Endgeräten mitbringen (Beispiele: Identity Registry auf Azure, Thing Registry auf AWS)
  • IoT-Daten mit bidirektionaler Datenübertragung erfassen, aufbewahren und auswerten können
  • ein SDK haben, das als Firmware in IoT-Endgeräten ein­gesetzt werden kann (verfügbar sowohl bei AWS als auch bei Azure)
  • Unterstützung für Standard-Übertragungsprotokolle
    liefern (auf Azure unter anderem HTTP, AMQP 1.0 und MQTT; auf AWS HTTP, WebSockets und MQTT)
  • globale Konnektivität via 3G, 4G und LTE bieten (verfügbar von Partnern des jeweiligen Cloud-Anbieters)
  • über einen Massenspeicher für die langfristige Datenarchivierung verfügen (zum Beispiel Azure Data Lake, AWS Storage Gateway in Kombination mit AWS Glacier oder AWS S3)
  • Funktionen zur Gewährleistung von Datensicherheit haben (zum Beispiel TLS-verschlüsselte Datenübertragung, Schlüsselverwaltungsdienste und Ähnliches)
3. Teil: „Azure Hub vs. AWS IoT-Plattform“

Azure Hub vs. AWS IoT-Plattform

Microsoft gab seiner IoT-Technologie den Namen Azure IoT Hub; Amazon AWS spricht einfach von der IoT-Plattform. Beide Lösungen bilden jeweils ein Gateway für eine bidirektionale Kommunikation zwischen IoT-Endgeräten auf der einen und Cloud-Diensten auf der anderen Seite.
Bei Microsoft erfolgt die Kommunikation über sogenannte Endpunkte IP-fähiger Endgeräte und der Cloud wahlweise via automatisches und/oder manuelles Routing.
  • Vorausschauende Wartung mit Ferndiagnose: Von Rolls Royce kommt ein IoT-basiertes Kontrollcenter für die Schifffahrt.
    Quelle:
    Rolls Royce
Bei Amazon AWS zeichnet für diese bidirektionale Kommunikation eine Regelverarbeitungs-Engine verantwortlich. Das Herzstück von Amazons IoT-Plattform bildet das Device Gateway, eine Kommunikationsschnittstelle zwischen den Endgeräten und der Cloud, die relevante Nachrichten zwischen IoT-Endgeräten und der Regelverarbeitungs-Engine hin und her übermittelt. Verbundene Geräte berichten ihren Status an einen Nachrichten-Broker, der diese Daten in einem sogenannten Device Shadow speichert und an die Empfänger weiterleitet, die den zugehörigen Thread abonniert haben. Applikationen können dann die benötigten Änderungen des Zustands eines Endgeräts anfordern.
Um die Verfügbarkeit IoT-fähiger Hardware sicherzustellen sind beide Cloud-Giganten zahlreiche Partnerschaften eingegangen. Microsoft Azure hat unter anderem Intel, Freescale (mit der ARM-mbed-Plattform), Texas Instruments, Arrow (mit Qualcomm Board), MinnowBoard, Raspberry Pi und Resin.io ins Boot geholt. AWS verweist unter anderem auf Kooperationen mit Intel (Edison), Qualcomm (DragonBoard), BeagleBone und Microchip.
Sowohl Amazon wie auch Microsoft haben zudem ihre SDKs unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht, um nicht in den Verdacht zu kommen, eine marktbeherrschende Stellung mit proprietären Lösungen anzustreben. Und beide Anbieter gleichermaßen überschlagen sich förmlich im Erfinden neuer IoT-Dienste.

Technisch (fast) gleichwertig

Trotz des zeitlichen Vorsprungs von Amazon attestieren Analystenhäuser wie IDC Microsofts Cloud Azure eine inzwischen technisch nahezu gleichwertige Leistungsfähigkeit. Zu einem ähnlichen Urteil kommt Gartner in seiner Magic-Quadrant-Analyse: Zwar würde derzeit AWS noch den Ton angeben, Azure sei aber sehr nahe dran, den Marktführer einzuholen.
Die Unterschiede zwischen AWS und Azure werden immer weniger und ein technischer Gleichstand scheint absehbar. Viele Lösungen von Drittanbietern sind mittlerweile auf beiden Cloud-Plattformen verfügbar – oder für beide in Arbeit. Siemens beispielsweise beabsichtigt, sein offenes IoT-Ökosystem MindSphere für IoT-Analytics auf der Basis von SAP HANA sowohl auf Amazon AWS als auch auf Azure bereit­zustellen. Für Kunden, Partner und Drittanbieter sollen dadurch „zusätzliche Möglichkeiten entstehen (…), die Produktivität von Maschinen und Anlagen zu erhöhen“, begründet Peter Weckesser, COO der Business-Unit Product Lifecycle Management bei Siemens, diesen Schritt. Unternehmen, die vor der Entscheidung für oder gegen eine IoT-Plattform stehen, haben also die Qual der Wahl.
Amazons Stärken liegen in der massiven Skalierbarkeit der Infrastruktur und Orchestrierung. AWS skaliert auf Milliarden von IoT-Endgeräten und Billionen von Nachrichten. Azure punktet wiederum durch Unterstützung für prädiktive Instandhaltung, maschinelles Lernen (Cortana Intelligence Service und Cognitive Services haben keine Entsprechung bei AWS) und Visualisierung mittels Power BI. So plant etwa Rolls Royce, bevorzugter Lieferant der Airbus-Triebwerke, gemeinsam mit Microsoft eine IoT-Plattform für seine eigene Wertschöpfungskette zu entwickeln. „Microsoft ist besser auf Unternehmens- und PaaS-Kunden zugeschnitten [als AWS] und passt daher eher zu unserer Zielsetzung“, erklärt Peter Chapman, Head of Data Capability bei Rolls Royce.

Fazit

Das Internet der Dinge stellt auch den Mittelstand vor neuartige Herausforderungen. Die führenden Public Clouds Amazon AWS und Microsoft Azure sind dafür mittlerweile in jeder Hinsicht gewappnet. Wer sich langfristig gesehen besser schlagen wird, ist offen. „Es werden sich nicht notwendigerweise die Anbieter mit der technologisch besten IoT-Plattform am Markt durchsetzen, sondern diejenigen, die es am besten schaffen, ein Ökosystem an Partnern rund um die eigene IoT-Plattform zu etablieren“, urteilt die Experton Group in ihrem „Vendor Benchmark 2017“.
Das erklärte Ziel von Microsoft, AWS Marktanteile abzujagen, wird sich ohne beträchtlichen Druck auf die Marge wohl kaum erreichen lassen. Der daraus resultierende erbitterte Preiskampf der beiden Cloud-Giganten kann den Kunden aber nur recht sein.

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